FAZIT zu "Deephaven" (incl. Nachwort)

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.450
49.893
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Waren Anmerkungen und Nachwort hilfreich? Wir bitten um ein Fazit in ein paar Sätzen.
 

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.630
12.865
49
47
Für mich hatte "Deephaven" etwas von einem Überraschungsei: eine hochwertige Aufmachung und Verpackung, so lecker wie die Schokolade, doch der Inhalt über weite Strecken eine Enttäuschung. Dennoch konnte man sich zwischenzeitlich immer mal wieder über einen Schlumpf oder ein Happy Hippo freuen. So beispielsweise die atmosphärischen Beschreibungen von Natur, Friedhof und Häusern im ersten Teil, die berührende Geschichte von Danny und seiner Katze, der Ausflug zu Miss Chauncey oder - vor allem - die finalen Sätze, in denen man die Wehmut über das Ende des Urlaubs und des Sommers wunderbar herauslesen konnte. Tatsächlich fühlte ich mich auch oft so, gerade wenn ich einen Sommerurlaub am Meer verbrachte. In diesen Momenten zeigte Sarah Orne Jewett ihre Fähigkeiten, und ich hätte mir viel mehr davon gewünscht.

Die meiste Zeit habe ich mich aber leider sehr gelangweilt, mit den Protagonistinnen wurde ich nicht annähernd warm, viele Erzählungen blieben belanglos. Am meisten störte mich aber die etwas hochnäsige Naivität der Figuren selbst und die ständige Betonung, wie toll doch alles sei.

Die Anmerkungen waren ganz nett, für mich aber kein Muss. Das Nachwort hingegen halte ich für überaus interessant. Man erfährt mehr über die Autorin und die Gründe für diesen Roman. Fast hätte ich mir gewünscht, es vor dem Roman gelesen zu haben.

Da es mir im Herzen weh tun würde, ein so schönes, bibliophiles Buch mit zwei Sternen zu bewerten und auch immer wieder richtig schöne Stellen hindurchfunkelten, runde ich auf drei Sterne auf.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.622
16.636
49
Rhönrand bei Fulda
Ich kämpfe sehr mit mir, was dieses Buch angeht. Einige Kapitel machten den Eindruck einer Sammlung von Belanglosigkeiten, andere habe ich sehr gern gelesen, die letzten drei Kapitel übrigens zweimal. Wie schon mehrmals hier erwähnt, habe ich eine Vorliebe für Beschreibungen alter, vollgestopfter oder verwinkelter Häuser, deshalb haben mich die Kapitel über Mrs. Bonny und über Mrs. Chauncey besonders angesprochen.

In gewisser Weise ist das Buch auch interessant durch das, was ausgelassen wird. Das berühmte "Stolz und Vorurteil" handelt praktisch nur von der Jagd auf Ehemänner, in "Deephaven" ist davon glatt gar nicht die Rede, obwohl die beiden Damen mit 24 Jahren, nach damaligen Maßstäben, schon auf dem Weg in die Riege der alten Jungfern sein müssten. Ihre Suche nach Vergnügungen läuft ins Leere; weder der Zirkus noch der Vortrag über wahre Männlichkeit sind in irgendeiner Weise inspirierend. Dort, wo sie dann wirklich mit dramatischen Umständen in Berührung kommen, wie bei Mrs. Chauncey oder jener verarmten Familie (ich habe eben nach dem Namen gesucht - aber anscheinend wird der gar nicht erwähnt!), sehen sie sich auf ihre Besucherrolle zurückgeworfen: "Wir haben kein Recht, dort zu sein" sagt Nelly über die Beerdigung, "man würde uns nur für neugierig halten".

Sehr schön fand ich übrigens auch das Gespräch am Schluss. Abgesehen von der Erwähnung der "Ladies of Llangollen", die in diesem Zusammenhang schon auf das Thema "Boston Marriage" verweist, wird hier deutlich, dass Deephaven kein Ort für die beiden Freundinnen ist, um dort ständig zu leben. Es ist aber vermutlich der Ort, von dem sie ihr Leben lang mit Wehmut und Sehnsucht sprechen werden.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.560
49
66
dass Deephaven kein Ort für die beiden Freundinnen ist, um dort ständig zu leben. Es ist aber vermutlich der Ort, von dem sie ihr Leben lang mit Wehmut und Sehnsucht sprechen werden
Das wäre unglaubwürdig, wenn die beiden Frauen sich hier ansiedeln würden. Dazu gibt es hier zu wenig intellektuelle Anregungen, aber dass sie zeitlebens an diesen Sommer zurückdenken werden, glaube ich schon. Sie lieben die Natur und sind offen für Begegnungen, doch irgendwann kennt man alle interessanten Geschichten.
 

Barbara62

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19. März 2020
3.881
14.840
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Es geht mir wie @Christian1977, ich kann ein so bibliophiles Buch nicht mit zwei Sternen bewerten. Aber so leid es mir tut, gerade bei einem meiner liebsten Verlage, mehr als drei Sterne sind nicht drin. Mancher Klassiker ist nicht ganz zu Unrecht für lange Zeit von der Bildfläche verschwunden.

Neben der "gepflegten Langeweile", wie jemand es hier so passend ausgedrückt hat, habe ich keinen Zugang zu den Protagonistinnen gefunden. Sie, die andere so schnell als dümmlich und instinktgetrieben abqualifizieren, schienen mir selbst nicht von überragender Klugheit. Ihr Dünkel mag mit ihrer Epoche erklärlich sein, aber angenehm zu lesen ist es trotzdem nicht.
 

Literaturhexle

Moderator
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2. April 2017
19.450
49.893
49
Ich halte den Roman für eine Aneinanderreihung von Episoden, zusammengehalten durch den Sommer in Deephaven, den Helen und Kate verlebt haben. Sie beobachten und haben verschiedene Begegnungen, die hier niedergeschrieben sind. Die Qualität der einzelnen Geschichten empfinde ich als sehr unterschiedlich. Gerade im Mittelteil des Buches konnte mich die Handlung kaum fesseln, manches Erlebnis kam mir doch sehr bieder und belanglos vor, so dass meine Gedanken laufend abschweifen wollten, was das Lesen zäh machte. Hier vermisste ich auch schöne, gedankenvolle Formulierungen, die in Klassikern des 19. Jahrhunderts oft zu finden sind.

Das letzte Drittel hob sich in diesen Beziehungen wohltuend ab. Endlich begann die Protagonistin zu reflektieren, auch die Geschichten lasen sich interessanter.

Die bibliophile Ausstattung mit Leinen, Schuber und feinem Papier ist überaus gelungen. Leider passt die Hülle nicht recht zum Inhalt. Welche Sternezahl ich zücke, muss ich sehen und erst einmal Revue passieren lassen...

Das Nachwort war auf alle Fälle hilfreich und hat genau die richtige Länge.
 
Zuletzt bearbeitet:

Die Häsin

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11. Dezember 2019
4.622
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Rhönrand bei Fulda
Die bibliophile Ausmachung mit Leinen, Schuber und feinem Papier ist überaus gelungen. Leider passt die Hülle nicht recht zum Inhalt. Welche Sternezahl ich zücke, muss ich sehen und erst einmal Revue passieren lassen...
Ich würde für das Lesevergnügen als solches wahrscheinlich eine 3 geben und noch einen Extrastern für die Aufmachung des Buches, womit ich bei 4 wäre. Es scheint mir, verglichen mit anderen Viererkandidaten, die ich bisher hatte, auch ein bisschen viel, aber das haptische Vergnügen beim Lesen sollte ja auch belohnt werden. Und gerade bei diesem Buch habe ich das Gefühl, dass es womöglich viele Leser gibt, die mehr Gewinn daraus ziehen als ich: ich lebe zurückgezogen, meine Zerstreuungen bestehen im Wandern in der Natur und im Lesen, und ich bedarf im Grunde nicht der vielgepriesenen "Entschleunigung" und habe meine Bücher gern etwas aufregender; aber wer nach der Tagesarbeit gestresst heimkommt und aufs Sofa fällt, mag die Lektüre vielleicht sehr genießen.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
3.050
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Wien
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aber wer nach der Tagesarbeit gestresst heimkommt und aufs Sofa fällt, mag die Lektüre vielleicht sehr genießen.
Der Ansatz hat bei mir den Haken, dass ich ohne viel Handlung dann über so einem Buch einschlafe.

Ich mochte an dem Buch, ganz abgesehen von der wirklich schönen Aufmachung, den Anfang, die Ankunft in Deephaven, das Einrichten in dem Haus, das fand ich stimmig und ging mir auch wirklich leicht dahin. Das letzte Kapitel fand ich auch wieder gelungen und hat mich erreicht. Ich denke, das Buch ist wirklich ein Schmuckstück und keines für jeden Tag. Die einzelnen Kapitel am Stück zu Lesen ist wohl ein Fehler gewesen
Das Nachwort war auf alle Fälle hilfreich und hat genau die richtige Länge.
Der Autor weist auch auf die Liebeserklärung zwischen den Zeilen hin. Das merkt man zwar schon auf den ersten Seiten, aber ich finde es gut, dass es doch im Nachwort explizit erwähnt wird.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Bis zum Ende konnte ich aus der Stimmung der "gepflegten Lageweile" nicht herauskommen. Es ist ein wunderschön aufgemachtes Buch, dessen Inhalt der Hülle dann aber nicht entsprechen kann. Ja, es ist schön geschrieben, aber warum und wieso? Die positiv gelangweilte Stimmung eines Mädchensommers kommt sehr gut heraus und ist auch schriftstellerisch sehr gut umgesetzt. Aber warum schreckt der Roman/die Autorin gleichsam vor allem zurück, was irgendwie Bewegung und zumindest eine seichte Form von Spannung in den Roman bringen könnte? Der strenge Konservatismus und das Baden in allem Althergebrachten ist für mich als Leserin dann doch etwas zu wenig, um mich irgendwie fangen und beeindrucken zu können.
Meine Rezension wird über 3 Sterne sicher auch nicht hinausgehen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
7.311
18.970
49
48
Tja, hier zeigt sich das Aufmachung/Verpackung und Inhalt nicht immer eine Einheit bilden. Ein Schmuckstück ist das Buch in jedem Fall mit seiner (hoch)wertigen Verarbeitung, dem Schuber, dem Papier - großes Kino. Der Inhalt schwankt zwischen Seemannsgarn, zum Teil poetischen Naturbeschreibungen und einschläfernden Parts. Für die reine Geschichtensammlung gibt es von mir 3*; aufgrund der großartigen Verpackung gibt´s aber 1* extra, was hier meinem Klassikerbonus entspricht.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.560
49
66
So, nun steht auch meine Rezension.


Anders als die meisten hier habe ich mich nicht gelangweilt bei der Lektüre. Die vielen kleinen Episoden und Anekdoten fand ich interessant als Zeugnis einer vergangenen Zeit. Wie einfach und zum Teil eintönig war das Leben früher im Gegensatz zu unserem Leben heute. Aber ungleich härter und gefährlicher. So ein zum Teil abgeschiedenes Leben bringt viel mehr Kauze und Eigenbrötler hervor, das hat mir auch gefallen. Da sind wir heute viel konformer.
Außerdem mochte ich die beiden Frauen, die offen und neugierig den Menschen begegnet sind.
Die Autorin hat mich überzeugt mit ihrem liebevollen und genauen Blick auf Menschen, mit bildhaften Natur- und Landschaftsbeschreibungen und mit ihrer leichten Ironie.
“ Deephaven“ ist kein Buch für plotgetriebene Leser, sondern für solche, die sich Zeit nehmen für ruhige Geschichten.
Den Verlag kann man nicht genug loben für die feine Ausstattung, die das Herz eines jeden Bibliophilen höher schlagen lässt.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.895
12.587
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich dachte, dass ich mein Fazit bereits geschrieben hätte. Falsch gedacht. Daher nachträglich:
„Deephaven“ ist ein Klassiker, der auch als solcher zu lesen ist. Was in seiner Zeit als aufregend galt, würde Leser eines heutigen Roman nicht ansprechen. Deephavens tugendhaften und vorbildlichen Romanfiguren, allen voran die beiden Protagonistinnen, würden in der Gegenwartsliteratur eher langweilen. Insofern ist bemerkenswert, wie sich das Verständnis von einem „guten“ Roman über die Jahrzehnte gewandelt hat. Ich habe daher „Deephaven“ als Reise in eine literarische Vergangenheit gelesen und genossen.
Der Roman hat mich in einen Zustand der Entschleunigung versetzt. Untermalt wurde dieser Zustand durch eine sehr stimmungsvolle Beschreibung der Umgebung von Deephaven, Wind und Wetter sowie dem Meer. Diese Beschreibungen habe ich sehr genossen, haben sie mir doch ein bisschen Urlaubsflair vermittelt.
Ein Roman, der einen entspannten Gegenpol zu meinem hektischen und anstrengenden Alltag geboten hat!