FAZIT zu "Das Versprechen" von Damon Galgut

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Wie hat euch der Roman als Ganzes gefallen? Bitte schreibt ein erstes spontanes Fazit in ein paar Sätzen.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.150
49
Brandenburg
Ich tue mich schwer mit dem Flummiball der Erzählstimme, die sich alles erlaubt. Ist das überhaupt "erzählen"? Andererseits hat es für diesen Roman soweit funktioniert. Hat es tatsächlich. Und es war nicht so schwer zu lesen wie Wolf oder Joyce. Es war einfach. Allerdings schuf der Flummiball auch Distanz und sie hat mich geärgert.

Die Geschichte selber ist eigentlich lapidar. Kaum Substanz. Der Autor brauchte immer wieder Extreme (Blitzschlag, Scheidung, Seitensprung, Schlangenbiss, korrupte und sexistisch fehlgesteuerte Geistliche, Yogalehrer, die sich mit ihren Schülern zusammentun, etc. pp.,) um den Leser bei Stange zu halten. Sonst hätte er schnell das Interesse verloren. Über was wäre sonst zu erzählen gewesen? Im Rückwärtsschongang. Der Roman geht mir nicht unter die Haut. Und das ist eigentlich tragisch. Trotz unbestreitbaren Lesesogs lässt er mich gleichgültig.

Es gibt einen esoterischen Anteil und Nebelkerzen bzw. Nebulöses. Große pathetische Worte, die bei näherem Hinsehen wenig Inhalt bieten.

Im muss darüber nachdenken. Immerhin, man muss darüber nachdenken, das ist eher ein gutes Zeichen. Aber. Fünf Sterne werden das nicht. Soviel ist sicher. Wie die Renten!
 
Zuletzt bearbeitet:

Christian1977

Bekanntes Mitglied
8. Oktober 2021
2.554
12.487
49
47
Ich bin insgesamt sehr begeistert, insbesondere von dieser kleinen Erzähler-Drohne bzw dem Wanda-Flummi. Durch diese Art des Erzählens wurden Stränge miteinander verbunden, die kaum möglich schienen. Damon Galgut lässt in diesen Erzählstrom nicht nur Nebenfiguren, sondern auch Tiere und Wetterphänomene einfließen. Große Kunst, die mich mitgerissen hat!

Sehr originell zudem, die Familie immer nur zu Beerdigungen zusammenkommen zu lassen.

Die Familiengeschichte mit der Südafrikas zu verknüpfen fand ich klug konstruiert. Sie hatte für mich genug Gehalt, um ihr mit Interesse zu folgen.

Der Roman hat es gleichermaßen geschafft, mich zu berühren und nicht selten auch zum Lachen zu bringen. Auch wenn mir dies oft im Halse stecken blieb...

Für mich kann es nur die Höchstpunktzahl geben.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Mir geht es wie Christian. Ich bin noch ganz hin und weg von dem Buch. Und hier v.a. von der Erzählweise. Ungewöhnlich, meisterhaft!

Die Geschichte der Familie ist so lapidar oder extrem wie es das Leben oftmals ist. Dass hier ein paar ungewöhnliche Todesarten zusammenkamen, ist dem Schauplatz geschuldet. Die Wahrscheinlichkeit, an einem Schlangenbiss zu sterben oder Opfer eines Gewaltverbrechens zu werden , ist in Südafrika bestimmt höher als bei uns.

Für mich steht die Familie Swart auch beispielhaft für die weiße Gesellschaft Südafrikas. Sie lebt noch auf dem Boden und von dem Geld, das ihre Vorfahren in Besitz genommen und angehäuft haben.
Gerade das letzte Kapitel zeigt das Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß sehr deutlich. Dazu aber mehr in meiner Rezension.
Für mich steht die volle Punktzahl fest.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich möchte mich @Christian1977 und @RuLeka anschließen. Die Erzählerstimme finde ich genial und ich sie in dieser Form, wie schon häufiger betont, noch nicht gelesen. Wir schauen in so viele Figuren hinein und verlieren trotzdem den roten Faden nicht aus den Augen.
Persönlich hätte ich gern Amor mehr im Mittelpunkt gehabt als Anton, der jedoch das Scheitern der Familie symbolisiert. Doch auch Amor kann in ihrem Gutmenschentum die Gräben in der Gesellschaft nicht überbrücken.
Auch ich werde volle Punktzahl vergeben - Rezension folgt.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Galgut lässt viele Leerstellen in seinem Roman, erzählt bei weitem nicht alles aus. Er wirft immer nur Blitzlichter auf das Geschehen und seine Figuren - und das in großen Abständen. In Folge bleiben Fragen offen, Charaktere unklar. Unsere Diskussion war da mal wieder extrem erhellend und konstruktiv! Ein solch vielschichtiges Buch alleine zu lesen, mindert gewiss den Genuss. Es ist eines der Werke, die man auch ein zweites Mal zur Hand nehmen sollte, man wird immer wieder etwas Neues entdecken.

Nicht genug loben kann ich den Erzählstil. Hat man sich erst einmal eingelesen, muss man ihn als grandios bezeichnen. Mal ganz anders, teils flapsig, teils mit großer Tiefe, immer mit sagenhafter Empathie zur Handlung und ihren Figuren. Ein Highlight natürlich auch die Randfiguren: Bob, die Schakale, die Schlangen. Es hat mir gefallen, dass Galgut auch Dinge bespricht, die in der Literatur selten sind: die Arbeit eines Bestatters incl. Krematorium, menschliche Bedürfnisse und manch andere "Unappetitlichkeit", die zum Leben dazugehört. Auch mit den Geistern kam ich gut zurecht. Sie gehören wahrscheinlich zum Land und geben dem Buch eine spezielle Note.

Auch wenn ich im zweiten Abschnitt nicht ganz auf meine Kosten gekommen bin (einen Hänger hatte), kann ich hier keine andere als die Höchstwertung zücken. Wir alle sind doch immer auf der Suche nach diesem besonderen Buch, das vom Üblichen abweicht. Hier haben wir eines davon! Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass es den Bookerpreis gewonnen hat. Es hat mehrere Ebenen und beeindruckende Perspektiven. Es informiert über die Entwicklung Südafrikas und lädt zu vertiefenden Recherchen ein, ohne sie notwendig zu machen fürs Verständnis der Handlung.

Es ist Mitte Januar und ich habe mein ersten Highlight gelesen. Herz, was willst du mehr?!?
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.512
49
Ich habe dieses Buch sehe gern gelesen und ich werde mir den Namen Galgut jetzt bestimmt merken (jaja, ich oute mich hier schon wieder als Literaturbanause). Eure Kritikpunkte konnte ich bei mir als Pluspunkte verzeichnen. Der Wanda-Flummi hat mich wach und aufmerksam gehalten und hat verhindert, dass ich mich langweilte (Ui, gehöre ich jetzt zur Twitter-Generation?). Die Hexle-Leerstellen habe ich sehr gern mit eigenen Gedanken gefüllt und der Autor gab mir die Freiheit dafür.
Und ich liiiiiiebe Ironie, besonders Selbstironie, die Galgut hier zweifellos gehabt hat. Außerdem ist der Autor mit seinem Thema vertraut, er ist Südafrikaner.... nun, er ist keine Frau, aber dafür hat er diese "Frauendinge" ziemlich gut hingekriegt.
Und er hat reichlich Pfeffer zum Eintopf benutzt, sprich Blitzschläge, Ehebruch, Homosexualität, Scheinheiligkeit.... da schmeckt nichts fad.
Die Geister und andere Entitäten waren genau richtig dosiert, so dass der Bezug zur harten Realität nie abriss.
Galgut hat zurecht den Booker-Prize gewonnen.
 

Barbara62

Bekanntes Mitglied
19. März 2020
3.769
14.395
49
Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Volle Punktzahl auch von mir. Die Erzählstimme fand ich absolut klasse, sie hat Konzentration erfordert und das Lesen interessanter und abwechslungsreicher gemacht. Die politische Situation im Hintergrund war genau nach meinem Geschmack, ebenso das Erzählen im Mehrjahresabstand. Die vergleichbaren Situationen = Beerdigungen luden zum Finden von Unterschieden und Gemeinsamkeiten ein. Und das vielleicht größte Plus: der Humor und Sarkasmus - trotz aller Dramatik. Ein erstes Highlight 2022.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.291
10.416
49
49
Auch ich finde, dass der Roman herausragt. Wenn man sich dem Stil des Autors erstmal angepasst hat, hat er enorm viel zu bieten, und das auf verschiedenen Ebenen.
Es ist kein Roman der Charaktere bereit hält die perfekt sind, im Gegenteil, er beschönigt nichts, und das ist gut so! Die politischen Hintergrunde laufen eher nebenher, auch das hat mir gefallen.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.150
49
Brandenburg
Volle Punktzahl auch von mir. Die Erzählstimme fand ich absolut klasse, sie hat Konzentration erfordert und das Lesen interessanter und abwechslungsreicher gemacht. Die politische Situation im Hintergrund war genau nach meinem Geschmack, ebenso das Erzählen im Mehrjahresabstand. Die vergleichbaren Situationen = Beerdigungen luden zum Finden von Unterschieden und Gemeinsamkeiten ein. Und das vielleicht größte Plus: der Humor und Sarkasmus - trotz aller Dramatik. Ein erstes Highlight 2022.
Die Zeitsprünge haben dem Roman gutgetan, ohne Frage.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Hier nun meine Rezension

Wie ich schon schrieb, war ich von dem Roman völlig begeistert. Nicht nur inhaltlich war es eine aufschlussreiche Lektüre, die mir die weiße Bevölkerung Südafrikas näher gebracht hat. Galgut findet deutliche Worte, zeigt die Figuren mit ihren Schwächen und Vorurteilen . Er beschönigt und entschuldigt sie nicht, sondern zeigt an ihnen, wie eine Gesellschaft, die auf Rassismus und Unterdrückung basiert, seelisch deformierte, unglückliche Menschen hervorbringt.
Den Roman in vier Teile zu gliedern und hier jedes Mal eine Beerdigung ins Zentrum zu stellen, war klug gewählt
Aber vor allem die Art des Erzählens macht diesen Roman ungewöhnlich. Galgut verfügt außerdem über Humor und Selbstironie; das gefällt mir.
Unsere erste Leserunde dieses Jahr : ein Volltreffer!
 

ulrikerabe

Bekanntes Mitglied
14. August 2017
3.050
7.678
49
Wien
www.facebook.com
Galguts Art zu erzählen hat mich sehr erreicht. Vielleicht am Anfang gewöhnungsbedürftig aber dann!

Ich habe diesesn Roman unglaublich gerne, und sehr gerne mit euch gelesen. Weil durch den Austausch sehr viele Aspekte noch deutlicher wurden, v.a. was den Symbolgehalt des Buches betrifft.

Mir ist etwas beim Schreiben der Rezension, und wirklich erst ganz zum Schluss eingefallen, wie symbolträchtig der Titel noch sein kann. The Promise, es geht ja um ein Stück Land. The promised Land würden wir wohl als "gelobtes Land" übersetzen.

Ich glaube, dass sich in dem Buch noch ganz viel mehr finden lässt.
 

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
2.713
2.674
49
Mir hat der Roman sehr gut gefallen. Ich finde es gut, wenn preisgekrönte Romane lesbar sind und ein tolles Thema transportieren. Das ist hier sicher der Fall. Die Entwicklung der Familie Swart geht mit der Weiterentwicklung des Landes Süd Afrika einher. Zwar wird aus dem Apartheidsstaat eine Demokratie und doch ist es auch Jahre oder Jahrzehnte später kein einheitliches Land. Beim Lesen dachte ich, irgendwie ist es in Deutschland ähnlich. Wir haben die tolle Wiedervereinigung erlebt und haben trotzdem keine einheitliche Gesellschaft. Was das wohl für die Zukunft heißt? Jedenfalls ein toller Roman, der zum Nachdenken bringt.
 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Ich habe mit der Rezension ein wenig gerungen. Es fällt mir diesmal nicht ganz leicht, meine Meinung zu artikulieren. Was ich zusammenfassend sagen kann: Meine anfängliche Begeisterung hat sich im Laufe der Lektüre ein wenig abgeschwächt. Den ersten Teil habe ich als sehr intensiv empfunden. Dieses Niveau konnte Galgut nicht ganz halten. Das ist allerdings nur ein sehr kleiner Kritikpunkt. Genauso hätte ich es besser gefunden, wenn Salome nicht ganz so blass geblieben wäre.

Alles in allem halte ich den Roman aber schon alleine wegen der besonderen Erzählstimme für absolut empfehlenswert. Deswegen vergebe ich fünf Sterne, obwohl der Roman nicht in allen Kleinigkeiten für mich perfekt war.
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.240
18.648
49
48
Ich glaube, wir wissen alle, dass wir hier ob seiner außergewöhnlichen Perspektive, der Schreib- und Lesart sowie der (wie ich finde) überragenden Übersetzung völlig zu Recht ausgezeichneten Roman gelesen haben, der alles vereint, was (anspruchsvolle) Leserinnen und Leser zu schätzen wissen: eine niemals langweilige Story, einige sehr interessante Perspektivwechsel sowie trotz allem Humor. Für mich ganz klar eines der Highlights in diesem Jahr! Well done, Mr. Galgut - gerne mehr davon! :cool: