FAZIT zu "Charlotte Löwensköld"

Eulenhaus

Aktives Mitglied
13. Juni 2022
321
1.502
44
Charlotte scheint mir der beste Teil der Trilogie zu sein. Die Erzählung beruht teilweise auf wahren Begebenheiten. In Unterlagen fand die Autorin Hinweise über einen Pfarrer mit ähnlichen Verhaltensweisen. Lagerlöf bietet einen tiefen Einblick in das Innere der Charaktere. Wir erfahren einiges über die Kultur des alten Schwedens.
Die Trilogie ist eine tragikomische Gespenster-, Geister- und Liebesgeschichte, die mir gut gefallen hat.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Mir war zuviel Weichspüler in der Geschichte. Gespenster und Geister habe ich keine entdecken können.
Die wirklichen Probleme, die man als Frau zu der Zeit hatte, wurden mir mit Charlotte nicht wirklich nahe gebracht. Sie opfert sich dem Gesellschaftszwang und wird dafür reichlich belohnt? Irgendwas habe ich da wohl nicht richtig verstanden.

Ihre Schwester, Anna, die verwaisten Kinder, alle diese Figuren hätten das Idyll aufbrechen und aufmischen können. Stattdessen verschwanden sie alle wieder in der Versenkung. Die einzigen Treiber in dieser Geschichte sind Beate Ekenstedt und vielleicht noch die Pröbstin. Allerdings brauchten sie sich um Ehre und Auskommen auch nicht mehr viele Gedanken machen.

Ich hatte mir mehr kämpferischen Geist von unserer Selma erhofft und bin entsprechend enttäuscht.
 

otegami

Bekanntes Mitglied
17. Dezember 2021
1.833
6.329
49
71
Ein Blick in eine vergangene Zeit bot 'Charlotte Löwensköld', die viel Dankbarkeit bei mir auslöste, dass ich in die heutige geboren wurde. Ob es die Stellung der Frau war, die darauf angewiesen war, dass sie geheiratet wurde (und die dann ihrem Mann auf Gedeih und Verderben ausgeliefert war, wie die Schwester von Charlotte), ob es die soziale Unsicherheit war (hervorragend, aber abschreckend im Kapitel 'Armenauktion' beschrieben), die große Bedeutung der Kirche (viel Ablenkung gab es ja nicht und so bot das religiöse Leben einen Zusammenhalt und Abwechslung) - die Rahmenbedingungen für die Geschichte finde ich hervorragend geschildert!
Die Beziehungsgeschichte von Charlotte hat mich bestens unterhalten und die Personen außen rum sind sehr treffend geschildert! Die temperamentvolle Charlotte und das liebenswerte Ehepaar Propst und Pröpstin sind mir dabei besonders an Herz gewachsen. (Vielleicht weil ich zu den Frauen Ähnlichkeiten entdeckte?! :helo ) Sehr aufschlussreich war für mich außerdem das Nachwort von Mareike Fallwickl mit den drei 'Selmas'!
Der Sammelband mit den drei Geschichten wird auf jeden Fall gelesen! (Morgen kommt er schon ins Haus! ;) )
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.555
16.318
49
Rhönrand bei Fulda
Für mich ist Charlotte viele Jahre meine Leblingsheldin in der Literatur gewesen. Als ich sie kennen lernen durfte, war ich noch sehr jung, quasi Anfängerin in der Erwachsenenliteratur. Ich fand alle Personen fein und differenziert dargestellt. Charlotte ist kein Engel auf Erden. Sie ist fähig, andere Menschen klar zu durchschauen, was sie aber nicht daran hindert, uneingeschränkt und hingebungsvoll lieben zu können. Sie ist humorvoll, begeisterungsfähig und spontan - manchmal so spontan, dass sie sehenden Auges in die falsche Richtung davonrennt.
Charlottes Stellung im Leben erinnert ein wenig an unbegüterte junge Frauen bei Jane Austen, die schauen müssen, dass sie rechtzeitig unter die Haube kommen, ehe sie niemand mehr haben will. Charlotte ist davon nicht ausgenommen. Wenn ihr Verlobter Karl Artur nicht bald Nägel mit Köpfen macht und sie heiratet (bzw. sich eine Stellung verschafft, die ihn dazu in die Lage versetzt), steht sie demnächst allein und schutzlos in der Welt. Man kann ihr nicht verübeln, dass sie nicht sowohl Karl Artur als auch Schagerström stolz in die Wüste schickt. So gesehen ist das Ende des Romans das beste, das wir erwarten können. Sie geht ohne Liebe in die Ehe, aber immerhin mit der Aussicht, ihren gutherzigen Mann vielleicht lieben zu lernen. Es ist kein tragisches Ende und auch kein happy ending - eigentlich ziemlich modern.

Obwohl ich das Buch seit langem kenne, bin ich immer wieder überrascht von Selma Lagerlöfs stilistischen Kniffen. So, dass sie jedes Kapitel wie eine Erzählung für sich beginnt, und auch, wie immer wieder die Lesergemeinde direkt angesprochen wird, als lauschten wir einer mündlichen Erzählung. Das Kapitel über Schagerströms Heiratsantrag, Karl Artus "Brautschau-Spaziergang" oder die gemeinsame Postkutschenfahrt sind kleine Meisterwerke in Dramaturgie und feinem Erzählton.

Sehr gern gelesen habe ich auch das Nachwort, das einige für mich neue Gesichtspunkte in der Lagerlöf-Rezeption ins Blickfeld rückt. Ich möchte auf jeden Fall im nächsten Jahr einiges von der Autorin lesen bzw. wiederlesen (vielleicht sogar "Jerusalem") und hoffe darüber hinaus, dass Manesse auch die Fortsetzung über das Mädchen aus Dalarne neu herausbringt.
 

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Was für ein Hickhack und Hin und Her rund um die Verlobung der Charlotte. Karl-Arthur als Held ihrer Träume macht es ihr wirklich nicht leicht Und bei der Lektüre war ich immer auf der Suche nach dem Ausweg hin zum Happy End. Und dann kommt es am Ende und ist doch so ganz anders als gedacht. Aber gut! Gerade dieses Unerwartete hat mir nochmal am Ende den Roman nahegebracht und ans Herz gelegt. Und zwischendurch war ich gut in weiten Teilen einfach sehr gut unterhalten durch interessante, gut gezeichnete Charaktere und die Einblicke in die schwedische Gesellschaft dieser Vergangenheit. Ich beendete die Lektüre also mit einem durchaus positiven Fazit.
 

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.674
9.513
49
Ich habe mir jetzt nochmal den Wiki Artikel zu Charlotte Löwensköld durchgelesen. Die Geister und Gespenster in dieser Liebesgeschichte, die ja nun in einer "Vernunftehe" endet, habe ich nun auch verstanden.
Die zahlreichen Andeutungen zur vorausgegangen Geschichte konnte ich durch dieses fehlende Wissen natürlich nicht einordnen.
Lagerlöf bezog sich auf einen wahren Vorfall und baute ihre Familiengeschichte drumherum. Vielleicht hätte ich mit der gesamten Trilogie mehr anfangen können, wenn dieses eine Ereignis (Streit der Verlobten und verzweifelter Kampf dieses Gelöbnis wieder zu kitten) nicht gar so vordergründig behandelt worden wäre. Dafür hätten es die anderen Aspekte in dieser Geschichte mehr verdient, "ausgewalzt" zu werden.

Den ernsten Hintergründen dieser Komödie, die ja einen gänzlich anderen Charakter haben soll, wie der Ring des Generals, fehlt es an Stärke. Als unbedarfter Leser lässt man sich zu gern in das Fasthappyend fallen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.406
23.955
49
66
Für mich war der Roman ein wahres Lesevergnügen, gerade das Richtige für mich jetzt.
Obwohl wir nicht mehr in Zeiten von Postkutschen leben und Frauen ganz andere Möglichkeiten haben, hat uns der Roman auch heute noch was zu sagen.
Menschliche Schwächen und menschliches Fehlverhalten bleiben gleich.
Also: neben einem Einblick in vergangene Zeiten bietet der Roman Lehrstoff in menschlichem Verhalten.
Außerdem macht der leicht spöttische Ton einfach Spaß.
Volle Punktzahl von mir.

 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
1.803
5.061
49
Sehr gern gelesen habe ich auch das Nachwort, das einige für mich neue Gesichtspunkte in der Lagerlöf-Rezeption ins Blickfeld rückt.

Ich habe mir das Nachwort auch doch noch etwas aufgespart und wurde keineswegs enttäuscht.

Bei mir sind es natürlich auch fünf Sterne geworden. Mich hat dieser Klassiker positiv überrascht - sowohl in inhaltlicher Sicht als auch in Sachen Lesbarkeit.

Ich bin mir aber dennoch unschlüssig, ob/wann ich erneut einen Lagerlöf-Klassiker lese - weil die Meinungen auseinandergehen und ich spontan nicht wüsste, welchen Roman ich auswählen würde. Würde mich aber wahrscheinlich gleich anmelden, wenn Manesse auch die Fortsetzung verlegt und sich hier eine Runde findet.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.555
16.318
49
Rhönrand bei Fulda
Ich habe mir das Nachwort auch doch noch etwas aufgespart und wurde keineswegs enttäuscht.

Bei mir sind es natürlich auch fünf Sterne geworden. Mich hat dieser Klassiker positiv überrascht - sowohl in inhaltlicher Sicht als auch in Sachen Lesbarkeit.

Ich bin mir aber dennoch unschlüssig, ob/wann ich erneut einen Lagerlöf-Klassiker lese - weil die Meinungen auseinandergehen und ich spontan nicht wüsste, welchen Roman ich auswählen würde. Würde mich aber wahrscheinlich gleich anmelden, wenn Manesse auch die Fortsetzung verlegt und sich hier eine Runde findet.
Ich habe, als ich vor Weihnachten mit Corona im Bett lag, einige Erzählungen von Selma Lagerlöf gelesen bzw. noch einmal gelesen. Einige davon, "Flaumvögelchen" und "Herrn Arnes Schatz" zum Beispiel, fand ich sehr ansprechend, "Der Fuhrmann des Todes" gefiel mir mit seinem missionarischen Impetus überhaupt nicht mehr. An der Löwensköld-Trilogie konnte sich keine dieser Lektüren messen. Aber es kann auch an mir gelegen haben, mit meiner Konzentration war es nicht weit her zu dieser Zeit.

Ich stelle gerade für das Klassikerforum meine Leseliste für das nächste Jahr zusammen, da werde ich jedenfalls noch etwas von ihr draufsetzen, vielleicht "Der Kaiser von Portugallien".
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.250
49.167
49
Endlich habe ich mal wieder ein leichteres Buch lesen können! Von Beginn an hat mich Charlotte in ihren Bann gezogen. Ich habe mit ihr gelitten, geliebt, gebangt... Bei mir hat das Schreibkonzept der Irrungen und Wirrungen völlig seine Wirkung erzielt.

Völlig klar ist mir, dass hier manches konstruiert, arg zufällig und unwahrscheinlich war. Gestört hat es mich keine Minute lang. CL ist ein Klassiker im Stil einer Jane Austen. Er liefert ein glaubwürdiges Zeit- und Lokalkolorit, wunderbar facettenreiche Figuren, schöne Sprache und eine Handlung, die unterhalten will. Nicht mehr und nicht weniger.

Das Nachwort bietet Einblicke in Leben und Werk der Autorin. Die Überbetonung ihrer queeren Sexualität und anderer feministischer Themen hat mich allerdings gestört.

Die Manesse Ausgabe ist ein wahres Schmuckstück. Schön, dass Bücher noch so liebevoll gestaltet werden:). Ich hoffe auf eine Fortsetzung der Lagerlöf Trilogie.
Auch die Übersetzung von Paul Berf lässt keine Wünsche offen.

Ihr seht, von mir gibt es die Höchstpunktzahl.
 

Lesehorizont

Bekanntes Mitglied
29. März 2022
2.536
9.574
49
53
Mainz
Ich werde noch eine Nacht über meine endgültige Bewertung nachdenken. Begeistern konnte mich Lagerlöf mit Charlotte nicht, aber in den letzten beiden Abscvhnitten bin ich noch einmal besser in das Buch hineingekommen. Ich habe es durchaus gerne gelesen, auch wenn mich die recht kleine Schrift dieses Mal sehr angestrengt hat. Mitunter habe ich doch stärkere Augenprobleme; sie waren nie die besten...
Mal sehen, ob es dann am Ende drei oder vier Sterne werden....
 

luisa_loves-literature

Aktives Mitglied
9. Januar 2022
836
3.350
44
Fünf Sterne - ohne Frage. Ein Text, der mich rundum glücklich gemacht hat (das Nachwort, das mir nicht gefällt, klammere ich aus :))
Der Ton leichtfüßig, ironisch, die Handlung trotzdem nicht vorhersehbar, viel Zeitkolorit, gute konzipierte Figuren und das Unterlaufen von Gattungs- und Lesererwartungen halte ich für durchweg geglückt. Nach so einem Buch kann man auch graue Tage schultern - auch nach 100 Jahren funktioniert dies noch.
 

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.555
16.318
49
Rhönrand bei Fulda
Fünf Sterne - ohne Frage. Ein Text, der mich rundum glücklich gemacht hat (das Nachwort, das mir nicht gefällt, klammere ich aus :))
Der Ton leichtfüßig, ironisch, die Handlung trotzdem nicht vorhersehbar, viel Zeitkolorit, gute konzipierte Figuren und das Unterlaufen von Gattungs- und Lesererwartungen halte ich für durchweg geglückt. Nach so einem Buch kann man auch graue Tage schultern - auch nach 100 Jahren funktioniert dies noch.
Das hast du toll und sehr zutreffend ausgedrückt!
:thumbsup:thumbsup