Erstes Kapitel

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Dominic Molise, ein 17jähriger Italo-Amerikaner, träumt von einer besseren Zukunft. Anfang der 1930er jahre sitzt er irgendwo in einem Kaff in Colorade ind will Baseballspieler werden, während der Vater will, dass er Maurer wird wie er.

Die Geschichte hat etwas Tragikomisches. Die Beschreibung der entwurzelten, uralten und ziemlich boshaften Großmutter ist einerseits filmreif, andererseits ist es sicher nicht leicht, wenn drei Generationen auf engstem Raum zusammen hausen.

Dominic lernt bis spät in die Nacht, während die Großmutter Strom sparen will und alles Lernen irgendwie nur als Vorbereitung späteren Betrugs ansieht. Kein leichtes Umfeld.
 

Momo

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10. November 2014
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Ich habe erst ein paar Seiten gelesen, aber das Buch, das kann ich schon jetzt sagen, ist ein wirklich sehr interessantes und gesellschftkritisches Buch. Mir gefällt nicht nur die Thematik, sondern auch der Schreibstil sehr gut, der ein wenig sarkastisch klingt.

Helmut hat wieder mal ein gutes Händchen gehabt. Ich wäre von selbst nie auf dieses Buch gestoßen.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Ich habe erst ein paar Seiten gelesen, aber das Buch, das kann ich schon jetzt sagen, ist ein wirklich sehr interessantes und gesellschftkritisches Buch. Mir gefällt nicht nur die Thematik, sondern auch der Schreibstil sehr gut, der ein wenig sarkastisch klingt.

Helmut hat wieder mal ein gutes Händchen gehabt. Ich wäre von selbst nie auf dieses Buch gestoßen.
Das kann man wohl sagen, das ist wirklich eine Entdeckung. Ich habe auch schon reingelinst.
 
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Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Man kann Dominic nur wünschen, dass er da raus kommt. Die Geschichte ist zwar witzig erzählt, aber eigentlich ist es ein Wunder, dass es auf diesem engen Raum nicht Mord und Totschlag gibt.
Da ist die bigotte Mutter, der alles Unheil durch Beten von Rosenkränzen aus der Welt schaffen will, der im Hühnerstall die Jungfrau Maria erschienen ist, dann die boshafte Großemutter, die alles und jeden hasst, und am allermeisten Amerika, weil sie nie in dieses Land wollte. Für sie ist es kein Land der unebgrenzten Möglichkeiten, sondern ein Land des Unglücks.
Dann ist da noch der Vater, der seiner Ehe entflieht und Tag und Nacht in irgendwelchen Billardsalons verbringt und eines Tages mit Lippenstift am Kinn nach Hause kommt. Bin gespannt, wie es weiter geht.
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Mir hat schon gleich der Beginn gut gefallen, die Selbstreflexion darüber, was er nun tun muss. Die kritische, bilderhafte Selbstbeschreibung:
"Ich hatte Säbelbeine und drehte die Füße beim Gehen nach innen. Meine Ohren standen ab wie die von Pinocchio, meine Zähne waren schief, und mein Gesicht war gesprenkelt wie ein Vogelei." (S.5)
Die Fragen an Gott, die zeigen, dass er beginnt an seinem Glauben zu zweifeln... und die regelrechte Verehrung DES ARM, stellvertretend für seinen Traum diesem Elend zu entkommen und ein gefeierter Baseballstar zu werden. Und dann die Erkenntnis, dass er glauben muss, da Nachdenken darüber nur seine Konzentration das Baseballspielen schwächt..zum Nachdenken ist später noch Zeit. Redet er sich ein.
"Ich beschleunigte meine Schritte, um vor meinen Gedanken zu fliehen, aber sie blieben mir auf den Fersen. Ich fing an zu rennen, so dass meine gefrorenen Schuhe quiekten wie Mäuse. Es halft nichts, die Gedanken verfolgten mich weiter. Aber dann übernahm,während ich so dahinlief, mein Arm, mein wunderbarer Arm die Kontrolle über die Situation..." (S.11)

Mir gefällt diese Sprache, das Selbstgespräch, die Selbstzweifel diesen jungen Mannes, der seinem Elend und letztlich der Bestimmung, Maurer werden zu müssen, entkommen will.
 

parden

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13. April 2014
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Hui, in diesem ersten Kapitel schafft es der Autor gut, ein kompaktes Bild der Familie und der Lebensumstände von Dominic zu zeichnen. Eigentlich voller Desillusion, dann aber auch gleichzeitig voller Träume. Das ganze Haus ist voller Träume - ein schönes Bild. Gleichzeitig so traurig, zeigt es doch, wie groß die Notwendigkeit ist, der Realität zu entfliehen. Armut und Lieblosigkeit sind jedenfalls greifbar - und der im Grund vorgezeichnete Lebensweg ebenso. Ob Dominic dem entfliehen kann? Immerhin setzt er sich nachts noch an seine Hausaufgaben, was zeigt, dass er in gewisser Weise auch sehr diszipliniert ist.

Ein Satz im ersten Abschnitt hatte mich gleich schon verstört: 'Schneeflocken wirbelten um mich her wie ein Schwarm wütender Nonnen'. Ein merkwürdiges Bild. Doch als Dominic dann von seiner Religionslehrerin erzählt - einer ehrwürdigen Schwester - und davon, dass sie an diesem Abend keinen Gebrauch von der Peitsche gemacht habe, war das Bild verständlich.

Immerhin geht Dominic mit seinen fast 18 Jahren noch zur Schule, was angesichts der Armut der Familie fast schon verwundert. Andere Eltern hätten ihren Sohn vielleicht schon früher in den Beruf gezwungen, um die Geldsorgen ein wenig zu lindern.

Was mich hier stört, ist die Aufmachung der Kapitel - das Schriftbild erscheint fast lückenlos als Block, lediglich Zeilenumbrüche gibt es hier, jedoch kaum einmal einen Absatz. Das hätte ich gerne anders - so habe ich den Eindruck von einem Endlostext, dem nur die geringe Seitenzahl des Buches 'beruhigend' gegenübersteht. Diese Blocktexte liegen mir irgendwie nicht. Der Schreibstil dagegen gefällt mir.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Unglaublich der Optimismus, den sich Dominic trotz der bedrückenden Umstände in seiner Familie bewahrt hat. Es gibt kaum ein Fleckchen Privatsphäre, alles wird argwöhnisch von der Großmutter beäugt oder die ständig betende, demütige Mutter, steht wie ein lebendiger Vorwurf im Raum. Dom kann sich behaupten, er weiß, wie er mit den Nonnen umgehen muss. Der schleimige Aufsatz für Schwester Mary Delphine zeigt das. Er hat Verständnis für die entwurzelte Mutter und Großmutter, aber er hat wenigstens "Den Arm", den er hätschelt und ölt, das hat schon fast etwas Religiöses. Wenn er an seiner Zukunft zweifelt, dann ist es Der Arm, der ihm Halt gibt.
Aber Religiosität, oder besser Bigotterie prägt diese Familie. Auf Seite 24 wird das ganz deutlich, wenn er sich wünscht, dass seine Mutter aufbegehren würde, "Stattdessen bestrafte sie uns mit ihren Vaterunsern und ihren Gegrüßt seist Maria, erdrosselte uns mit ihren Rosenkränzen."

Trotz dieser Enge und der Bedrücktheit, hat das erste Kapitel einen offenen, witzigen Grundton, der mir gut gefällt.
 

Renie

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19. Mai 2014
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Oma Bettina, der Schrecken der Elektrizitätswerke: Das hat etwas.;)

Insgesamt gefällt mir der Einstieg sehr gut. Ich musste tatsächlich umrechnen, wie groß Dom tatsächlich ist, um festzustellen, dass er über Hobbit-Niveau nicht hinauskommt.
Er scheint ein echtes Pubertier zu sein. Von Selbstzweifeln geplagt, versucht er der Realität durch den Traum einer Baseball-Karriere zu entfliehen.
Mich hat im Gespräch mit seinem Vater gewundert, dass Dom so schnell klein beigegeben hat. Sein Vater sieht ihn als Maurer, für Dom unvorstellbar. Und doch versucht er sich nicht gegenüber seinem Vater durchzusetzen. Da hat er mir zu schnell resigniert.

Der Vater macht es sich auch einfach: er sucht bei Dom Absolution für sein Fremdgehen. Sein Satz "mach deiner Mutter keinen Kummer" ist ein Witz. Er scheint so gar kein Schuldempfinden zu haben. Unglaublich.

Ich bin über den Namen Johnny di Massio gestolpert. Es gab zu der Zeit, in der der Roman spielt einen berühmten Baseball-Spieler namens Joe DiMaggio. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Namen kann doch kein Zufall sein.
 

Bibliomarie

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Ich bin über den Namen Johnny di Massio gestolpert. Es gab zu der Zeit, in der der Roman spielt einen berühmten Baseball-Spieler namens Joe DiMaggio. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden Namen kann doch kein Zufall sein.

Das fiel mir auch auf, bei Google findet man dann noch einen Bruder di Maggios der Dominic hieß.
 

Atalante

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20. März 2014
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Mir gefällt der schnelle Ton, die Sprache und der Inhalt dieser ersten Seiten sehr gut.

Meine Bedenken, es handele sich um einen Entwicklungsroman, sind schnell verflogen. Die Gedanken dieses 17jährigen interessieren mich, was aber daran liegen mag, daß sie manchmal sehr erwachsen klingen. Egal, man nimmt diesem Pubertierenden seine widerstreitenden Gefühle ab.

Er spürt Verzweiflung und Wut, über seine Situation, sein Aussehen, das mangelnde Geld, das Verhalten von Mutter, Vater und Großmutter. Gleichzeitig empfindet er Empathie, er hat Mitleid mit der aus ihrer Heimat herausgerissenen Großmutter, der wurzellosen Mutter, die in ihren naiven Glauben fliehen. Sogar die Flucht des Vaters zu Billard, Frauen und Wein versteht er, schließlich wird der Vater den erträumten Aufstieg nie schaffen und immer der arme Mauerer bleiben.

Diesen Weg will Dom nicht einschlagen. Er hat ihn noch diesen Traum, er träumt von einer Baseballkarriere, zu der ihm Der Arm verhelfen wird. Sein „gesegneter, heiliger, (...) von Gott gegebener Arm“ ist sein Gott und Baseball sein Gebet. Vom Glauben an Gott entfernt er sich rasant. Zu Beginn wendet er sich noch an einen Gott mit zehn Fingern, doch diese Naivität legt er mit jeder Seite mehr ab: „Glaube ich wirklich daran (S. 9), „Fiel ich von meinem Glauben ab?“ (S. 11)

Ich bin gespannt, wie es weitergeht, ahne aber nichts Gutes. Hoffentlich tritt die Großmutter noch einmal auf und gegen einige Erbauungsaufsätze für die Nonnen hätte ich auch nichts einzuwenden.
 

Atalante

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20. März 2014
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Mir gefällt sehr der Witz, den @Renie ja schon heraus gestellt hat. Darin zeigt sich dann doch noch die kindliche Naivität eines 17-Jährigen.
Mir gefallen, wie @Querleserin , die Bilder sehr. Gerade diejenigen, die er für Schnee findet. Die wirbelnden Nonnen finde ich treffend @parden, nicht nur wegen der erzieherischen Energie, sondern wegen der weißen Gewänder. Vielleicht war's auch die Variante mit dem weißen Kopfputz? Aber ich bin kein Nonnenbeauftragter und weiß nicht, welches Ornat die in St. Catharins tätigen bevorzugten.
Die Schneeinterpretation der Grandma, Seelen der Verstorbenen, ist auch nicht schlecht, Volksglaube der Abruzzen. Und in nächsten Kapitel erinnern Dom die Schneeflocken an Hostien. Kein Wunder bei dieser Sozialisation.

Am besten gefällt mir folgendes Bild:
[zitat]Ihre verstörte Seele flattere hinter ihr her wie ein zerschlissener Brautschleier.[/zitat]

Ein schönes, kleines Buch über Migration und die Not des Neuanfang.

Aber ihr seid ja schon viel weiter.
 
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Anjuta

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8. Januar 2016
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Im ersten Kapitel, das den Witz hat, den @Renie herausstellt und eine Reihe von interessanten Typen und Situationen hervorbringt (Oma Bettina z.B.) und uns mit all dem den Lebenskosmos von Dom und Dem Arm darstellt, ist mir auch vor allem aufgefallen, die Art und Weise wie mit Naivität und gleichzeitiger Lebensklugheit die Welt erklärt wird. "Der Heilige Geist in Gestalt der katholischen Kirche", den Capus im Nachwort erwähnt, spielt da für Dom eine zentrale Rolle.

"... keiner war entkommen mit Ausnahme von Jesus Christus, dem einzigen in der Geschichte der Menschheit, der jemals zurückgekommen war, aber sonst keiner - glaubte ich wirklich daran?
Ich musste daran glauben. Welch andere Erklärung konnte es sonst geben für meinen unberechenbaren Slider-Wurf und meinen einzigartigen Knuckleball?"

Kann es einen überzeugenderen Gottesbeweis geben?

Ich lasse diese rhetorische Frage mal stehen als Ausdruck meiner Begeisterung und Freude über das Buch.
Anjuta
 
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Momo

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10. November 2014
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Ich fand das erste Kapitel auch total gut. Der Sarkasmus, die bildhafte Sprache und die Selbstreflexionen haben mir recht gut gefallen. Hat mich etwas an meine Jugendzeit erinnert. Mit 17 hatte ich auch komplett mein anerzogenes religiöses Weltbild auf den Kopf gestellt.

[zitat]Zerbrich dir nicht den Kopf darüber, wieso es so viel Böses gibt, wo Gott doch so gütig ist, oder wieso unser allwissender Gott die Menschen nach seinem Ebenbild erschafft, um sie doch in die Hölle zu schicken. (...) dann kannst du dich zurücklehnen und dir den Kopf darüber zerbrechen, wie Gott wohl aussieht und wieso verkrüppelte Babys zur Welt kommen und wer Hunger und Tod geschaffen hat. /zitat]

Zu seiner Grübelei hat mir dieses Bild gefallen:

[zitat]Warum wälzte ich solche Gedanken und machte die Welt zu einem Friedhof? Fiel ich von meinem Glauben ab? Oder war es, weil ich arm war? Unmöglich. Alle großen Baseballspieler waren Kinder armer Leute gewesen.[/zitat]

Und auf Seite 19 nimmt er die ganzen Klischees auf die Schippe. Interessant, wenn Menschen fraglos Klischees, die es in einer Gesellschaft gibt, übernehmen und damit sich selbst und andere diskriminieren. Das fand ich ganz klasse. Kennen wir ja auch von uns hier, Vorurteile anderen gegenüber. Für alles gibt es eine Schublade. Die Mutter des Jungen, die nie in Kalabrien und Sizilien gewesen ist, spricht so abfällig über diese Menschen. Da musste ich an Astrid Lindgrens Buch denken, die klischeehaft über Amerika, Italien und Paris geschrieben hat.[/zitat]
 
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anne_weiss

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29. Juni 2016
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www.bonnerweiss.de
Die kritische, bilderhafte Selbstbeschreibung:
"Ich hatte Säbelbeine
Da habe ich kurz gestutzt, weil ich meinte, das wäre ungenau übersetzt - und habe mich dann gewundert, dass es das Wort tatsächlich gibt. Im Gegensatz zur Übersetzung von Bradbury habe ich bisher kaum was auszusetzen, ich finde, die ist Herrn Capus sehr gut gelungen, der Stil ist authentisch, das italienisch-amerikanische Milieu kommt gut durch (übertriebene phonetische italienische Aussprache hätte mich genervt...) und der lakonische Ton kommt gut rüber.
 

anne_weiss

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29. Juni 2016
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www.bonnerweiss.de
Die Naivität des Charakters Dominic Molise gefällt mir. Er ist so gefangen in seiner Geschichte, wie es ein Jugendlicher nur sein kann, der einen Traum verfolgt und noch nicht viel von der Welt gesehen hat. Mir hat es gut gefallen, wie das Personal eingeführt wird - wie wir die Ehe der Eltern kennen lernen, die so gleichförmig ist, dass sich der Vater woanders Abwechslung sucht und die Mutter ins Beten flüchtet. Wie die Großmutter und die Mutter ihre Fehde wegen der verfeindeten Dörfer austragen. Und die Tagträume um den künftigen Ruhm, der Den Arm erwartet. Sehr gelungen, und ich nehme an, Blumenbar bringt den Roman jetzt, um uns ein Lebensgefühl der Zeit zu zeigen - in einer Zeit, die unserer erschreckend ähnlich ist.