Erster Teil: Kapitel 1 bis Kapitel 10 (Anfang bis S. 71)

Emswashed

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9. Mai 2020
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Wer sitzt bzw. saß (1938) mit einem Affen auf der Schulter in einem Cabriolet? Und das auch noch in Münster. Bei einer damalig mondäneren Stadt hätte ich es vielleicht noch verstanden.

Sag doch sowas nicht. Münster war schon immer mondän.;)
Aber ernsthaft, ich denke das war kein Traum und spiegelt einfach nur die Gesellschaft wieder - auf der einen Seite prekär, ohne Arbeit, vielleicht enteignet, auf der anderen Seite einfach nur dekadent.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ich kann verstehen, dass man mehr über das Leben der Yamana verstehen möchte, aber über die Sprache?
Aber diese Sprache ist doch einfach wirklich wunderbar und ungemein aussagekräftig über die Menschen und ihr Denken. Ich würde mich sofort aushiebigst und gern damit beschäftigen. Überleg mal: eine Sprache, die kein Wort für Tür oder Tisch hat, aber für so etwas wie "Herumwandern ohne Ziel, aus reiner Neugierde" oder "etwas beißen und dabei erstaunt feststellen, dass die Konsistenz anders ist als erwartet". Hat dir ein solches Wort im Deutschen nicht schon mal gefehlt? Und wenn nicht, warum nicht?
 
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ThomasWien

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19. März 2021
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Wien
Aber diese Sprache ist doch einfach wirklich wunderbar und ungemein aussagekräftig über die Menschen und ihr Denken. Ich würde mich sofort aushiebigst und gern damit beschäftigen. Überleg mal: eine Sprache, die kein Wort für Tür oder Tisch hat, aber für so etwas wie "Herumwandern ohne Ziel, aus reiner Neugierde" oder "etwas beißen und dabei erstaunt feststellen, dass die Konsistenz anders ist als erwartet". Hat dir ein solches Wort im Deutschen nicht schon mal gefehlt? Und wenn nicht, warum nicht?
Ich glaube, ich habe hier einen anderen Zugang zum Thema Sprache, möglicherweise einen etwas pragmatischeren Ansatz. Ich verstehe was du meinst, ich finde Sprache auch wunderbar, für mich ist sie aber mehr Mittel zum Zweck. Ich lese gerne, ich diskutiere gerne, ich schreibe gerne, dies wäre ohne Sprache nicht möglich. Ich liebe vorallem Bücher, deren Sprache sich poetisch ist, aber sich dennoch leicht zu lesen lässt. Das hat Hugentobler ganz gut geschafft in diesem Buch.
Ich gehe davon aus, in der Sprache der Yamana, gab es kein Wort für Tisch oder Tür, wahrscheinlich weil es diese bis dahin auch nicht gab. Erst mit der "Kultivierung", mit dem Eindringen in deren Kultur musste ein Wort für Tür oder Tisch gefunden werden. Wahrscheinlich auch für Kleidung, die hatten sie ja bis dahin auch nicht.
Mir fehlen sehr oft Worte, aber nicht weil es sie nicht gibt. Mir fallen sie nicht ein, oder ich finde kein Wort passend, obwohl es mehrere dafür gibt.
 
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MRO1975

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11. August 2018
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Überleg mal: eine Sprache, die kein Wort für Tür oder Tisch hat, aber für so etwas wie "Herumwandern ohne Ziel, aus reiner Neugierde" oder "etwas beißen und dabei erstaunt feststellen, dass die Konsistenz anders ist als erwartet". Hat dir ein solches Wort im Deutschen nicht schon mal gefehlt? Und wenn nicht, warum nicht?
Da stimme ich dir vollkommen zu. Das zeigt doch, wie die Sprache das Leben spiegelt. Worte entwickeln sich so, wie die Kultur, die sie benutzt.
 

nellsche

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1. September 2018
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Ich habe den ersten Abschnitt nun auch beendet. Mir fiel es schwer, ins Buch hineinzufinden. Ich musste sogar nochmal anfangen, weil ich mich zuerst nicht richtig drauf konzentrieren konnte.

Ich finde, dass das Buch recht wenig Präsenz hat. Ich hätte anhand des Klappentextes erwartet, dass es mehr thematisiert wird. Momentan ist es für mich mehr wie eine Geschichte über Hestermann. Oder habe ich irgendwas überlesen?

Ich bin gespannt, ob mich das Buch im nächsten Abschnitt mehr packt....
 

nellsche

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1. September 2018
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Noch ein Seitenthema zu dieser Leserunde. Mir fiel bei diesem Buch mal wieder auf, dass es einleitende Zitate (hier Somerset Maugham und Charles Marlow) benutzt und dann auch noch jedem der drei Teile ein Zitat voranstellt
Wie haltet Ihr es mit solchen Zitaten vorab? Helfen Sie Euch irgendwie in das Buch hinein, mit dem Buch klarzukommen?
Ich muss sagen, ich überlese sie meist, weil sie mich in der Regel vollkommen ratlos zurücklassen. Und wenn ich mir dann vornehme, sie nach Lektüre des Buches nochmal zu lesen, vergesse ich das meist angesichts des heiligen Momentes, ein Buch abschließen und mich einem neuen widmen zu können.
Also: für mich vollkommen sinnlos und eigentlich immer eher ein Ärgernis bzw. eine Hürde, das Buch zu beginnen. :confused:
Ich gestehe, dass ich sie höchstens überfliege, weil mir das meistens nichts sagt, da ich das Buch ja nich nicht kenne. Ich lese generell kaum Überschriften, mir sind schlichte Zahlen am liebsten. ;-)
 

nellsche

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1. September 2018
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Ich bin noch nicht durch mit dem ersten LA. Bisher öffnet sich dieser Roman für mich wieder einmal schwer. Das Bedrohliche des NS riecht man. Aber sonst bin ich selber noch weit weit weit weg ...mal sehen, wie nahe mich der Autor nachher ins Thema beamen kann.
Da kann ich dir komplett zustimmen. Ich bin gespannt, wie es weitergeht...
 
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parden

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13. April 2014
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www.litterae-artesque.blogspot.de
Ich beginne mal diesen Eintrag mit einem Hinweis auf den ersten Satz, der hier sehr besonders ist und mich mit all seinen Ansätzen und offen bleibenden Fragen in mehrfacher Hinsicht gleich in den Bann gezogen hat:
[zitat]Er sah den Mann auf der Bank sitzen, er näherte sich ihm von hinten, er streckte den Arm aus und wollte dem Mann die Hand auf die Schulter legen - aber kurz bevor seine Finger die Schulter berührten, tastete seine Hand ins Leere.[/zitat]
Ja, den ersten Satz fand ich auch sehr gelungen!
 

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Bislang stehe ich dem Roman noch neutral gegenüber. Er begeistert mich nicht, verstört mich aber auch nicht. Ferdinand Hestermann scheint sich quasi nur von Zigaretten der Marke Lux zu ernähren, gelegentlich unterbrochen von einer Tasse Kaffee und einer Scheibe Zwieback. Schon skurril. Interessant fand ich, dass er so lange im Orden bleiben konnte, obschon seine Frauengeschichte(n) ruchbar waren. Wichtig für ihn ist ausschließlich das, was in eine Aktentasche passt, er klammert sich nicht an irdische Güter - höchstens an eben jenes besondere Wörterbuch. Bei dem Gedanken daran, dass die Nationalsozialisten seine übrige Büchersammlung beschlagnahmen wollen, zuckt er im Grunde nur mit den Achseln. Die Rettung jenes Buches scheint sein (letztes) Lebensziel zu sein, ansonsten wirkt er schon recht resigniert.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich hätte schon bei dem Satz [zitat]Er hüstelte ein silbernes Hüsteln.(S. 28)[/zitat] aufhören sollen zu lesen.
 
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Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
wordpress.mikkaliest.de
Da war ich gleich voll gefangen in der Welt des Prof. Hestermann.

Oh ja, ging mir genauso. Ich bin bisher rundum begeistert von diesem Buch. Die Sprache! Dieses Spiel mit Traum und Wirklichkeit! Der Humor! Und natürlich diese feine Betrachtung der dräuenden Dunkelheit des Nationalsozialismus.

Aber: Geht die Welt denn wirklich unter? In Ansätzen auf jeden Fall, ja!

Die Frage stellt sich hier wohl im doppelten Sinne. Ist die Kultur, deren Sprache in dem Buch gesammelt ist, untergegangen oder droht sie unterzugehen? Und auch Hestermanns Welt ist durch die Nazis bedroht. Da macht der Autor eine schöne Parallele auf. Mir gefällt es!

Diese Parallele hat mir auch gut gefallen! In gewissem Sinne ging Hestermanns Welt damals unter, oder zumindest muss das einem Menschen so scheinen, der die Entwicklungen machtlos mit ansehen muss.

Toll finde ich bisher die etwas eigenartigen Charaktere und den Schreibstil.

Oh ja, die Charaktere finde ich auch sehr gut gelungen. Viele sind stark überzeichnet, den ein oder anderen Nebencharakter fand ich geradezu kafkaesk, aber man hat immer direkt einen sehr deutlichen Eindruck von der jeweiligen Persönlichkeit.

Findet ihr diese Passion nicht seltsam? Die Themen, über die Hestermann schreibt, sind so selten, dass mir oft nicht einmal die Titel seiner Aufsätze etwas sagen. Wer liest denn einen ganzen Aufsatz über die Passivbildung eines Wortes einer seltenen Sprache?

Ach, die ganze Grundlagenforschung ist voller Nebenbereiche und Nebenthemen. Und Absurditäten. Für uns sind es Nebenbereiche, aber sobald man Spezialist für irgendwas ist, trifft man andere Spezialisten für dasselbe irgendwas und plötzlich ist dieses Irgendwas die ganze Welt. Passiert öfter als man denkt. In der Wissenschaft gibt es für jeden eine Nische.

Stimme Wanda da zu! Es gibt die sonderbarsten Forschungsgebiete – zumindest sind die sonderbar, wenn man sie als Außenstehender betrachtet. Ganz ehrlich, beim Lesen kam in mir der Wunsch auf, ich hätte etwas studiert, bei dem ich mich auch so mit der Sprache hätte befassen können... Ich finde es total faszinierend!

Hat sich mit der Zeit, der Erfahrung und dem Blick des Verfassers auf die fremde Kultur auch die Bedeutung des jeweiligen Wortes geändert oder hat die fremden Kultur sich im Laufe der Zeit verändert?

Eine interessante Frage... Wahrscheinlich je nach Wort/Phrase mal so, mal so.

Die Sprache des Romans gefällt mir richtig gut. Wenn man ein Buch über ein Wörterbuch und einen Sprachwissenschaftler liest, muss die Sprache dazu passen. Das tut sie hier. Der Stil wirkt ausgesucht, aber nicht künstlich, und ist gleichzeitig sehr ausdrucksstark. Ich habe zu jeder Szene gutenBilder im Kopf.

Aber diese Sprache ist doch einfach wirklich wunderbar und ungemein aussagekräftig über die Menschen und ihr Denken. Ich würde mich sofort aushiebigst und gern damit beschäftigen. Überleg mal: eine Sprache, die kein Wort für Tür oder Tisch hat, aber für so etwas wie "Herumwandern ohne Ziel, aus reiner Neugierde" oder "etwas beißen und dabei erstaunt feststellen, dass die Konsistenz anders ist als erwartet".

Absolut! Die Sprache ist für mich ein Gedicht, da will ich mich reinknien. Ich habe schon wieder viel zu viel angestrichen...

Ziemlich viel Stoff für einen ersten Leseabschnitt. Trotzdem fand ich es nicht zu kurz abgehandelt. Die Hintergründe geben Hestermann als Figur Tiefe, sind aber ganz klar nur Beiwerk.

Dem Autor gelingt eine feine Balance, finde ich! Details, wo sie einer Szene oder einem Thema Würze und Leben geben, und Reduzierung auf das Notwendigste, wenn es um etwas geht, das für die Geschichte nicht näher erklärt werden muss.

Ich tue mich schwer mit dem Roman. Vieles ist akribisch beschrieben. Umständlich gar. Gewollt geheimnisvoll. Dabei ist nirgenwo was Geheimmisvolles in Sicht. Absurdes Theater?

Das empfinden wir wirklich ganz anders! Für mich ist das Buch ein klitzekleiner Einblick in die für den Laien fremdartige Welt wenig bekannter Sprachen. Oder zumindest in die Welt der Menschen, die diese Sprachen erforschen. Mir kommt hier alles geheimnisvoll vor, weil es ganz real ist und für mich dennoch in etwa so vertraut wie der Mond.

Ebenso der Kamm mit dem schütteres Haar gekämmt wird.

In das Bild kann man viel hinein interpretieren, finde ich. Zum Beispiel: Er bemüht sich, Ordnung zu bringen in sein Haar = seine Welt. Mit einem Werkzeug, das dem nicht mehr gewachsen ist – diesem zerbrochenem Kamm = seinem Vertrauen, dass sich die Dinge doch nicht so schlimm entwickeln werden, wie befürchtet.

Schade. Ich war sofort drin und total begeistert.

Ditto!

Weil Sprache das Leben und die Kultur abbildet. Satzstellungen können schon viel darüber aussagen, ob z. Bsp. das Objekt, oder das Subjekt eine höhere Stellung haben usw. Äußerst spannend.

Absolut! Superspannend. Ich hab an der Uni mal zwei Semester Japanisch gelernt – allerdings nur nebenher: einer meiner Professoren war Japaner und hat neben seinen eigentlichen Vorleserungen noch Japanischunterricht für Interessierte angeboten. Im Keigo, der Höflichkeitssprache, sagt der Sprachgebrauch viel über die gesellschaftliche Stellung des Sprechers aus, da muss immer auf die Höflichkeitsebenen und die "Sprechrichtung" geachtet werden. Der Professor hat uns viel darüber erzählt, sagte uns aber auch, wir sollten es uns am Besten erstmal aus dem Kopf schlagen, das zu lernen, das sei zu komplex für Anfänger... Aber als Japaner kann man wohl schon an der Begrüßung einiges ablesen, ohne nachfragen zu müssen.

So, falls mein obiger Post noch nicht deutlich genug war, ich bin total begeistert von dem Buch!

Ich auch, ich auch!

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie FH an das Buch geraten ist. Denn für mich war die Eingangsszene einfach "nur" ein Traum, bei dem ich mir nicht sicher bin, ob er auf der Realität basiert. Vielleicht habe ich auch etwas überlesen, das bestätigt, dass dieser Traum ein Abbild von FHs Erinnerungen ist.

Wenn ich das richtig verstanden habe, hat er das Buch tatsächlich so gefunden, wie er das im Traum immer wieder erlebt?

Apropos Traum: in diesem Leseabschnitt tauchen häufiger Träume auf. Und jedes Mal habe ich Schwierigkeiten, diese als solche auf Anhieb zu erkennen.

Ich finde gerade das sehr interessant! Hier vermischen sich Innenwahrnehmung und Außenwahrnehmung, und die Träume sagen immer sehr viel aus über den Protagonisten.

Ich hätte schon bei dem Satz Er hüstelte ein silbernes Hüsteln.(S. 28) aufhören sollen zu lesen.

Ach, wie schade... Ist es nur die Sprache, oder spricht dich auch die Handlung nicht an?