Diese Fremdheit in mir

Helmut Pöll

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So, jetzt ist sonnenklar, dass alles ein abgekartetes Spiel ist.

Ich habe Mevlut nachgesehen, wie er ins Dorf zurückgestiefelt ist, und habe ihm bis ans Lebensende alles Gute gewünscht. Natürlich würde er bald herausfinden, dass das Mädchen ein anderes war.
Das denkt Süleyman, als er Mevlut im Dorf abliefert. Was für eine Schlange!
 
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Helmut Pöll

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Sie haben geheiratet und tatsächlich begegnet Mevlut das Mädchen, dem er jahrelang Liebesbriefe geschickt hat, auf einer Hochzeit, erkennt sie aber nicht wieder.

Aber wie sollen wir einen wie Mevlut verstehen, der einer jahrlang Liebesbriefe schreibt und dann, als er mit ihr abhaut und merkt, dass es gar nicht die Richtige ist, ganz einfach die Klappe hält?
Das fragt Süleyman, und in dem Punkt gebe ich ihm Recht. Ich frage mich schon, ob und welche Antwort Orhan Pamuk darauf geben wird.
 

Literaturhexle

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Aber wie sollen wir einen wie Mevlut verstehen, der einer jahrlang Liebesbriefe schreibt und dann, als er mit ihr abhaut und merkt, dass es gar nicht die Richtige ist, ganz
Diese Frage hat mich beim Lesen gar nicht umgetrieben. Mevlut hatte verbotenerweise eine Entführung begangen und die falsche Frau gekriegt.
Rückgabe ging nicht. Also konnte er zwar darüber nachdenken, WER ihn reingelegt hatte. Doch mit der Schwester als falscher Braut müsste er sich abfinden.... Zumal er ja recht gut mit ihr klar kam und sie kein Drache ist.
Der anderen Schwester war er doch auch nur wegen ihrer Schönheit verfallen. War es nicht So?
 
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Zu der Frage warum sich Mevlut nicht wehrt als er feststellt, dass es die falsche Braut ist: Ich denke auch, dass eine Rückgabe nicht möglich war damals. Interessant finde ich, dass Mevlut schon sehr bald, also schon auf der Fahrt im Zug nach Istanbul mit der flaschen Braut, Gefallen an ihr gefunden hat. An ihrem Händen und ihrer Art. Er hat vielleicht schon geahnt, dass diese Frau eigentlich die Richtige für ihn ist. Hier hat es das Schicksal gut mit ihm gemeint.

Ich bin bei 14. Mevlut sucht sich eine andere Straßenecke. Ich schreibe meine Eindrücke vorsichtshalber verdeckt.
 
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Süleyman wollte natürlich die schöne jüngere Schwester für sich haben. Ein bisschen Schadenfreude kam bei mir auf als klar wurde, dass er sein Ziel nicht erreichen wird. Mevluts kommunistischer, kurdischer Freund Ferhat entführt die schöne Samiha mit deren Einverständnis.

Toll finde ich an dem Roman, dass keine Figur klischeehaft angelegt ist. Jede Person hat in sich Brüche, unerfüllte Sehnsüchte. Auch dass die Frauen ausführlich zu Wort kommen gefällt mir gut.

Mir fällt auf, dass viel geschlagen wird: Die einfachen Soldaten werden von den Vorgesetzten ins Gesicht geschlagen, die Mütter schlagen die Kinder und die Männer ihre Ehefrauen! Schrecklich. Auch dass Männer ihren Frauen meinen etwas verbieten zu können, z.B. außer Haus zu gehen. Für uns ein absurder Gedanke!
Interessant finde ich wie die Menschen im Islam ihre harten Gesetze abmildern, indem sie z.B. eine rechtlich ungültige Heirat inszenieren um dann ohne Schuldgefühle miteinander schlafen zu können. Das Getränk Boza ist für diese Hintertürchen ein tolles Symbol (der Alkoholgehalt wird einfach kollektiv abgestritten)
Pamuk erzählt weiter sehr detailliert von Istanbul und den einzelnen Veränderungen im Straßenbild. Ich bin sicher, dass seine Angaben, welche Straße neu gebaut wurde, welches Haus abgebrannt ist usw. alle der Realität entsprechen.
 
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Literaturhexle

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Süleyman wollte natürlich die schöne jüngere Schwester für sich haben. Ein bisschen Schadenfreude kam bei mir auf als klar wurde, dass er sein Ziel nicht erreichen wird. Mevluts kommunistischer, kurdischer Freund Ferhat entführt die schöne Samiha mit deren Einverständnis.

Toll finde ich an dem Roman, dass keine Figur klischeehaft angelegt ist. Jede Person hat in sich Brüche, unerfüllte Sehnsüchte. Auch dass die Frauen ausführlich zu Wort kommen gefällt mir gut.

Mir fällt auf, dass viel geschlagen wird: Die einfachen Soldaten werden von den Vorgesetzten ins Gesicht geschlagen, die Mütter schlagen die Kinder und die Männer ihre Ehefrauen! Schrecklich. Auch dass Männer ihren Frauen meinen etwas verbieten zu können, z.B. außer Haus zu gehen. Für uns ein absurder Gedanke!
Interessant finde ich wie die Menschen im Islam ihre harten Gesetze abmildern, indem sie z.B. eine rechtlich ungültige Heirat inszenieren um dann ohne Schuldgefühle miteinander schlafen zu können. Das Getränk Boza ist für diese Hintertürchen ein tolles Symbol (der Alkoholgehalt wird einfach kollektiv abgestritten)
Pamuk erzählt weiter sehr detailliert von Istanbul und den einzelnen Veränderungen im Straßenbild. Ich bin sicher, dass seine Angaben, welche Straße neu gebaut wurde, welches Haus abgebrannt ist usw. alle der Realität entsprechen.
Ja. Das hast du alles sehr gut zusammengefasst. Dieses Buch ist mir verhältnismäßig gut im Gedächtnis geblieben - einfach weil es so stimmig ist und eine interessante Geschichte in einer facettenreichen Stadt erzählt.
Den Zusammenhang mit dem Boza hatte ich noch nicht gesehen. Erinnert stark an die ("fleischlose ") schwäbische Maultasche;)
 
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Helmut Pöll

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Es ist erstaunlich, wie vielschichtig dieses Buch ist
Buchinformationen und Rezensionen zu Diese Fremdheit in mir: Roman von Orhan Pamuk
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Aus den verschiedensten Perspektiven setzt sich letztlich nicht nur die Geschichte Mevluts, sondern auch die Istanbuls und der Türkei über mehrere Jahrzehnte zusammen. Ungewöhnlich für mich ist dieses direkte Ansprechen des Lesers " verzeih mir, lieber Leser..", das mir jetzt schon mehrfach aufgefallen ist.
 
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. Ungewöhnlich für mich ist dieses direkte Ansprechen des Lesers " verzeih mir, lieber Leser..", das mir jetzt schon mehrfach aufgefallen ist.

Ja, nicht nur der Erzähler, auch die einzelnen Protagonisten wenden sich direkt an uns, die Leser. Das finde ich schön, es bringt mich irgendwie immer zum lächeln.
 

Renie

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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ihr Lieben, ich klinke mich an dieser Stelle aus der Leserunde aus. Zwischendurch stelle ich bei mir Ermüdungserscheinungen fest, was den wortgewaltigen Sprachstil von Pamuk angeht. Daher brauche ich meine Pausen, in denen ich etwas anderes lese, so dass ich nur sehr langsam in dem Buch vorwärts komme. Das hat den Nachteil, dass ich jedesmal, wenn ich in dieser Leserunde bin, Spoiler lese, was mir natürlich nicht gefällt. Ihr seid einfach viel weiter und schneller als ich. Wahrscheinlich werde ich mir eure Kommentare in der Leserunde erst im Anschluss an das Buch ansehen. Keine Ahnung, wann das sein wird. Dennoch wünsche ich euch noch viel Spaß und einen regen Austausch.:)
 

Helmut Pöll

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Ihr Lieben, ich klinke mich an dieser Stelle aus der Leserunde aus.
Schade @Renie . Ich komme auch nicht wirklich schnell voran, finde das Buch aber so interessant, dass ich wohl dranbleiben werde.

Ich frage mich immer öfter, was ich von Mevlut halten soll. Einerseits ist er mir sympathisch, wel er immer so freundlich ist und im Grunde niemandem was Böses will. Andererseits erscheint er mir dann aber weltfremd, etwas naiv und lethargisch, etwa wenn er er als Sinnbild der Ehrlichkeit als Geschäftsführer eingestellt wird, einem Betrug auf die Spur kommt und ihn dann weiterlaufen lässt. Oder auch seine Weigerung einzusehen, dass der Bozaverlauf ihn und seine Familie nicht mehr ernähren kann. Wie seht ihr das?
 

Leseglück

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7. Juni 2017
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Schade @Renie !!! Es tut mir leid, falls ich etwas vorweggenommen habe. Ich habe versucht wichtige Dinge in Spoiler zu setzten.
Ich glaube, dass ich am weitesten bin (Beginn Teil 5) so dass ich mich jetzt zurückhalten werde. Vielen Dank @Renie für den Hinweis mit den Hunden. So viel darf ich vielleicht verraten, dass diese immer mal wieder erwähnt werden und ich inzwischen eine Idee zu der Symbolik habe. Vielleicht kann ich diese Ideen später irgendwann mit dir diskutieren....

@Helmut Pöll @Anjuta wie weit seid Ihr?
 

Literaturhexle

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Vielleicht ist es bei Leserunden mit dicken Büchern, an denen viele teilnehmen, doch besser, eine "Große Leserunde" einzurichten, damit man Abschnitte einteilen kann? Dann kann jeder gefahrlos bis zum betreffenden Abschnitt lesen/kommentieren/antworten und hat keinen Zeitdruck beim Lesen.
@Helmut Pöll
 

Helmut Pöll

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Vielleicht ist es bei Leserunden mit dicken Büchern, an denen viele teilnehmen, doch besser, eine "Große Leserunde" einzurichten
Ja, das stimmt, @Literaturhexle . Leider stellt sich das oft im Laufe der Leserunde heraus, wie engagiert sich die Leser beteiligen. Eine "Große Leserunde" mit verhaltener Beteiligung schläft erfahrungsgemäß sofort ein. Aber bei so umfangreichen Büchern wie diesem sollten wir das in Zukunft in jedem Fall machen.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ich bin inzwischen auf Seite 450, also weit in Teil V.
Mein Enthusiasmus ist ungefähr mit Beginn von Teil IV deutlich erlahmt. Bis dahin steckte das Buch voller Istanbuler Leben und Geschichte. Ab da dreht sich dann alles immer mehr um die Familiengeschichte und um die für mich eher leidige Frage, ob Rayiha oder Samiha nun die richtige Frau für Mevlut war/ist.
Auch die vielen erzählenden Stimmen sind ab da nicht mehr aus dem übervollen türkischen Schmelztigel Istanbul, sondern stammen nur noch aus dem Familienumfeld. Für mich verliert damit die Geschichte ihren ganz besonderen Reiz und ich bedaure, dass Pamuk seinen Elan und seinen großen Zugang nicht beibehalten hat.
Aber ich halte durch und werde auf jeden Fall die Geschichte bis zum Ende lesen!
Beste Grüße
Amjuta
 
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Da wir jetzt alle schon in Teil V sind, können wir ja offen reden:)

@Anjuta Du schreibst davon, dass dein Enthusiasmus deutlich erlahmt sei...Renie hat ja auch von "Ermüdungserscheinungen" geschrieben. Teilweise kann ich das nachvollziehen,vielleicht aber aus anderen Gründen. Manchmal waren mir die Aufzählungen der Stadtteile und Straßennamen bzw. der baulichen Veränderungen in Istanbul zu viel, wobei ich denke, dass ein Leser aus Istanbul daran seine Freude hat.
Die Familiengeschichten wiederum finde ich interessant. Die einzelnen Protagonisten sind doch sehr unterschiedlich, was ja auch beispielhaft die große Vielfalt des istanbuler Lebens zeigt. Z.B. Wie finden die Paare zueinander, welche Vorstellungen von Ehe haben sie...welche beruflichen Ziele, welches Verhältnis zu Politik und Religion usw.

Ich frage mich immer öfter, was ich von Mevlut halten sol
Ich finde Deine Beschreibung von Mevlut sehr treffend. Das naive und weltfremde kann theoretisch nerven, ich finde es eher symathisch.
Er ist ein Träumer und Nostalgiker. Bei dem raffinierten Spiel, nach dem Motto :"eine Hand wäscht die Andere", das alle Istanbuler zu spielen scheinen, kann er nicht mithalten. Am glücklichsten ist er Nachts allein auf Istanbuler Staßen beim Boza Verkauf. Hier hat er auch fast metaphysische Erlebnisse...
Zitat aus dem Roman:
Wenn er in den dämmrigen Straßen Boo - zaaa rief, ging dieser Ruf nicht nur an die Fenster...sondern auch an die ganz eigene Welt, die er im Kopf mit sich herumtrug, das fühlte er ganz genau....Worte waren nämlich Dinge und Dinge wiederum Bilder. Die Straßen durch die er zog, und die Welt in seinem Kopf waren dann auf einmal eins.

Interessante Stelle....wie seht ihr das?
 
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Helmut Pöll

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Wenn er in den dämmrigen Straßen Boo - zaaa rief, ging dieser Ruf nicht nur an die Fenster...sondern auch an die ganz eigene Welt, die er im Kopf mit sich herumtrug, das fühlte er ganz genau....Worte waren nämlich Dinge und Dinge wiederum Bilder. Die Straßen durch die er zog, und die Welt in seinem Kopf waren dann auf einmal eins.

Interessante Stelle....wie seht ihr das?
Das sehe ich auch so, @Leseglück . Manchmal dachte ich mir er sehnt sich in eine Zeit zurück, in der der Boza-Verkauf ein angesehenes und einträgliches Geschäft war, als beispielsweise in der Zeit des Osmanischen Reiches.
 
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