Thema "Die blaue Gitarre" von John Banville ab 15.04.20

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Die blaue Gitarre: Roman von John Banville
Kaufen >
Oliver ist nicht nur ein Maler, den die Inspiration verlassen hat, sondern er ist auch ein Kleptomane, dem es ein fast erotisches Vergnügen bereitet, anderen Menschen persönliche Dinge zu entwenden. Als Polly, die Frau seines besten Freundes Marcus, zum Objekt seiner Begierde wird, nimmt eine tragische Entwicklung ihren Lauf.Im Zentrum von John Banvilles neuem Roman steht eine Viererkonstellation: zwei befreundete Ehepaare und die Dynamiken, die sich zwischen ihnen Bahn brechen. Protagonist Oliver war einmal ein erfolgreicher Maler, der eine glückliche Ehe mit seiner Frau Gloria führte, doch beides gehört der Vergangenheit an. Nachdem die Affäre mit Polly, der Frau seines besten Freundes, ans Licht gekommen ist, hat er sich in sein Elternhaus zurückgezogen und denkt nach, über die Liebe, die Kunst und den Tod, über Schuld und über menschliche Beziehungen, im Allgemeinen und im Besonderen. Doch dabei muss er bald erkennen, dass auch er einer Täuschung aufgesessen ist und die Rollen von Betrüger und Betrogenem – und von Schuld und Unschuld – nicht ganz so klar umrissen sind wie zunächst angenommen.Eine sprachlich und intellektuell beeindruckende Kontemplation über die Liebe, die Kunst und das Scheitern in beiden Disziplinen – John Banville begeistert einmal mehr. (Quelle: Amazon)

Wir lesen ab 15. April in einer kleinen Leserunde mit eigenen Exemplaren.

Folgende Einteilung schlage ich vor, da der Autor selbst den Roman in drei Teile geteilt hat:
I. vom Beginn bis Seite 122
II. Seite 125 bis 254
III. Seite 257 bis Ende (S. 351)

Wir können aber wie immer auch innerhalb der Teile diskutieren, bitte aber IMMER die letzte gelesene Seite an den Anfang stellen!
Ich wünsche uns viel Spaß mit John Banville:reader3!
@Querleserin @RuLeka @kingofmusic
 

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
7.240
18.648
49
48
Ich hoffe sehr, dass ich nächste Woche hier einsteigen kann. Bis dahin bin ich wahrscheinlich mit dem
Buchinformationen und Rezensionen zu Makrelenblues von Ute Haese
Kaufen >
durch, den ich schon nach 50 gelesenen Seiten für absolut gelungen halte :D.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Seite 122 (Ende des Abschnitts)
Ich weiß gar nicht so recht, wie ich anfangen soll. Die ersten etwa 30 Seiten verliefen etwas zäh. Wir haben einen Ich-Erzähler, der verschiedene Begebenheiten schildert. Dabei kommt er von Stöckchen auf Hölzchen, er wird innerhalb seiner eigenen Erzählung immer wieder abgelenkt, um letztlich aber zum Ausgangspunkt zurückzukommen.

Er erscheint mitunter unzuverlässig. Er wendet sich an den Leser und betont, dass er ab und zu die Unwahrheit sage oder Namen vertausche. Das hat mich zunächst mit Schrecken an "Die allertraurigste Geschichte" erinnert - allerdings hat sich diese Parallele nicht als allzu deutlich erwiesen.

Oliver (Erzähler) ist ein ehemals erfolgreicher Maler, scheint aber in letzter Zeit seine Fähigkeiten verloren zu haben: er kann nicht mehr malen. Er ist zurückgekehrt in den Ort seiner Kindheit, die Eltern sind lange tot. Die ehemalige Druckerei seines Vaters ist nun sein Atelier. Er ist verheiratet mit Gloria. Kurz nach ihrer Ankunft haben sich die beiden mit Uhrmacher Marcus und seiner Frau Polly angefreundet.

Oliver beschreibt sich selbst als Kleptomanen: schon als Kind hat er Farbe bei Gepetto (Name erfunden!) oder kleine Nippes-Figuren geklaut, im Lokal nimmt er sogar unbewusst einen Salzstreuer mit. Um Freude am Stehlen zu haben, ist es wichtig, dass der Bestohlene den Verlust bemerkt, aber nicht weiß, wer der Dieb konkret ist (über solche Dinge gibt es zum Beispiel Ablenkungen vom Plot).

Seit rund 9 Monaten hat der Ich-Erzähler eine Affäre mit Polly. Er selbst bezeichnet das auch als Diebstahl. Als Marcus von der Untreue seiner Gattin erfährt, kommt er völlig aufgelöst zu Oliver.... Zum Glück kennt der Betrogene den Namen seines Nebenbuhlers nicht. Dadurch kommt Oliver in die abstruse Situation, Trostspender für seinen Freund sein zu müssen. Die beiden trinken und essen zusammen. Als er Markus verabschiedet hat, steht Polly vor dem Atelier - auch in großer Erregung. Paradox, dass beide Eheleute an diesem Tag von den Anfängen ihrer Beziehung in hellen Farben erzählen. Der Erzähler hat das Gefühl, dass der Auflösungsprozess seiner Affäre begonnen hat (Stichwort Spiegelbild).

Wie gesagt, werden zwischendrin weitere Episoden erzählt. Besonders berührt hat mich die Geschichte der kleinen Tochter Olivia. Offensichtlich kam sie krank auf die Welt und wurde nur 3,5 Jahre alt. Als sie starb, lag ihr Vater gerade mit einer anderen Frau im Bett...
In sehr einfühlsamen Worten wird von dem Kind, seinem kurzen Leben und seinem Tod erzählt (S. 102-106). Wunderbare Sätze!

Das kann Banville: schreiben. Er kann belanglose Beobachtungen zu einem Sprachfeuerwerk ausbauen, mit wunderbaren Metaphern. Ich empfand bis jetzt noch nichts überfrachtet. Wenn ich alleine bin, lese ich laut;), so schön finde ich die Syntax.

An manchen Stellen endet der Text abrupt, anschließend gibt es eine freie Zeile (bis jetzt Seite 10,69,122). Es scheinen keine exorbitant wichtigen Inhalte zu sein, die da fehlen.

So, das habe ich jetzt mal alles aus meiner Erinnerung aufgeschrieben. Würde ich mir die Striche und Klebezettel anschauen, käme noch viel mehr dabei heraus, aber ihr sollt ja auch noch was zu sagen haben :D.
 
  • Like
Reaktionen: Querleserin

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Liebe @Literaturhexle, chapeau! Diesen diffusen, differenzierten Inhalt hast du sehr gut zusammengefasst. Ich bin zwar noch nicht ganz durch mit dem ersten Abschnitt (20 Seiten fehlen noch), aber einiges kann ich schon kommentieren ;)
Auffällig ist die Erzählweise des Romans, der aus einem langen inneren Monolog des Ich-Erzählers Oliver besteht. Wir lesen das mit, was der Ich-Erzähler gerade aufzuschreiben scheint. Dabei wechseln sich das aktuelle Geschehen und seine Reflexionen, die im Präsens stehen, und Erinnerungen an die Affäre und andere Episoden seines Lebens, die im Präteritum stehen, ab. Die unterschiedlichen Zeitformen haben für mich strukturierende Funktion in diesem scheinbar beliebigen "Gedankenstrom".
Dass wir unmittelbar an seinen niedergeschriebenen Gedanken teilnehmen, zeigen die Satzabbrüche:

An manchen Stellen endet der Text abrupt, anschließend gibt es eine freie Zeile (bis jetzt Seite 10,69,122). Es scheinen keine exorbitant wichtigen Inhalte zu sein, die da fehlen.

"Was ich sagen will, ist" (S.10) ist eine echte Zäsur. Noch ist er nicht so weit, den Leser*innen etwas zu sagen.
"und das war" (S.69)
An der Stelle stört ein Telefonanruf die Niederschrift seine Gedanken, denn seine Frau Gloria hat ihn im Haus seiner Kindheit ausfindig gemacht
"Vor einer Minute hat vorne in der Diele das Telefon geklingelt" (70).
Wir haben einen Ich-Erzähler, der verschiedene Begebenheiten schildert. Dabei kommt er von Stöckchen auf Hölzchen, er wird innerhalb seiner eigenen Erzählung immer wieder abgelenkt, um letztlich aber zum Ausgangspunkt zurückzukommen.
Da stimme ich dir völlig zu. Der Ich-Erzähler schreibt assoziativ, er erzählt von einer Begebenheit und dann fällt ihm ein, dass er dies oder jenes noch zusätzlich erzählen könnte oder unsicher ist, wie er beginnen soll.
"Nun also zum Thema Stehlen, doch wo anfangen?" (27)

Dadurch, dass die Art und Weise, wie und in welcher Reihenfolge er seine Gedanken aufs Papier bringen soll, nehmen mich als Leserin mit. Ebenso die vielen Fragen, die er sich stellt. Die zeigen seine Unsicherheit und machen ihn
unzuverlässig. Er wendet sich an den Leser und betont, dass er ab und zu die Unwahrheit sage oder Namen vertausche.
Das ist er auf jeden Fall, da er selbst seiner Erinnerung nicht traut oder unsicher ist, ob er das richtig wiedergibt.

Um Freude am Stehlen zu haben, ist es wichtig, dass der Bestohlene den Verlust bemerkt, aber nicht weiß, wer der Dieb konkret ist (über solche Dinge gibt es zum Beispiel Ablenkungen vom Plot).
Die Sache mit dem Stehlen sehe ich allerdings nicht als Ablenkung vom Plot, sondern er gehört zur Erklärung der Liebesaffäre dazu. Diese Zusammenhänge erläutert der Ich-Erzähler selbst.
"Ich habe sie gestohlen, hab sie mitgehen lassen, als ihr Mann nicht hingeschaut hat, hab sie einfach entwendet." (38)
Beim Stehlen entdeckt der "das Wesen der Sinnlichkeit", es erscheint fast ein erotischer Akt und ein Teil von ihm wünscht sich, er möge entdeckt und bestraft werden.
Auch wenn er in diesen "trüben Tiefen" (56) nicht weiter herumstochern will oder kann.
Für mich gibt es da eine Parallel zur Affäre mit Polly, er will, dass Marcus es bemerkt, was er ja auch tut. Will er wirklich nicht entdeckt werden? Im ersten Moment wünscht er sich, Marcus würde eine Prügelei beginnen, würde ihn bestrafen. Vielleicht "überinterpretiere" ich das jetzt, aber ich sehe da masochistische Tendenzen beim Ich-Erzähler. Was meint ihr?

Die Sprache hat @Literaturhexle schon treffend als Sprachfeuerwerk bezeichnet. Ich bin auch völlig begeistert, sowohl von einzelnen Neologismen, von den Metaphern, der Syntax - laut lesen, werde ich auch mal testen ;)

Womit ich ehrlich gesagt etwas Verständnisprobleme habe, ist die Ursache seiner Schaffenskrise. Er will das Innere der Dinge auf die Leinwand bringen, seinen Bildern sei die Darstellung von "Verinnerlichtem", so drückt es Freddie Hyland aus.
"Keine Dinge an sich, nur deren Auswirkungen!" (86)

Seine Fixierung auf Gegenstände zeigt sich ja auch in seinem Wunsch sie zu stehlen und die Dinge dadurch umzuwandeln (28), oder?
"Malen war, genau wie Stehlen, ein endloses Bemühen um Besitz, und ich in endlos daran gescheitert." (87)
Doch jetzt hat Oliver entdeckt, dass zwischen der äußeren und inneren Welt eine "unüberbrückbare Kluft" (87) herrscht, dass die Dinge im Zusammenhang zueinander stehen und er ihr Wesen nicht erfassen kann...
Gedanken, die man so leicht nicht nachvollziehen kann o_O, aber zum Nachdenken anregen.;)
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Das ist mal wieder ein Buch, das sehr schwer inhaltlich wiedergegeben werden kann. Vom Hölzchen aufs Stöckchen trifft es sehr genau, wobei alles miteinander in Verbindung steht. Die Sprache ist großartig, aber nicht immer leicht verständlich. Und wer von euch wusste auf Anhieb, was schon das dritte Wort bedeutet ? Autolykos ? Also ich musste nachschauen.
Das Stehlen von Gegenständen und der Ehebruch hängen ganz eng miteinander zusammen. „ ,...so wandelt auch der Akt, also die Kunst des Stehlens den gestohlenen Gegenstand um. Die meisten Besitzgüter verlieren mit der Zeit ihre Patina, ihren Glanz, ...werden sie jedoch gestohlen, so...nehmen [sie] wieder den Glanz der Einzigartigkeit an.“ ( D. 28 ) Wird nicht auch ein langjähriger Partner wieder attraktiv, wenn sich jemand anderes für ihn interessiert?
Später bringt Banville beides direkt zusammen. „Ich habe sie gestohlen, hab sie mitgehen lassen, als ihr Mann nicht hingeschaut hat, hab sie einfach eingesteckt. Ja, Polly habe ich geklaut...“ ( S. 38 ) Liebe ? Ich weiß nicht.
Die Szene mit Marcus hat was von einer Komödie. Der betrogene Ehemann, der seinem Freund erzählt, dass seine Frau einen Liebhaber hat, ohne zu ahnen, dass der Freund derjenige ist. Ein Theaterstück, wo dann auch noch der eine raus geht ( Marcus) und die nächsteFigur ( Polly) kommt rein. Was wäre gewesen, wenn die beiden sich begegnet wären?
Einen dunklen Ton bringt der Tod des eigenen Kindes in die Geschichte.
Ja, ich bin gespannt, wie es weitergeht.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Der Zusammenhang zwischen dem Stehlen und der Affäre ist wirklich offensichtlich.
Ich stelle mir immer die Frage, welche Rolle der Titel in der Geschichte spielt und ob er explizit auftaucht - in dem Fall ist der englische Titel identisch mit dem deutschen ;)
Die Gitarre taucht in einem der Bilder auf, die Oliver gemalt hat.
" Was ist denn, rein sujettechnisch gesehen, der Unterschied zwischen einem Blimp, also einem Luftschiff, das keine feste Tragestruktur hat, und einer Gitarre?" (91)
Ich greife etwas vor, aber es ist nichts Inhaltliches. Im 2.Teil des Romans verweist der Ich-Erzähler wieder auf die blaue Gitarre:
"diese luftschiffblaue Gitarre" (148), es ist das letzte (!) Bild, an dem er gearbeitet hat.
Noch zwei Dinge sind mir aufgefallen:
1. Es gibt sehr viele Verweise auf die griechische Mythologie: So ist "Autolykos" ein Dieb aus der griechischen Mythologie. Es gibt auch einen Verweis auf Prometheus, der den Göttern das Feuer gestohlen hat.
Meines Erachtens bemüht sich der Ich-Erzähler den Leser*innen zu zeigen, wie gebildet er ist. Dazu gehören auch die vielen Fremdwörter und auch die Bezüge zur Bibel (Onan) und seine Abschweifungen in die "Wissenschaft":
"Sagt nicht die neue Wissenschaft über die Spiegelsymmetrie (...) Nein, ich versteh das auch nicht, aber es klingt doch faszinierend, oder etwa nicht?" (120)
Ist unser Ich-Erzähler ein Hochstapler, der uns mit seinem vermeintlichen Wissen und seine Beredsamkeit blenden will, um von seiner Schuld abzulenken. Gleichzeitig zeigt er uns, dass er uns blenden will, was ihn irgendwie sympathisch erscheinen lässt. Ein Schalk?
2. Er vergleicht viele Personen und Ereignisse mit Bildern berühmter Maler, die bei Kunstversierten sicherlich die richtigen Assoziationen freisetzen. Das ein oder andere kenne ich zwar auch, aber da geht vieles an mir vorüber:oops::D.

Eine Ergänzung noch ;) Der Ich-Erzähler ist fasziniert von Wolken, das könnte das Titelbild erklären (S.117).
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich mache mal einen kleinen Abschnitt, der tatsächlich thematisch einigermaßen zusammenhängt ;)
S.125-149
Der Ich-Erzähler ist wieder nach Fairmount House zurückgekehrt - zu seiner Frau Gloria. Insgesamt war er nur wenige Tage weg - ist aus Feigheit vor der Situation geflohen.
Gloria sagt nichts - weder über seine überstürzte Flucht noch über die Affäre mit Polly, sofern sie davon weiß.
Im Rückblick rekapituliert der Ich-Erzählerin seine Ehe mit Gloria, ausgehend von ihrem Wunsch in die Carmargue zu reisen, wo er ihr einst die Treue geschworen hat, um dann an seinen Heimatort zurückzukehren und das Fairmount House zu kaufen.
Nach dem Tod ihrer Tochter sind sie erneut in den Süden gereist:
"Schmerz ermuntert zu Ortswechsel, drängt zur Flucht zur rastlosen Suche nach neuen Horizonten." (134)
Die Auseinandersetzung mit der Trauer wird thematisiert und der Ich-Erzähler berichtet von einem tragischen Unfall eines jungen Mannes, der ihn zum ersten Mal direkt mit dem Tod konfrontiert hat.
In diesem Abschnitt weist er auf einen Unterschied zwischen der Stille beim Malen und der "verstohlenen Lautlosigkeit, die einen Diebstahl begleitet" (143) hin.
Und er thematisiert seine "Abschweifungen" explizit, mit dem Verweis darauf, dass er "irgendwas, auf das ich nicht zu sprechen kommen will" (145) vermeidet, "darum dieses ganze scheinbar unschuldige Mäandern durch staubige Nebenstraßen." (145) - eine sehr treffende Metapher.
Er erzählt von seiner Desillusionierung als Kind - ein Prozess, den jede*r von uns durchläuft ;) und glaubt, dass der Aufenthalt im Süden auch der Ausgangspunkt für sein Scheitern als Maler gewesen ist. Die Farben, das Licht haben ihn gleichsam desillusionert und wieder fragt er sich nach der Ursache, warum er nicht mehr malen kann - in dem Zusammenhang wird das letzte Bild mit der blauen Gitarre erwähnt.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Im ersten Moment wünscht er sich, Marcus würde eine Prügelei beginnen, würde ihn bestrafen. Vielleicht "überinterpretiere" ich das jetzt, aber ich sehe da masochistische Tendenzen beim Ich-Erzähler. Was meint ihr?
Nein. Das ist schlüssig und möglich. Aus seiner Theorie heraus soll ein Diebstahl eigentlich unentdeckt bleiben. Allerdings hat er in diesem besonderen Fall doch ein schlechtes Gewissen, was seine Gefühle nicht eindeutig macht.
Seine Fixierung auf Gegenstände zeigt sich ja auch in seinem Wunsch sie zu stehlen und die Dinge dadurch umzuwandeln (28), oder?
Bestimmt. Das hätte ich aber übersehen ;)
Wird nicht auch ein langjähriger Partner wieder attraktiv, wenn sich jemand anderes für ihn interessiert?
Wunderbar übertragen!
Ist unser Ich-Erzähler ein Hochstapler, der uns mit seinem vermeintlichen Wissen und seine Beredsamkeit blenden will, um von seiner Schuld abzulenken. Gleichzeitig zeigt er uns, dass er uns blenden will, was ihn irgendwie sympathisch erscheinen lässt. Ein Schalk?
Dass er uns ablenken Will, ist möglich. Aber nicht nur uns, auch sich selbst. Er schleicht ein bisschen wie die Katze um den heißen Blechnapf. Ich bin sicher, er sträubt sich mit seinen Nebengeschichten dagegen, zum Kern vorzudringen.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Dass er uns ablenken Will, ist möglich. Aber nicht nur uns, auch sich selbst. Er schleicht ein bisschen wie die Katze um den heißen Blechnapf. Ich bin sicher, er sträubt sich mit seinen Nebengeschichten dagegen, zum Kern vorzudringen.
Das hast du treffend beschrieben. Im 2.Abschnitt gibt er es ja offen zu.
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Ende Abschnitt II.
Ich gebe zu, dass ich mich durch den Mittelteil dieses Abschnittes ziemlich gequält habe. Obwohl ich mich bemüht habe, mit großer Aufmerksamkeit zu lesen, bin ich nicht sicher, ob ich alles Wesentliche erfasst habe. In Summe bin ich aber der Meinung, dass hier viele Worte (zum Teil sehr schöne;)) verloren wurden, ohne die Handlung vorwärts zu treiben.

In dem Auto, dass vorgefahren war, befand sich nicht wie erwartet Gloria, sondern Polly. Dass nicht die Ehefrau nach ihm sucht, kränkt Olivers Eitelkeit. Das geschieht unserem eitlen, ich-bezogenen Erzähler aber ganz recht!
Polly hat ihren Ehemann verlassen und geht davon aus, dass sie jetzt mit Oliver neu anfangen kann. Offensichtlich liebt sie ihn. Davon will er aber nichts wissen. "Ach so, Liebe.Die geheime Zutat, die ich immer vergesse und weglasse." (S.153)
Olivers Gedankenströme fließen von der kleinen Pip (zu der er gar keine Beziehung zu haben scheint) zu der Ratte zu einem Portrait, das er von Polly malen will.... Er ist nicht nur körperlich vor ihr geflohen, sondern flieht auch in Gedanken, will sich der Situation nicht stellen. Er hat den Eindruck, das ganze Streitgespräch (mehr ein Monolog Pollys) habe etwas "Opernhaftes". Oliver hat keine Empathie. Er kann sich den Kummer und die Zerrissenheit der jungen Frau gar nicht vorstellen und kreist tatsächlich nur um sich selbst. Ehemann Markus hatte Polly derweil die Aufmerksamkeit entzogen, nicht mal bei einem Sturz stand er ihr zur Seite. Sie muss sehr gelitten haben.

Polly wird klar, dass Olivers Leidenschaft erloschen ist (der Diebstahl ist aufgeflogen, der Bestohlene weiß Bescheid - das Objekt der Begierde verliert seinen Reiz). Trotzdem bittet sie ihn, sie nach Hause zu ihren Eltern zu bringen. Erstens verstehe ich dieses Ansinnen nicht so richtig und zweitens beginnt jetzt der Teil, der mich nicht recht fesseln konnte, zudem ich mit Träumen und Illusionen in der Regel überfordert bin.

Oliver hat zurecht ein flaues Gefühl, Pollys Eltern unter die Augen zu treten. Beim Anblick von The Grange befürchtet er sogar, dort festwachsen zu können. Der Aufenthalt auf dem Landsitz hat etwas Surreales. Der Vater bemüht sich um Gastfreundschaft, trägt deutsche Gedichte vor. Das dazugehörige Büchlein wird Oliver später stehlen und einen ordentlichen Wirbel verursachen. Die Mutter ist völlig wirr, leidet an einer frühen Demenz. Trotzdem soll ein normaler Anschein aufrechterhalten werden. In der Nacht muss Oliver pinkeln, findet im Stockdunklen kein Klo und verrichtet seine Notdurft aus dem Flurfenster heraus. Dabei wird er von Janey (Mutter) beobachtet. Was soll diese Szene? Der Erzähler berichtet von seiner großen Angst in der Dunkelheit - spürbar wird diese aber nicht.
Der Traum am Bahnhof mit der Uhr (S. 195) hatte für mich kafkaeske Züge und ich kapiere ihn nicht:(.

In der Nacht ist Olly nochmal hin und hergerissen in seinen "Gefühlen", während die arme Polly noch immer weint und leidet. Sie haben Aussprachen. Polly hatte eine sehr hohe Meinung von dem Künstler ("Ich hielt dich für Gott), er spart allerdings auch nicht mit Selbstkritik an seiner Person, die wir allerdings nur durch seine Gedanken mitgeteilt bekommen, Polly gegenüber hüllt er sich in Schweigen. Am nächsten Tag kommt der Prinz zu Besuch. Der Nachmittag endet mit der Suche nach dem Gedichtband und Oliver flüchtet erneut - trotz strömenden Regens (in der Tat haben Wolken, Wetter und Regen eine große Bedeutung, wie Querleserin schon bemerkte).

Interessant fand ich teilweise seine Reflexionen auf diesem Spaziergang: bildhafte Naturbeschreibungen wechselten sich mit Gedanken über seine Tochter, seine Eltern und seine eigene Identität ab. Die eigene Nabelschau geriet mir zuweilen zu intensiv, allerdings ist das sprachliche Niveau erneut hervorzuheben.

Als ihm auf S. 239 dieser Zug von bunten Schaustellern begegnet - ich gehe davon aus, dass das eine Illusion ist - bin ich raus ;)
Hier müsst ihr mir helfen: Was soll das?

Im Regen wird er vom Prinzen aufgesammelt, der ihn mit nach Hause zum Atelier nimmt. Er lässt sich aber am Bahnhof absetzen (ist das der Bezug zu dem kafkaesken Traum?) und läuft dann zum Atelier, wo Polly ihn schon erwartet. Fabelhaft: wieder ist sie einen Schritt schneller als er! Sie ist auf 180, sie weiß, dass er das Buch gestohlen hat, ist merklich abgekühlt und wirft ihm einige Wahrheiten an den Kopf. Polly wird "zu der Frau, die sie war". Sie rechnet mit ihm ab, er ist überrascht von der großen Abneigung, die ihm entgegenschlägt. Bravo Polly!

Endlich hat jemand seinen Diebstahl bemerkt und ihn bestraft. Angeblich wird er jetzt nie mehr stehlen (S. 252). Der Abschnitt endet mit einem schönen Bild: ein auslaufendes Schiff auf dem man steht, während die bekannte Küste immer mehr verschwindet, während sich dunkle Wolkenmassen am Horizont auftürmen...
Unseren Erzähler lässt dieses Verlassenwerden offensichtlich nicht ganz kalt. So hatte er sich die Trennung von Polly nicht vorgestellt.

Bitte entschuldigt, wenn ich die Abläufe auf The Grange nicht ganz chronologisch erfasst habe. Wie gesagt, da drehte sich aus meiner Sicht einiges im Kreis.

Nun bin ich auf den letzten Abschnitt gespannt.
 
  • Like
Reaktionen: Querleserin

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Oliver hat keine Empathie. Er kann sich den Kummer und die Zerrissenheit der jungen Frau gar nicht vorstellen und kreist tatsächlich nur um sich selbst
Er sagt ja selbst von sich „...immer schaue ich entweder hinein oder schaue hinaus, eine kühle Fensterscheibe zwischen mir und der ersehnten Welt.“ Er findet keinen wirklichen Zugang zu anderen. Ich frage mich auch, was Polly in ihm sieht?
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Bei der Szene auf dem Landsitz von Pollys Eltern kam ich mir vor wie in einem alten englischen Roman.
 
  • Like
Reaktionen: Querleserin

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Der Traum am Bahnhof mit der Uhr (S. 195) hatte für mich kafkaeske Züge und ich kapiere ihn nicht:(.
Kafka passt . Die Erklärung kommt für mich gleich danach. „ ... und dann begriff ich, dass mein Zug, der einzige, mit dem ich hätte fahren können, der einzige, für den meine Fahrkarte galt, längst abgefahren und ich hier gestrandet war, allein unter lauter Fremden.“ Verpfuschtes Leben, falsche Entscheidungen getroffen ...
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Für mich ist diese Figur auch nicht richtig zu fassen. Eigentlich läuft er vor allem davon. Die Affäre mit Polly ist für mich auch nur ein Ablenken von dem, was ihn wirklich beschäftigt. Wo steht er mittlerweile? Malen kann er nicht mehr. Die Ehe mit Gloria ist ( spätestens ) seit dem Tod des Kindes vorbei. Als die Geschichte mit Polly ernst zu werden droht, zieht er sich zurück. Zurück ins Elternhaus. „ Was soll nur aus mir werden, aus meinem trocknen, meinem ausgedörrten Herzen? Warum ich frage, fragt ihr? Versteht ihr denn noch immer nicht, nicht einmal jetzt, dass ich garnicht verstehe? Seht doch, wie ich mich vorwärtstaste, wie ein Blinder in einem Haus, wo alleLichter brennen.“ Ich fühle mich auch wie ein Blinder, der durch dieses Buch tappert. Aber die Sprache ist toll.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Ich fühle mich auch wie ein Blinder, der durch dieses Buch tappert. Aber die Sprache ist toll.
Danke @RuLeka ! Dann bin ich nicht die einzige Blinde. Für mich hat der Sog der eigentlichen Handlung nachgelassen. Immer mehr geht es nur um ihn selbst, nur am Rande tauchen Episoden auf, die den Roman wirklich vorwärts bringen.
Ich muss jetzt noch 50 Seiten lesen und warte auf die Überraschung, die @SuPro in ihrer Rezension versprochen hat.
Sprache und Metaphorik allein tragen keinen Roman.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Ende

So sehr mich der erste Teil des Buches insbesondere sprachlich fasziniert hat, so schwerfällig las sich doch die zweite Hälfte. Immer wieder weicht der Erzähler von dem ab, was einen interessiert.

Er wird von Polly getrennt, wir lernen seinen Galeristen kennen. Das Bild von der blauen Gitarre wird zerstört.
Oliver besucht seine Schwester, die ihn offenbar als Kind geliebt und versorgt hat - eine Tatsache, die unser Egoist natürlich vergessen zu haben scheint. Von ihr bekommt er den Hinweis, dass auch seine Gattin Gloria ein Verhältnis haben könnte...

Nun wird es interessant! Aber schleppend, ganz schleppend, geht es weiter. Marcus ist mit dem Auto "verunglückt". Der Ort lässt den Verdacht zu, dass es sich um Selbstmord handelt. Gloria bekommt ein Kind von ihm. Oliver muss nun überlegen, ob er es als seines anerkennt.

Polly bittet ihn zum Gespräch ins Atelier. Dabei kommt raus, dass sie jetzt einen dickeren Fisch an der Angel hat und den Prinzen Frederick heiraten wird, beide wollen nach Regensburg ziehen. Oliver soll den alten, stinkenden Hund übernehmen.

Oliver will die Vergangenheit nochmal neu bewerten, schließt auch nicht aus, irgendwann wieder zu malen. Mit einer schönen Erinnerung an seinen Vater endet der Roman.

Nun seid ihr dran ;)
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.048
11.068
49
50
Wadern
querleserin.blogspot.com
Ich habe deinen letzten Beitrag noch nicht gelesen, @Literaturhexle, da mir auch noch 50 Seiten fehlen.
Der 2.Teil hatte mit Pollys Erscheinen wirklich etwas Surreales, sei es der Aufenthalt im Haus, die nächtliche Begegnung mit der Mutter, der Besuch Freddies, die seltsame Karawane und das Ende der Beziehung.
Für mich gibt es einen Satz, den ich mir fett unterstrichen habe, der mir symptomatisch erscheint, dieses Gefühl nicht dazuzugehören, die Welt zwar wahrzunehmen, sie mithilfe von Bildern anderer Maler zu beschreiben, aber nicht wahrhaftig an der Welt und vor allem an den zwischenmenschlichen Beziehungen teilzunehmen:
"Ich bin ein Fremder dort an diesem Ort, wo ich gefangen bin, werde immer ein Fremder bleiben, auch wenn ich allen absolut vertraut bin, das heißt allen außer mir selbst." (180)
Das ist sein allergrößter Alptraum, aber es ist auch sein Leben ;)
Dieses Motiv taucht auch wieder in seinem Traum mit der Uhr und dem Bahnhof auf: "allein unter Fremden." (195)
Die Geschichte zeigt Bezüge zu "Gib´s auf" von Kafka, fast die gleiche Situation, der Ich-Erzähler kann in der Parabel den Weg zum Bahnhof nicht finden. Man kann die Parabel so deuten, dass es ihm nicht gelingt einen Lebenssinn zu finden, den richtigen Weg sozusagen. Und das passt wiederum zu unserem Ich-Erzähler - dadurch, dass er keinen Weg in seinem Leben findet, keine Struktur, kein klares Ziel hat, kann auch dieser Roman keine klare Struktur aufweisen - so ist jede von uns

wie ein Blinder, der durch dieses Buch tappert.
Das mit der Karawane habe ich ehrlich gesagt auch nicht verstanden, vielleicht ein Symbol für die Flucht, die er immer wieder ergreift - das Getriebensein (?).
Auch ich fand dieses Mittelteil etwas ausufernd, zu viele Abschweifungen, obwohl die Sprache wunderbar ist.
Jetzt bin auch ich auf das Ende gespannt.
Neugierig macht zumindest der Beginn des 3.Abschnittes, der vermuten lässt, dass Marcus gestorben ist - aber warum 2 Witwen?
 
  • Like
Reaktionen: Literaturhexle

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.403
23.948
49
66
Mich hat der Roman zum Ende hin ungeduldig gemacht. Ja, die Sprache ist großartig, das Mäandern zwischen den Zeiten gekonnt, viele Reflexionen bedenkenswert. Aber zwischen all dem muss man die eigentliche Geschichte suchen, die mich irgendwann fast nicht mehr interessiert hat. Es soll nicht der beste Roman von John Banville sein. Das hoffe ich auch.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.240
49.146
49
Aber zwischen all dem muss man die eigentliche Geschichte suchen, die mich irgendwann fast nicht mehr interessiert hat. E
Wirklich! So erging es mir auch. Normalerweise liest sich auch bei einem mittelmäßigen Buch das Ende gut, weil sich der Autor etwas aufgespart hat, weil "das Beste zum Schluss" kommt...
Aber hier musste ich mich dermaßen konzentrieren, weil Banville vor lauter Mäandern den Weg nicht mehr zu finden scheint. Aber auch das kann, wie uns die Querleserin erklärt, gewollt sein.
Es soll nicht der beste Roman von John Banville sein. Das hoffe ich auch.
Für mich war es der zweite Roman, nach Booker Preisträger "Die See". WELTEN liegen dazwischen, liebe @RuLeka !
 
  • Like
Reaktionen: Querleserin