Der Zementgarten

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Im Rahmen der Autorenleserunde zu Ian McEwan werde ich mir Der Zementgarten vornehmen.
Buchinformationen und Rezensionen zu Der Zementgarten von Ian McEwan
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Das wollte ich schon lange mal lesen.
 
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Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Dann muss ich ja kein schlechtes Gewissen haben, möchte auch erst meine aktuelle Lektüre beenden
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich habe das Buch jetzt zur Hälfte gelesen. Es ist in der Tat sehr ernst, wird uns aber ausreichend Gesprächsstoff liefern. Meinen ersten Eindruck habe ich in meinem Lesetagebuch niedergeschrieben, ich wollte hier nicht vorgreifen ;)
Sagt einfach Bescheid, wenn ihr soweit seid.
 
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parden

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13. April 2014
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Dürfen wir anfangen? Ich habe jetzt etwas mehr als 50 Seiten gelesen (die ersten drei Kapitel). Wer noch nicht so weit ist, der liest hier jetzt einfach nicht weiter... ;)

Das Buch lässt sich bislang flüssig lesen, und Ian McEwans Schreibstil gefällt mir wirklich gut. Banal scheinende Sätze - und doch entsteht hier eine Stimmung, die unglaublich düster ist. Die Sprachlosigkeit einer Familie, so viel Ungesagtes. Der dominante Vater, der alles unter seiner Fuchtel hat, hält die Mutter und die Kinder klein. Der Zementgarten als Sinnbild dafür, wie starr das Gefüge ist - einmal in Beton gegossen, bleibt alles in Form, unter Kontrolle. Jeder kreist da im Grunde um sich selbst, ist allein mit seinen Gedanken, seinen Gefühlen. Witze auf Kosten der Kinder. Ein Witz auf Kosten des Vaters ist ungehörig, der Urheber wird mit Nichtachtung bestraft. Kindsein in dieser Familie ist eine Strafe - Erwachsenwerden in diesem Verbund ist aber auch nicht besser. Der Tod des Vaters als Ereignis einfach hingenommen, kein Ausdruck von Trauer, und doch verschiebt sich das Familiengefüge. Die Mutter krank, vermutlich schwer, denn sie ist nur noch müde. Krebs fällt mir dazu ein, aber es kann auch etwas anderes sein. Der vergebliche Versuch, ein wenig Normalität aufrecht zu halten - die Geburtstagsparty am Bett der Mutter, und selbst der pubertierende Sohn versteht, dass er etwas dazu beitragen muss. Traurig und düster und doch von einer morbiden Faszination geprägt. Ich bin gespannt, wie es weitergeht...
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Habe erst 50 Seiten gelesen, bin aber ähnlich fasziniert wie @parden.
Die Kinder bringen niemanden mit Heim, da sie selbst bemerken, dass sie nicht in einem gesunden Umfeld leben oder sich gar schämen.
Wir erfahren die Namen der anderen Kinder, bisher aber nicht den des erzählenden Jugendlichen, oder habe ich etwas überlesen?
Schlimm auch das vorsintflutliche Denken bezüglich der sexuellen Entwicklung, hier stellt McEwan mal wieder einiges an den Pranger. Mittlerweile erkenne ich seine sarkastische Art, obwohl es erst mein dritter Roman von ihm ist.
 
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Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Die Kinder bringen niemanden mit Heim, da sie selbst bemerken, dass sie nicht in einem gesunden Umfeld leben oder sich gar schämen.
Wir erfahren die Namen der anderen Kinder, bisher aber nicht den des erzählenden Jugendlichen, oder habe ich etwas überlesen?
Das sehe ich ähnlich @Sassenach123 . Irgendwie spüren sie schon, dass da Einiges aus dem Ruder gelaufen ist. Es gibt bei den Kindern im Grunde auch keine kindliche Fröhlichkeit.
Der Junge heißt Jack. Habe mich auch gefragt, wer der Erzähler ist, aber dann ruft ihm die Mutter eines Tages hinterher, als er zur Schule rennt.

und doch entsteht hier eine Stimmung, die unglaublich düster ist. Die Sprachlosigkeit einer Familie, so viel Ungesagtes. Der dominante Vater, der alles unter seiner Fuchtel hat, hält die Mutter und die Kinder klein.
Ja, das ist schrecklich, @parden . Im Grunde empfinden die Kinder seinen Tod auch nicht wirklich als Verlust. Keine Erwähnung einer längeren Trauer oder eine Bemerkung, dass es schön wäre, wenn der Vater noch mit dabei wäre. Auch die Idee den Garten zu betonieren ist völlig krank.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Schlimm auch das vorsintflutliche Denken bezüglich der sexuellen Entwicklung, hier stellt McEwan mal wieder einiges an den Pranger. Mittlerweile erkenne ich seine sarkastische Art, obwohl es erst mein dritter Roman von ihm ist.
Da stehe ich jetzt auf dem Schlauch @Sassenach123 ...
Ich fand das sexuelle Interesse des Erzählers an seiner großen Schwester krank. Wenn er sie im Bikini sieht, scheint ihn das zu erregen, ebenso wie die Doktorspiele mit den Schwestern.
Hast du da noch etwas anderes beobachtet?

Diese Familie ist vollkommen isoliert. Die Kinder müssen mit dem Tod der Mutter ganz alleine klar kommen. Das macht einen großen Teil der Tragik aus, finde ich. Die Mutter hat ja durchaus liebevolle Züge, wird trotz ihrer Krankheit von den Kindern geachtet und geliebt.
Wie schwer muss es sein, die Leiche fortzuschaffen und in Beton einzugießen?
Ich fange jetzt mit dem Teil 2 an. Da gibt es einen Zeitsprung. Da bin ich ganz gespannt.
 
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Querleserin

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30. Dezember 2015
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Da stehe ich jetzt auf dem Schlauch @Sassenach123 ...
Ich fand das sexuelle Interesse des Erzählers an seiner großen Schwester krank. Wenn er sie im Bikini sieht, scheint ihn das zu erregen, ebenso wie die Doktorspiele mit den Schwestern.
Hast du da noch etwas anderes beobachtet?
.
Im Prinzip habt ihr alle schon sehr gut die Stimmung auf den ersten 50 Seiten beschrieben, da würde ich mich nur wiederholen. Interessant fand ich, dass der Junge den Abdruck, der der Vater im Zement hinterlassen hat, sofort beseitigte. Als wolle er die Erinnerung an den furchtbaren Vater ausradieren.
@Sassenach, mir geht es ähnlich wie @Literaturhexle. Mich haben die sexuellen Spiele der Kinder sehr befremdet. Das Interesse des Jungen an seinem Sperma kann ich ja nachvollziehen und seine Lust ebenso. Aber sich seine Schwester vorzustellen und die kleinere gemeinsam mit der älteren zu untersuchen? Ist das normal? Das hat mich ziemlich abgestoßen...
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Interessant fand ich, dass der Junge den Abdruck, der der Vater im Zement hinterlassen hat,
Stimmt, jetzt wo Du es sagst, @Querleserin . Damit zieht er einen Schlussstrich unter Jahre der Demütigung. Ich finde es ziemlich erschreckend, wie sie alle so beinahe völlig emotionslos nebeneinander her vegetieren. Stellenweise haben sie mich an Zombies erinnert.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Stimmt, jetzt wo Du es sagst, @Querleserin . Damit zieht er einen Schlussstrich unter Jahre der Demütigung. Ich finde es ziemlich erschreckend, wie sie alle so beinahe völlig emotionslos nebeneinander her vegetieren. Stellenweise haben sie mich an Zombies erinnert.
Ich finde die Stimmung in der Familie insgesamt sehr bedrückend. Es wird nicht über das Wesentliche gesprochen, über Emotionen und Ängste. Sie leben mehr oder weniger nebeneinander her und die Mutter ist heillos überfordert.
Wenn ihr die Szene schon gelesen habt, in der Jack seine Schwester mit den Gartenhandschuhen kitzelt, würde ich gerne wissen, wie ihr das verstanden habt.
Zuerst hat sie gelacht, aber dann hatte sie soviel Angst, dass sie sogar uriniert hat.
Ist sie vom Vater, dem die Handschuhe gehörten, missbraucht worden?
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Ist sie vom Vater, dem die Handschuhe gehörten, missbraucht worden?
Also soweit würde ich nicht gehen, @Querleserin . Das habe ich für mich nicht herauslesen können. Aber es scheint schon so zu sein, dass es in dieser Familie kein Vertrauen untereinander gibt und man schon damit rechnet, dass irgendwie alles passieren kann.

Mir gibt eine andere Szene Rätsel auf. es ist die, wo die Mutter an Jacks Bett sitzt und ihn auf sein schlechtes Aussehen anspricht: du weisst, was ich meine, sagt sie doch immer. ich weiss es nicht ;). Sind damit Drogen gemeint oder Blut, das er sich abzapfen lässt? Hat jemand eine Idee?
 

parden

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Wenn ihr die Szene schon gelesen habt, in der Jack seine Schwester mit den Gartenhandschuhen kitzelt, würde ich gerne wissen, wie ihr das verstanden habt.
Zuerst hat sie gelacht, aber dann hatte sie soviel Angst, dass sie sogar uriniert hat.
Ist sie vom Vater, dem die Handschuhe gehörten, missbraucht worden?

Das halte ich zwar nicht für ausgeschlossen, würde es aber eher so sehen, dass es auch unter den Geschwistern kaum Grenzen gibt. Man kann sich nicht sicher sein, wo eine Aktion enden wird.
 
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parden

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13. April 2014
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Mir gibt eine andere Szene Rätsel auf. es ist die, wo die Mutter an Jacks Bett sitzt und ihn auf sein schlechtes Aussehen anspricht: du weisst, was ich meine, sagt sie doch immer. ich weiss es nicht ;). Sind damit Drogen gemeint oder Blut, das er sich abzapfen lässt? Hat jemand eine Idee?
Sie meint damit seine ständige Selbstbefriedigung. Es gab da doch früher diese Gerüchte - dass man davon z.B. blind werden kann, dass es zu Gehirnerweichungen kommt oder auch Auslöser für Lepra oder Krebs sei...:confused:
 

Helmut Pöll

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9. Dezember 2013
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Achso, danke @parden . ;) Dann wundert mich ja, dass sie das überhaupt angesprochen bzw. angedeutet hat, wo doch ansonsten in dieser Familie wirklich über nichts gesprochen wird. Mich würde interessieren, wie McEwan zu diesem "Fall" gekommen ist. Hat er das selber irgendwie erlebt oder eine Familie in der Nachbarschaft beobachtet?