Thema "Der Fünfte im Spiel" von Robertson Davis

Literaturhexle

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2. April 2017
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Alles beginnt an einem Winterabend im ländlichen Ontario mit dem Wurf eines Schneeballs. Der zehnjährige Dunstable Ramsay muss sich sputen, rechtzeitig nach Hause zu kommen. Sein Freund Percy Boyd Staunton, mit dem ihn eine lebenslange Freund- und Feindschaft verbinden wird, hat noch einen letzten Schneeball geformt, den er ihm hinterherwirft. Dunstable duckt sich weg, und das eisige Geschoss landet auf dem Rücken der hochschwangeren Mrs. Dempster, die ihren Sohn Paul viel zu früh auf die Welt bringt. Das Schneegeschoss verbindet in dieser schicksalhaften Minute für immer das Leben dieser drei Jungen.

@RuLeka und ich haben gleichzeitig zu diesem wunderschönen Dörlemann-Roman gegriffen und wollen uns ein bisschen darüber austauschen.

Das Buch ist in 6 Teile unterteilt. Diese können wir ja als Grobeinteilung annehmen.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Erster Teil: Mrs Dempster

Dieses Deptford ist noch ein Dorf nach altem Stil, Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Strukturen noch sehr klar, wer etwas im Ort gilt und wer etwas zu sagen hat. Besonders die vielen Religionsgemeinschaften wirkten befremdlich auf mich- wir befinden uns in Kanada.

Schlimm, dass sich Dunny über Jahre schuldig fühlt. Der Schneeball wird kaum Auslöser für Mrs Dempsters labiles Nervenkostüm gewesen sein. Die Frühgeburt sehe ich mehr als Folge ihrer Labilität, denn als Folge des Schneeballs, den Dunny ja nicht einmal geworfen hat. Sie erweist sich auch nach der Geburt als wenig lebenspraktisch, ist stets auf andere angewiesen. Aber er kann mit niemandem reden. Seine Mutter ist eine radikale, mitunter schwer berechenbare Frau. Um diese Seelenqualen beneide ich den Jungen nicht.

Jahrelang leistet Dunny Buße ab. Er kümmert sich um den kleinen Paul, zeigt ihm Zaubertricks und liest ihm Geschichten vor. Beides wird von seinem baptistischen Vater schwer verurteilt. Das Gute: Dunny wird wieder freier.

Bereits auf S. 19 der Bezug zum Titel. Der Fünfte im Spiel scheint mir ein überflüssiger Kamerad zu sein. Verstehen tue ich es noch nicht, zumal man nicht weiß, um welches Spiel es sich handelt. Oder habe ich etwas überlesen?

Sehr seltsam die Episode mit Mrs. Dempster und dem Landstreicher...

Trotzdem fasziniert unseren Protagonisten diese Frau "Sie lebte durch ein Licht, das von innen her entfacht wurde". Er schätzt ihre Weisheit, sie imponiert ihm, weil sie nichts auf Konventionen gibt und keine Furcht kennt. Heimlich besucht er sie. Auch holt er sie zu seinem Bruder, als er glaubt, dieser wäre gestorben. Sehr berührende Szenen.

Als die Mutter eine Entscheidung fordert zwischen ihr und dieser Frau, meldet er sich als Soldat- obwohl er nicht volljährig ist. Die Uniform ist sexy und er kann seinen langjährigen Schwarm Leola für sich gewinnen.

Der Schreibstil ist flüssig. Der Ich-Erzähler kann im Nachgang über sich selbst auch sehr humorvoll resümieren. Man bekommt eine interessante Gesellschaftsstudie gleich mitgeliefert. Obwohl Kanada, fühlt sich für mich alles sehr englisch an - was angesichts des Empires nicht verwundert. Ich brauchte ein bisschen Zeit, um reinzukommen, bin jetzt aber im flow;)
 
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30. Januar 2018
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Bereits auf S. 19 der Bezug zum Titel. Der Fünfte im Spiel scheint mir ein überflüssiger Kamerad zu sein. Verstehen tue ich es noch nicht, zumal man nicht weiß, um welches Spiel es sich handelt. Oder habe ich etwas überlesen?
Der Titel wird gleich vor Beginn des Romans erklärt ( Rückseite vom Photo des Autors ): „ Jene Charaktere, die als Fünfte im Spiel weder die Rolle des Helden oder der Heldin,..., verkörperten, aber trotzdem wesentlich waren für die Enthüllung oder Lösung des Knotens am Ende,...“
Also nicht im Sinne vom fünften Rad am Wagen, sondern als wichtige und entscheidende Wegbegleiter.
 
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RuLeka

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Schlimm, dass sich Dunny über Jahre schuldig fühlt. Der Schneeball wird kaum Auslöser für Mrs Dempsters labiles Nervenkostüm gewesen sein. Die Frühgeburt sehe ich mehr als Folge ihrer Labilität, denn als Folge des Schneeballs, den Dunny ja nicht einmal geworfen hat.
Für Erwachsene ergibt sich kein Zusammenhang zwischen dem Schneeball und Mrs. Dempsters Verfassung. Für ein sensibles Kind mag das schon zutreffen ( Schneeball, Frühgeburt, kränkliches Kind, psychische Verfassung der Mutter ). Kinder glauben ja auch manchmal, sie seien schuld an der Scheidung der Eltern.
Der Schreibstil ist flüssig. Der Ich-Erzähler kann im Nachgang über sich selbst auch sehr humorvoll resümieren.
Die Sprache und die Art des Erzählens gefällt mir auch sehr gut.
Die ganze Erzählung ist ja ein Bericht der Hauptfigur , weil er sich in einem Artikel der Schulzeitung falsch gezeichnet sieht.
Obwohl Kanada, fühlt sich für mich alles sehr englisch an - was angesichts des Empires nicht verwundert.
Der Erzähler und seine Familie sind Nachfahren von Schotten.
 

RuLeka

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Einen Absatz über das Dorfleben würde ich gerne an alle Drehbuchschreiber vom Tatort oder diversen Fernsehfilmen schicken. Dort herrscht nämlich noch verbreitet der Glaube Dörfer seien „ Orte, in denen lächerliche , liebenswerte Einfaltspinsel hausten, unberührt von der Weltläufigkeit des Stadtlebens, wenn auch manchmal schlau in bäuerlichen Belangen. Später wurde es üblich, Dörfer darzustellen als dem Laster verfallen, ...Man glaubte, dass hinter den Spitzvorhängen und auf dem Heuboden Inzest, Bestialität, Sadismus und Masochismus wüteten, während auf den Straßen eine steife Frömmigkeit zur Schau getragen wurde. Unser Dorf machte auf mich nie diesen Eindruck. Es bot dem Betrachter mehr Vielfalt, als Leute aus größeren und kultivierteren Orten gemeinhin annehmen,...“
Das schrieb der Autor schon 1970 und bei uns wird im Fernsehen oftmals noch der Eindruck erweckt, als lebten auf dem Dorf nur primitive Tölpel.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Der Titel wird gleich vor Beginn des Romans erklärt ( Rückseite vom Photo des Autors ): „
Manchmal lohnt es sich doch, das "Beiprogramm" vorher zu lesen...
Für ein sensibles Kind mag das schon zutreffen (
Absolut! Schade eben, dass die Mutter so in ihren religiös-extremen Ansichten verhaftet ist, dass sich der Sohn nicht traut, den Eltern die Wahrheit zu sagen. Wenn jemand Schuld hat, dann der Werfer des Geschosses.
weil er sich in einem Artikel der Schulzeitung falsch gezeichnet sieht.
Der Erzähler und seine Familie sind Nachfahren von Schotten.
Stimmt! Manchmal neige ich dazu, Informationen vom Anfang zu verdrängen:confused:.
 
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Literaturhexle

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Zweiter Teil: Wiedergeboren

Schon an anderer Stelle habe ich auf die Parallelen hingewiesen, die offenbar alle Männer, die in Kriegen aktiv an der Front kämpfen, erlebt haben: Verlust der Individualität, nacktes Gehorchen ohne Hinterfragen. Dunny berichtet über seine Kriegserlebnisse, er hatte einige gefährliche Einsätze im Laufe der Jahre. Der letzte, der zu einer schweren Verletzung/Verbrennung führte, ließ ihn im Schlamm auf feindliche MG-Stellungen zurobben. Mehr oder weniger zufällig konnte er die drei Soldaten hinter der Stellung liquidieren. Diese aus seiner Sicht "schändliche " Tat bringt ihm später den Victoria-Orden und andere Ehrungen ein. Aber der Reihe nach.

[zitat]Und natürlich habe ich Leichen gesehen und mich an ihr belangloses Aussehen gewöhnt, denn ein toter Mensch, dem Gott sein Gepränge versagt, ist etwas schrecklich Nichtssagendes. Schlimmer als das, sah ich Männer, die noch keine Leichen waren, es aber bald sein würden, und den Tod herbeisehnten. 107[/zitat]
Es sind diese Reflexionen, die das Buch so wertvoll machen.

Dunny ist ein Leser, hat jedoch nur das Neue Testament zur Verfügung, das er ständig mit sich herumschleppt und den Beinamen "Prediger" erhält. Aufgrund einer gelungenen Parodie wird er später zu "Charlie" (Chaplin). Seine letzte Schlacht ist gleichzeitig die schlimmste, sie wird sehr bildlich beschrieben. Am Ende findet er eine Kapelle und sieht in einer Madonna das Antlitz Mrs. Dempsters - und verliert für Monate das Bewusstsein.

Er wacht in einem Krankenhaus wieder auf (deshalb der Titel "Wiedergeboren") und erfährt vom Tod seiner Eltern, der ihn wenig berührt.
[zitat]Ich wusste, dass sie (die Mutter) meinen Vater gequält hatte und war glücklich, mich nicht länger dagegen wehren zu müssen, auch gequält zu werden. 125[/zitat]

Dunny beginnt ein Verhältnis mit der adligen Krankenschwester Diana. Er erkennt sehr genau die Unterschiede der beiden Familien, genießt aber seine geistige Entwicklung in deren Hause. Eine Zeitlang scheint es, als strebe Diana eine Eheschließung an. Dunny wehrt sich diplomatisch (herrliche Szenen;)), schließlich gelingt es ihnen, Freunde zu bleiben.

Der König überreicht die Helden-Medaille. [zitat]Wie beide sind Symbole für die Öffentlichkeit: Er das Symbol des Königtums, ich das Symbol des Heldentums, unwirklich, aber äußerst notwendig. 134[/zitat]

Dunny weiß noch immer nicht, was er mit seinem Leben beginnen soll. Nach der Klärung der Verhältnisse mit Diana, kehrt er zunächst zurück nach Kanada. Dort wird ein riesiger Empfang für ihn und fünf weitere Veteranen gegeben. Viele Reden, Theater, gutes Essen - unterhaltsam zu lesen, aber auch etwas langatmig. Dunny treibt sein Späßchen mit Percy und Leola:), kehrt noch einmal ins Elternhaus zurück, das er anschließend wohl verkaufen wird. Beim Friseur (furchtbarer Kerl) erfährt er, was aus Mrs. Dempster und ihrer Familie geworden ist: Ihr Mann starb ebenfalls an der Spanischen Grippe, der Sohn wurde in der Schule ihretwegen gemobbt und schloss sich letztlich einem Zirkus an. Sie verlor den Verstand und wurde von einer Tante in Obhut genommen nach Weston.

Ich begreife nicht, warum Familie Dempster diesen Ort nicht verlassen hat. Es war doch klar, dass man über die Episode mit dem Landstreicher nie würde hinwegsehen können.
Aber dann wäre auch die Handlung eine andere;)
 

RuLeka

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Schon an anderer Stelle habe ich auf die Parallelen hingewiesen, die offenbar alle Männer, die in Kriegen aktiv an der Front kämpfen, erlebt haben: Verlust der Individualität, nacktes Gehorchen ohne Hinterfragen. Dunny berichtet über seine Kriegserlebnisse, er hatte einige gefährliche Einsätze im Laufe der Jahre. Der letzte, der zu einer schweren Verletzung/Verbrennung führte, ließ ihn im Schlamm auf feindliche MG-Stellungen zurobben. Mehr oder weniger zufällig konnte er die drei Soldaten hinter der Stellung liquidieren. Diese aus seiner Sicht "schändliche " Tat bringt ihm später den Victoria-Orden und andere Ehrungen ein.
Da waren die Parallelen zu Crane ganz deutlich, wobei Davies eine andere Schreibweise hat. Aber er bestätigt den Eindruck, den wir bei Crane gewonnen haben, wie der Krieg für den einzelnen Soldaten ist.
Es sind diese Reflexionen, die das Buch so wertvoll machen.
und auch der Blick, den der Ich- Erzähler auf sich selbst wirft: ehrlich, ohne Schönfärberei, oftmals ironisch.
n, genießt aber seine geistige Entwicklung in deren Hause. Eine Zeitlang scheint es, als strebe Diana eine Eheschließung an. Dunny wehrt sich diplomatisch (herrliche Szenen;)), schließlich gelingt es ihnen, Freunde zu bleiben.
Wunderbar, wie er aus dieser Nummer wieder rauskommt.
Erstaunlich auch, wie unkonventionell Dianas Eltern mit der Beziehung ihrer Tochter umgehen. Es scheint sie nicht zu stören, sind aber gottfroh, dass das Ganze nicht in einer Ehe endet.
Dort wird ein riesiger Empfang für ihn und fünf weitere Veteranen gegeben. Viele Reden, Theater, gutes Essen - unterhaltsam zu lesen, aber auch etwas langatmig.
Diese Szene hat mich total amüsiert. Diese Kleinstadt und ihre Honoratioren, die ihre Helden ehren. Dann ein Umzug, der immer wieder die gleichen Straßen durchzieht, und trotzdem sehr schnell vorbei ist.
Beim Friseur (furchtbarer Kerl) erfährt er, was aus Mrs. Dempster und ihrer
Ja, schrecklicher Mensch , aber wie toll ist die Personencharakterisierung. Nur durch sein Gerede erfährt der Leser das Wesentliche und gleichzeitig viel über ihn.
Ich begreife nicht, warum Familie Dempster diesen Ort nicht verlassen hat.
Dieser Mann ist unfähig, selbst sein Leben in den Griff zu bekommen. Ein Umzug und ein Neuanfang hätte ihn völlig überfordert.
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Es tut mir leid, dass ich ständig hinterherhinke, aber ich bin momentan wieder mal privat total gefordert. Denke immer, das wird mal besser...
 

Literaturhexle

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Erstaunlich auch, wie unkonventionell Dianas Eltern mit der Beziehung ihrer Tochter umgehen. Es
Das hat mich auch sehr überrascht. Wahrscheinlich schätzten sie Dunny als Mensch. Am Ende scheint es ja so, als ob sie Freunde bleiben können.
Dann ein Umzug, der immer wieder die gleichen Straßen durchzieht, und trotzdem sehr schnell vorbei ist.
Stimmt. Es gibt viele Details, die einen schmunzeln lassen. Was diese Ehrungen betrifft, so hat sich auf dem Lande nicht allzu viel verändert, allerdings bescheidet man sich mit dem Festzelt;)
Nur durch sein Gerede erfährt der Leser das Wesentliche und gleichzeitig viel über ihn.
Ja. Da kann ich nur zustimmen. Auch die Nebencharaktere werden sorgfältig und stimmig gezeichnet!
Dieser Mann ist unfähig, selbst sein Leben in den Griff zu bekommen. Ein Umzug und ein Neuanfang hätte ihn völlig überfordert.
Da gibt Es später noch weitere Perspektiven auf die Familie. Sie scheint ja auch im Mittelpunkt zu stehen, wenn man an den allerersten Absatz denkt.
Es tut mir leid, dass ich ständig hinterherhinke,
Muss es doch nicht!
Ich bin auch nocht viel weiter. Es macht Spaß, einen Austausch zu haben. Außerdem haben wir hier eine Art Lesetagebuch, wenn wir uns den Inhalt mal wieder vergegenwärtigen wollen.
 
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Literaturhexle

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3. Teil: Meine erleuchtete Närrin

Im Herbst 1919 immatrikuliert Dunstable am University College Toronto, um Geschichte zu studieren.
[zitat]Die Geschichte, so hoffte ich, würde mich lehren, welchen Gesetzen der Lauf der Welt gehorchte. 169[/zitat]
Wunderbar schildert der Erzähler, wie er überhaupt zu dem Studienplatz kam, er kann über sich selbst lachen.
Percy Boyd Staunton kreuzt seinen Weg immer wieder. Er wird uns als ein schillernder, gut gekleideter Strahlemann vorgestellt, dem alles ziemlich leicht fällt, dem die Mädchen zu Füßen liegen, der oft verschiedenen Unternehmungen nachgeht - während Dunny eher der ruhige, hart arbeitende Vertreter ist, dem nichts zufällt. Percy Boyd ändert seinen Namen in "Boy" ab, ist in seinen Geschäften erfolgreich und reicht ein paar gute Anlagetipps auch unserem Dunny weiter, der sich dadurch in Boys Schuld sieht, weil er sein bescheidenes Vermögen tatsächlich etwas erhöhen kann.
[zitat]Ich kann mir sein diesbezügliches Verhalten nur damit erklären, dass er mich gemocht haben muss. Auf eine Art allerdings,die, wie sich hoffentlich noch im Lauf meines Berichts zeigen wird, nicht leicht zu ertragen war. 175[/zitat]
Wiederholt weist der Erzähler hier auf seine mögliche Schuld hin, die sich am Ende des Berichts aber relativieren dürfte. Ich bin gespannt!

Boy eifert immer irgendwelchen Vorbildern nach (Prince of Wales, Scott Fitzgerald,..) und hat viele sexuelle Abenteuer. Dunny verachtet ihn dafür, ist aber auch von Neid erfüllt.
Das gilt auch für Leola: [zitat]Ich wollte sie nicht besitzen, ärgerte mich aber, dass er sie besaß.179[/zitat] Man spürt, wie kritisch der Erzähler in der Reflexion mit sich selbst und seinen Gefühlen zu Gericht geht.

Nach dem Abschluss wird er Lehrer am Colborne College, wo er mehr als 40 Jahre bleiben wird. Er bezeichnet sich als guten, gerechten Lehrer, hat im Laufe der Jahre ein paar Liebschaften, hat aber Komplexe wegen seiner Verletzung.
[zitat]Ich trank den belebenden Tropfen aus dem Kessel der Ceridwen.[/zitat] Nach der keltischen Mythologie ist das der Trank der Weisheit, der Hässlichkeit ausgleichen soll;)
Boy und Leola heiraten und gehen nach Europa auf Hochzeitsreise. Dunny ist auf demselben Schiff, allerdings in der 3. Klasse. Großmütig wird er dort von Boy besucht, der von einem interessanten Reverend berichtet (wieder so eine nette Nebenfigur!)
Dunny bereist Europa auf der Suche nach religiöser Kunst. Er vergleicht die Bibel mit den Geschichten aus 1001 Nacht, findet in seiner Religion und den Heiligen eine neue, individuelle Glücksseligkeit.

Boy "erzieht" Leola und sie geht in der Liebe zu ihm auf, passt sich seinen Wünschen an. Mittlerweile ist Dunny auch überzeugt, dass er mit Leola nie glücklich geworden wäre, sie ist ihm zu einfältig.
Dunny entwickelt sich zu einer Art Fachidiot und nervt mit seinen Heiligen.[zitat]Wenn du dich nicht beeilst und dem Leben deine Wünsche kundtust, wird das Leben dir verdammt bald zeigen, was es dir zugedacht hat.[/zitat] Diesen guten Rat will Dunny aber nicht befolgen, er vertraut auf das Schicksal, das ihn tatsächlich unter seine Fittiche nimmt.

Im Rahmen einer dienstlichen Charity-Veranstaltung wird Joel Surgeoner eingeladen, der sich um Obdachlose kümmert. Dunny erkennt in ihm den Landstreicher wieder, mit dem sich einst Mrs. Dempster eingelassen hatte! Joel erzählt seine interessante Geschichte, die ihn einst in Dunnys Dorf brachte. Für ihn war Mrs. Dempster eine Heilige, durch die Gott gewirkt hat. Sie hat ihn auf den rechten Weg gebracht, durch die Barmherzigkeit, die sie an seinem Körper geübt hat.:eek:

Durch diese Geschichte verfestigt sich Dunnys fester Glaube, dass Mrs Dempster eine Heilige sein muss (sie hatte ja bereits seinen Bruder wieder zum Leben erweckt!). Der katholische Pfarrer seines Heimatortes lacht ihn jedoch mehr oder minder aus:
[zitat]Das arme Ding ist bestenfalls eine erleuchtete Närrin. Und ich rate Ihnen dringend, halten Sie sich von ihr fern! 215[/zitat]

Dunny fährt nach Weston. Mrs Dempster rennt allerdings bei der Nennung des Namens ihres Sohnes davon. Sie ist sehr verstört. In Folge versucht Dunny, sich bei der Tante beliebt zu machen und bekommt einiges über den Ehemann Amasa erzählt, über dessen Werbung die Tante nicht glücklich war. Er war ein ziemlich stolzer Frömmler. Offensichtlich hat die Tante ein großes schlechtes Gewissen, das sie jetzt auszugleichen versucht mit ihrer Fürsorge. War es nur das Zerwürfnis mit Amasa? Oder kommt da noch mehr? Das Leben Marys mit Amasa sei freudlos und ohne Wärme gewesen, sagt sie.

Jedes Jahr reist Dunny in Sachen seiner Heiligen durch die Welt. In Frankreich (?) trifft er zufällig auf einen Zirkus, der ihn neugierig macht, weil dort allerlei "Montrositäten" ausgestellt werden. Am Ende der Vorführung trifft er auf Paul Dempster, der dort als Zauberkünstler Karten- und Münztricks vorführt und sich Faustus nennt. Paul möchte weiter als verschollen gelten, er hat keine Bindung zu seiner Mutter, wohl aber zu einem väterlichen Mentor namens Le Solitaire, der ihn bei der ärmlichen Truppe hält. Nach dem Gespräch vermisst Dunny seinen Geldbeutel - vermutlich wurde er von Faustus gestohlen;)

Puh! Viel zu lang. Aber es ist schwer einzuschätzen, ob die kleinen Nebengeschichten nicht doch noch Gewicht bekommen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Einfach toll, wie Du alles so zusammenfasst. Ich nehme mir leider fast nie die Zeit dazu ( das rächt sich dann allerdings beim Rezensionen schreiben).
Ja, hier passiert enorm viel und es gibt auch jede Menge unglaublicher Zufälle, so z.B. dass Boy auf dem gleichen Schiff ist, dann das Zusammentreffen mit dem ehemaligen Landstreicher und mit dem Sohn der Dempsters ( ausgerechnet in Titol ).
Ich genieße nach wie vor den Stil und die Sprache, frage mich aber, wo diese Zufälle alle hinführen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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nehme mir leider fast nie die Zeit dazu ( das rächt sich dann allerdings beim Rezensionen schreiben).
Ich auch nicht;)
Aber bei diesem Buch würde ich den Überblick verlieren, was sehr schade wäre.
Was hat es mit dem Ort Titol auf sich?

Wir bekommen ein immer detaillierteres Bild von Boy gezeichnet, der dabei nicht gut wegkommt. Immer aus der Sicht des unzuverlässigen Erzählers. Ich bin gespannt, Wir auf das alles hinausläuft und wie der Titel sich noch erschließt.
 

RuLeka

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Ich auch nicht;)
Aber bei diesem Buch würde ich den Überblick verlieren, was sehr schade wäre.
Was hat es mit dem Ort Titol auf sich?

Wir bekommen ein immer detaillierteres Bild von Boy gezeichnet, der dabei nicht gut wegkommt. Immer aus der Sicht des unzuverlässigen Erzählers. Ich bin gespannt, Wir auf das alles hinausläuft und wie der Titel sich noch erschließt.
Tirol

unzuverlässiger Erzähler, Du sagst es!
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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4. Teil: Gyges und König Kadaules

Boy Staunton ist während der Wirtschaftskrise ein erstaunlich erfolgreicher Geschäftsmann. Er verdient an Genussmitteln vieler Art. Er ist fleißig, risikofreudig und findig. Seinem Vater zuliebe investiert er jedoch nicht in Alkoholika. Aufgrund seines Erfolges wird er von vielen Menschen kritisch beäugt. Er selbst blendet gern mit seinen vermeintlich guten Verbindungen zum Prinzen von Wales…

Seine Frau Leola kann mit dieser seiner Entwicklung nicht Schritt halten. Sie versucht, sich weiterzubilden, sich anders zu kleiden, anders zu sprechen, aber sie genügt nie den Ansprüchen ihres Mannes. Sie kann einem leidtun. Dunny gegenüber spricht Boy über die Probleme mit seiner Frau. Meist hält sich Dunny bedeckt. Eines Tages zeigt Boy seinem Freund aber Nacktfotos von Leola in deren Beisein, was ihr sehr unangenehm ist. „Ihre Schönheit hat ebenso viel persönliche wie öffentliche Bedeutung.“244 An dieser Stelle zeigt Dunny seinen Unmut und erzählt die Geschichte von Gyges und König Kandaules…

Ich frage mich auch, warum Boy das tut. Es scheint ihn ja zu erregen (9 Monate später wird David geboren). Will er Dunny zeigen, was er verpasst hat? Will er seine Frau anpreisen? Ich halte seine Motive für egoistisch: Es geht wohl um den eigenen Lustgewinn. Komischer Vogel!

Alle 14 Tage besucht Dunny Miss Shanklin und Mrs Dempster. Dort lernt er deren Anwalt Orpheus Wettenhall kennen, einen passionierten Jäger. Nach 4 Jahren der Besuche verstirbt Miss Shanklin plötzlich. Dunny soll Vormund von Mrs Dempster werden. Nach Angaben des Anwalts hinterlässt die Verstorbene ein umfassendes Vermögen. Dunny beschließt, das Mandat anzunehmen, um damit weiterhin seine Schuld zu tilgen. Dann kommt die Nachricht des „Unfalls“ von Wettenhall. Dieser hat offenbar das Vermögen Miss Shanklins und vieler anderer Mandanten veruntreut. Durch die Wirtschaftskrise konnte er die Verluste nicht mehr kompensieren und sah im Freitod die einzige Lösung. Trotzdem übernimmt Dunny die Vormundschaft, kann sein Mündel aber nur in einer öffentlichen Anstalt für Geisteskranke unterbringen, der dort „vorherrschende Geruch war die unverwechselbaren Ausdünstungen der Verzweiflung“. Dunny hat aber keine anderen Möglichkeiten. Er unterstützt sie bis zu ihrem Tod 1959.

Dunny tritt mit den Bollandisten in Verbindung, die eine Heiligenchronik herausgeben. Er ist sehr stolz, als er einen Beitrag dafür veröffentlichen kann und in ihren Kreis, trotz seines Protestantismus, aufgenommen wird. Witzig, dass er nun aufgrund seiner Anerkennung bei Boy stärker geschätzt wird und nicht mehr nur alleiniger Gast ist. Wunderbar geschildert die Gespräche bei Tisch über die „einfachen Zeitgenossen“ – ein arroganter Haufen! Nebenbei "zerstört" Boy seine Frau.

In Padre Blazon findet Dunny einen Vertrauten, der seinem Gewissen auf den Grund geht. Er motiviert ihn, sich zwar weiter um Mrs Dempster zu kümmern, versucht ihm aber klar zu machen, dass ihn keine persönliche Schuld an ihrem Schicksal trifft. Er solle nicht Gott spielen. Dieser Mann ist herrlich klar. Ich habe seine Ausführungen über die Schattenseiten Heiliger und seine Ratschläge gerne verfolgt. „Wunder sind sehr zeit- und ortsgebunden und abhängig von unserem Wissenshorizont.“ Wie wahr!

Mit viel Überwindung und als „lebenslange Strafe“ besucht Dunny seine Heilige wöchentlich im Sanatorium. Die Verhältnisse belasten ihn, haben die Bewohner doch immer die Hoffnung, befreit zu werden. Er bittet zu keinem Zeitpunkt Boy um (finanzielle) Unterstützung. Er will Mrs Dempster für sich alleine haben, was aus meiner Sicht auch einen gewissen Egoismus offenlegt, oder?

Der Kontakt zu Familie Staunton intensiviert sich: „Boy wollte mich um sich haben, wie er wertvolle Bilder und Teppiche um sich haben wollte.“ 282 Ob das stimmt? Dunny müsste die Einladungen ja nicht annehmen? Was reizt ihn? Es muss so eine Art Hassliebe sein, er möchte weiterhin nah an seinem Freund dran sein. Uns gegenüber führt er auch den guten Rat an, den Boy ihm in Geldanlagegeschäften gibt.

Boy gerät wieder ins alte Fahrwasser. Sein großer Sexhunger bringt ihn zu zahlreichen Affären, die seine Frau sehr verletzen. Angabegemäß versucht Dunny, Leola zu unterstützen, muss allerdings immer damit rechnen, dass sie ihm dabei in den Rücken fällt. Sie ist ein bemitleidenswertes Frauenzimmer! Auch den Sohn David erzieht Boy in einem grauenhaft antiquierten Männlichkeitsethos. Interessant dagegen die Beobachtung, dass Boy sich in der Firma nett anzusehende Angestellte unterhält („Firmen-Homosexualität“).

Boy stürzt in eine Depression, als König Edward, sein Idol, abdankt. In Folge trinkt er und tyrannisiert seine Familie am Weihnachtsabend 1936. Zu allem Überfluss findet Leola erneut einen Beweis für seine Untreue: „Deine Stellung ist absolut ungefährdet.“, tröstet sie nicht. Leola will in ihrem Kummer von Dunny geküsst werden, bietet sich auch für mehr an. Außer dem Kuss geht Dunny nicht auf das Angebot ein. Er empfindet nur noch Mitleid für sie und geht nach Hause. Später wird Dunny zur Hilfe gerufen: Leola hat sich die Pulsadern aufgeschnitten und einen ihn kompromittierenden Brief (wie blöd ist die Frau?!) hinterlassen, den die Haushälterin zum Glück abfängt. Die Kinder leiden in Folge am meisten unter der familiären Situation.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Interessant, was man hier alles lernt. Hast Du schon jemals von den Bollandisten gehört?
 

RuLeka

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Ich frage mich auch, warum Boy das tut. Es scheint ihn ja zu erregen (9 Monate später wird David geboren). Will er Dunny zeigen, was er verpasst hat? Will er seine Frau anpreisen? Ich halte seine Motive für egoistisch: Es geht wohl um den eigenen Lustgewinn. Komischer Vogel!
Sehr sonderbares Verhalten.
 

RuLeka

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Was reizt ihn? Es muss so eine Art Hassliebe sein, er möchte weiterhin nah an seinem Freund dran sein. Uns gegenüber führt er auch den guten Rat an, den Boy ihm in Geldanlagegeschäften gibt.
Das frage ich mich auch. Die Verbindung aus der Kindheit kann es eigentlich nicht sein. Schon damals waren sie völlig verschieden. Sicher, Boy braucht jemand, der sich seine Geschichten anhört und ihn bewundert, aber warum lässt sich Dunny dazu her. Beide bewegen sich in völlig verschiedenen Kreisen.
Aber Dunny hat eh keine normale Beziehung zu jemandem. Auch seine Beschäftigung mit Heiligen aus aller Welt ist nicht gerade das, was Männer im besten Alter so treiben.
 
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