1. Wie fandest du die Entwicklung Jaufrés. Er ist ja vom Rabenvater, dann Heimkehrer zum Beschützer seiner Familie geworden.
Anfangs habe ich Jaufré als Held ohne Fehl und Tadel gesehen. Doch meine Meinung änderte sich, in dem Moment, wo Noura gestorben ist und Jaufré sich gehen ließ. Alkoholexzesse, Weiber etc., angesichts der Situation nachvollziehbar, dass es Jaufré den Boden unter den Füßen wegzog. Allerdings erfuhr der Leser gleichzeitig, dass es noch eine Ehefrau in Frankreich gab sowie einen Sohn. Das ist natürlich ein Punkt, der moralisch nicht mehr zu rechtfertigen ist, wodurch mein Held auf einmal nicht mehr so strahlend und unfehlbar war. Natürlich änderte sich das im Verlauf der Geschichte. Der Jaufré, den ich zu Beginn der Geschichte kennen lernen durfte, war für mich jemand, der noch nicht gereift war. Er hatte zwar Verantwortung – ganz allein durch seine Position -, aber diese Verantwortung beschränkte sich letztendlich auf seinen „Job“. Die Verantwortung für seine Familie und sein Heim in Tripolis teilte er sich mit Noura, wobei ich davon ausgehe, dass sie sich hauptsächlich um Haus, Hof und Kind gekümmert hat und er sich um seine Arbeit.
Nachdem Noura gestorben ist und Jaufré das „Tal der Tränen“ durchschritten hat, lernt er, mit der Verantwortung für seine Familie umzugehen. Er wächst sozusagen mit der Aufgabe. In Frankreich reift er zum Familienoberhaupt, dem nichts wichtiger ist als das Wohl seiner Familia. Er möchte, dass alle, die ihm wichtig sind, ein glückliches und zufriedenes Leben führen (Jaufré eingeschlossen). Dafür verzichtet er sogar auf sein Erbe und die damit verbundenen Machtansprüche. Hut ab!
2. Jaufrés Beziehungen zu seinen Frauen
Ich finde es bemerkenswert, dass in einer von Männern dominierten Welt, die Frauen gleichberechtigt behandelt werden. Nichts anderes hat Jaufré gemacht. Aber wahrscheinlich ist ihm das in die Wiege gelegt worden. Seine Kindheit hat er ohne Vater verbracht und wurde von Frauen groß gezogen. Dabei hatte er es mit starken Persönlichkeiten zu tun, die durchaus in der Lage waren, ihre „Frau“ zu stehen. Insofern hatte er mit Sicherheit keine Probleme damit, Frauen als gleichberechtigt zu behandeln. Die Frauen haben ihm ja vorgemacht, dass sie in der Lage sind, ihr Leben allein zu meistern, also alles andere sind als das schwache Geschlecht.
Auffällig ist für mich, dass die Frauen in Jaufré’s Leben ihm immer den Hals gerettet haben. (Abgesehen von Noura; ich habe zuwenig von ihr mitbekommen, um ihre Rolle beurteilen zu können)
Da haben wir seine Mutter Anhès, die ihm wahrscheinlich das Leben gerettet hat, indem sie ihn als Säugling weggegeben hat und von anderen hat groß ziehen lassen, die ihn dann als ihr Kind ausgaben. Natürlich auch Joana, die ihn während seiner Kindheit und darüber hinaus begleitet hat und dabei sein Geheimnis gehütet hat; und Berta, die trotzdem sie von Jaufré sitzen gelassen wurde, seine Burg gehütet hat (auch, wenn sie davon ausgegangen ist, dass Jaufré tot ist) und ihm somit überhaupt die Rückkehr ermöglicht hat. Es wäre ein leichtes für sie gewesen, in der Zwischenzeit zu heiraten und Jaufré’s Besitz an ihren neuen Ehemann zu übertragen. Das hat sie aber nicht getan bzw. erst als es scheinbar keinen Ausweg mehr für sie gab, in Erwägung gezogen.
Also ohne die Frauen in seinem Leben, wäre Jaufré nicht das, was er ist.
3. Wie empfandest du die Frauenfiguren, Bertha, Joana, die Mutter?
Berta und Joana sowie Cecilia sind für mich ganz starke Frauen. Einerseits widmen sie sich aufopferungsvoll ihrer Familie, kümmern sich und bemuttern. Andererseits sind sie aber durchaus in der Lage, ihren Mann zu stehen, wenn’s darauf ankommt und notwendig ist. Sie scheuen sich nicht, Verantwortung zu übernehmen. Vom „schwachen Geschlecht“ kann hier wirklich nicht die Rede sein.
Bei Anhès tue ich mich schwer. Ich habe kein klares Bild von ihr. Sie ist für mich die Frau, die eine Vernunftehe eingegangen ist und sich dann unglücklich verliebt, anschließend ein Kind bekommt, dieses weggibt, um es zu schützen und sich dann wieder zurück zieht und in ihr Schicksal fügt. Der Verzicht auf ihr Kind ist natürlich ein brutaler Schritt, der eine enorme Willenskraft voraussetzt. Aber mir fällt schwer, an dieser Stelle mehr über Anhès zu schreiben.