Altersflecken

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Die Geschichte präsentiert uns die leicht depressive Gedankenwelt eines alten Mannes, der seine runde Geburtstagsfeier vorbereitet und in dieser Situation ins Nachdenken über die Vergangenheit kommt. Hängen bleibt er dabei vor allem an der Geschichte einer Affäre, der er nachspürt und Vergangenes versucht wiederaufleben zu lassen.
Die Geschichte hat mich reichlich unbeeindruckt gelassen, muss ich sagen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Geschichte hat mich reichlich unbeeindruckt gelassen, muss ich sagen.
Nein. Das kann ich nicht sagen. Mir hat sie gefallen. Sicherlich kann ich mich in die Gedankenwelt nicht komplett einfühlen, erstens weil mir noch rund 20 Jahre fehlen und zweitens, weil ich bislang nicht mit getroffenen Entscheidungen hadere.

Dass viele an runden Geburtstagen zurückblicken, ist jedoch nicht neu. Es ist vorstellbar, dass diese Rückblicke sich im Alter intensivieren: die Lebenszeit läuft ab und die Zeit (zum Sinnieren) wird mehr.
 

Literaturhexle

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Mir gefällt die Sprache, in der erzählt wird. Der Erzähler schildert relativ unpathetisch. Seinen 70. Geburtstag feiert er groß, fast alle Geladenen kommen. Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass er in seinen Kreisen beliebt war/ist und Anerkennung genießt? Es ist doch keine Selbstverständlichkeit, dass Schul- und Studienfreunde dafür eine weite Reise in Kauf nehmen. Er muss die Kontakte gepflegt haben. Hier sehe ich den Gegensatz zu dem einsamen Eremiten, von dem der Hauptteil der Geschichte handelt. Insofern gewinnt die Vokabel "Altersdepression" für mich an Bedeutung.

Der Erzähler hatte eine anspruchsvolle Mutter, deren Erwartungen maßlos waren. Das sieht er als Ursache, warum er im Leben mehr nach den Erwartungen anderer (meist Frauen) gelebt hat als nach seinen eigenen Vorstellungen. Als Ehemann und Vater fühlt er sich als Versager (S.205)

Er fängt an, abends ruhelos durch die Straßen zu ziehen. Schließlich findet er eine schöne Bank am Kanal, wo er etwas Ruhe findet:
[zitat]Er saß auf der Bank, die laue Luft war nachsichtig, und er dachte schon, er könne die Vergangenheit wie ein gefaltetes Papierschiffchen auf den Kanal setzen und davonschwimmen lassen (S. 207).[/zitat]
Ist das nicht ein wunderschönes Bild?
Dort sieht er auch die junge Frau, die ihn an eine frühere Beziehung erinnert, die der neben seiner Ehe (hier wirkt das vorher Geschriebene obsolet, denn definitiv erfüllt er mit dem Seitensprung nicht die Erwartungen seiner Gattin:confused:).

Ich habe seine Erinnerungen über die Beziehung gerne gelesen. Bestimmt erscheint sie ihm im Nachgang in etwas rosarotem Licht, denn offenbar hat er weiter mit seiner Frau verkehrt, sie wurde ja schwanger, und sich recht schmerzfrei von der Geliebten getrennt.
Doch er geht auch kritisch mit sich selbst zu Gericht, er sieht den Egoismus, der seinem Verhalten zu Grunde liegt (S. 212).

Hier fand ich es schön, dass der Erzähler Adele tatsächlich noch einmal treffen konnte. Sie fühlte sich offensichtlich längst nicht so verletzt, wie er befürchtet hatte. Ihre gemeinsame Geschichte hat einen besonderen Platz in ihrem Leben. Sie hatte aber keine größeren Erwartungen daran und ist in keiner Weise verbittert.

Mir gefällt diese Frau, die distanziert und zufrieden auf ihr Leben blicken kann und auch die Vergangenheit als "Altersflecken" akzeptieren kann.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Eine ruhige, unaufgeregte Erzählung, die mir auch gefiel. Wie schön, dass der Ich- Erzähler wenigstens eine der alten Geschichten, die ihn belasten, auf diese Weise zu einem guten Abschluss bringen konnte. Kitschig wäre es geworden, wenn die beiden ihre frühere Beziehung wieder aufgefrischt hätten.
 

Circlestones Books Blog

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Diese wunderbar poetische, ruhige Geschichte hat mich mit der "Geliebten Tochter" versöhnt, Es ist wohl gerade die Vielfalt der Geschichten, Entscheidungen, Gefühle und Schicksale, die den Autor auszeichnet. Auch ich stelle seit Jahren fest, dass ich mich mit zunehmendem Alter an Details aus meinem Leben erinnere, an die ich schon sehr lange nicht gedacht hatte. Auch kritisch, es kommen dann diese "was wäre gewesen, wenn"-Gedanken, mit denen man lernen muss umzugehen, um eben nicht eine Art Depression zu verfallen, wie bei unserem Protagonisten von seinem Neurologen-Freund festgestellt. Für mich fühlt es sich sehr positiv an, wie viele Freunde und Bekannte seiner Einladung gefolgt sind und wie sich daraus eine homogene Gruppe bildet. Durch dieses Treffen mit Adele kann er vermutlich mit dem Erwartungsdruck seiner Mutter und dann auch seiner Ehefrau abschließen und damit auch mit den vielen kleinen Erinnerungen daran,
 

Querleserin

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Auch wenn mir noch ein paar Jahre bis zu 70 fehlen ;) kann ich die Gedanken durchaus nachvollziehen. Der Rückblick auf das Leben, die verpassten Gelegenheiten, was wäre gewesen wenn...
Die versöhnliche Situation mit der einstigen Geliebten ist ein rundes Ende für die Geschichte, die mir wieder sehr gut gefallen hat.
 

SuPro

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Das Fest zum 70. Geburtstag scheint ein Wendepunkt zu sein. Plötzlich wiegt die Vergangenheit mehr, als die Gegenwart.
Erinnerungen jeglicher Couleur und Gefühle jegliche Schattierung drängen sich in den Alltag des Protagonisten. Er wird melancholisch bis subdepressiv.
Was ihm hilft, sind ein paar Bierchen oder Rast auf einer Bank nach stundenlangem Gehen.
Hier geht es um einen Mann, der von Kindesbeinen an gewohnt war, Erwartungen zu erfüllen.
Sein Glück fand er in einer unverbindlichen Beziehung, in der er das Gefühl hatte, frei zu sein.
Bzw. , er meint rückblickend, es dort gefunden zu haben, es aber durch Trennung und Rückkehr zu seiner Frau wieder zerstört zu haben.
Jetzt, nach seinem 70. Geburtstag versucht er am damaligen Glück anzudocken oder seine Stimmung wieder aufzuhellen, indem er Adele aufspürt.
Das ist nun die erste Geschichte in diesem bisher grandiosen Band, mit der ich nur wenig anfangen kann. Sie spricht mich nicht so wirklich an.
 
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SuPro

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Nein. Das kann ich nicht sagen. Mir hat sie gefallen. Sicherlich kann ich mich in die Gedankenwelt nicht komplett einfühlen, erstens weil mir noch rund 20 Jahre fehlen und zweitens, weil ich bislang nicht mit getroffenen Entscheidungen hadere.

Dass viele an runden Geburtstagen zurückblicken, ist jedoch nicht neu. Es ist vorstellbar, dass diese Rückblicke sich im Alter intensivieren: die Lebenszeit läuft ab und die Zeit (zum Sinnieren) wird mehr.
Ich empfinde die Geschichte als ganz nett und unterhaltsam, aber da sind keine differenzierten, komplexen oder analytischen Gedanken dabei, so wie ich das von den vorherigen Geschichten gewohnt bin. Für mich ist sie nichts besonderes.
 

SuPro

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definitiv erfüllt er mit dem Seitensprung nicht die Erwartungen seiner Gattin
... Das stimmt. Aber so etwas ist sehr häufig. Menschen die ganz extrem in diesem erwartungserfüllenden Modus unterwegs sind, suchen und finden das Gefühl von Freiheit meist in geheimen Seitensprüngen und außerehelichen Beziehungen.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Eine Geschichte mit vielen schönen Bildern. Der Geburtstag mit den vielen Begegnungen von Weggefährten führt ihn in die Vergangenheit und er erinnert sich an Peinlichkeiten, verpasste Gelegenheiten und das belastet ihn.

Allerdings habe ich keinen richtigen Zugang zu dieser Erzählung gefunden, sie hat mich nicht berührt, wie die anderen Abschiede in diesem Buch.
 

parden

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Ich habe diese Erzählung nicht ungern gelesen, aber nach der tiefgehenden Geschichte davor fand ich diese hier im Vergleich doch etwas blass und auch ich blieb hier ziemlich außen vor. Das Bild, Peinlichkeiten, Fehler und Gemeinheiten der Vergangenheit als Altersflecken zu sehen, hat mir aber gut gefallen... :) Zu viel Grübeln hilft eben auch nicht, es ist was es ist.
 

kingofmusic

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Auch wenn ich noch weit von dem Alter der Altersflecken entfernt bin: ich kann mich sowas von gut in den alten Herrn hineinversetzen. Die Geschichte hat mich nicht nur sprachlich, sondern auch emotional getroffen. Ich habe mir auch noch Notizen zu der Geschichte gemacht, die ich morgen hier noch einstellen werde, da ich sie momentan nicht abrufen kann.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich bin etwas zwiegespalten......die Geschichte ließ sich für mich gut nachvollziehen. Auch wenn ich noch nicht ganz so alt bin, kenne ich das Gefühl kritisch zurückzublicken und kann mich daher teilweise gut reindenken in die Handlung. Aber irgendwie sprang hier kein Funke über. Es nahm mich nicht mit, das trifft es glaube ich am Besten.
Das Ende wurde durch das prägnante Wort der ehemaligen Gelibeten aber zu etwas besonderem. Es hat mir unheimlich gut gefallen, dass dieses Wort so viel an Interpretationen zulässt. Mir ging direkt durch den Kopf, dass damit ja nicht zwangsläufig die Flecken auf der alternden Haut gemeint sein müssen. Das Wort steht hier für die Narben, Erlebnisse und all die Dinge die jeden Einzelnen auf seinem Weg zum alt werden prägen. Egal ob es gute oder schlechte Erfahrungen sind, alles beeinflusst uns im Grunde auf diesem Weg.
 
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wal.li

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1. Mai 2014
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Ich empfinde die Geschichte als ganz nett und unterhaltsam, aber da sind keine differenzierten, komplexen oder analytischen Gedanken dabei, so wie ich das von den vorherigen Geschichten gewohnt bin. Für mich ist sie nichts besonderes.

Das ging mir auch so. Die älteren Leute in meiner Umgebung waren in dem Alter auch nicht so drauf.
 
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