9. Leseabschnitt: Siebzehntes Kapitel bis Achtzehntes Kapitel (S. 497 bis Ende)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Ein echter Kulminationspunkt bringt hier der Roman: Thomas und Katia reisen nach Deutschland auf Vortragsreise, und sie lassen sich selbst, ihre Umwelt und auch uns als Leser lange im Dunkeln darüber: werden sie nach Ostdeutschland fahren? Und dann platzt noch der Tod von Klaus in Cannes in diese Zeit und die Risse innerhalb der Familie, in diesem Geflecht von so unterschiedlich angelegten Charakteren und Lebensentwürfen, treten deutlich wie nie hervor. So bricht es aus Michael hervor:
Ich bin mir sicher, dass die Welt Dir für die ungeteilte Aufmerksamkeit dankbar ist, die du stets deinen Büchern geschenkt hast, aber wir Deine Kinder, bringen Dir keinerlei Dankbarkeit entgegen - noch übrigens unserer Mutter, die an Deiner Seite saß.....
Und auch das Verhältnis zum vergangenen und zu einem möglichen neuen Deutschland steht weiter prominent auf dem Spannungsbogen des Romans und fesselt meine Aufmerksamkeit
Am meisten verblüfften Thomas die Artikel, die ihn dafür kritisierten, dass er nicht, wie andere es getan hatten, während der schweren Zeit in Deutschland geblieben war
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Der Tod von Klaus scheint niemanden richtig überrascht zu haben. Man hat es kommen sehen. Die Reaktion der Eltern wirkt sehr distinguiert. Katia schiebt es von sich weg, sie will allein sein und gar nicht darüber sprechen. Es wirkt unglaublich auf mich, dass sie nicht zur Trauerfeier nach Frankreich fahren, dass sie Michael die Beerdigung organisieren lassen. Es wirkt wie selbstverständlich, als seien nicht die Eltern als nächste Verwandte dafür verantwortlich.
Klaus hat seinen Eltern stets Kummer gemacht, sie hatten ihn aufgegeben. Trotzdem kann ich diese Reaktion nicht nachvollziehen (vielleicht kann man es nur, wenn man ein solches Sorgenkind hat).
Jeder will diesen Tod für sich allein verarbeiten. Sagt das nicht auch etwas über die Familie aus? Markant, dass Heinrich Teilnahme zeigen kann und weint.

Toll, dass sich T.M. erneut nicht vor verschiedene Karren spannen lässt. Trotz Drohungen besucht er Ostdeutschland.
Auch als amerikanischer Staatsbürger bleibe ich ein deutscher Schriftsteller und treu der deutschen Sprache, die meine eigentliche Heimat ist. 514
Klare Ansage.

Familie Mann wird letztlich in der deutschsprachigen Schweiz eine neue Heimat finden. Dort schreibt er auch seinen Schelmenroman Felix Krull weiter. Einfühlsam sind die letzten Zeilen des Romans formuliert. Mit Thomas geht es zu Ende. Das Buddenbrook-Haus in Lübeck wird wieder aufgebaut und er möchte das mit seinen verstorbenen Lieben teilen.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe heute ein antiquarisches Exemplar von "Doktor Faustus" bekommen, Aufbau Verlag 1961. Darin liegt ein Zeitungsausriss, der wohl auch ungefähr aus dieser Zeit stammt, ich weiß nicht aus welcher Zeitung. Ein ganzseitiger Artikel über Thomas Mann. Da lese ich, Thomas Mann "ermisst die groén Vorgänge, die in der Sowjetunion ein böllig neues Weltbild gestalten" und es folgen zwei zitierte Äußerungen, die er getan haben soll: "Die Welt, die nach uns kommt, ist schwerlich ohne kommunistische Züge vorzustellen, das heißt, ohne die Grundidee des gemeinsamen Besitz- und Genussrechtes an den Gütern der Erde, ohne fortschreitende Einebnung der Klassenunterschiede, ohne das Recht auf Arbeit und die Pflicht zur Arbeit für alle."
Und weiter unten: "Der Antibolschewismus ist die Grundtorheit unseres Jahrhunderts."

Es dürfte sich um ein DDR-Blättchen handeln. (Auf der Rückseite ist ein bebilderter Artikel übers Zelten in der Natur, herzallerliebst formuliert.)
Hmpf. Schon interessant.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Dass die Eltern nicht zur Beerdigung ihres Sohnes Klaus fahren, kann ich verstehen. Katia bringt es auf den Punkt: Es bringt ihn nicht zurück. Ich kann es verstehen, dass sie diese Dinge nicht brauchen. Beerdigungen sind für die Hinterbliebenen.
Aber der Brief, den Michael schreibt, sagt noch etwas anderes: Die Eltern haben Klaus nicht geschätzt. Und das ist schlimm. Aber wer sind wir, dass. Wir können nicht in ihre Herzen sehen.

Dass die Manns zu einer Europareise antreten, ist ihrer Eitelkeit geschuldet.

Sie verscherzen es sich mit ihrer Wahlheimat Amerika, der sie nie die Chance gaben, richtige Heimat zu werden. Das nehme ich übel. Sie sind undankbar.

Dann wohnen sie in der Schweiz. Gut, das wäre ich auch hingegangen.
Und Thomas wird alt. Endlich ist er dankbar für das Geschenk Leben.

Was mir an diesem Abschnitt am Besten gefiel, ist die Kontroverse mit Schönberg.
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Sie verscherzen es sich mit ihrer Wahlheimat Amerika, der sie nie die Chance gaben, richtige Heimat zu werden. Das nehme ich übel. Sie sind undankbar.

Dann wohnen sie in der Schweiz. Gut, das wäre ich auch hingegangen.
Ich fand gerade den Zwiespalt gegenüber der alten Heimat Deutschland im Hinblick auf das, was in diesen Jahren geschehen ist, diese Überlegungen, wünscht man den totalen Untergang dieses Landes und seiner Menschen, oder doch nicht, diese innerliche Zerrissenheit besonders von Thomas Mann wird in diesem Roman hier sehr gut immer wieder beschrieben. Dass er Amerika verlassen hat, ist für mich schlüssig, besonders nach Kriegsende war er hier plötzlich nicht nur der berühmte Nobelpreisträger, sondern auch Deutscher. Der kalte Krieg, die Teilung Europas, die Kontrolle während seiner Deutschlandreise, konnte er sich in Amerika weiterhin zu Hause fühlen? Dann auch die Sprache, in der Schweiz lebte er wieder im deutschen Sprachraum. Natürlich könnte man argumentieren, dass die Manns damit genau in jenes Land zurückgingen, das ihnen 1933 zwar die Niederlassung bewiligte, nicht aber 1936 eine vorgezogene Staatsbürgerschaft. Ich vermute, Thomas Mann hat sich damals auf Grund der Nähe zu Deutschland trotz der Neutralität der Schweiz nicht mehr sicher gefühlt, deshalb dann Amerika, wohl eine Vernunftlösug.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Der Tod von Klaus scheint niemanden richtig überrascht zu haben. Man hat es kommen sehen. Die Reaktion der Eltern wirkt sehr distinguiert. Katia schiebt es von sich weg, sie will allein sein und gar nicht darüber sprechen. Es wirkt unglaublich auf mich, dass sie nicht zur Trauerfeier nach Frankreich fahren, dass sie Michael die Beerdigung organisieren lassen. Es wirkt wie selbstverständlich, als seien nicht die Eltern als nächste Verwandte dafür verantwortlich.
Klaus hat seinen Eltern stets Kummer gemacht, sie hatten ihn aufgegeben. Trotzdem kan
Auch wenn Eltern resigniert haben und schon länger mit dem Tod des Kindes gerechnet haben, so schmerzt es doch sehr, wenn das Befürchtete eintrifft. Das zeigt sich hier besonders an Katias Reaktion. Das spätere Verhalten ist nicht nachvollziehbar, aber die Manns sind hier schon speziell.
 

RuLeka

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O doch. Das ist eine typische Verdrängungshaltung. Wenn du nicht zur Beerdigung gehst, ist es für dich mehr oder weniger als ob der Betreffende noch lebt, eben nicht anwesend ist. So wie vorher auch.
Ja gut, so kann man es auch sehen und um Konventionen kümmern sich die Mitglieder der Familie Mann eh nicht.
 
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Literaturhexle

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Ja gut, so kann man es auch sehen und um Konventionen kümmern sich die Mitglieder der Familie Mann eh nicht.
Ja, aber so drücken sie ihrem Sohn die Konventionen auf. Irgendwer muss sich um das Begräbnis kümmern...
Sie sind damit erfolgreich, aber Michael kann sich nicht wegdrücken. Manche Dinge muss man erledigen, auch wenn sie schmerzlich sind. Komische Familie.
 

Sassenach123

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Aber der Brief, den Michael schreibt, sagt noch etwas anderes: Die Eltern haben Klaus nicht geschätzt. Und das ist schlimm. Aber wer sind wir, dass. Wir können nicht in ihre Herzen sehen.
Ein schwerer Vorwurf, dennoch lässt der Autor mich glauben, dass es nicht ganz so war. Kurz nach der Nachricht geht Thomas Mann in sich, und macht sich Vorwürfe, dass er nicht mehr getan hat. Er wolle die Zeit zurückdrehen, so drückte er sich aus, um Klaus mitzunehmen, in der Hoffnung es würde dann nicht geschehen. Eine sehr glaubhafte Vorstellung, aber nun mal nur die Fiktion des Autors.
 
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Sassenach123

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Der letzte Abschnitt führt mir erneut vor Augen, dass die Manns einfach ein ganz anderes Leben gelebt haben als die meisten. Einen Sohn zu verlieren ist schmerzhaft, doch sie schauen direkt nach vorn. Ich könnte dies nicht. Die Frage ist, ob es ihnen damit wirklich besser ging, oder ob sie den Entschluss, nicht zur Beerdigung zu gehen, irgendwann doch bereut haben?
Auch wenn für sie vieles schlecht gelaufen ist, waren sie dennoch um Längen besser dran als die breite Masse. Kaum jemand hätte es geschafft aus Schweden nach Amerika zu kommen unter den Bedingungen. Die Kontakte zu Agnes, alles nur durch Einfluss. Aber richtig heimisch haben sie sich wohl dennoch nirgends so wirklich gefühlt, seit sie Deutschland aufgeben mussten. Die Probleme der Kinder sind wahrscheinlich auch zum Großteil dem Wohlstand gewidmet, er bringt nicht nur Segen. Und diese Sorgen, allen voran der Tod von Klaus, ließ sich weder durch Geld noch durch Einfluss abwenden.
 

Sassenach123

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Ja, aber so drücken sie ihrem Sohn die Konventionen auf. Irgendwer muss sich um das Begräbnis kümmern...
Sie sind damit erfolgreich, aber Michael kann sich nicht wegdrücken. Manche Dinge muss man erledigen, auch wenn sie schmerzlich sind. Komische Familie.
Gut, dass Michael sich gekümmert hat. Ich sehe es auch so wie du, es wäre die Pflicht der Eltern gewesen. Was wäre geschehen, wenn auch er sich geweigert hätte?
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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O doch. Das ist eine typische Verdrängungshaltung. Wenn du nicht zur Beerdigung gehst, ist es für dich mehr oder weniger als ob der Betreffende noch lebt, eben nicht anwesend ist. So wie vorher auch.
Meinst du? Ich halte die Manns eigentlich für abgeklärt genug. Allerdings ist dies auch eine extreme Situation, da reagiert man vielleicht nicht wie erwartet. Auch dies kann wieder jeder für sich werten, wie einiges andere auch……
 

kingofmusic

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Eine Stadt im Wandel:
Das war nicht mehr das München der feinfühligen Seelen und der exklusiven gesellschaftlichen Verbindungen - hier zeigte sich die krachlederne Seele des bayrischen Dorfes auf Stadtgang. (S. 521)
Herrlich :D.
 
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kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Habe ich eigentlich im Lauf des Buches etwas überlesen oder wird der Krull tatsächlich nur am Ende erwähnt? Auch hier wieder: ein Erkenntnisgewinn; mir war nicht bekannt, dass Krull so lange in der Schublade lag und erst ein Jahr vor seinem (Thomas) Tod veröffentlicht wurde.
So, jetzt schnell die letzten Seiten lesen :cool:.
 
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