9. Leseabschnitt: Kapitel 65 bis 74 (S. 795 bis 916)

sursulapitschi

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Da bekommen wir doch noch zum Schluss zwei rührend ungewöhnliche Paare, die das Buch zu einem unerwartet versöhnlichen Ende bringen. Dass wir nur Ruben an die Nazis verlieren, hätte ich nicht gedacht.

Dafür lauert uns Melnitz noch einmal auf, natürlich. Mit seiner Figur hadere ich ein bisschen. Er schwadroniert, stört die Handlung, ist da, mahnt, erzählt aber eigentlich nichts, was wir nicht schon wissen. Ich musste mich zwingen, ihm zuzuhören. Hätte ich das Buch ohne Leserunde gelesen, hättet ich die Passagen überblättert. Natürlich kann man seine Auftritte unendlich interpretieren und kommt dabei zu zahlreichen klugen Aussagen, nur ist nichts davon neu, traurig, erschütternd, trotzdem längst bekannt.

Ich bin gespannt, ob mich das Nachwort mit ihm versöhnt.
 

Wandablue

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Nun, das letzte Stück Meijerschegeschichte fand ich nimmer so bewegend.
Eigentlich wurde nur das Chanele von der Wiege bis zur Bahre begleitet. Irgendwann wurde es mir zu viel Meijersche Familie. Ich hatte einfach genug von ihr.

Ruben, Lieschen und deren Kinder sind verloren gegangen und dieser Verlust hat Zalman und Hinda, deren Namen ich schließlich doch noch zu buchstabieren lernte, das Herz gebrochen. Der Ruben war aber auch ein Dummer. Nachdem der Vater ihn schon einmal gerettet hat. Man fragt sich ja oft, warum es nicht alle Juden rechtzeitig aus DLand geschafft haben. Aber klar, kein Mensch kann sich einen solchen Vernichtungsfeldzug vorstellen, nur, weil man exisiert. Und wie Melnitz sagt, es passiert immer wieder. NEIN. Da muss mal Einhalt geboten werden.

Deshalb braucht es jüdische Familienromane! Selbst wenn die Meijers mich allmählich langweilten mit ihren Liebeleien, den erlaubten und den verbotenen.

Hillel geht ins neugegründete Israel. Ins gelobte Land. In dem dann doch viel gekämpft werden musste. Wovon hier aber nichts mehr erfahren.

Und das Chanele sinkt ins kühle Grab.

Den Namen Meijer müssten nichtblutsVerwandte weitertragen. Tragisch.

Die Frauen emanzipieren sich immer mehr. Das freut mich besonders. Sie haben aber immer etwas aus ihrer Rolle machen können, selbst Mimi.

Desiree bliebt auf der Strecke. Das ist schade. Aber so ist es halt. Der Krieg fordert seine Opfer.
 

Renie

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Dafür lauert uns Melnitz noch einmal auf, natürlich. Mit seiner Figur hadere ich ein bisschen. Er schwadroniert, stört die Handlung, ist da, mahnt, erzählt aber eigentlich nichts, was wir nicht schon wissen. Ich musste mich zwingen, ihm zuzuhören. Hätte ich das Buch ohne Leserunde gelesen, hättet ich die Passagen überblättert
Geht mir genauso. Hinzu kommt, dass einige Vorträge von Melnitz sehr eklig waren, so dass ich drauf und dran war, das Buch in die Ecke zu pfeffern.
 

Wandablue

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*ggg*: Tatsächlich gehört Renie auch zu denen, die die Figur Melnitz nicht uneingeschränkt bewundern. Ehrlich gesagt, habe ich sie auch nicht ganz begriffen. Soll sie die ewige Mahnung sein, dass nach x Jahren die Judenfeindlichkeit immer wieder aufsteht?

Sie ist ja nicht echt. Also ich glaube keinen Moment, an Erscheinungen, die die Meijers wirklich hatten. Sie ist nur für die Leser da.
 

Renie

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Der Ruben war aber auch ein Dummer.
Der Ruben war doch Rabbiner oder so etwas Ähnliches. Zumindest hatte er eine Gemeinde. Wahrscheinlich stand sein Gewissen und seine moralische Verpflichtung seinem Fluchtgedanken im Weg. Wie war das mit dem Kapitän und dem sinkenden Schiff? ;)
 

Wandablue

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Der Ruben war doch Rabbiner oder so etwas Ähnliches. Zumindest hatte er eine Gemeinde. Wahrscheinlich stand sein Gewissen und seine moralische Verpflichtung seinem Fluchtgedanken im Weg. Wie war das mit dem Kapitän und dem sinkenden Schiff? ;)
Wir wissen zu wenig von ihm und seiner Situation. Hat er seinen Leuten zum Aufbruch geraten oder hat er einfach nur vor sich hin gehofft? Keine Ahnung. Dabei wäre Rubens Los von meinem Standpunkt her eines der interessanteren gewesen. Aber wahrschl wollte Charlie das Ganze in der Schweiz halten. Keine Ahnung. Bei so vielen Seiten wären es da auf weitere 100 auch nicht angekommen.
 

Renie

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Was ich an diesem Roman schätze, ist die Sichtweise von der "neutralen" Schweiz auf Hitler-Deutschland. Ich hatte befürchtet, dass wir in diesem LA mindestens ein Konzentrationslager von Innen zu sehen bekommen. Diesen Weg geht Lewinsky aber nicht. Er lässt seine Protas (abgesehen von Herrn Grün) im Unklaren. Man ahnt, dass Schreckliches in Deutschland passiert, hat jedoch keinerlei Vorstellung über die Ausmaße. So hat sich für das Leben der Meijers über Generationen in der Schweiz nicht viel geändert.
 

Emswashed

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Ich hatte befürchtet, dass wir in diesem LA mindestens ein Konzentrationslager von Innen zu sehen bekommen. Diesen Weg geht Lewinsky aber nicht.

Und genau deswegen mag ich diese Geschichte und genau deswegen brauchte es dringend Onkel Melnitz. Eben weil wir heute alle wissen, was damals Grausiges geschehen ist, ist das haarscharfe Entlangschlittern Lewinskys am Unsagbaren so unfassbar eindringlich.

Ohne Melnitz wäre es eine schweizer Familiengeschichte, die einige Verluste im Krieg zu beklagen (wer hatte es nicht?), und ein paar rüberschwappende Unannehmlichkeiten (Schächtverbot, Schlägertrupps in den Versammlungen) in Kauf zu nehmen hatte. Oder?
 

Emswashed

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Erklär es mir, Emsi.
Melnitz kennt die großen Zeiträume, er kennt die Geschichte, er mahnt. Er erinnert die Familienmitglieder und uns Leser daran, dass sie den Ernst der Lage nicht vollumfänglich erfasst haben. Er sitzt als geschichtliches Wissen und spöttisch, jüdisches GEwissen dabei und ist die Garantie dafür, dass auch der Leser es nicht vergisst.
Allein schon die Tatsache, dass Lewinski ihm den Titel seines Buches gegeben hat, zeugt doch von seiner essentiellen Wichtigkeit für den Roman.
 

sursulapitschi

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Melnitz kennt die großen Zeiträume, er kennt die Geschichte, er mahnt. Er erinnert die Familienmitglieder und uns Leser daran, dass sie den Ernst der Lage nicht vollumfänglich erfasst haben.
Natürlich tut er das und das ist von der Idee her großartig. Ich finde nur, dass er es nicht besonders gut macht. Er hat zu wenige Auftritte, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen und er faselt. Ich hatte Schwierigkeiten ihm zuzuhören, weil ich bei dieser Art von Redenschwingerei direkt auf Durchzug schalte und das ist, mit Verlaub, nicht mein Fehler, sondern der des Redners.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Natürlich tut er das und das ist von der Idee her großartig. Ich finde nur, dass er es nicht besonders gut macht. Er hat zu wenige Auftritte, um nachhaltigen Eindruck zu hinterlassen und er faselt. Ich hatte Schwierigkeiten ihm zuzuhören, weil ich bei dieser Art von Redenschwingerei direkt auf Durchzug schalte und das ist, mit Verlaub, nicht mein Fehler, sondern der des Redners.
Er faselt nicht, sondern ironisiert das, was der Gegenüber meint/ macht. Dadurch zeigt er auf, welchen Trugschlüssen oder Beruhigungsmechanismen derjenige aufsitzt. Für mich sind seine Auftritte genug, oft im entscheidenden Moment und passend.
 

Renie

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Melnitz kennt die großen Zeiträume, er kennt die Geschichte, er mahnt. Er erinnert die Familienmitglieder und uns Leser daran, dass sie den Ernst der Lage nicht vollumfänglich erfasst haben. Er sitzt als geschichtliches Wissen und spöttisch, jüdisches GEwissen dabei und ist die Garantie dafür, dass auch der Leser es nicht vergisst.
Allein schon die Tatsache, dass Lewinski ihm den Titel seines Buches gegeben hat, zeugt doch von seiner essentiellen Wichtigkeit für den Roman.
Ja, da ist was dran. Mit ein paar Tagen Abstand zum Buch erkenne ich die Figur des Melnitz auch als die Zutat an, die diesen Roman zum einem "Gegen das Vergessen-Buch" macht. Ohne ihn hätten wir "nur" einen Roman einer jüdischen Familie über mehrere Generationen, der die Sorgen und Nöte der einzelnen Familienmitglieder beschreibt, und das in großen Teilen auch noch komisch. Dennoch mag ich Onkel Melnitz nicht. Mir gefällt einfach nicht, dass er Juden als ewige Opfer darstellt. Die Vergangenheit hat leider gezeigt, dass sie bisher ein Opfervolk waren. Onkel Melnitz prophezeit aber auch, dass sich in der Zukunft nicht viel ändern wird. Dieses pessimistische"einmal Opfer, immer Opfer"-Denken behagt einem optimistischen Menschen wie mir einfach nicht.
 

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