Über Wortmächtigkeit: KainUndAber hat in seiner Youtube-Rezension zum Dr. Faustus nicht überraschend auf die Wortmächtigkeit von Thomas Mann aufmerksam gemacht (siehe
Video, ab 4:30). Insbesondere die Szene zwischen dem Teufel und Adrian Leverkühn nötigt ihm Bewunderung ab, weil hier
"mit einem Fingeschnippen" (so drückt er es salopp aus) der Erzähler ins Mittelhochdeutsche wechselt und dem Teufel ein Lutherdeutsch in den Mund legt, welches an Derbheit und Brutalität nichts zu wünschen übrig lässt. (vgl.
Kapitel 25). Dem kann ich nur zustimmen. Auch ich war hell begeistert, wie hier mit dem Wechsel der Sprachebenen die Situation erst "erschaffen" wurde.
Wo mir aber die Virtuosität und das schriftstellerische Können Thomas Manns ganz besonders aufgefallen ist, war nicht allein die "Teufelsszene", sondern vor allem im
Kapitel 37 der Monolog des (von Thomas Mann so bezeichneten)
"dummen" Veranstaltungsagenten, welcher Adrian Leverkühn mit allerlei Schmeicheleien zur Aufführung einer seiner Stücke bewegen will, einem
Manager der Neugier der mondänen Gesellschaft namens Saul Fitelberg. Erfolglos allerdings. Frappant wie hier ein Monolog fast wie ein Zwiegespräch zwischen beiden Interessensparteien wirken kann, wie sich hier ein Mensch geistig und menschlich entblösst, dem man eigentlich zunächst einmal als eloquent und belesen und vollgesogen mit Kultur bezeichnen möchte. Vielleicht aber ist es auch die zeitliche Distanz, die uns mehr als 70 Jahre nach Erscheinen des Romans dieses falsche und viel zu ehrenhafte Urteil abringt. Natürlich gibt es aalglatte Sprache auch heute bei all denen, die uns unentwegt ihre Dinge und Dienste verkaufen wollen, jedoch deutlich brutalisiert und verkürzt, wie Sprache eben im Internet und hier vor allem in den Sozialen Medien bis zur Unkenntlichkeit verkümmert ist: mehr Englisch als Deutsch, aber auch im Englischen entsetzlich entstellt und eigentlich nichts als zum Rudimentärsten verknappte Sprache.
In der historischen Distanz wirkt die Sprache des Saul Fitelberg zunächst noch bildungsbürgerlich eloquent, ist aber letztlich eine Sprache, die genau das Gegenteil von dem darstellt, womit uns Thomas Mann verwöhnt. Es ist, und man kann es nicht oft genug betonen, die Sprache der (bürgerlichen) Halbbildung, die uns der Autor hier fulminant und virtuos vor Augen führt. Vom Französischen ins Deutsche und wieder zurück ins Französische springend, von Namedropping zu Namedropping springend, von Kompliment zu Kompliment, weiss Herr Fitelberg vordergründig in allen, auch unangenehmen Situationen, gute (aber dümmliche) Miene zu machen (
Sehen Sie, da breite ich meinen Zaubermantel aus!) Ein wunderbares, aber auch wunderbar quälendes Kapitel! Das muss Herrn Mann erst eine/r einmal nachmachen!