Fürwahr! Und nur wenig davon kann man als historisch, vergangen oder obsolet abtun. Vieles erinnert mich an den heutigen, völlig einem vernünftigen Diskurs verhöhnenden Meinungsaustausch, wie wir ihn in den sozialen Medien mitverfolgen können: das Faktenbefreite, das Wissenschafts- und Theoriebefreite, das emotional Angeheizte beim darüber Schwadronieren selbst ernannter Diskutanten. Dazu passt sogut der Wahlspruch des "Scho Enorm Wischtisch" (Mittelteil des Kaptel 34) der Halbbildung, welche den Erzähler erzittern lassen. Und auch ich erschrecke mehr, als es mich anzuwidern vermag, wenn ich da die Analyse lese, die das Gestern aber auch das Heute der selbstversessenen Verführer treffend beschreiben: "Fabeln, Wahnbilder, Hirngespinste, die mit Wahrheit, Vernunft, Wissenschaft überhaupt nichts zu tun zu haben brauchen, um dennoch schöpferisch zu sein, Leben und Geschichte zu bestimmen und sich damit als dynamische Realitäten zu erweisen." Das ist der Antiintellektualismus, den schon Adorno so treffend beschrieben hat und dem wir heute wieder begegnen, im Trump schen Populismus, den Lügen der Impfgegner und der politischen Kultur semitotalitärer Staaten in Europa. Da sind Verhältnisse entstanden, wo jeder behaupten darf, ein Experte für sich selbst und andere, überhaupt für die Welt zu sein. Und darin ist Thomas Mann erschreckend aktuell. Denn streckenweise lesen sich die Aussagen in den Diskussionsrunden von Kridwiss wie ein Kommentar zu den Diskussionsrunden auf Telegram. Auch letzteren scheint die rationale Welt kaum Herr zu werden, obwohl sie vernünftige Menschen (und mitunter auch rationale Politik) erzittern lassen.Zum Gruseln sind die Diskussionsrunden bei Kridwiß.
Kannst du mir nochmal genau sagen, in welchem Kapitel das war? Ich habe die Stelle gerade eben nicht wiedergefunden.Sogar von der Kritik am Märchen will dieser nicht lassen. Und so analysiert er (möglicherweise zum Unbehagen von @Die Häsin, die sich als Fan des Märchens von der Seejungfrau (Andersen) geoutet hat) messerscharf und kalt. Denn sein Verständnis für deren sehnsüchtige Liebe ist enden wollend. Ich vermag seiner (sicherlich übertreibenden und ironisch gemeinten) Argumentation im Grunde zu folgen. Mit Genuss und Sympathie für den Urheber der folgenden Worte zitiere ich: "Das Meerweib habe vollkommene und gewinnendste organische Wirklichkeit, Schönheit und Notwendigkeit, wie man recht gewahr werde angesichts des kümmerlichen und deklassierten Zustandes der kleinen Seejungfer, nachdem sie sich Beine erkauft, was niemand ihr danke ...". Die bittersüsse Klebrigkeit von Märchen waren wirklich nie das Meine.
Also lieber Fabelwesen sein als kümmerliches Menschlein, lieber Teufelsgeburt als frömmelndes Bürgerlein - in diesen Vorlieben kommen wir zusammen, der Dr. Faustus und ich. Er ist halt wie ein Wechselbad der gefühle, dieser Roman des alternden Meisters aus Deutschland.
Das war in Kapitel 33, im letzten Drittel, bei mir auf Seite 446 ff. über mehrere Seiten, beginnend bei: "So sprach er mir von der kleinen Seejungfer in Andersens Märchen ....."Kannst du mir nochmal genau sagen, in welchem Kapitel das war? Ich habe die Stelle gerade eben nicht wiedergefunden.
Also nicht der Prinz, sondern die Unsterblichkeit. Sollte dies AL in seiner Rede kritisieren wollen: eine unsterbliche Seele zu begehren? Auch ich muss da nochmals nachlesen!Sie möchte eine unsterbliche Seele haben, was immer das bedeutet.
An diese Textstelle von dir musste ich denken als ich die Bemerkung SZ über die Anwendung des Glissando auf die menschliche Stimme las: markerschütternd soll sie gewesen sein, dem Urzustand des langgezogenen Heulens entglitten, polyphonen Härten haben sich aufgetan, die Verrückung der Grenzen zwischen Mensch und Tier wurde vollzogen etc. etc. Weil ich mich aber nie intensiv mit Musik auseinandergesetzt habe, versuchte ich mir zum Ausgleich jenes Werk anzusehen, das die Vorlage zu diesem Musikstück bildete: die Apocalipsis cum figuris von Dürer: und dort fand ich auch den Holzschnitt der "Vier Apocalyptischen Reiter", die mich wenigstens visuell für das entschädigten, was mir an musikalischer Vorstellungskraft schmerzlich fehlt. Und das wollte ich auch gerne teilen:Ich habe mir, so gut es geht, vorzustellen versucht, wie sich Adrians apokalyptisches Tonwerk anhören mag.