7. Leseabschnitt: Kapitel 7 (Seite 389 - 450)

Anjuta

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Das Erlöstsein von Milchmann ist ein wichtiges Motiv in diesem letzten LA. Es fällt der Erzählerin wie ein Stein vom Herzen.
"Kein Verfolgtwerden mehr,kein Ausspioniertwerden, kein Fotografiertwerden, kein Falschwahrgenommenwerden, kein Umstelltsein, kein Schrittevorausahnen mehr."
Das ist wirklich eine ganze Menge, die da abfällt von der Erzählerin.
Und doch ist natürlich nicht alles wieder gut. Vielleicht-Freund hat sie verloren und die Beziehungen in der Familie sind auch mal wieder erheblich herumgerüttelt worden.
Aber wenn man wirklich von einem Happy End im Roman sprechen möchte, dann ist dieses einzig und allein durch die Familie und den Beziehungen darin begründbar: Die Mutter, die sich etwas emanzipiert und ihre langjährige Liebe zu echter Milchmann gesteht, die Erzählerin, die der Mutter den in der Situation notwendigen Freiraum verschafft und sich um Kleine Schwestern kümmert, die Kontaktaufnahme zu erster Schwester durch die Erzählerin trotz tiefer und langer Konflikte und die Wiederaufnahme des Joggens mit ihrem Schwager. Die Familie bietet ihr so den Rückhalt, den sie in dieser Situation dringend braucht und ist Rückzugsgebiet in dieser "psychopolitischen Atmosphäre", die uns die Autorin so anschaulich in dem wunderbaren Roman vor Augen führt.
 

Literaturhexle

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Der guten Ordnung halber hier ein letztes Mal die Zusammenfassung der Geschehnisse:

Die Ich-Erzählerin ist erleichtert über den Tod von MM, zu dem verabredeten Rendevous ist es nun nicht mehr gekommen. Auf echter MM und einige andere war zuvor irrtümlich geschossen worden, quasi auf der Jagd nach MM.
Am Abend im Trinkschuppen kommt es zu der Szene, die bereits im ersten Satz erwähnt wurde: I.McIrgendwas taucht in der Damentoilette auf und bedroht die Erzählerin mit einer Pistole. Sie hat Schwierigkeiten, sich effektiv zu wehren, aber auch hier sind die Frauen gemeinsam stark, indem sie den Eindringling tüchtig vermöbeln. Anschließend wird er auch noch von den Freunden dieser Frauen versohlt. Die IE wirkt nach wie vor passiv, sie "kümmert sich nur um ihren eigenen Kram".

Die Mutter hat zunächst das Rennen um die Gunst des echten MM gewonnen. Die an ihm interessierten Frauen gehen schon ziemlich listig vor, versuchen sich gegenseitig auszustechen. So dringen die Frauen auf die Mutter ein, sie solle den echten MM doch der Mutter von Atomjunge überlassen, jene hätte weit größere Schicksalsschläge ertragen müssen.
Die Mutter ist verliebt, zweifelt aber wie ein Teenager an sich selbst. In diesem Kapitel mutiert das Buch zur Comedy. Die Rollen sind vertauscht und die Töchter sprechen der Mutter Mut zu, leihen ihr Klamotten und reden ihr auch den Rückzug von eMM zugunsten der anderen Frau aus.
Der echte Milchmann hat seine Einstellung wohl im Angesicht des Todes verändert, er möchte nun doch mit einer Frau zusammenleben, ob er nun langfristig mit der Mutter der Erzählerin zusammenbleibt, wird offen gelassen.

Die Kinder auf der Straße spielen fröhlich Tanzwettbewerb. Vorbilder sind die Eltern von VF, die ja in der Welt mit Tanzen Karriere gemacht haben.

Nach dem Tod des MM geht das normale Leben weiter. Die Erzählerin nimmt das Joggen und die gewohnten Rituale wieder auf, die Angst und der Druck sind von ihr abgefallen. Allerdings weiß sie auch, dass die ganze Geschichte noch nicht ausgestanden ist. Die Gesellschaft geht ja immer noch davon aus, dass sie ein Verhältnis mit dem Terroristen hatte. Nichts wurde besprochen, nichts aufgeklärt. Die vermeintliche Gelöstheit ist am Ende nur durch den Tod des MM entstanden.

Schwager 3 ist ja derjenige, der den Frauen Achtung entgegenbringt. Trotz dieser Fortschrittlichkeit ist auch für ihn ein Übergriff nur dann ein Übergriff, wenn er mit Körperkontakt einhergeht. Insofern hat für ihn das blaue Auge der Protagonistin mehr Bedeutung als die ganze Affäre Milchmann. Dieses Plädoyer baut eine Brücke zur MeToo Debatte: Wo fängt Belästigung an, wo hört sie auf?
 

Literaturhexle

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Jetzt brenne ich darauf, mit euch über den Roman zu diskutieren!
Ich fand ihn bis zum letzten Kapitel wirklich herausragend. Die bedrückende Szenerie, die Regeln, die Passivität, zu der sich die Erzählerin verpflichtet hatte - alles konnte ich sehr gut nachvollziehen. Den Schreibstil inclusive der Rückblenden empfand ich als gekonnt und spannend zu lesen. Klare 5 Sterne. Und jetzt?

Das letzte Kapitel und das Ende haben bei mir ein deutliches Geschmäckle hinterlassen. Was will uns die Autorin damit sagen? Der König ist tot - und das war es jetzt? Der ganze Schlamassel um die IE und den MM ist doch in keiner Weise aufgeklärt worden. Die Pommesbudenszene kann sich doch jederzeit wiederholen - im Gegenteil kann sie gewalttätiger ausfallen, weil IE ja keinen Schutzpatron mehr hat. Den Mord an TM wird man ihr vielleicht umso mehr anlasten usw.

Die Protagonistin verändert sich unter dem Lauf der Ereignisse nur wenig. Sie liest wahrscheinlich nicht mehr im Gehen. Aber anvertrauen tut sie sich immer noch keiner Seele. Durch das Schweigen macht sie sich zum Opfer. Der bekloppte Schwager 1 kann weiter gegen sie oppunieren, nicht mal dessen Frau kann sie die Wahrheit sagen.
Sie hat sich zwar toll um die kleinen Schwestern gekümmert. Aber hat sie eMMs Ratschläge bezüglich deren Erziehung und Neugier beherzigt? Nein. Sie liest ihnen alte Klassiker vor und lässt sie springen.

Entwickelt hat sich die Mutter: Als der Tod ihrer richtigen Liebe droht, denkt sie um und steht zu ihren Gefühlen. Völlig unvermittelt weiht sie unsere Erzählerin ein, auf einmal ist uch der Vater gar nicht mehr so schlecht gewesen. Was Gemütsverfassung doch für eine Auswirkung haben kann. Die Mutter schwebt jetzt im 7. Himmel und gibt die Verantwortung an IE weiter. Die Rolle Mutter- Tochter werden vertauscht, die Mutter wird wieder zur Lachnummer, irgendwie kann sie nur extrem ;)

Die bedrohliche Atmosphäre, die die Erzählerin über Hunderte von Seiten aufgebaut hat, löst sich fast vollständig auf. Die Dialoge und Szenen innerhalb der Familie lesen sich für mich wie Slapstick. Warum ist das so? Die Gefahr durch den MM war doch bei weitem nicht die Einzige. Draußen brummt der Krieg doch weiter, es wird einen neuen Anführer geben. Im Grunde hat sich doch nichts geändert. Außer natürlich für die Protagonistin: Sie ist die direkte Gefahr erst einmal los.

Auch am herrschenden Frauenbild ändert sich nichts. Allerdings nehme ich mit, dass auch im Irland der 70er Jahre Frauen immer dann stark waren, wenn sie zusammenhielten. In der Gruppe haben sie einiges bewegen und die Staatsmacht behindern können.

Um zu einem abschließenden Urteil zu kommen, brauche ich hier den Austausch. Habe ich etwas übersehen? Wie ergeht es euch nach dem Abschluss der Lektüre?
 

Literaturhexle

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Die Familie bietet ihr so den Rückhalt, den sie in dieser Situation dringend braucht und ist Rückzugsgebiet in dieser "psychopolitischen Atmosphäre", die uns die Autorin so anschaulich in dem wunderbaren Roman vor Augen führt.
Ist das die "Moral von der Geschichte"? Geh in deine Familie und alles wird gut? Das ging mir alles zu schnell. IE hat nicht mal ihrer Mutter die Wahrheit erneut berichten können. Die Mutter, einst Moralapostel Nummer 1, die ihre Töchter auch unglücklich verheiratet hat, verbringt ihre Nächte bei einem Mann und lässt sämtlichen Anstand sausen, indem sie sich auch noch in die jugendlichen Kleider ihrer drei Töchter presst...
Warum macht die Autorin ihre Figur am Ende so lächerlich und unglaubwürdig?
Leider erfahren wir auch manches andere nicht: Kann man die Schwester von TM im Krankenhaus heilen? Was hatte es mit der ältesten Freundin auf sich? Was ist das wahre Ich von Schwager 3?...

So schade! Ich empfinde das letzte Kapitel als einen derben Absturz.
 

Anjuta

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Jetzt brenne ich darauf, mit euch über den Roman zu diskutieren!
Für mich hat sich irgendwo in Kapitel 4 etwas die Spannung gelegt. Die ersten 3 Teile fand ich genial. Da hat sich durch gelungen angewandte literarische Techniken eine Stimmung entwickelt, die mich total gefangen genommen hat. Diese Spannung konnte dann (zumindest für mich) nicht aufrecht erhalten werden. Ich fühlte mich irgendwann etwas verloren im Immergleichen. Liegt das am Schwächerwerden des Romans oder an meinem Leseverhalten? Ich kann es nicht ganz entscheiden.
Nichtsdestotrotz blieb der Roman bis zum Ende hin für mich eine sehr positive Entdeckung. Mir wurde die absurde Welt des nordirischen Bürgerkriegs, den man immer vermieden hat, so zu nennen, der sich aber genau als solcher in der Realität entpuppt, ungemein drastisch und atmosphärisch dicht vor Augen geführt. Was ist noch ein normales Leben, wenn der Feind hinter der Haustür bzw. auf der anderen Straßenseite steht und lebt? Das Hochschaukeln dieser Feindwelten und der Eiertanz, der den Menschen in ihrem täglichen Leben dadurch abverlangt wird, das vermittelt der Roman sehr, sehr gut. Für mich allerdings auf den ersten ca.150 Seiten deutlich besser als auf den dann folgenden.
Aber mein Eindruck bleibt: ein wunderbarer Roman.:)
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ich empfinde das letzte Kapitel als einen derben Absturz.
Ich kann deine Enttäuschung weitgehend verstehen. Privatheit als Lösung ist sicher nicht der erhoffte Ausweg.
Allerdings: so negativ wie du kann ich das Handeln der Mutter im letzten Kapitel nicht sehen. Ist es nicht eine positive Entwicklung, dass sie sich nach Jahren endlich zu ihrer Liebe bekennt? Und dass sie dabei ein bisschen "durchdreht", ist für mich auch nicht sehr verwunderlich.
und: Ja - viele Fragen und Handlungsstränge werden nicht zu Ende erzählt. Auch da gebe ich Dir recht. Aber irgendwie hatte ich zum Schluss auch das Gefühl: ich habe genug von diesen Personen (die ja eigentlich Typen sind) erfahren und muss nicht weiter in ihr leben eindringen.
 

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So witzig, wie aus den „frommen Frauen“ aufgrund ihres Schwärmens für den echten Milchmann „ehemals fromme Frauen“ werden, die mit Gott verhandeln.

So witzig, wie das Buhlen um echter Milchmann beschrieben wird.

So witzig, wie die Mutter der Erzählerin die Sachen der Tochter durchforstet… aus Verliebtheit.

So witzig, wie die Polizei versucht, erst eine, dann alle Frauen, als Verbündete des echten Milchmanns zu überführen.

So witzig, wie der Alterungsprozess der Mutter und ihr Umgang damit beschrieben wird.

So witzig, das Bemühen und die Rettungsaktion der Schwestern um bzw. für ihre Mutter.

Hier beweist die Autorin, welch‘ ich unglaublichen Humor sie hat. Sie kann nicht nur ernsthaft, sondern auch witzig und ironisch sein.

Das Meisterliche ist meines Erachtens, dass sie diesen Humor ganz gezielt zu Entlastung, Entspannung und Abrundung einsetzt.
 

Querleserin

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Auch ich habe das letzte Kapitel nicht als "Absturz" empfunden, im Gegenteil, es spiegelt für mich das bisherige Verhalten der Protagonistin wider. Eine drastische Änderung ihrer Figur oder ein Bestreben jetzt alles aufklären zu wollen, wäre unglaubwürdig gewesen. Und hätte ihr denn nach dem Tod des MM jemand geglaubt?
Ihrer Schwester 1 hat sie den Wind aus den Segeln genommen, als diese hämisch auf den Tod des MM reagiert hat. Schwager 1 ist von den Verweigerern bestraft worden und wird, glaube ich, keine Gerüchte mehr verbreiten. Auch McIrgendwas wird vor ein Gericht gestellt, zwar wird er nicht wegen der sexuellen Bedrohung angeklagt, aber immerhin verurteilt.
Sie nimmt ihr Leben wieder auf, beginnt wieder zu joggen und denkt daran, dies in Zukunft auch wieder allein zu tun. Sie findet in ihren Alltag zurück, mit einer Mutter, die sich ihr geöffnet hat und Schwestern, um die sie sich kümmert - insofern ein privates Happy End, ohne dass ihr Ruf in der Gesellschaft rehabilitiert ist. Aber wie sollte das gelingen?
Was die Mutter anbetrifft, habe ich das zwar als sehr amüsant empfunden, aber nicht als Slapstick. Witzig fand ich auch, dass die Frauen ihre Gebete verkürzt haben, um Zeit für die Besuche im Krankenhaus zu haben. Letztlich offenbart sich doch auch die Macht der Frauen, wenn sie gemeinsam agieren. So ist auch die Staatsmacht mit der Vielzahl der Frauen im Krankenhaus überfordert. Für mich liest sich der Roman auch als Appell zur Solidarität: die Themenfrauen, der gemeinsame Kampf gegen die Ausgangssperre, das souveräne Handeln der Frauen (Fingerzeig auf die Kirchenhütte), wenn es gegen ihren Willen geht - und doch lassen sie sich immer wieder unterdrücken und manipulieren, wenn sie, wie die Ich-Erzählerin, allein handeln. Appell und Warnung?
 

Literaturhexle

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Hier beweist die Autorin, welch‘ ich unglaublichen Humor sie hat. Sie kann nicht nur ernsthaft, sondern auch witzig und ironisch sein.

Das Meisterliche ist meines Erachtens, dass sie diesen Humor ganz gezielt zu Entlastung, Entspannung und Abrundung einsetzt.
Die Autorin beherrscht ihr Handwerk, keine Frage. Selten habe ich so stimmige, herausragende Prosa gelesen, die zudem wunderbar über setzt wurde. Der erste Satz wurde im Intro zum Buch noch ganz anders und viel holpriger übersetzt. Das zeigt einem, wie schwer es sein musste.

Ja, sie setzt den Humor bewusst ein, um Entlastung zu schaffen. Ja, dieselbe Intention sehe ich auch. Aber es hat mir nicht gefallen. Es passt nicht zur Grundstimmung. Etwas weniger "Witz" hätte dem Abschluss gut getan. Das tut der Großartigkeit des Romans keinen Abbruch, aber an dieser Stelle wurden meine Erwartungen enttäuscht.
 
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Der Ton ist hier, im letzten Kapitel, ein ganz anderer: Ironie, Witz und Humor.

Erst eine Erleichterung, der Tod Milchmanns, die Befreiung von ihm, dann viel Ironie und Humor. Es wird ruhiger.

Die Erleichterung, die bewirkt, dass etwas zu Ende geht und etwas Neues beginnt bzw. etwas Altes wieder zurückkehrt.
„...ging für mich das normale Leben weiter.“ (S. 439).
Wobei hier keine „Ende gut alles gut“ - Stimmung auftaucht. Das, was wir hier lesen dürfen, ist alles andere als romantischer Kitsch!

Normal heißt hier nicht, dass alles plötzlich harmonisch und schön ist. Das wird ja auch auf den kommenden Zeiten nicht suggeriert. Die Beziehung der Schwestern wird wieder besser. Sie geht wieder mit dem Schwager joggen...

Welch wunderbaren Bogen sie da gezeichnet hat.
Welche Beruhigung da jetzt eintritt. Die Ruhe nach dem Sturm.
Das normale Leben geht jetzt weiter.

Nach all diesem Chaos, nach all dieser Aufregung nach all dieser Angst und Unsicherheit.
Ein Aufatmen, ein Durchatmen nach den vielen Seiten der Atemlosigkeit.

Das spürte ich als Leserin sehr deutlich.
 

Literaturhexle

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Letztlich offenbart sich doch auch die Macht der Frauen, wenn sie gemeinsam agieren. So i
Diesen Appell will das Buch auf alle Fälle transportieren: Die Macht der Frauen, wenn sie sich zusammenschließen. Dafür gibt es einige Beispiele.

Ich hatte auch nicht erwartet, dass sich die IE komplett neu erfindet. Im Grunde geht das Ende für mich völlig in Ordnung, nur dieses zahlreichen witzigen Szenen hätte ich nicht gebraucht. Welche Mutter besucht schon ihre erwachsenen Töchter, nur um Klamotten abzuschleppen? Da muss noch die ältere Schwester anreisen, um Mutter zu stabilisieren.... Alles einfach ein bisschen too much für mich.
(Aber da greift offensichtlich wieder meine Allergie gegen alles Schräge;))
 

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Schön, zu erkennen, dass es letztlich ja doch eine angemessene Entwicklung bei der Erzählerin gab. Alles andere wäre hier, finde ich, nicht glaubhaft gewesen.
„Ich war die ganzen Regeln und die Vorschriften unseres Bezirks satt. Und was Prinzipien angeht, muss man manchmal eben auch sagen: „Scheiß auf Prinzipien“.“ Entspannung kehrt ein und Leichtigkeit: „und kurz, ganz kurz, musste ich beinahe fast lachen“. (S. 450) Sie wirkt freier. Sie ist gewachsen.
 

Literaturhexle

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Welch wunderbaren Bogen sie da gezeichnet hat.
Welche Beruhigung da jetzt eintritt. Die Ruhe nach dem Sturm.
Das normale Leben geht jetzt weiter.
Ich hoffe, ihr versteht mich nicht falsch: All das habe ich gesehen! Es wurde mir nur durch diese witzig-skurrilen Szenen ZUVIEL.
Deshalb würde ich nie sagen, dass es romantischer Kitsch ist. Nein! Die Erzählerin weist ja klipp und klar darauf hin, dass sich nichts gelöst hat, dass sie weiterhin aufpassen muss.
 

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Ich hoffe, ihr versteht mich nicht falsch: All das habe ich gesehen! Es wurde mir nur durch diese witzig-skurrilen Szenen ZUVIEL.
Deshalb würde ich nie sagen, dass es romantischer Kitsch ist. Nein! Die Erzählerin weist ja klipp und klar darauf hin, dass sich nichts gelöst hat, dass sie weiterhin aufpassen muss.
Da du kein Faible für skurrile Situationen und "schräge" Vögel hast, kann ich durchaus nachvollziehen, dass es dir am Ende zu viel geworden ist. Bei mir hat sich jedoch ein Gefühl der Erleichterung breit gemacht - jetzt ist wieder Raum für Lustiges, das Bedrohliche überwunden.
 

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Es passt nicht zur Grundstimmung.
... Kennst du das nicht? Gerade in Situationen, in denen man sich entlastet fühlt, wo die ganze Anspannung von einem abfällt, ist man manchmal besonders läppisch, manchmal auch unangemessen witzig… Das ist Ausdruck dieser Situation. Diese Gegensatz macht den Spannungsabfall im Inneren noch mal besonders deutlich und hilft beim Spannungsabbau…
 

SuPro

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Aber da greift offensichtlich wieder meine Allergie gegen alles Schräge
... Das Schräge gehört zum Leben, aber das scheint Dir nicht so zu gefallen. ;-) Vielleicht weil es dir unangemessen oder unwahrscheinlich erscheint. Aber das ist es nicht. (Natürlich nur meiner Meinung und Erfahrung nach)

...wenn es übrig übrigens zu schräg wird, dann kann ich auch nicht mehr folgen… Es muss für mich schon noch irgendwie im Bereich des Möglichen und Realistischen sein… Aber da hat ja jeder seine eigene Grenze und Schwelle…
 

Leseglück

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7. Juni 2017
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Für mich hat sich irgendwo in Kapitel 4 etwas die Spannung gelegt. Die ersten 3 Teile fand ich genial
Für mich war Kapitel 4 auch so was wie ein Wendepunkt. Das ist aber nur subjektiv gemeint, im Roman nicht so angelegt. In den ersten drei Kapiteln hatte ich noch die irrige Hoffnung, dass sich die IE aktiv mit ihrer schlimmen Situation auseinander setzen könnte. Schlie\lich hatte sie mit dem Französichkurs, mit EM und den Themenfrauen Chancen auf eine Besserung, zumindest ihrer seelichen Situation. Ab KIapitel 4 wird aber klar: sie versucht es mit "mehr desselben" d.h. Schweigen, sich Abstumpfen, sich isolieren.
Nach anfänglicher Enttäuschung muss ich sagen, dass der Roman genau so ablaufen muss. Schlie\lich sagt uns die Stimme der IE immer wieder, dass es "damals" keine Worte für diese unerlaubte Annäherung gab, dass sie vor lauter Angst (sie entwickelt ja regelrechte Angststörungen) kein positives Netzwerk aufbauen konnte usw. Ein Happy End, in dem Sinne, dass sie sich als 18 jährige selbst aus dem Sumpf zieht, hätte mir, glaub ich gar nicht gefallen. Der Roman geht in eine andere Richtung: die Situation wird immer schlimmer, aussichtsloser, so dass die IE dann letzendlich _ wie ferngesteuert, in das Auto von MM einsteigt und bereit ist, tatsächlich Sex mit MM über sich ergehen zu lassen. Da ist es fast märchenhaft, dass MM kurz bevor es so weit ist, ermordet wird.

Mir wurde die absurde Welt des nordirischen Bürgerkriegs, den man immer vermieden hat, so zu nennen, der sich aber genau als solcher in der Realität entpuppt, ungemein drastisch und atmosphärisch dicht vor Augen geführt. Was ist noch ein normales Leben, wenn der Feind hinter der Haustür bzw. auf der anderen Straßenseite steht und lebt?
Das habe ich ganz genau so empfunden

Die bedrohliche Atmosphäre, die die Erzählerin über Hunderte von Seiten aufgebaut hat, löst sich fast vollständig auf. Die Dialoge und Szenen innerhalb der Familie lesen sich für mich wie Slapstick.
Die Dialoge zwischen der IE und ihrer Mutter fand ich schon zu Beginn des Romans sarkastisch witzig (die Schilderung der Religiosität der Mutter, ihre absurd falsche Wahrnehmung der netten Jungs, die IE heiraten sollte usw.) Aber im letzten Kapitel steigert sich diese Art von Humor. Warum _ ich wei\ es auch nicht so genau.
Meine vorläufigen Gedanken dazu: In dem Roman ist ja immer wieder von den "strahlenden" Menschen die Rede. Das "strahlende Mädchen" wird vom Tablettenmädchen ermordet, weil sie das Strahlende nicht ausstehen kann. Denn Strahlen bedeutet ja auch Vergessen der Tragik der Welt, bzw. in diesem Fall der vielen Toten während des Bürgerkrieges.
Am Ende gewinnt die Haltung der strahlenden Menschen: Der Zwillingsbruder von IE traut sich, trotz der drohenden Enttäuschung, sein Glück zu leben. Dasselbe gilt für EM und die Mutter. IE konzentriert sich auf das Schöne in ihrem Leben und blendet weiter das Schreckliche aus, das wie du sagst jederzeit wiederkommen kann.

Achtung: hier kommt eine sehr gewagte Interpretation meinerseits: Vielleicht stellt die Autorin die Leichtigkeit am Ende übertrieben dar, gerade um zu verdeutlichen, dass das Happy End fragil ist.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ein Happy End, in dem Sinne, dass sie sich als 18 jährige selbst aus dem Sumpf zieht, hätte mir, glaub ich gar nicht gefallen
Da bin ich komplett bei dir. Dazu hat sie die prekäre Lage, in der sie sich befindet, auch zu genau dargelegt. Inhaltlich geht das Ende für mich völlig in Ordnung, es ist eher die ART der Darstellung, die auf mich befremdlich wirkt.
Die Dialoge zwischen der IE und ihrer Mutter fand ich schon zu Beginn des Romans sarkastisch witzig (die Schilderung der Religiosität der Mutter, ihre absurd falsche W
Die erwähnten lustig-skurrilen Szenen im Roman (auch die Versammlungen der Frauen), die es durchaus immer wieder gab, fand ich stimmig. Nur zum Schluss ist es mir zuviel. Wie wurde weiter oben gesagt? Da hat halt jeder seine Schwelle...