6. Leseabschnitt: Kapitel 6 (Seite 171 bis 205)

alasca

Bekanntes Mitglied
13. Juni 2022
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49
Simon wird immer dementer, Eilish findet Gründe, warum sie nicht gehen kann. Ich glaube nicht, dass das Fehlen von Pässen in dieser Situation ein Hindernis wäre. Es sei denn, die internationale Gemeinde verhielte sich so wie seinerzeit mit den Juden, aber dafür gibt es keinen Hinweis.

Der Krieg dringt in Eilishs Straße vor, aber sie tut erstmal nichts. Man isst, sieht fern, tut so, als wäre nichts. Unrealistisch, vor allem in einem Bürgerkrieg-erprobten Land wie Irland. Ab in den Keller! Aber nichts dergleichen, Eilish bleibt weiterhin unter ihren Möglichkeiten, auch bei ihrer kopflosen Einkaufstour. Ich habe die Geduld mit ihr verloren.

Sprachlich wie gehabt. "Groll ist Trauer im Gewand der Hoffnung." Das ist schlicht falsch. "... dieses Gesicht, das von der ganzen Schöpfung zeugt, von der furchtbaren Energie der Sterne, dem Universum zu Staub zerschmettert und immer wieder in gestörter Schöpfung umgemodelt wurde." S. 183 Geht´s auch etwas kleiner? Und so weiter.

Schließlich der Sieg der Rebellen, von Eilishs Seite keineswegs mit Erleichterung zur Kenntnis genommen, sondern mit Abscheu. Furchtbar konstruiertes Gefühlsleben.
 

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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1.930
44
Ich habe eine andere Sicht auf Eilish. Sie ist in einer Notlage und versucht ihr Bestes zu tun. Fehler sind dabei unvermeidlich, in unseren „normalen“ Familien kommen sie auch vor. Sie ist als politisch unzuverlässig eingeordnet, verliert den Beruf, wird überwacht und vermisst Mann und Sohn, ohne die sie das Land nicht verlassen will. Ich kann ihre Hoffnung nachvollziehen. Aus der Nazizeit wissen wir, es war für viele Menschen zu spät
 

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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Lynch hat bewusst die Hintergründe offen gelassen. „Lynchs dystopisches Irland reflektiert die Realität der Länder, die vom Krieg zerrissen sind …“. „Die Gewalt in Palästina, in der Ukraine und in Syrien klingt in dem Buch an.“ Aus dem schon zitierten taz Bericht, dort übernommen vom Observer, Aimee Walsh
 

ElliP

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18. Juni 2023
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Momentan zieht mich das Buch tatsächlich auch etwas weniger in seinen Bann. Am Anfang war mir gar nicht klar, welcher Krieg davor sich ging, aber natürlich ist es der Bürgerkrieg mit den Rebellen. Erstaunlich, was die Gegner anscheinend auf die Beine gestellt haben.
Eilish kann sich nicht wirklich über den Frieden freuen, da sie befürchtet, vom Tod des Ehemanns oder des Sohnes zu erfahren. Kurz vorher hat sie noch versucht, ihrer Tochter von der unsterblichen Liebe zu erzählen, aber sie selbst hat natürlich auch ihre Zweifel und ihre Ängste.

So this is freedom, she thinks, but her heart cannot free itself, watching the rebels, she cannot call out her joy, it is not joy, but relief, it is not relief, but something that awakens her deepest fear, the cold she cannot warm away, the thought that circles every other thought, what if her husband and son do not come home?

Die Stelle, an der Eilish versucht, Molly Zuversicht zu geben und gegen ihre Depression anzugehen, finde ich schon berührend. Auch Mollys Ängste, die meint, ein Teil ihres Herzens stürbe ab, weil es der Teil ist, der mit der Liebe vom Vater besetzt ist.
Es ist natürlich nicht realistisch, dass ein Teenager sich so ausdrückt, aber die Ängste und Gefühle sind durchaus nachvollziehbar. Die positive Antwort von Eilish, finde ich sehr schön und poetisch und im englischen klingt es auch überhaupt nicht kitschig! Es sind die Sätze, die eine verzweifelte Mutter versucht, an ihre Tochter zu richten, um diese aus ihrer Lethargie und ihrer Depression zu reißen.
Your father is always alive in your heart, he is here with you now with his arm around you, and he will always be here because the love we are given when we are loved as a child is stored forever inside us, and your father has loved you so very much, his love for you cannot be taken away nor erased, please don’t ask me to explain this, you just need to believe it is true because it is so, it is a law of the human heart.
 

alasca

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13. Juni 2022
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Your father is always alive in your heart, he is here with you now with his arm around you, and he will always be here because the love we are given when we are loved as a child is stored forever inside us, and your father has loved you so very much, his love for you cannot be taken away nor erased, please don’t ask me to explain this, you just need to believe it is true because it is so, it is a law of the human heart.
Diese Stelle mochte ich auch.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Nach einer erneuten Kulmination ein unerwartet schneller Umschwung. Wo sind all die vielen Widerständler plötzlich her und woher haben sie ihre Waffen? Diese Unbestimmtheit mag ich nicht an dem Roman (Mogelpackung?).
Ein paar Überspanntheiten bietet dieser LA - aber das Wichtigste ist in diesem LA Molly. Alice schafft es, sie aus ihrer Depression zu ziehen. Nicht viel, aber ein bisschen. Und ich bin froh, dass alle noch wohlbehalten zu Hause sind.
Auch authentisch, wie schnell die eigene Strasse zum Kriegsgebiet werden kann.
Dass Alice einfach nicht glauben kann, was passiert, ist nicht so unwahrscheinlich wie man auf den ersten Blick denken könnte, denn die Ereignisse überschlagen sich geradezu.
Wie geht es weiter? Ich traue dem Frieden nicht.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
querleserin.blogspot.com
In einer Szene hat mir Eilish imponiert - im Gespräch mit der Lehrerin. Da sagt sie offen ihre Meinung und nimmt ihren Sohn in Schutz.

Da jetzt alle Nachrichten ausländischer Medien verboten sind, sucht Eilish ein altes Radio und findet dabei ein Erinnerungsstück von Larry, das sie ihrer Tochter schenkt es ihr. Auch das eine schöne Szene.
Erneut spielt sie mit dem Gedanken zu gehen und stellt fest

"Geschichte ist ein stummes Verzeichnis von Leuten, die nicht gehen konnten, (...) die keine Wahl hatten" (S.188)

Von außen betrachtet, mag es sinnvoll sein zu gehen, doch Eilish, die mitten in der Situation ist, sieht keinen Ausweg, keine Alternative zum Bleiben.
Die Szene mit Molly habt ihr schon erwähnt, da findet Eilish die richtigen Worte und hilft ihrer Tochter.

Das Ende der Kämpfe kommt wirklich sehr überraschend, da hätte ich auch gern mehr Hintergrundinformationen gehabt. Warum konnten sich die Rebellen so schnell durchsetzen, wie haben sie sich formiert etc.

Und am Ende des Kapitels tauchen auch wieder die Bäume auf:
sie betrachtet die Bäume, verwurzelt in der Erde, sie denkt, es wird wieder Güte geben, wieder helle, frohe Stimmen, das Geräusch von Fußen, die nach Schlappen tasten und das Klickern von Fahrradrädern im Vorraum. (S.201)
Das alltäglich Glück - hoffentlich kommt es wieder - ich habe da so meine Zweifel.
 

Federfee

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13. Januar 2023
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„Lynchs dystopisches Irland reflektiert die Realität der Länder, die vom Krieg zerrissen sind …“. „
So ist es; es ist allgemeingültig und man erkennt vieles wieder, was gerade passiert.
Wo sind all die vielen Widerständler plötzlich her und woher haben sie ihre Waffen? Diese Unbestimmtheit mag ich nicht an dem Roman (Mogelpackung?).
Das ist eben nicht der Schwerpunkt dieses Romans; es ist keine Geschichte des Widerstands. Eilish weiß ja auch gar nichts; sie haben wohl alle keine Informationen.
Das Ende der Kämpfe kommt wirklich sehr überraschend, da hätte ich auch gern mehr Hintergrundinformationen gehabt
Ich muss noch mal nachlesen, ob die Kämpfe wirklich zu Ende sind. Ich glaube das noch nicht so ganz.
 

Federfee

Bekanntes Mitglied
13. Januar 2023
3.049
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Das Übliche, kennen wir von totalitären Staaten: Hören und Lesen ausländischer Medien wird verboten, das Internet gesperrt. Schulen und Hochschulen werden geschlossen, Panikkäufe der Bevölkerung, alle sollen zu Hause bleiben. Eilish vertraut immer noch auf die 'internationale Gemeinschaft' (oh je!), von wegen Waffenruhe, Sanktionen, Verhandlungen – kennen wir alles :-(

'Geschichte ist das Gesetz der Macht' (188)​
Eilish ist verständlicherweise völlig 'durch den Wind', beim Einkauf merkt man das. Andererseits reagiert sie schnell und tut, was getan werden muss, z.B. als der Strom mal kurz wieder da ist. Oder die Matratze nach unten, vors Fenster.

Um Molly steht es nicht gut; Eilish hält sie für depressiv, findet aber endlich über das 'Versorgen' hinaus (Kakao, warmes Bad) einen Draht zu ihr. Sie erklärt ihr, warum sie nicht weggehen können und versichert ihr, dass die Liebe ihres Vaters immer da sein wird. Hoffentlich tröstet das Molly ausreichend (200).

Symbolisches? Der alte Teddybär hat nur noch Knöpfe als Augen, ist blind geworden, schon wieder 'Verfangen im Ärmel' (185), ich glaube, schon das dritte Mal; die Efeuplage in des Vaters Garten (196 u.). Ich tue mich allerdings schwer, so etwas zu deuten.​

'Zur Zeit gibt’s keine Wahrheit'. (199)
'Man verliert nie, entweder man lernt oder man siegt...' (199)
 

Wandablue

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18. September 2019
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So this is freedom, she thinks, but her heart cannot free itself, watching the rebels, she cannot call out her joy, it is not joy, but relief, it is not relief, but something that awakens her deepest fear, the cold she cannot warm away, the thought that circles every other thought, what if her husband and son do not come home?
Das ist eine tolle Stelle! Die dt. Übersetzung kommt da nicht mit.
Am Anfang fand ich die Übersetzung grandios, aber ich meine merklich den Zeitdruck zu spüren - die Übersetzung wird im Weiteren zunehmend wörtlich - und wörtlich bei einem lyrischen Text muss holprig werden.
 

Federfee

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13. Januar 2023
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Das ist eine tolle Stelle! Die dt. Übersetzung kommt da nicht mit.
Am Anfang fand ich die Übersetzung grandios, aber ich meine merklich den Zeitdruck zu spüren - die Übersetzung wird im Weiteren zunehmend wörtlich - und wörtlich bei einem lyrischen Text muss holprig werden.
Das ist sicher ein Problem bei einem solchen Text und nach wie vor finde ich es gut gelöst. Ich bin übrigens der Meinung, dass man Gedichte nicht übersetzen kann.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Das ist sicher ein Problem bei einem solchen Text und nach wie vor finde ich es gut gelöst. Ich bin übrigens der Meinung, dass man Gedichte nicht übersetzen kann.
Doch, kann man. Aber das können nicht viele! Ich wundere mich manchmal über Übersetzungen von "alten" Gedichten, die nicht nur die Worte, sonden auch den Duktus und das Gefühl rüberbringen! Aber natürlich - nichts trifft das Original so wie ... das Original.
 

Querleserin

Bekanntes Mitglied
30. Dezember 2015
4.171
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Wadern
querleserin.blogspot.com
Doch, kann man. Aber das können nicht viele! Ich wundere mich manchmal über Übersetzungen von "alten" Gedichten, die nicht nur die Worte, sonden auch den Duktus und das Gefühl rüberbringen! Aber natürlich - nichts trifft das Original so wie ... das Original.
Interessant finde ich, wenn du "alte" Gedichte in zweierlei Übersetzung liest.
Ich bin ein großer Fan von Emily Dickenson und kenne mehrere Übersetzungen ihrer Gedichte -manche treffen den Duktus und auch das Gefühl ihrer Gedichte sehr gut, manche eben nicht. Aber es ist eine ganz hohe Kunst!
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
1.987
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Ich habe eine andere Sicht auf Eilish. Sie ist in einer Notlage und versucht ihr Bestes zu tun. Fehler sind dabei unvermeidlich, in unseren „normalen“ Familien kommen sie auch vor. Sie ist als politisch unzuverlässig eingeordnet, verliert den Beruf, wird überwacht und vermisst Mann und Sohn, ohne die sie das Land nicht verlassen will. Ich kann ihre Hoffnung nachvollziehen. Aus der Nazizeit wissen wir, es war für viele Menschen zu spät

Mittlerweile hat sie auch kein Geld mehr für eine Flucht. Sie hat kein Auto mehr usw. Sie hat den Zeitpunkt verpasst. Die Tunnel-Metapher finde ich sehr passend. Sie steckt schon so tief im Tunnel, dass der Rückweg zu weit ist. Jetzt muss sie weiter…

Von außen betrachtet, mag es sinnvoll sein zu gehen, doch Eilish, die mitten in der Situation ist, sieht keinen Ausweg, keine Alternative zum Bleiben.
Die Szene mit Molly habt ihr schon erwähnt, da findet Eilish die richtigen Worte und hilft ihrer Tochter.

Die Flucht ist immer schwieriger geworden. Überall Kontrollen usw. Allerdings zeigt sich jetzt auch: Wenn Kriegszustände herrschen, kann sie ihrem Vater nicht mehr helfen. Also war er vielleicht doch kein legitimer Grund zu bleiben…
 

milkysilvermoon

Bekanntes Mitglied
13. Oktober 2017
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da hätte ich auch gern mehr Hintergrundinformationen gehabt. Warum konnten sich die Rebellen so schnell durchsetzen, wie haben sie sich formiert etc.

Ich weiß: Dem Autor ging es um Allgemeingültigkeit. Ich hätte es aber nicht verkehrt gefunden, ein paar Hintergrundinfos zu erhalten. Das Fehlen von Kontext sieht sich durchs gesamte Buch. In diesem Fall stört es mich aber nicht so arg.