6. Leseabschnitt: Buch Drei, Erster Teil (Seite 317 bis 392)

Circlestones Books Blog

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Wienerin auf Rügen
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Auch in diesem Abschnitt gibt es mehrere Geschichten, immer noch die Geschichte der Haitianischen Dichterin über ihre Jahre mit Elimane in Argentinien bis zum endgültigen Abschied, erzählt von Siga in dieser langen Nacht mit Diégane in Amsterdam. Parallel dazu sind wir mit Diégane in Dakar, wenige Tage vor dem 14. September, an dem große, organisierte Protestaktionen stattfinden werden. Die Kapitel zählen die Tage bis zu diesem Ereignis, beginnend mit T-5 am 9. September und T dann mit den Erlebnissen von Diégane an diesem 14. September. In diesem Abschnitt ist die politische Situation im Senegal in Verbindung mit Literatur, mit einem möglichen ethischen Auftrag an die senegalesischen Schriftsteller, darunter auch Diégane, eines der Hauptthemen. Gleichzeitig ist es auch eine persönliche Geschichte Diéganes, er trifft Aïda wieder und T-1 ist eine wunderbar geschriebene Liebesszene, ein Tropfen Schweiß, der über Aïdas Körper gleitet und der Autor nimmt sich viel Zeit und poetische Sprache, um diese Reise zu schildern (ab Seite 367). Das vierte Biographem verbindet und ergänzt, was wir inzwischen schon über Elimane wissen. Ich bin nach wie vor begeistert, von dieser Vielseitigkeit, die sich jedoch nie verliert und immer auch weitere offene Fragen beantwortet, die Dinge langsam zusannenfügt und und wichtigen Anliegen verbindet.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Was das Hexle beim Erstellen der Leseabschnitte nicht hätte wissen können: Dieser Leseabschnitt hätte gut vier Seiten vorher sein Ende finden können. ;)

Denn für mich stellte dieser LA (ohne den Brief/die Briefe) ein geschlossenes Konstrukt dar bezogen auf die politische Lage und die Revolutionshoffnungen des Senegals um diesen besagten 14. September herum. (Weiß jemand etwas dazu, ob dies an ein reales Ereignis angelehnt ist? Ich habe gerade eben bei einer schnellen Suche nichts gefunden. bzw. gab es wohl eine Selbstverbrennung eines Mannes am 19.02.2011 vor dem Präsidentenpalast, aber die Seite kann ich nicht öffnen.) Dass Sarr in seinem Buch noch einmal so stark in das aktuelle gesellschaftspolitische Geschehen im Senegal zu sprechen kommt, hatte ich nicht erwartet. Diesbezüglich überrascht er mich ein weiteres Mal in diesem Roman. Wie ich das Ganze für mich und im Rahmen des Romans einordne, weiß ich noch nicht so richtig. Darüber muss ich erst noch mind. eine Nacht schlafen.

Und natürlich bleibt der große Erzählfaden weiterhin bestehen. Wir erfahren mehr zu Elimanes Aufenthalt in Argentinien. Ehrlich gesagt, war meine persönliche Vermutung, dass der deutsche Offizier Joseph Engelmann (?) vielleicht nach dem Krieg - wie so viele Hochrangige - nach Südamerika abgehauen ist. Als Elimane vom Tod seines sehr guten Freundes/Liebhabers?/Fast-Bruders-im-Herzen erfuhr, hat er Nachforschungen angestellt und will den Verantwortlichen nun durch Selbstjustiz und seine Fähigkeit, Leute in den Selbstmord zu treiben, richten. Das war mein Gedanke.

Dann kommen aber diese wenigen Seiten Brief(e) und es zentriert sich wieder auf den Vater von Elimane. Also liege ich wahrscheinlich mit meiner wilden Vermutung doch falsch.

Ich frage mich, wie wohl Elimanes Mutter reagiert hätte, hätte sie diesen Brief von ihrem Sohn und gleichzeitig von ihrem Partner erhalten. Ich vermute, dass es ihr gut getan hätte, ihn zu lesen/hören. Ungelesen den Brief zu vernichten, wie es O. getan hat, ersheint mir die ungünstigere Variante für den Seelenfrieden einer Person. Wenn Elimane danach noch weitere Briefe geschrieben hat und diese erneut an den Pater addressiert hatte, werden sie wohl nie angekommen sein. Da der Pater ja seinen Unfall nur ein, zwei Tage nach Erhalten des ersten Briefes hatte. Tragik, wie sie Literatur schreibt.

Jetzt kann ich kaum die letzten 50 Seiten erwarten. Wir Sarr den Sack zumachen? Wird er Fragen beantworten oder neue aufwerfen und uns mit unseren Vermutungen allein in die Nacht entlassen? Der Roman hat wirklich eine starke Sogwirkung.
 

petraellen

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(Weiß jemand etwas dazu, ob dies an ein reales Ereignis angelehnt ist? Ich habe gerade eben bei einer schnellen Suche nichts gefunden. bzw. gab es wohl eine Selbstverbrennung eines Mannes am 19.02.2011 vor dem Präsidentenpalast, aber die Seite kann ich nicht öffnen.)
ich meine ja. Ich habe eine Übersetzung gefunden, die folgende besagt:

Senegal: Proteste in Dakar am 14. September geplant
Die politische Koalition der Opposition plant Proteste vor der Nationalversammlung in Dakar am 14. SeptemberVorfall
Am Montag, dem 11. September, rief die Oppositionskoalition Manko Taxawu Senegal (MTS) zu Protesten vor der Nationalversammlung in Dakar für Donnerstag, den 14. September, auf. Vertreter der Koalition fordern, dass die Regierung den Bürgermeister von Dakar, Khalifa Sall, freilässt , der im März wegen angeblicher Unterschlagung staatlicher Gelder inhaftiert wurde. Sall wurde im Juli trotz seiner Inhaftierung auch ins Parlament gewählt, und seine Unterstützer fordern seine Freilassung, damit er im Parlament dienen kann. Während der Proteste am Donnerstag ist mit einer erhöhten Sicherheitspräsenz zu rechnen, und Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten sind möglich.
Kontext
Die regierende Partei Benno Bokk Yaakaar gewann bei den Wahlen im Juli 125 von 165 Sitzen im Parlament, was die Unterstützung für Präsident Macky Sall bei seiner wahrscheinlichen Bewerbung um eine Wiederwahl im Jahr 2019 stärken dürfte Unterdrückung, und einige Oppositionsparteien haben zum Boykott aller künftigen Wahlen aufgerufen.

Wenn man die einzelnen Namen mal googelt, dann passt die politische Beschreibung im Roman. Allerdings die Geschichte um Fatima Diop, ist Freiheit des Autors.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich habe irgendwie wahnsinnig lange für diesen Abschnitt gebraucht, weil ich ihn ehrlich gesagt recht zäh fand. Es ist ein ehrenwertes Anliegen Sarrs den Blick auch auf die politische und gesellschaftliche Situation im Senegal zu richten und ich kann es nachvollziehen. Doch für mich ist es insgesamt zu viel von allem.

Nun haben wir hier sogar zwei Erzählerinnen, die Diégane überlagern: Siga und die haitianische Freundin. Dadurch habe ich manchmal dann doch den Faden verloren. Die Mischung aus Diéganes Erlebnissen im Senegal in Verbindung mit der Erzählung über Elimane wollte für mich nicht so recht aufgehen. An der sexuellen Beziehung zu Aida hatte ich gar komplett das Interesse verloren, und die Szenen gefielen mir im Gegensatz zu @Circlestones Books Blog auch nicht.

Interessant ist die erneute Parallele zwischen Diégane und Elimane. Beide sind im Senegal auf der Suche nach einer Person. Diégane eben nach Elimane und dieser wohl auf der Suche nach seinem Vater.

Am stärksten fand ich diesmal das Biographem. Zwar scheint es recht unwahrscheinlich, dass Elimane auf dem Soldatenfriedhof ausgerechnet den Brief Assanes findet, aber das sei in einem Roman mal verziehen. Die Zweisträngigkeit der Briefe fand ich jedenfalls stark und berührend.
 

petraellen

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Am stärksten fand ich diesmal das Biographem. Zwar scheint es recht unwahrscheinlich, dass Elimane auf dem Soldatenfriedhof ausgerechnet den Brief Assanes findet, aber das sei in einem Roman mal verziehen. Die Zweisträngigkeit der Briefe fand ich jedenfalls stark und berührend.
Ich bin mir nicht sicher, wie ich den Fund Brief einordnen soll. Vielleicht hat der Autor wieder hier wieder Magie mit eingebaut. Der Brief selbst war sehr aufschlussreich.
 

petraellen

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Interessant ist die erneute Parallele zwischen Diégane und Elimane. Beide sind im Senegal auf der Suche nach einer Person. Diégane eben nach Elimane und dieser wohl auf der Suche nach seinem Vater.
und welche Parallele gibt es zu Sarr? Auf den Mali stammende Schriftsteller Yambo Ouologuem? Er ist nicht untergetaucht, hat sich aber zurückgezogen und sein Beispiel dient als Vorlage für diesen Roman.
 
Zuletzt bearbeitet:

Emswashed

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Obwohl die Zählung T-5, T-4 usw. eine stringente Aufzählung der Abläufe dieser protestbeladenen Tage im Senegal vermuten lassen, schiebt uns Sarr mit jedem Abschnitt immer zwei Erzählstränge unter, die örtlich und zeitlich voneinander getrennt sind. Die Sprünge finden übergangslos statt, das ist anstrengend, aber sehr interessant, weil sie die ganzen Parallelen zwischen der Dichterin und Elimane und Diegane und Aida aufzeigen.
Gleichzeitig wird meines Erachtens klar, dass Elimane keineswegs der böse Zauberer ist. Er hat Briefe in die Heimat geschickt, leider war der Empfänger nicht mehr erreichbar. Auch Assane hat sich gemeldet, sein letzter Brief ist mit ihm auf dem Schlachtfeld geblieben.
Zwar scheint es recht unwahrscheinlich, dass Elimane auf dem Soldatenfriedhof ausgerechnet den Brief Assanes findet, aber das sei in einem Roman mal verziehen.

Ich könnte mir vorstellen, dass solche Gegenstände, wie Briefe und Fotos extra in einem Gebäude beim Friedhof aufbewahrt werden, um Angehörigen die Chance zu geben, Klarheit zu finden, oder sogar die noch namenlosen Toten zu identifizieren.

Letztendlich entpuppt sich die ganze Geschichte hier beinahe zum normalen Ablauf der Dinge, die sich nach Krieg, Revolution zu entwirren versuchen. Menschen gehen auf die Suche, andere kehren zurück, wieder andere wollen Antworten.

Außerdem gibt es in der Geschichte viel Beziehungsdrama. Das einzige was man Elimane vielleicht vorwerfen könnte ist, dass er sich seinen Nächsten nicht öffnet, keine Fragen beantwortet und sich mit einer geheimnisvollen Aura umgibt.
Ich frage mich, wie wohl Elimanes Mutter reagiert hätte, hätte sie diesen Brief von ihrem Sohn und gleichzeitig von ihrem Partner erhalten.

Assanes und Elimanes Briefe liegen Jahre auseinander.
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Assanes und Elimanes Briefe liegen Jahre auseinander.
Das meinte ich nicht. Elimane hatte den Brief seines "Vaters" in Frankreich in der Gedenkstätte gefunden und in seinem Brief an seine Mutter zitiert. D.h. so hätte seine Mutter auch gleich den nie erhaltenen Brief ihres Partners erhalten. im Doppelpack sozusagen.
 

Literaturhexle

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der Autor nimmt sich viel Zeit und poetische Sprache, um diese Reise zu schildern (ab Seite 367).
Also diese Liebesszene fand ich auch sehr schön und gelungen. Trotz der Leidenschaft (die sich im Laufe der Nacht ja auch mal abnutzen müsste;)) fokussiert Diégane diesen Tropfen und assoziiert damit den Mann, der hinter der Frau herläuft. Wird ihm genau in diesem Moment mit diesem Gedanken klar, dass die Beziehung zu Aida keine Zukunft hat? Ich würde das so sehen, daher empfinde ich die "Trennung" der beiden Nomaden als folgerichtig. Jeder der beiden ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt, Anpassung fällt da schwer oder geht zu Lasten einer Seite.
Ungelesen den Brief zu vernichten, wie es O. getan hat, ersheint mir die ungünstigere Variante für den Seelenfrieden einer Person.
Na unbedingt. In dem Moment wollte O. Mossane schützen, weil sie sich sonst vielleicht das Leben genommen hätte. Aber Vernichten ist endgültig und schafft Fakten, die man nicht mehr rückgängig machen kann. Allerdings finde ich es schön gelöst, wie wir hier unsere Neugier darüber, was im Brief steht, befriedigt bekommen.
Allerdings die Geschichte um Fatima Diop, ist Freiheit des Autors.
Das hätte ich wissen müssen! Da habe ich meine Googelei dran aufgehängt und nichts dergleichen gefunden. Im Grunde ist es aber nicht wichtig. ob diese Dinge real stattgefunden haben. Es geht um das Muster, wie sich der Aufruhr des Volkes mobilisiert, wie die Regierenden sich dagegen wehren. Der Senegal ist da beispielhaft für viele andere demokratische Bewegungen in anderen Ländern.
Ich habe irgendwie wahnsinnig lange für diesen Abschnitt gebraucht, weil ich ihn ehrlich gesagt recht zäh fand
Das ging mir ähnlich, zumal man sich doch sehr konzentrieren muss, wenn die Erzählstimmen ohne Absatz ineinander übergehen.
Interessant ist die erneute Parallele zwischen Diégane und Elimane. Beide sind im Senegal auf der Suche nach einer Person.
Diese Parallelhandlungen sind immer sehr schön augenfällig konzipiert. Das gefällt mir auch.
Die Zweisträngigkeit der Briefe fand ich jedenfalls stark und berührend.
dito
Ich bin mir nicht sicher, wie ich den Fund Brief einordnen soll
Elimane hat uns eine Erklärung geliefert, die es meines Erachtens nicht gebraucht hätte. Die Biographeme sind ja nicht immer faktisch belegbar, sie liefern einfach einen fehlenden Puzzlestein zur Geschichte.
Ich habe mir das wie Gaia vorgestellt: Ein Fundus an Dingen, die man den Soldaten nicht nach Hause geschickt hat. Komisch, aber so habe ich es mir erklärt. Auch das nicht ganz logisch: Wer schreibt an der Front schon zwei Briefe (um einen vielleicht in Schönschrift abzusenden)?
Die Sprünge finden übergangslos statt, das ist anstrengend, aber sehr interessant, weil sie die ganzen Parallelen zwischen der Dichterin und Elimane und Diegane und Aida aufzeigen.
Beruhigend, dass sie euch auch angestrengt haben.
Menschen gehen auf die Suche, andere kehren zurück, wieder andere wollen Antworten.
Sehr treffend zusammengefasst.
 

Literaturhexle

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Richtig gut hat mir Aidas Kritik an Diegane gefallen, weil sie das thematisiert, was wir im ersten LA schon kritisiert haben: "Du denkst immer noch in Floskeln." 338
Gleich anschließend empfand ich seine Ausführungen über Aidas Körper als endloses Geschwätz. Formulierungen wie "Wartesaal des Tages" gefallen mir indessen.

Die politische Lage im Senegal ist aufgeheizt. Diégane verspricht seinem aktivistischen Freund "einen großen politischen Roman" zu schreiben. Ist das die Inspiration, die er braucht? Ist das das Buch, das uns vorliegt? Er erkennt, dass die Literatur das Wichtige in seinen Lebensgleichungen ist.

Wohin will er fahren? Müsste ich das wissen?
 

Wandablue

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Brandenburg
In diesem Abschnitt gehts wild durcheinander. Auch in der Erzählform. Man findet sich zwar zurecht, aber es ist trotzdem ein Kuddelmuddel!!!
Erstens das Geschehen im Senegal. Kein Hintergrund. Null Hintergrund. Ein Mädchen hat sich angezündet und ist gestorben. Als Protest. Diéganes Freund Chérif zündet sich ebenfalls an, als Sühne, weil er das Mädchen erst auf den Gedanken brachte. Ist der Name fiktiv? Ich konnte keinen politischen Suizid unter dem Namen Fatima Diop finden.
- Elimane findet Assane auf einem Friedhof in Nordfrankreich.
- Diégane findet seine Jugendliebe Aida wieder, geht hops mit ihr in die Heia und sie trennen sich wieder.
Ach ja, und die haitanische Dichterin, die keinen Namen hat, hatte zahllose Affären mit Literaten, das gehört zur literarischen Ausbildung, habe ich verstanden und eine Affäre mit Elimane. Bis sie dann nach Dakar ? ging und die Verse fand, die Siga D. an Hütteinnenwände schrieb.
Mei, richtig wirr. Und weitgehend sinnfrei.
 

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