6. Leseabschnitt: 1913 - Kapitel 36 bis 45 (S. 445 bis 563)

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Tscha, der Janki. Ganz klug werde ich nicht aus ihm. Er hat sein Geschäft verkauft und macht Ferien. Mit dem Chanele, das, desillusioniert, ganz spitzzüngig geworden ist und eigene Wege geht, sowie er sie nicht hart an der Kandarre hält. Und selbst dann, und selbst wenn, es würde nichts nützen.

Während Chanele Romane liest und den Arthür verheiraten will, ist Janki seiner eigenen erfundenen Vita erlegen. Inzwischen glaubt er fest daran, dass er ein Held von Sedan ist und nur das Chanele erinnert ihn daran, gemeinerweise, dass dem gar nicht so ist. Das Chanele stört. Und das Chanele ist auch schuld daran, dass er von der illustren Sedanheldengesellschaft als Jude enttarnt wird und fallengelassen wird. Geld hin, Geld her. Jud bleibt Jud.

Sehr schön ist auch die vorausgehende erhellende Szene als ein kleiner Bub nicht mitspielen darf, Soldat zu sein. "Du nicht", sagen die Kinder. Juden nicht. Kinder können so grausam sein. Janki verwindet es nicht, dass seine Anbiederungen gescheitert sind, er hat dafür sogar aufgehört koscher zu essen. So was hätte ich nie erwartet.

Nur eines haben weder Chanele noch Janki getan, die schöne Natur zu genießen und ausgiebige Strandspaziergäge zu machen, die Füße im Wasser, wenn schon das Baden selbst als ungesund einstuft wird. Nie werde ich sie begreifen ...

Und warum Arthür kurzzeitig so sportbegeistert war, ist auch enthüllt. Er ist homosexuell. Mei. Jude und homosexuell. Eine Katastrophe.
 

sursulapitschi

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18. September 2019
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Oh, übler Cliffhanger. Was hat Francois Mimi angetan?

Francois hatte also Gründe zum Christentum überzutreten. Außerdem blitzt so etwas wie ein schlechtes Gewissen auf, das wir ihm nicht zugetraut hatten. Ist er am Ende gar nicht so übel? – Doch ist er, er hat sich einen Landolt gekauft, nur um ihn zu quälen.

Alfred sagt gar nichts dazu und geht zur Taufe wie ein Lämmchen? Wir wissen noch gar nicht über Alfred.

Da verkauft der gute Janki einfach mal so das Geschäft, ohne Chanele zu fragen, deren Lebensinhalt das war. So ein egozentrischer Pinsel. Dann hat er sich vorgenommen, vornehm zu tun, in den oberen Kreisen zu verkehren und geht stattdessen auf Sauftour. Er sinkt gewaltig in meiner Achtung. Ich will die Scheidung. Es ist schrecklich, wie sich das Blatt wendet, als sie merken, dass er Jude ist, aber er tut mir kein bisschen leid.

Arthur ist eine tragische Gestalt. Eine schreckliche Zeit um schwul zu sein.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich glaube, Janki ist frustriert. All sein wirtschaftlicher Erfolg hat ihn nicht dorthin gebracht, wohin er wollte. Seine Kinder gehen eigene Wege. Wozu sich weiter plagen, wird er gedacht haben. Doch er und seine Frau sind nicht gemacht für Müßiggang. Beide verbindet wenig, das Ehepaar ist sich über die Jahre hinweg nicht näher gekommen. Für beide war ihr Geschäft ihr Lebensinhalt.
In Urlaub fahren war damals noch nicht so üblich. Chanele wollte eh nicht weg und für Janki war das eine Prestigefrage. Er wollte zeigen, dass er sich das leisten kann. Mit der Begegnung im Zug ist er beinahe dort, wo er schon immer hinwollte. Endlich die Anerkennung bekommen, die ihm zusteht. Dass er die Vergangenheit umschreibt, was soll‘s. Damit steht er nicht allein da. Lewinsky zeigt das wunderbar in diesem Veteranenverein. Doch in den Krieg ziehen, war Juden erlaubt. Aber dafür sich feiern lassen? Wo kämen wir hin? Das mussten später viele deutsche Juden erfahren, dass ihnen ihre Verdienstorden überhaupt nichts genützt haben.
Genauso wenig wie die Taufe sie weiterbringt. Das zeigt Lewinsky an Francois. Auch er bekommt danach nicht das Grundstück, von dem ihm Landolt erzählt, es dürfe nicht an Juden verkauft werden. Nett ist es nicht, dass er sich einen Fahrer gleichen Namens hält, aber verständlich. Wohin soll man mit seiner Wut und seinem Frust?
Arthurs Homosexualität hat mich nicht überrascht. Es gab ja schon Andeutungen in diese Richtung. Aber einfacher wird dadurch nichts für ihn. Man kann nur hoffen, dass seine Beziehung zu Joni nie nach außen dringt. Doch wer weiß?
Ihr seht, ich habe ( wie so oft ) viel Verständnis für die Figuren, ohne ihr Verhalten dabei zu billigen. Lewinsky zeigt sie in ihrer Menschlichkeit, mit ihren Schwächen und ihren Fehlern. Und genauso sind Menschen. Mimi z.B. ist egozentrisch und eitel, kann aber auch über ihren Schatten springen, wenn es sein muss. Pinchas liebt sie immer noch. Das kann man verblendet oder schön finden. Mir gefällt das. Er ist ein kluger Mann, er weiß, wie sie ist. Liebe ist nicht weil…sondern trotzdem.
 

Renie

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Der Anfang dieses LAs war schon sehr irritierend. Ich bin Lewinsky auf den Leim gegangen, weil ich angenommen habe, dass Schmul gestorben ist. So ein Fuchs (Lewinsky, nicht Schmul)!

Mir fallen immer wieder Kleinigkeiten in diesem Roman auf, die ich sehr lustig finde.
Hier war es Borkum (schlimmer als Sodom und Gomorra). Ich war zwar noch nie auf Borkum, stelle es mir aber sicher nicht als Sündenpfuhl vor. Ganz im Gegenteil.:D

Sehr gut hat mir auch die Beschreibung der Liebesszene zwischen Arthur und Joni gefallen (S. 540). So poetisch. In der Baldwin-Leserunde hatten wir auch eine Liebesszene, deren Beschreibung für Entzücken in der Leserschaft gesorgt hat. Lewinsky steht dem in nichts nach. Wir sollten bei Whatchareadin einen FSK18-Bereich einrichten, in dem wir solch emotionsgeladenen Szenen sammeln. ;)
 

Renie

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Dachte ich auch . Aber für die Juden hier scheint es beinahe so schlimm ( oder schlimmer?) zu sein, als wenn er gestorben wäre.
Erstaunlich, dass sich solche Glaubensdinge nicht mit den Generationen "abnutzen". Man sollte annehmen, dass die Toleranz gegenüber Glaubensentscheidungen mit jeder Generation steigt. Wobei Schmuls Entscheidung aus geschäftlichen Interessen getroffen wurde. Das ist nochmal eine andere Nummer.
 

Emswashed

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Dieser Leseabschnitt war richtig spannend. Dass Desiree doppeltes Spiel spielt, war mir spätestens klar, als ihre Freundin gar nicht auf Mimis Bemerkungen reagierte und sie auch sonst als farblos beschrieben wurde.
Viel Zeit zum Wundern blieb mir allerdings nicht, denn sogleich wartete ich auf Sylt mit Spannung auf die Enttarnung Jankis.... das war so klar. Die Deutschen konnten also eher den ehemaligen Feind anerkennen, als einen Juden. Der kleine Junge, der nicht mitspielen durfte, war Vorbote und Auslöser für Jankis Untergang.

Sieh an, sieh an, der feingeistige Arthur ist schwul. Ist wahrscheinlich gleich hinter Zumchristentumkonvertieren Todsünde Nummer Zwei.

Einerseits möchte ich sofort weiterlesen, andererseits kommen nach der Hälfte des Romans schon erste Verlust- und Abschiedsängste auf!

Die Mitte eines Buches hat für mich etwas von einem Gipfel - entweder ich lasse mich den Berg nur noch hinunterkullern, oder aber ich renne im Zickzack, damit der Weg möglichst lang ist. Bei Lewinsky möchte ich oben warten, bis ich sicher sein kann, dass die nächste Geschichte schon auf meinem Tisch liegt.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Tscha, der Janki. Ganz klug werde ich nicht aus ihm. Er hat sein Geschäft verkauft und macht Ferien. ,
Janki empfinde ich als offenes Buch. Er hat sie Leben lang nichts anderes angestrebt, als anerkannt zu werden, sei es mit dem geschäftlichen Erfolg, mit der Heirat, mit seinen erfundenen Sedan-Geschichten, mit seinen Investitionen in das Geschäft seines Sohnes oder mit dem pralerischen Urlaub. Und doch sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, das ist tragisch. Chanele ist viel klüger und hat das längst durchschaut.
Erstaunlich, dass sich solche Glaubensdinge nicht mit den Generationen "abnutzen". Man sollte annehmen, dass die Toleranz gegenüber Glaubensentscheidungen mit jeder Generation steigt. Wobei Schmuls Entscheidung aus geschäftlichen Interessen getroffen wurde. Das ist nochmal eine andere Nummer.
Wäre da nicht Ruben, ich würde meinen, der Eifer nimmt in der Familie von Generation zu Generation ab. Janki isst auswärts nicht koschere Speisen, Mina trägt keinen Scheitel usw. Dass Schmul nicht ganz und gar verstoßen wird (Janki investiert weiterhin in sein Geschäft) wäre in Salomons Generation wahrscheinlich auch noch nicht denkbar gewesen.
 

Barbara62

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Der Grund für Mimis Wutausbruch scheint mir offensichtlich, vor allem, weil in meiner Familie eine ähnliche Geschichte erzählt wird. Meine Tante ging als Jugendliche mit einem Koffer zum Bahnhof, der Koffer ging auf und der Inhalt ergoss sich auf die Straße. Die Geschichte war zu schön, um nicht zuhause erzählt zu werden, aber andererseits peinlich. So erzählte sie ihrer Familie von einem Mädchen, das sie beobachtet hatte, und schmückte ihre Zuschauerrolle fantasievoll aus. Bis eine Bekannte meiner Oma ihre Version erzählte... Seit 60 Jahren wird meine Tante deshalb gehänselt. Und wer der Verehrer von Désirée ist, scheint mir auch klar. Arme Mimi ;)!

Man muss sich das einmal vorstellen: Für die Sedan-Veteranen ist es kein Problem, dass Janki auf der anderen Seite gekämpft hat. Dass er aber als Jude geoutet wird, ist Grund genug, ihn zu verstoßen. Ist das nicht krank?

Onkel Melnitz bei der Taufe: "Du lässt dir dein Judentum abwaschen... aber es wird dir nichts nutzen." Er ist weitsichtig wie immer.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Janki empfinde ich als offenes Buch. Er hat sie Leben lang nichts anderes angestrebt, als anerkannt zu werden, sei es mit dem geschäftlichen Erfolg, mit der Heirat, mit seinen erfundenen Sedan-Geschichten, mit seinen Investitionen in das Geschäft seines Sohnes oder mit dem pralerischen Urlaub. Und doch sind alle Versuche zum Scheitern verurteilt, das ist tragisch. Chanele ist viel klüger und hat das längst durchschaut.
Tscha. Aber ganz so ist das nicht. Ich meine, die JankiFigur wäre sogar schief. Immerhin mochte er das Chanele. Er war ein wenig ein Luftikus, aber doch nett. Und plötzlich ist er ein Ekel, der das alte Fleisch vom Chanele nicht mehr anfassen mag und davon abgestoßen ist. Das ist Blödsinn. Vom Autor her. Finde ich nicht stimmig. Die beiden hätten sehr nett und gemütlich zusammenwachsen können. Auch wenn es nicht die große Liebe ist. So, wie es nämlich in aller Regel ist, dass die meisten Paare irgendwie zusammenwachsen.
Dann hat er so gar keine Beziehung zu seinen Kindern. Auch das erscheint mir unwahrscheinlich.
Beim Rest magst du recht haben. Der Geltungstrieb. Aber dass er die Dinge so falsch einschätzt finde ich auch komisch, er hat beim Aufbau seines Geschäfts durchaus Geschäftssinn und Menschenkenntnis gezeigt.
Mimi und Janki sind nicht so richtig gelungen. (In der Gesamtschau fällt das nicht ins Gewicht).
 

Barbara62

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Dann hat er so gar keine Beziehung zu seinen Kindern. Auch das erscheint mir unwahrscheinlich.
Beim Rest magst du recht haben. Der Geltungstrieb. Aber dass er die Dinge so falsch einschätzt finde ich auch komisch, er hat beim Aufbau seines Geschäfts durchaus Geschäftssinn und Menschenkenntnis gezeigt.
François ist sein Herzenskind. In sein Geschäft steckt er den Erlös seiner verkauften Läden. Unfair zumindest gegenüber Hinda, die etwas Geld gut gebrauchen könnte. Aber François ist derjenige, von dessen Karriere Janki sich am ehesten Ansehen bei den Nicht-Juden verspricht, daher verstößt er ihn nicht nach der Taufe.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Man sollte annehmen, dass die Toleranz gegenüber Glaubensentscheidungen mit jeder Generation steigt.
Naja, das Judentum ist doch etwas mehr als eine Glaubenssache.

Ok, ein richtiger Psychopath scheint er doch nicht zu sein, aber François ist voll und ganz der Sohn seiner Eltern ;) Jankis' Bedürfnis nach Anerkennung und Chanteles Pragmatismus sind bei ihrem Sohn zu einer unschönen Mixtur von kaltem berechnenden Machtstreben geworden. Während der mittlerweile zum Geck gewordene Vater aus Geltungsbedürfnis die koscheren Glaubensgrundsätze über Bord wirft, geht der Sohn aufs Ganze: Weg mit dem Judentum! Alles was zählt, ist der Platz ganz oben und etwaige Zweifel werden gleich platt gemacht. Dass Beide dann erfahren müssen, dass selbst Bier, nichtkoscheres Essen, Soldatensein und Christentum den Juden immer noch nicht alle Türen öffnen, hatte Melnitz ihnen gleich schon von Anfang an erklärt. Melnitz der Allwissende?

Um Arthur tut es mir leid. Er ist solch ein mitfühlender lieber Charakter - ob ihm doch noch irgendwie das Glück hold ist? Ich würde mich so für ihn freuen!

Ob Désirée wirklich so harmlos ist wie sie tut? Irgendwie habe ich da meine Zweifel, so sorgfältig wie sie alles ausschmückt. Wenn sie die Intelligenz ihres Vaters geerbt hat, weiß sie, wie sie mit ihrer Mutter umzugehen hat, was diese hören will. Schön finde ich, dass Mimi ihren Pinchas offenbar wirklich liebt, so wie sie mit ihm umgeht. Entgegen meiner Hoffnung hat sich ihr Charakter zwar nicht verändert, aber es scheint ihr und ihrem Mann gut zu gehen.

Hinda und Zalman sind die Glücklichsten, so wie es scheint. Keine Reichtümer, aber sie lieben sich und das, was sie tun. So soll es doch auch sein, oder?

Was für eine herrliche Geschichte! Ich lebe und leide mit diesen Figuren und bin jetzt schon traurig darüber, dass ich diese Menschen irgendwann verlassen muss (bzw. sie mich). Ich glaube, dieses Buch wird bei mir bleiben ;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Francois wollte doch nur dieses eine Grundstück. Es ist gemein, dass sie es ihm nicht geben.
"Auch ein getaufter Jude, bleibt ein Jude."
So schnell lassen sich gewachsene Vorurteile nicht überwinden. Zudem kann es ja auch sein, dass Landolt das Stückle gar nicht verkaufen will. Hab ich schon häufiger gehört, wenn es um leer stehende Bauplätze ging: da wird gepokert und geschachert, werden Bedingungen aufgestellt.... und am Ende will man es doch für die Urenkel behalten und nicht verkaufen.
 
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Renie

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Immerhin mochte er das Chanele.
Er mochte wohl eher ihre Tüchtigkeit und ihre Unterstützung beim Aufbau der Läden. Ohne sie hätte er es nicht geschafft. Und als sie noch jung und knackig war, hatte er sicherlich auch keine Schwierigkeiten, ihr körperlich nahe zu kommen.