„Ich habe Angst, Cordelia zu sein. Denn in gewisser Hinsicht haben wir die Plätze getauscht, und ich habe vergessen, wann.“ (S. 277). Das ist ein Gedanke der erwachsenen Elaine. Er stimmt mich nachdenklich und macht mich hellhörig.
Die Entwicklung der jungen Elaine gefällt mir gar nicht. Sie verbündet sich mit Cordelia und nähert sich ihr an. Sie lästert mit ihr und erlangt die Fähigkeit, sie zu verunsichern, was sie zu genießen scheint. „ Ich bin überrascht, wie viel Vergnügen es mir macht, zu wissen, dass Cordelia so unsicher ist, zu wissen, dass ich so viel Macht über sie habe.“ und „Ich habe einen viel dichteren, boshafteren kleinen Triumph in den Händen: Energie ist zwischen uns hin und her gegangen, und ich bin die Stärkere.“
„ Ich habe ein böses Mundwerk. Ich habe ein so böses Mundwerk, dass ich dafür inzwischen bekannt bin.“
Dahinter steckt m. E. nicht nur das gesunde Bedürfnis, sich abzugrenzen oder zu wehren. Es geht um Macht, Stärke und ich denke, es geht auch um Rache.
Das Blatt wendet sich.
Cordelia erscheint weicher und empfindsamer - Elaine härter und bösartiger. „Ich finde, Cordelia wird immer gefühlsduseliger. Sie wird ein richtiger Waschlappen.“ (S. 304)
Cordelia interessiert mich. Sie wurde ja nicht so boshaft, berechnend und machtgierig geboren, wie sie Elaine gegenüber ursprünglich aufgetreten ist.
Sie selbst ist in einem ausgeprägten Machtgefälle aufgewachsen. Allerdings war sie da auf der Seite der Ohnmächtigen/Machtlosen/Schwächeren:
Cordelia strebte danach, ihrem Vater zu gefallen, aber sie konnte ihm nichts recht machen. Sie gab ihm Macht über sich - wie einst Elaine Cordelia Macht gegeben hat.
Außerdem hatte er auch aufgrund seiner Unberechenbarkeit Macht über sie. „Ich dachte, wenn ich mich ganz still verhielt, und niemandem im Weg war und nichts sagte, wär ich in Sicherheit.“ (S. 311)
Ihr Gefühl der Kleinheit und Ohnmacht, auch gegenüber den älteren Schwestern, gab sie einst an Elaine weiter.
Ich denke, das Ereignis in der Schlucht war der Wendepunkt. Die Machtverhältnisse haben sich umgekehrt. Elaine hat Cordelia die Macht entzogen und dadurch kippte Cordelias Selbstsicherheit.
Mit Cordelia geht es bergab. „Cordelia ist ein Wrack.“ (S. 315). Sie bittet Elaine, zu kommen, hofft wohl auf Hilfe in welcher Form auch immer. Wahrscheinlich hofft sie unbewusst, wieder das alte Machtgefüge herstellen zu können, damit sie wieder zu ihrem inneren Gleichgewicht und ihrer alten inneren Selbstsicherheit zurückfindet. Aber Elaine spielt da nicht mit. Sie ist distanziert. „Ich bin über mich selbst erschrocken, über meine Grausamkeit und Gleichgültigkeit, meinen Mangel an Gutmütigkeit.“
Später nimmt Cordelia, die inzwischen eine Anstellung als Schauspielerin hat, wieder Kontakt auf und sie treffen sich. In dieser Begegnung inszeniert sich Cordelia und Elaine fühlt sich unterlegen. Die neue Machtverteilung schwankt schon wieder. Konkurrenz und Rivalität zwischen den beiden ist spürbar. Wie dieses Machtspiel wohl weitergeht?
Wenn man sich die Affäre zwischen Elaine und Josef Hrbik, ihrem Lehrer genauer betrachtet, stößt man auf die gleichen Themen. Elaine will ihm gefallen. Sie will seine Erwartungen erfüllen und ihn nicht enttäuschen. (S. 360) „Er möchte... er möchte...er möchte...“ und SIE??? (S. 362)
„Josef ist dabei, mich umzumodeln.“ (S. 372) Schon wieder jemand, der sie manipulieren und verändern will. Schon wieder jemand, dem sie das gestattet.
Es ist eine Neuauflage der Beziehung zu Cordelia.
Es sieht erst einmal nicht nach großer Leidenschaft und schon gleich gar nicht nach Liebe von Seiten Elaines aus.
Sie will ihm eher gefallen und seinen Erwartungen entsprechen. (S. 360) Wie bei Cordelia!
Es ist nicht Leidenschaft oder gar Liebe, die sie an ihn bindet, sondern es sind ihre Gefallsucht, sein Verlangen, das ihr ein Gefühl von Wert vermittelt und seine Unberechenbarkeit, die sie reizt und gleichzeitig einschüchtert.
Sie gibt ihm Macht über sich. Ein kurzer Austausch zwischen ihnen macht Hoffnung: „Würdest du alles für mich tun?“ Ihre Antwort: „Nein.“. (S. 374)
Elaine genießt es, im vermeintlichen Beschützen von Susie, seiner anderen Geliebten, seine Verbündete zu sein (S. 363). Die Verbündete zu sein, erlebt sie als Aufwertung.
Sie meint, Susie beschützen zu können und dadurch fühlt sie sich stärker.
Dass sie sich zur Geliebten und noch dazu zu einer zweiten Geliebten degradieren lässt, zeigt, wie wenig Selbstwertgefühl und Tendenz zur Erniedrigung sie hat.
Elaine ist stolz darauf, dass Josef ihr vertraut und sie ist stolz darauf, dass sie ein Geheimnis kennt. Sie fühlt sich dadurch überlegen und wertvoller.
Ein ewiges Jonglieren zwischen Aufwertung und Abwertung, zwischen Macht und Ohnmacht sowie zwischen sich erheben und sich unterwerfen.
Elaine orientiert sich an den Erwartungen anderer und ist abhängig von deren Wertschätzung.
Ein gesundes Selbstbewusstsein und ein gesundes Selbstwertgefühl wären ihr zu wünschen.
Vor diesem Hintergrund ist diese Aussage nicht verwunderlich: „Ohne Warnung überfällt mich die Erkenntnis, dass ich unglücklich bin“.
„Die Liebe macht Susie schlaff, willenlos, ohne Rückgrat; so wie mich.“ (S. 375) Das ist ein interessanter Gedanke von Elaine, aber ich habe Zweifel an dem Wort „Liebe“. Zunächst einmal spüre ich im Gelesenen nichts von einer Liebe zu Josef. Ich glaube nicht, dass es Liebe ist, sondern das narzisstische Bedürfnis geliebt, verehrt und bewundert zu werden, um sich als wertvoll(er) zu erleben.
Eileen ist narzisstisch. Sie wertet die Einen ab und will überlegen sein und sie wertet die Andern auf und will Ihnen gefallen/unterwirft sich ihnen.
Das alles dient zur Regulation und Stabilisierung ihres inneren Gleichgewichts. Bricht diese Regulation zusammen, dann landet sie in einer narzisstischen Krise, die sich in einer Depression zeigen kann.
Ach ja, noch ein Gedanke zu der Jon-Geschichte am Ende:
Ich würde mal schätzen dass sie bereits unbewusst in John verliebt ist, bzw. dass er sie reizt bzw. dass er der nächste sein wird, dem sie um jeden Preis gefallen möchte.
Es ist ihr nicht egal, wie sie aussieht und riecht (S. 375) und als er sie „Kumpel“ nennt, trifft sie das sehr. (S. 377).