Ich bin immer noch in diesem Dialog gefangen, habe ihn gestern abend zum zweiten Mal gelesen.
Einige Dinge, die mir aufgefallen sind, mal so stichwortartig:
Das Zustandekommen des Teufelspakts: Wenn ich es richtig verstanden habe, liegt der Zeitpunkt dieses "Pakts" schon in der Vergangenheit, und zwar mit der bewussten Inkaufnahme der Infektion - manchmal scheint es ja so, als habe Leverkühn es geradezu darauf angelegt. Die Geschlechtskrankheit als Metapher für einen Pakt mit dem Teufel erscheint als recht schräger Gedanke (ich frage mich, wie das wohl bei Lesern ankam, die sich unwillentlich infiziert hatten - aber dieser Gedanke der Gekränktheit durch persönliches Betroffensein war vielleicht zu Manns Zeiten noch nicht so allgegenwärtig wie heute ...?). Ist in sich jedenfalls stimmig: Die Infektion geschieht im Moment der Lust, wandert aber im Spätstadium ("Quartärstadium") ins Gehirn und führt letztlich zur Demenz. Angeblich sind aber kurz vorher besonders herausragende kognitive Leistungen möglich (!).
(Übrigens - der Teufel hat die beiden Ärzte, die Leverkühn aufgesucht hat, vorsorglich beseitigt – das erinnerte mich spontan an den Film „Angel Heart“, einen meiner Lieblingsfilme, in dem jede Person, die der Detektiv bei seinen Nachforschungen aufsucht, kurz darauf zu Tode kommt. Übrigens auch infolge eines Teufelspakts.)
Inspiration: Der „Ludewig“ erklärt, dass er nichts Neues schaffen könne: „Wo nichts ist, hat der Teufel sein Recht verloren.“ – „Wir schaffen nichts Neues (….) wir entbinden nur und setzen frei.“ Er bietet an, für eine Inspiration zu sorgen, die nicht (Shakespeare sagt es am schönsten) von des Gedankens Blässe angekränkelt ist, sondern „wahrhaft beglückend, entrückend“ ist, „bei der alles als seliges Diktat empfangen wird“, quasi ein Geniestreich aus dem Unbewussten. Das sei nicht möglich mit Gott, „der dem Verstande zu viel zu tun übrig lässt“, sondern nur mit dem Teufel, „dem wahren Herrn des Enthusiasmus“.
Im Volksmund sagt man über den kreativen Prozess "ein Prozent Inspiration, 99 Prozent Transpiration". Es scheint hier, als ob der Teufel dafür sorgen will, dass jedes schöpferische Werk "druckreif" aus dem Unbewussten kommt, ohne kontrollierende Instanz? Die kontrollierende Instanz zu überwinden, ist heute im allgemeinen Sprachgebrauch das erste Ziel des Kreativ-sein-Wollens - ich kenne das aus praktisch jedem Kreativ-Workshop, egal für welche Art von Kreativität. Automatisches Schreiben, Clustern, Zeichnen mit der linken Hand (für Rechtshänder) usw.
Thema Vergebung / göttliche Gnade: Gottes Gnade ist umso größer, je mehr ein Mensch gesündigt hat. D.h. gerade der größte Sünder lässt Gottes Gnade am meisten strahlen. Der am meisten und schwersten sündigt, gibt der göttlichen Gnade das breiteste Wirkungsfeld! Andererseits ist gerade dieser Gedanke - den der Ludewig "Spekulieren" nennt - die schwerste Sünde überhaupt, und damit die größte Herausforderung an die göttliche Vergebung. Die "Spekulierer", stellt Ludewig fest, sind die größten Sünder - sie stellen die "Population der Hölle". Das heißt, dass Leverkühn ohnehin der Hölle verfallen ist, schon aufgrund seines Gedankengangs.
Und schließlich die Negation der objektiven Wirklichkeit: "Ist wirklich nicht, was wirkt, und Wahrheit nicht Erlebnis und Gefühl? Was dich erhöht, was dein Gefühl von Kraft und Macht und Herrschaft vermehrt, zum Teufel, das ist Wahrheit - , und wäre es unterm tugendlichen Winkel gesehen zehnmal eine Lüge". Bezieht sich das nun nur auf die Spannung zwischen Wirklichkeit und Wahrnehmung - oder auch auf die Moral? Offenbar letzteres, da ausdrücklich von Macht und Herrschaft die Rede ist. Nietzsches Übermensch, der über der Moral steht? Letzteres führt, wie wir aus bitterer Erfahrung wissen, direkt ins Herrenmenschentum. Da darf man gespannt sein, was aus Leverkühn noch wird.