Ich war ja überrascht, dass Roland die Konfrontation mit Miriam tatsächlich durchzog – aber ich glaube, er hat immer noch nicht vollends erkannt oder akzeptiert, wie sehr ihn das tatsächlich fürs Leben gezeichnet hat. Bezeichnend ist, dass sowohl Alissa als auch Daphne, nachdem er ihnen die Geschichte erzählt hatte, direkt den Zusammenhang sahen zu seiner Sexsucht und Beziehungsunfähigkeit. Er scheint immer wieder überrascht, wenn jemand von seiner Sexsucht spricht.
Ob ich wirklich glaube, dass es nach Roland keinen weiteren kleinen Jungen gab, in den Miriam ihre Klauen schlug, in all den Jahren…? Ich bin skeptisch. Dass sie anscheinend spontan in obsessive Lust verfiel, als der 11-jährige Roland vor ihr stand, weist stark auf pädophile Tendenzen hin, und die verschwinden doch nicht einfach wieder. Und die Frau ist ja nicht dumm. Da steht Roland und erzählt ihr was von der Polizei, da wird sie den Teufel tun und ihm beichten: Ach ja, nach dir kam dann noch Steven und dann Adam und dann der kleine Bob … Für mich klingt es auch sehr nach Berechnung, dass sie sagt: Wenn du zur Polizei gehst, werde ich gar nicht aussagen, sondern direkt alles gestehen. Damit nimmt sie Roland einen Teil der Motivation, das zu tun; sie schätzt ihn wahrscheinlich richtig ein, dass es ihm in nicht wirklich um Rache geht, sondern darum, zu verstehen. Wenn er glaubt, dass es außer ihm kein Opfer gab und dass sie ohnehin nicht aussagen wird, dann hat er nur wenig zu gewinnen im Austausch für die Demütigung, selber aussagen zu müssen. Denn als Mann vor Gericht über sexuellen Missbrauch zu sprechen, das ist leider immer noch eine Einladung zum Spott. Sollte nicht so sein, ist aber so.
Ich habe mich sehr gefreut, dass Roland seine Freunde aus der DDR wiedergetroffen hat. Aber ich glaube, daraus wird jetzt keine anhaltende Freundschaft werden, das war nur der Abschluss dieses Kapitels.
Und der letzte Kreis, Alissa und Roland:
"Ob grausames Verhalten große oder schlechte Lyrik hervorbringe, mache letztlich keinen Unterschied. Eine grausame Tat bleibt eine grausame Tat." S. 533 Roland glaubt, damit abgeschlossen zu haben und widerspricht dem Verdikt des Professors: "Ja, ich habe ihr vergeben, weil sie gut ist, brillant sogar." S. 535 Ich bin nicht überzeugt, da kommt noch was, da bin ich sicher.
Eine andere Beziehung endet ebenfalls, aber nicht glücklich: Die von Alissa und ihrer Mutter. Was hat Alissa dazu getrieben, Namen zu nennen? Bei den ehemaligen Nazis kann ich es nachvollziehen, die nach dem Krieg einfach weitergemacht haben, aber ihrer eigenen Mutter das anzutun. Nein, sie wird mir nicht sympathischer.
Mir ist ja zwischendurch der Gedanke gekommen: Diese Frau kennt anscheinend keine Skrupel. Sie opfert der Literatur die Beziehung zu ihrem Sohn, sie stellt ihre Mutter an den Pranger … Und seit Roland ihr von seinen Erfahrungen mit Miriam erzählt hat, sitzt Alissa auf einer Bombengeschichte, aus der man sicher einen Bestseller machen könnte. Wundern würde es mich nicht, und das würde die Karten dann schon wieder vollkommen neu mischen.
Robert als eine der vielen möglichen Versionen Rolands. Was für eine Wahnsinnsidee, toll umgesetzt.
Das fand ich auch klasse! Wie tragisch für Robert, dass er zu spät kommt, um mit seiner leiblichen Mutter zu sprechen. Aber wenigstens können Rosalinds Geschwister sich gegenseitig die Lücken im Lebenslauf füllen.
Lawrence trifft seine Mutter und es ist ein einziges Desaster. Für Alissa kann man kaum Sympathien aufbringen.
Zudem bleibt es unverständlich, warum sie keinen Kontakt mit ihrem 16-Jährigen Sohn aufbauen will? Zu dem Zeitpunkt hätte sie eine Annäherung zulassen können. Ich bleibe dabei, dass sie viel grausamer agiert als ihre eigene Mutter.
Ja, absolut. Es ist eine Sache, zu sagen, ich will keine Mutter sein, ich kann nicht schreiben, wenn mir ein Kind und ein Mann am Bein hängen. Viele Männer zahlen Alimente, schicken sonst nur Geschenke an Weihnachten und rufen zum Geburtstag mal an,
wenigstens das hätte sie doch auch tun können.
Aber es ist eine ganz andere Nummer, so unnötig grausam zu sein. Hätte es ihr wirklich wehgetan, freundlicher zu sein zu Lawrence und vielleicht mal ein paar Stunden mit ihm zu reden, um ihm ihre Sicht zu erklären?
ohne es wenigstens zu probieren, für sich die Zeit zum Schreiben zu finden, eine Regelung, die ihr die nötigen Stunden der Abgeschiedenheit erlaubt. Ihre Weigerung, wenigstens in Briefkontakt mit ihrem Sohn zu bleiben, verstehe ich nun überhaupt nicht. Dass sie sich damit selbst schützen will vor dem Schmerz ihres Verlustes etc. - Ausreden und sehr egoistisch.
Ja, mimimimi. Ihr Schmerz zählt, der von Lawrence offensichtlich nicht.
Für mich ist dieses Treffen zwischen Sohn und Mutter eine der Kernszenen dieses Abschnitts. "Warum hast du nicht das Format, Bücherzu schreiben und mich zu sehen?" Wäre eine gute Frage gewesen, aber plötzlich will er nicht mehr, was ich absolut nachvollziehen kann. Drei Minuten insgesamt für dieses Treffen.
Vielleicht taucht das irgendwann als Szene in einem ihrer Bücher auf – natürlich so dargestellt, dass sie nicht so schlecht dabei dasteht. Könnte man ja so schildern, als habe Roland ihr den Sohn vorenthalten. Vielleicht, als hätte er ihr ein Ultimatum gestellt, dein Kind oder deine Literatur. Mensch, ich traue der Frau literarisch alles zu.
Ungewöhnlich für Roland, dass er die Beweise des Missbrauchs so lange aufbewahrt hat, oder hat er sie als Erinnerung behalten? Zumindest scheint es Miriam leid zu tun und sie weiß, dass sie sein Leben beschädigt hat.
Vielleicht hat ein Teil von ihm sich immer gefragt, wie sein Leben verlaufen wäre, hätte er Miriam geheiratet.
Wiedersehen mit Miriam, eine Abtreibung, eine gescheiterte Beziehung war der Auslöser für ihr Verhalten? Das erklärt für mich nicht genug.
Nee. Was für eine Kausalitätskette: "Ich hab mein Kind verloren" – "Meine Beziehung ist im A...." – "Oh wow, sieht dieser kleine Junge sexy aus"?
Ich freute mich deshalb auch riesig mit Joy, dass sie in ihrem hohen Alter noch Robert wiedersehen durfte.
Das hat sie wahrscheinlich ihr ganzes Leben lang verfolgt. Tragisch, dass Rosalind diese Begegnung nicht vergönnt war.
Na und zuletzt: die Krebserkrankung von Daphne! Das tat mir dermaßen leid! Ich hatte ihnen ihr neues Glück soooo gegönnt!
Musste das sein, Herr McEwan? Musste
das wirklich sein?
Liest eigentlich irgendjemand das Original? Der Übersetzer spielt mit der Du- und Sie-Form, was ich einerseits gut gemacht finde, was ja aber andererseits nicht aus dem Original kommt. Ist das nicht schon zu viel eigene Interpretation?
Ich lese das Original, aber da ist natürlich alles immer "you". Natürlich kann man aus dem Tonfall des restlichen Satzes schließen, was im Deutschen besser passen würde, aber ich frage mich, ob das mit McEwan abgesprochen wurde, was seines Erachtens wann wo besser passt.
Roland war viel zuhause, warum hätte er sich in dieser Zeit nicht um Lawrence kümmern sollen? Einen Versuch wäre es wert gewesen.
Genau. Hätte das dann nicht geklappt, hätte sie ihn immer noch verlassen können.
Es schien dem Beamten ja sehr wichtig zu sein, ist ja auch kein üblicher Fall gewesen
Ich hatte den Eindruck, dem ging es vor allem darum, so viele Fälle wie möglich zu finden, die sich schnell aufklären lassen, um die Quote zu verbessern!