5. Leseabschnitt: Kapitel 66 bis Ende

MRO1975

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Pinch hat sich doch dazu entschlossen, die Akte zu verkaufen, um seinen Geschwistern den Erlös zukommen zu lassen. Tatsächlich verkauft er aber nicht die Originale, sondern fertigt nach und nach Kopien an und verkauft die Kopien. Die Originale versteckt er im Ferienhaus. Er malt weiter - stark vergrößerte Ausschnitte aus den Gesichtern seiner Geschwister. Die Gemälde präsentiert er als das Spätwerk seines Vaters. Zur ersten Ausstellung läd er die Geschwister ein. Sie erkennen: „Jedem vergrößerten Gesicht ist das Leid anzumerken, das Bear verschuldet hat. Diese Bildreihe ist eine später Botschaft ihres Vaters: Wider allen Anschein hat er sie nie vergessen; und er wusste, wie sehr er sie verletzt hatte. Diese Bilder sind sichtbar gewordenes Bedauern.“ (S. 363) Pinchs künstlerischer Antrieb hat sich also völlig verändert. Er strebt nicht mehr nach der Anerkennung Dritter, sondern handelt selbstlos, will die von Bear verursachten seelischen Wunden heilen. Eine schöne Entwicklung!

Die Gesichter werden von der Kunstwelt begeistert aufgenommen und gelangen in öffentliche Ausstellungen. Die Bilder erfahren also genau jene Anerkennung, die Bear sich immer für seine Werke gewünscht hatte - nur das es sich um die Werke von Pinch handelt. Ob Pinch das als späte Genugtuung empfunden hat? Ich glaube, darauf kam es ihm nicht mehr an.

Auch privat erfahren Pinch und Jing ein spätes Glück. Es ist allerdings nicht von Dauer. Bei Pinch wird Krebs diagnostiziert. Er will eigentlich reinen Tisch machen und trifft sich auch noch einmal mit Barrows. Diese ist aber nicht der Mensch, den er sich vorgestellt hat. Er schweigt und nimmt sein Geheimnis mit ins Grab.

Pinch hat Jing alles vermacht und verfügt, dass Die Gesichter an diverse Museen gehen sollen. Jing fährt mit Marsden zum Ferienhaus, um ein Inventar aller Werke anzufertigen. Auf dem Dachboden finden sie die Originale und erkennen die Wahrheit über die Kopien der Akte und Die Gesichter. Sie verbrennen alle Originale, damit Die Gesichter weiterhin als Werke Bear Bavinskys gelten und ausgestellt bleiben. Zum 20. Todestag Bears findet eine Ausstellung in London statt. Ausgestellt werden unter anderem Die Gesichter und einige Keramiken von Natalie. Sie findet also doch noch Beachtung. Das hat mir gefallen.
 

Renie

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Seit der Hälfte des Buches habe ich nur noch wie im Rausch gelesen. Ich musste einfach wissen, wie sich Pinch entwickeln wird. Das Ende war für mich eine dicke Überraschung.
Zum Einen hätte es mich nicht gewundert, wenn Pinch sich das Leben nimmt. Irgendwie habe ich immer Parallelen zu seiner Mutter und ihrem Familienzweig gesehen. Dass er an Krebs stirbt, hat mich überrascht, wobei mich seine letzten Tage und Minuten sehr mitgenommen haben.
Der letzte Besuch von Barrows hatte es in sich. Scheinbar hat sich dieses Miststück doch von Bears Glanz und Gloria blenden lassen und Pinch benutzt. Wie schön, dass er sie nach dieser Erkenntnis vor die Tür setzt.

Nach Pinches Tod fahren Jing und Marsden nach Frankreich. Genial, was sich Tom Rachman für Bears Vermächtnis ausgedacht hat. Der Gedanke, dass Pinches Bilder zukünftig als Bears Werke gefeiert werden, gefällt mir irgendwie. Natürlich ist es nicht schön, dass Bear den Ruhm abstaubt. Aber Bear würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass eigentlich sein Sohn gefeiert wird. Einerseits bleibt Pinch die Aufmerksamkeit der Kunstszene verwehrt. Aber wen interessiert schon die Kunstszene. Die Personen, denen er als Mensch wichtig war, zollen ihm die Anerkennung, die er verdient hat, was ich viel wichtiger finde.
Ein grandioses Ende, ich bin hin und weg.
 

Literaturhexle

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Er strebt nicht mehr nach der Anerkennung Dritter, sondern handelt selbstlos, will die von Bear verursachten seelischen Wunden heilen. Eine schöne Entwicklung!
Als so selbstlos empfinde ich Pinch nicht. Im Grunde will er seinem Vater ein Schnippchen schlagen: nicht die Werke des großen Bear werden für viel Geld verkauft, sondern die des kleinen, "untalentierten" Pinch.
Pinch geht in erster Linie auch seiner Passion nach. Mit den Gesichtern kann er in der Tat seine Geschwister trösten- das tut er aber nicht, um das Andenken an den Vater zu verbessern.
Ihm persönlich reicht es zu wissen, dass es seine Werke sind. Das ist ihm Anerkennung genug. Dritte sind ihm rechtschaffen egal.

Wie @Querleserin gehofft hat, gewinnt am Ende nicht Bear, sondern Pinch!
 

Literaturhexle

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Einerseits bleibt Pinch die Aufmerksamkeit der Kunstszene verwehrt. Aber wen interessiert schon die Kunstszene.
Ja, Renie, ich habe das Buch zum Ende hin auch verschlungen! Dabei hatte ich gar keine großen Erwartungen an den Roman. Nur das herrliche Cover und meine Liebe zu den Leserunden haben mich teilnehmen lassen. Gut so!

Mir kam noch ein weiterer Gedanke: An mehreren Stellen wird erwähnt, dass man im Kunstbetrieb schon ein harter Busche/schwieriger/abgedrehter Charakter sein muss. Das ist Pinch ja nicht. Er ist sensibel und eher zart besaitet, kann schlecht mit Menschen umgehen und tut sich mit Freundschaften/Beziehungen schwer. Vielleicht hätten die Räder des Kunstbusiness ihn tatsächlich zermahlen...

Insofern ist die Geschichte für mich richtig rund, zumal Pinch am Mammon nichts liegt. Auch hat er seine Geschwister für die fehlende Vaterliebe materiell entschädigt. Ein schöner Zug. Dass darunter auch ein paar Nimmersatte waren: so ist das Leben!
 

Literaturhexle

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Gut gefallen hat mir auch, dass sich vieles noch aufgelöst hat: Barrows wurde entzaubert, die lebenslange Freundschaft zu Marsden gewürdigt. Auch hatte ich mich gefragt, wie Bear so gut leben kann, obwohl er keine Bilder verkaufte; wurde am Ende auch erklärt.
Die kleine Liebe Jing erweist sich als treu über den Tod hinaus und zerstört die echten Gemälde, um die Intention Pinches nicht zu gefährden.

Dass Pinch überhaupt sterben musste, empfand ich als tragisch. Es passte aber zu seinem Leben, das ebenso tragisch war. Ich hätte ihm noch eine richtig schöne Liebe gewünscht. Aber so richtig glaubwürdig wäre das vielleicht nicht gewesen.
Ein toller Roman!
 

Leseglück

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7. Juni 2017
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Das Ende des Romans fand ich eher melancholisch. Pinch ist mir beim Lesen ans Herz gewachsen. Wir konnten als Leserinnen sein ganzes Leben verfolgen, das hätte ich nicht so erwartet. Ich habe eher erwartet, dass es ein happy End während der Lebenszeit von Pinch gibt. Von seiner Krankheit und seinem Tod zu lesen war berührend. Als Leser blickt man sogar noch 10 Jahre nach seinem Tod auf sein Leben zurück.
Pinch ist für mich ein großzügiger Mensch. Immerhin war er Alleinerbe, er hätte seinen Geschwistern nichts abgeben müssen. Aber das Erbe allein zu behalten, das ist ihm nicht mal in den Sinn gekommen.

Pinch war also doch ein wahrer Künstler. Er liebt es zu malen, kann sich dabei ganz versenken. Er hat offenbar großes Talent und er kann sich in andere Menschen einfühlen. Deshalb konnte nur er - und nicht sein egozentrischer Vater - die Gesichter seiner Halbgeschwister so gut malen. Als sterbender Mann seht er sich nach Schönheit.

Dass nun seine Bilder verehrt werden, das wissen nur die zwei Menschen, die ihn geliebt haben ( und natürlich wir Leser.) Seine Bilder hängen in den Museen und in den privaten Kunstsammlungen der Welt unter dem Namen seines Vaters. Einerseits ist das eine Genugtuung - andererseits bleibt es auch tragisch. Auch die Keramiken seiner Mutter bleiben letztendlich im Schatten von Bear. Es ist die Genugtuung der Machtlosen. Nur im Verborgenen, ganz heimlich können eigene Interessen verwirklicht werden. Aber immerhin besser als gar nichts.

Für mich konnte sich Pinch nie wirklich von Bear lösen. Er hat tapfer versucht ein eigenes Leben aufzubauen, so richtig geglückt ist es ihm nicht. Sicher das Schicksal von vielen Kindern von berühmten Vater.

Müssen Künstler miese Charaktere sein um erfolgreich zu sein? War Pinch zu gut für diese Welt der Kulturschaffenden? "Niemand liebt Künstler, die sich zu benehmen wissen." Das wird in dem Buch nahegelegt.
Das kann schon sein. Vielleicht ist ein von Leidenschaften getriebenes Leben, das auch Untreue und Egozentrik mit einschließt, sogar die Voraussetzung für die Erschaffung von Kunst? Teilweise sicher.

Kunst und Künstler sollte man ja unabhängig voneinander bewerten, soweit wie möglich.
In diesem Roman standen die Opfer eines solchen erfolgreichen und egozentrischen Künstlers im Mittelpunkt. Das macht den Plot sehr sympathisch.
 

MRO1975

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Müssen Künstler miese Charaktere sein um erfolgreich zu sein? War Pinch zu gut für diese Welt der Kulturschaffenden? "Niemand liebt Künstler, die sich zu benehmen wissen." Das wird in dem Buch nahegelegt.
Das kann schon sein. Vielleicht ist ein von Leidenschaften getriebenes Leben, das auch Untreue und Egozentrik mit einschließt, sogar die Voraussetzung für die Erschaffung von Kunst? Teilweise sicher.
Das ist eine interessante Frage. Ich stimme dir zu, dass es offenbar faktisch so ist, dass eine interessante Künstlerfigur Voraussetzung für den Erfolg ist. Aber warum ist das so? Meine Theorie ist, dass nicht nur die materiellen Dinge, aus denen das Werk gemacht ist, ihre Komposition usw. das Kunstwerk ausmachen. Auch die Person des Künstlers wirkt in das Werk hinein und wird zum Teil der Kunst. Je nachdem, was der Betrachter über den Künstler weiß, wird er das Werk u.U. anders wahrnehmen. Das legen einige Studien über Kunstwerke von Männern und Frauen nahe (über die ich selbst nur gelesen habe). Die Probanden haben im Durchschnitt demselben Werk mehr Erfolg zugebilligt, wenn sie dachten, es stamme von einem Mann. Dachten sie, das Werk sei von einer Frau, haben sie es im Durchschnitt geringer geschätzt. Wenn das so ist, sind Werke von „skandalträchtigen“ Künstler evtl. deshalb erfolgreicher, weil das Publikum sie und damit ihre Werke einfach interessanter findet.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich kann jetzt schon sagen, dass dies nicht der einzige Roman von Tom Rachman bleiben wird, den ich lesen werde.
Pinch zeigte sich am Ende, als ob er mit sich selbst im Einklang ist. Er hat sein Schicksal akzeptiert, und mehr noch, er hat für Jing noch alles geregelt was in seiner Macht stand. Im Gegenzug hat sie seine Passion weiterverfolgt. Ich glaube Pinch wusste, dass Jing in seinem Sinne handeln würde.
Als ich von der Krebsdiagnose las, dachte ich der Roman kann für mich nicht mehr zu einem akzeptablen Ende führen. Doch Tom Rachman hat mich am Ende überrascht.
 

Renie

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Als ich von der Krebsdiagnose las, dachte ich der Roman kann für mich nicht mehr zu einem akzeptablen Ende führen. Doch Tom Rachman hat mich am Ende überrascht.
Das ging mir genauso. Zunächst dachte ich, dass der Roman mit dem Tod von Pinch enden wird. Ich habe mich zwar gewundert, wieviel Seiten Rachman für Krankheit und Tod eingeplant hat.:D Aber dann hat er mich auch überrascht. Mit diesem Ende habe ich überhaupt nicht gerechnet.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ich bin jetzt auch fertig. Nach dem letzten Abschnitt musste ich einfach sofort weiterlesen. Der Roman hat mich auf eine Art gefesselt, die ich gar nicht so recht erklären kann. Es entwickelt sich zunehmend ein Sog, dem man sich schwer entziehen kann.

Das Ende finde ich sehr gelungen, denn es verschafft eine gewisse Genugtuung für Pinch, obwohl es ja durch seine tödliche Krankheit kein richtiges Happy End ist. Aber dennoch...