5. Leseabschnitt: Kapitel 5 (Seite 277 - 313)

ulrikerabe

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14. August 2017
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In dieser Gesellschaft kann einem das Reden aber auch vergehen, weil man ohnehin nicht gehört wird und es nur eine Wahrheit gibt. Einmal hatte es die Erzählerin bei ihrer Mutter mit der Wahrheit versucht- und ist voll vor sie Wand gefahren. Bei uns kribbelt es: nun sag doch was! Aber dort? In dieser Realität? Ich glaube, da wäre ich auch still geworden. Der Mensch lernt ja dazu.
In manchen Situationen ist es auch einfach - egal was man tut - das Verkehrte. Sagt man nichts, kann es dir als Feigheit, schlechtes Gewissen, Schuld... ausgelegt werden. Sagt man was, ist es ein billiger Rechtfertigungsversuch.

Wenn für alle der Himmel ausschließlich blau ist, kann man sich auf den Kopfstellen, er wird nicht rosa beim Sonnenuntergang...
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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In manchen Situationen ist es auch einfach - egal was man tut - das Verkehrte. Sagt man nichts, kann es dir als Feigheit, schlechtes Gewissen, Schuld... ausgelegt werden. Sagt man was, ist es ein billiger Rechtfertigungsversuch.

Wenn für alle der Himmel ausschließlich blau ist, kann man sich auf den Kopfstellen, er wird nicht rosa beim Sonnenuntergang...
Schön gesagt!
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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@Literaturhexle

Hier merkt man wirklich, wie absurd das alles eigentlich ist: eine Frau, die routinemäßig Menschen vergiftet, bekommt weniger negative Aufmerksamkeit als ein Mädchen, das im Gehe liest. Politische Morde sind halt ein Teil des Lebens, und die Mutter reimt sich die wildesten Theorien zusammen, dass ihre Tochter eine Art Femme Fatale ist, die reihenweise den Frauen ihre Ehemänner ausspannt – statt in Erwägung zu ziehen: ach ja, da ist ja diese Giftmischerin, die das dauernd macht...

@kingofmusic

Sie hat manchmal sehr amüsante Träume! Und ja, irgendwie ist da was gekippt, die Atmosphäre liest sich anders, ohne dass ich sagen könnte, warum.

@Anjuta

Für mich liest es sich, als hätte Tablettenmädchen tatsächlich eine schwerwiegende mentale Erkrankung, vielleicht so etwas wie paranoide Schizophrenie, so dass sie glaubt, sie müsse so handeln, um sicher selber zu schützen?

@SuPro

Ja, die Mutter ist wirklich kein Musterbild ihrer Art... Ich frage mich, ob es da eine Geschichte gibt, die es der Mutter nie ermögicht hat, eine Beziehung zu ihrer Tochter aufzubauen.
Mit dem Schweigen und Abblocken tut sie sich wirklich keinen Gefallen. Wo hat sie das her? War sie immer schon so, oder hat sie etwa Traumatisches erlebt, wonach sie sich zurückgezogen hat, so nach dem Motto: wenn mich keiner wahrnimmt, tut mir auch keiner was?

Oh, ich sehe, dir ist auch schon der Gedanke gekommen, das Tablettenmädchen schizophren sein könnte!

Oversharing, aber ich habe es hier in Leserunden eh schon mal gesagt: ich habe eine schizoaffektive Störung, und bevor das diagnostiziert und ich medikamentös eingestellt wurde, hatte ich auch paranoide Wahnvorstellungen. Das kann man sich mit klarem Verstand gar nicht vorstellen, und ich schüttele im Rückblick auch den Kopf, aber das ist für einen selbst so real, dass man gar nicht auf den Gedanken kommt, es könne eine Wahnvorstellung sein. Da muss noch nicht mal ein Trauma hinterstecken, das kann auch einfach (wie bei mir) eine neurolgische Störung sein. Bei mir ist das nie aggressiv geworden, aber vielleicht nimmt es bei Tablettenmädchen ja die Form an, dass sie sich einbildet, alle anderen wollten ihr schaden und sie müsse zuerst zuschlagen, um sich zu schützen...? In der Zeit wurde sowas noch nicht so oft richtig diagnostiziert, und schon gar nicht richtig behandelt.

@MRO1975

Die Erzählerin lebt irgendwie in ihrer eigenen Filterblase... Man hat nicht den Eindruck, dass sie dumm wäre, aber sie kommt wirklich oft auf die offensichtlichsten Dinge nicht. Die Frage ist ja immer, was am Verhalten eines Menschen erfüllt ein Grundbedürfnis (oder soll erfüllen) oder soll etwas verhindern, dass einem Grundbedürfnis entgegenwirkt. Ich habe den Eindruck, uns fehlt hier noch ein Puzzleteil.

@Querleserin

Man fragt sich ja, ob die Krankenhäuser halb leer sind, weil der allgemeine Konsens zu sein scheint: Wenn du ins Krankenhaus gehst, bist du so gut wie tot, auch wenn du es vorher nicht warst.

Es ist richtig tragisch, was für eine Sehnsucht nach mütterlichem Trost und Schutz die Erzählerin doch hat, wenn sie es nicht mehr ausblendet. Umgekehrt hat auch die Mutter stärkere Gefühle für sie, als man oft den Eindruck hat. Vielleicht verhält die sich ja auch deswegen so merkwürdig gegenüber ihrer Tochter, weil sie unterschwellig Angst davor hat, die Mutterliebe zuzulassen und ihr Kind dann doch beerdigen zu müssen – das wäre in der Zeit ja nicht so abwegig.

@Literaturhexle

Das stimmt natürlich... Wir können gut denken: "Mensch, jetzt sag doch was, stell das klar!" Sie hat vielleicht zu viele Erfahrungen, die sie gelehrt haben, dass es ohnehin zwecklos ist.

@KrimiElse

Ja, das liest sich manchmal, als wäre es eine Dystopie und kein Roman, der sich so in der Wirklichkeit hätte abspielen können!

@ulrikerabe

Über das mit dem Himmel komm ich nie weg – das war einfach so skurril!
 
G

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... das hat mich schon die ganze Zeit über kirre gemacht. Dieses Schweigen, dieses stoische und abgestumpfte Nicht-reagieren und sich Nicht-positionieren. Damit hat sie von Anfang an die Gerüchteküche befeuert. Sie hat es nicht bemerkt und als ihre beste Freundin die damit konfrontiert hat, hat sie es nicht geglaubt und einfach stur und uneinsichtig weitergemacht. Die hätte ja keine große Reden schwingen müssen. Keine Rechtfertigungen. Einfach nur kurze klare statements.

Einerseits sehe ich das ähnlich, Reden hilft für gewöhnlich. Aber mal ehrlich, wäre ich in der gleichen Situation, würde ich reden? Oder jeder von uns allen hier. Würdet ihr reden? Wieso erwarten denn wildfremde Menschen, dass man sich ihren Anschuldigungen gegenüber rechtfertigen muss? Das erscheint mir doch etwas weit hergeholt. Ich denke nicht, dass man sich jeder Person, die üble Nachrede betreibt stellen muss! Vielleicht sollte sich jeder Mensch eher darüber im Klaren sein, was der Begriff Rufmord bedeutet und dass dies eine Straftat darstellt! :eek::oops:
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Die Erzählerin wurde also vergiftet, von einem kranken Menschen. Nach einigem Hin und Her wird ihr dann von ihrer Familie geholfen. Dann wird sie von den Verweigerern besucht, weil sie sie verdächtigen mit dem Tod vom Tablettenmädchen etwas zu tun zu haben. Dazu stellt sich ihre Mutter schützend vor sie und führt alle mit ausleitenden Frauen als Zeugen an.

Hier müssten sich alle Beteiligten eigentlich fragen, warum die Verweigerer die Erzählerin verdächtigen. Und diesen Verdacht ins Verhältnis setzen zu gewissen, die Erzählerin betreffenden Informationen/Unterstellungen. ... ???

Danach als die Verweigerer plötzlich die Untersuchung abbrechen, ohne Angabe von Gründen, ist Milchmann verdächtig, ja. Aber der vorige Sachverhalt sollte doch zu denken geben, oder?
 
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SuPro

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Einerseits sehe ich das ähnlich, Reden hilft für gewöhnlich. Aber mal ehrlich, wäre ich in der gleichen Situation, würde ich reden? Oder jeder von uns allen hier. Würdet ihr reden? Wieso erwarten denn wildfremde Menschen, dass man sich ihren Anschuldigungen gegenüber rechtfertigen muss? Das erscheint mir doch etwas weit hergeholt. Ich denke nicht, dass man sich jeder Person, die üble Nachrede betreibt stellen muss! Vielleicht sollte sich jeder Mensch eher darüber im Klaren sein, was der Begriff Rufmord bedeutet und dass dies eine Straftat darstellt! :eek::oops:
... genau um diesen Punkt ging es mir: keine Rechtfertigung, sondern ein kurzes klares Statement. Eine selbstbewusste Erklärung. Keine Rechtfertigung aus einer Kind-Rolle heraus. Wer selbstbewusst ist, kann über den Dingen stehen und erkennen, dass es manchmal klüger und obendrein sinnvoller ist, ein paar Worte zu verlieren, als geheimnisvoll zu schweigen. Sie hat es dadurch einfach nur bedeutet und angeheizt. Unklug in meinen Augen.
Ich sehe das auch so, dass man wildfremden Menschen keine detaillierten Erklärungen abgeben muss, aber wo ist das Problem, sich kurz und klar zu äußern? Das nimmt den anderen den Wind aus den Segeln...
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Hier merkt man wirklich, wie absurd das alles eigentlich ist: eine Frau, die routinemäßig Menschen vergiftet, bekommt weniger negative Aufmerksamkeit als ein Mädchen, das im Gehe liest. Politische Morde sind halt ein Teil des Lebens, und die Mutter reimt sich die wildesten Theorien zusammen, dass ihre Tochter eine Art Femme Fatale ist, die reihenweise den Frauen ihre Ehemänner ausspannt – statt in Erwägung zu ziehen: ach ja, da ist ja diese Giftmischerin, die das dauernd macht...

Diese Gewichtung ist wirklich traurig. Aber sie kommt mir nicht unreal vor. In solchen Systemen ist eine Veränderung der Wahrnehmung fast schon normal. Die Unterdrückung/der Druck/die Angst/die Gefahr/die stattfindende Gewalt verändern Menschen. Wahrscheinlich auch langwierig. Es wird dauern bis Erlebtes nicht mehr an die Kinder weitergeben wird. Leider!
 
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Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
... genau um diesen Punkt ging es mir: keine Rechtfertigung, sondern ein kurzes klares Statement. Eine selbstbewusste Erklärung. Keine Rechtfertigung aus einer Kind-Rolle heraus. Wer selbstbewusst ist, kann über den Dingen stehen und erkennen, dass es manchmal klüger und obendrein sinnvoller ist, ein paar Worte zu verlieren, als geheimnisvoll zu schweigen. Sie hat es dadurch einfach nur bedeutet und angeheizt. Unklug in meinen Augen.
Ich sehe das auch so, dass man wildfremden Menschen keine detaillierten Erklärungen abgeben muss, aber wo ist das Problem, sich kurz und klar zu äußern? Das nimmt den anderen den Wind aus den Segeln...

Ich sehe das genauso wie du.

Ich weiß nur, dass man manchmal nicht reden kann. Obwohl man weiß, dass es besser wäre. Aber man ist menschlich und fehlbar.
...
In so einer Situation sehe ich die Erzählerin und verstehe das auch, obwohl ich weiß, dass es besser wäre zu reden.
 
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Schnell scheint man sich einig zu sein, dass MM den Mord begangen haben muss - aus Rache für die Tat an der Erzählerin.
Jene stellt das schockiert im Imbiss fest, als sie Pommes holen will: Alle Menschen gehen ihr aus dem Weg bzw. ignorieren sie...
Wieder reagiert die Erzählerin falsch und schweigt. Sie scheint damit die bestehenden Gerüchte zu bestätigen. Sie ist geschockt! Jetzt spürt sie, dass der Stempel des MM bereits fest an ihr dran klebt.

Dennoch sehe ich in dieser Szene eine Art Initialisierung. Die Tatsache, dass sie nicht mehr nur "ein schwieriger Fall" ist, sondern nun durch den Mord zu einer Gebrandmarkten wurde, wirkt so, als ob sie aufwacht aus ihrer bequemen Trance. Die Szene im Imbiss könnte einen Wendepunkt in ihrer Persönlichkeit und im Roman darstellen.
Ich bin gespannt!

Warum wird nach dem Mord an dem Tablettenmädchen, dass ja eine Bedrohung für alle darstellt, die Erzählerin in der Pommesbude so behandelt? Der Milchmann wird ja für den Täter gehalten! Kann die Erzählerin in den Augen der Leute den Milchmann lenken? Passt das zu einer im Gehen lesenden Frau, passt das zu dieser sehr stillen Frau, die alles Getuschel/alle Unterstellungen/alle Verdächtigungen mit einem Schweigen quittiert? Passt das zu jemandem, der sich zurückzieht? In meinen Augen ja nicht. Aber vielleicht denkt man als Betroffene des Terrors der IRA-Zeit anders.
 
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Ich sehe das genauso wie du.

Ich weiß nur, dass man manchmal nicht reden kann. Obwohl man weiß, dass es besser wäre. Aber man ist menschlich und fehlbar.
...
In so einer Situation sehe ich die Erzählerin und verstehe das auch, obwohl ich weiß, dass es besser wäre zu reden.
... es fehlt ihr noch an Selbstsicherheit, Erfahrung und da ist, glaube ich, auch noch ne Menge Trotz...
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Passt das zu einer im Gehen lesenden Frau, passt das zu dieser sehr stillen Frau, die alles Getuschel/alle Unterstellungen/alle Verdächtigungen mit einem Schweigen quittiert?
Alles richtig. Aber Menschen, die einen Sündenbock brauchen, die jemanden (Schwachen) verurteilen WOLLEN, gehen nicht mit vernünftigen Argumenten zu Werke. Leider.