5. Leseabschnitt: Kapitel 39 bis Ende (Seite 253 bis 312)

Xirxe

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19. Februar 2017
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Dieser letzte Teil ist ein wirklich gelungener Abschluss! Simons Aufenthalt auf der Krankenstation ist ein Glück für ihn, denn die Begegnung mit Charlotte bringt ihn weiter, was mit einer anderen Person vermutlich nicht so einfach gewesen wäre. Da wären Befindlichkeiten zu berücksichtigen, mehr Unverständnis und/oder Unwissen auf der anderen Seite - Charlotte kann hingegen nichts mehr schocken. Vermutlich ist sie der erste Mensch, dem Simon sich fast vollständig anvertraut. Und trotzdem bleiben natürlich noch genügend Unsicherheiten vorhanden.
Sehr gut gefiel mir ihre Auseinandersetzung und Simons Erkenntnis, dass es ein heftiger Streit war OHNE Gewalt - ja, so geht es auch. Ein Fortschritt, der zu Anfang des Buches wohl sehr unwahrscheinlich gewirkt hätte.
Diesen Einblick in Simons Gedankenwelt empfand ich sehr sehr authentisch; seine Kämpfe mit sich selbst, seiner Wut, seinem Zorn und den Versuchen, die daraus resultierende Aggression zu unterdrücken; aber auch die Entwicklung wie er damit immer besser umgehen konnte. Der Tatort gestern Abend, in dem genau so etwas auch gezeigt wurde, wurde daher für mich viel eindringlicher.
Nun muss ich das erst mal sacken lassen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Chapeau! Da hat die Autorin den Roman erneut gedreht, anders als man erwartet hätte, und ihn überaus sensibel und glaubwürdig zu einem Ende gebracht, das Fragen und Gedanken aufwirft, aber nicht alle zu Ende denkt. Das überlässt sie dann uns, den Lesern.

Wie ich schon im letzten Abschnitt erwähnte, war zu hoffen, dass dieser brutale Übergriff am Ende eine positive Wende einleitet. Allerdings ganz anders, als ich dachte: keine gezielte Therapie zunächst.
Simon kommt ins KKH, anschließend auf die Krankenstation eines Gefängnisses. Dort lernt er Vic/Charlotte kennen, die zur Schlüsselfigur seines eigenen Veränderungsprozesses wird. Welch ein geschickter Kunstgriff der Autorin! und wie aktuell! Angesichts der laufenden Gender- und Toleranzdebatte glaubt man schwer, dass der Roman schon 17 Jahre auf dem Buckel hat und nur uns deutschen Lesern bislang vorenthalten wurde.

Wieder wunderbar gezeichnet: Vic-Charlotte. Sie ist kein Überflieger, keine Muster-Quere. Auch sie hat Ecken und Schwachstellen, muss sich ins neue Leben erst einfinden. Ganz nebenbei bekommt man ihre Probleme mitgeliefert. Für Simon wird sie zum Vorbild: Wenn es jemand vom Mann zur Frau schafft, dann sollte sich selbst doch auch auf den Grund gehen und verändern können! Er ist klug, er weiß, wo seine dunklen Täler liegen und plant sie anzupacken.
Großartig, das mit Mandys Mutter Hazel einzuflechten! Simon hat sich tatsächlich viele Gedanken um sie gemacht, er spielte oft die Was-wäre-wenn-Frage durch. Es ist ihm klar, was er den Eltern angetan hat...
Sich selbst damit in der Person Hazel direkt zu konfrontieren, zeigt ungeheure Stärke. Aber auch ehrliche Reue.

Es passt aus meiner Sicht zum Buch, dass dieses Gespräch/Treffen nicht mehr auserzählt wird. Das kann man so stehen lassen.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Das Buch ist zuende, aber das Ende offen. Es ist wie im wahren Leben, wo auch nichts richtig abschließt, außer mit dem Tod, aber selbst da gehts dann noch weiter.

Bis zum Schlusswort war ich vollkommen davon überzeugt, eine wahre Geschichte erzählt zu bekommen. Ein Weg mit sovielen Abzweigungen, Sackgassen und Umwegen, das klang für mich nicht ausgedacht, sondern sehr realistisch.

Kathy Page hat sich Zeit gelassen, die Erfahrungen aus dem Strafvollzug in eine Geschichte zu bringen, dann hats nochmal gedauert, bis der Roman ins Deutsche übersetzt wurde, trotzdem habe ich zu keiner Zeit das Gefühl "Vergangenheit" und "heutzutage ist alles besser" gehabt.

Ich bin geflasht.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Was für ein fulminanter Schluss :cool:. Ich hatte zwar gedacht, dass der Teil mit Vic/Charlotte einen größeren Teil im Roman einnehmen würde als "nur" das letzte Drittel, aber am Ende ist alles gesagt, was es zu sagen gab: Simon hat ein Stück weit "zu sich selbst" gefunden, weiß, dass der Mord an Amanda immer ein Teil seines Lebens bleiben wird und hat im Streit mit Charlotte nicht die Kontrolle verloren. Chapeu.
 

Barbara62

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19. März 2020
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Baden-Württemberg
mit-büchern-um-die-welt.de
Für mich war es sehr positiv in diesem Abschnitt, dass auch die Opferseite ins Buch kam. Hoffen wir, dass das Gespräch Hazel hilft, die sich selbst eine Mitschuld an dem Mord gibt. Als Eltern hat man einfach immer das Gefühl, Schaden von den Kindern abwenden zu MÜSSEN.

Was mich überrascht, sind die häufigen Verlegungen von Simon, ein wenig abgefedert durch den Betreuer Alan, der ihn "begleitet" (was aber bestimmt nicht die Regel ist). Ist es so nicht viel schwieriger, eine Prognose zu stellen, ja, überhaupt die Fortschritte zu messen? Nach jedem Umzug muss Simon sich neu einleben, mit neuen Betreuern arbeiten, die nur seine Akten kennen, es geht viel ungenutzte Zeit ins Land.

Ich denke, Charlotte wird ihm erhalten bleiben, sie steckt den Streit weg. Simon hat erstmals bewiesen, dass er gewaltfrei streiten kann, wobei die Ausübung von Gewalt im Besucherraum wahrscheinlich auch schwierig wäre.

Die Entwicklung von Simon über die sechs Jahre seit seiner Alphabetisierung ist enorm, aber reif für eine "sichere" Entlassung ist er meinem Bauchgefühl nach trotzdem nicht, oder?
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Die Entwicklung von Simon über die sechs Jahre seit seiner Alphabetisierung ist enorm, aber reif für eine "sichere" Entlassung ist er meinem Bauchgefühl nach trotzdem nicht, oder?
Da stimme ich Dir zu, er wird sicherlich noch mindestens ein bis drei Jahre brauchen, bis es soweit ist. Dann hätte er vielleicht auch sein Studium hinter sich.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Als Vic/Charlotte ins Spiel kam, dachte ich erst, dass Simon nicht so offen damit umgehen kann. Da habe ich mich allerdings gewaltig getäuscht. Simon ist sehr tolerant und hat gelernt in sich hinein zu hören. Dieser innere Dialog, den er ja mehrfach geführt hat, empfand ich immer als sehr aufschlussreich.
Charlotte als Freundin zu haben tut ihm gut, und ich hoffe für ihn, dass diese Freundschaft anhält. Seine Fortschritte sind ausbaufähig, er könnte es langfristig schaffen, doch dazu braucht er Menschen an seiner Seite, die an ihn glauben.
Die Wendung mit Hazel hat mich überrascht und ich selbst hätte sehr viel Angst, dass nach einem Treffen alles wieder aufgewühlt wird. Ihre Schuld, nicht erkannt zu haben, dass Simon zu so einer Tat fähig ist, ist Quatsch. Aber es ist ja leider oft so, dass man nach so etwas schrecklichem solche Gedanken hat. Simon wird vielleicht sogar Worte finden, die es ihr leichter machen, die Schuld nicht bei sich zu suchen. Viel mehr wird er nicht tun können, denn wie er selbst weiß, gibt es keine passende Entschuldigung für dieses Vergehen.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Die Freundschaft mit Charlotte/Vic scheint Simon gutgetan zu haben. Ich war wirklich erstaunt, das er sich nach Vics Entlassung wirklich bei ihm gemeldet hat. Ich denke diese Geschlechtsumwandlung war damals sicher noch nicht so verbreitet wie heute.

Das Hazel sich mit Simon treffen will, das hat mich doch sehr überrascht, aber vielleicht hat sie noch einige Fragen die sie loswerden möchte oder sie möchte Simon eine zweite Chance geben, schließlich ist es ja schon eine lange Zeit her. Man muss sich ja auch mal hineinversetzen, das Simon zu der Zeit noch recht jung war. Natürlich macht es daeshalb die Tat nicht entschuldbar, aber man muss ihm auch die Chance geben, das er sich ändern kann.

Gut finde ich auch, das er die Möglichkeit zum studieren hat. Selbst wenn er es vielleicht nie brauchen wird, hat er zumindest eine Aufgabe.

Das man Simon vielleicht irgendwann etwas früher entlassen kann könnte ich mir vorstellen, aber momentan ist er davon noch ein ganzes Stück weg. Den bisher sieht er seine Tat ja noch immer nicht richtig an.

Das Ende fand ich etwas sehr abrupt, aber es ist auch schwierig bei so einer Geschichte zum Ende zu kommen.