5. Leseabschnitt: Kapitel 20 bis Ende (Seite 350 bis 446)

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.450
49.904
49
Der letzte Abschnitt schließt sich nahtlos an den vorhergehenden an. Im Zentrum steht Hannes Gefühlswelt. Er ist ein junger Mann, die Mädchen zeigen ihm offen ihre Sympathien. Er hatte sich im Inneren für Mara von Heesen entschieden, die zwar nicht seiner Lebenswelt entstammt, ihm jedoch auf seelischer Ebene ebenbürtig scheint. Sie scheinen ihre Gedanken gegenseitig lesen zu können. Leider hat Mara trotz ihrer Jugend seelischen Schmerz, der sie zuweilen von der Bildfläche verschwinden lässt. Sie lässt in diesen Phasen kaum jemanden zu sich - auch Hannes nicht, der sie schmerzlich vermisst, woran der Leser Anteil nehmen darf.

Als nächstes erfährt Hannes von Maras Vater, dass jene nun beim Onkel in Itzehoe (weit weg) lebt, um dort an der Akademie zur Lehrerin ausgebildet zu werden. Die beiden jungen Leute konnten sich (natürlich) nicht voneinander verabschieden und schreiben sich jeweils einen relativ oberflächlichen Brief. Das war es an persönlichem Kontakt, der Rest folgt nur noch über andere. So erfährt Hannes alsbald, dass Mara sich verlobt hat (!) und damit für ihn verloren scheint.

Zum zweiten Mal in diesem Roman wird ein Konflikt dadurch gelöst, dass eine Figur aus dem Spiel genommen wird. Später eine dritte, nämlich Thies. Das empfinde ich als extrem unbefriedigend. Alle widersprüchlichen Empfindungen, Gewissensbisse, Liebeskummer erfahren wir nur und ausschließlich aus den Gedankengängen von Hannes. Immer wieder, extrem redundant: Ständig bezeichnet der sich als schlechten Freund, der einem anderen die Freundin wegnimmt und als Hahnrei, der sich schnell mit einer anderen tröstet. Diese Gedanken werden durchbrochen von Alltagsgeschäften und Vogelbeobachtungen, ich empfand diese Gedanken als omnipräsent und mochte sie irgendwann nicht mehr lesen... Obwohl mir die Naturbeschreibungen bis zum Schluss gefallen haben. Klar, Hannes ist 16 Jahre alt. Seine Gedanken dürfen sich um die Liebe drehen, er darf über diesen Kummer seine Arbeit vernachlässigen, doch ist mir das als Leserin in der zweiten Lebenshälfte (ich bin Optimist;)) etwas wenig für die über 200 Seiten verbleibenden Text.

Die Episode am Anleger, als Hannes mit Pferd und Wagen unterging und eine Nahtoderfahrung machte, das hätte man unglaublich spannend ausbauen können. KLar, es ist nur eine Nebenhandlung. Trotzdem, die Szene ist sehr gut geschildert, so etwas konnte damals passieren: Ein Pferd ist kein Motor.
Hannes hat auch hier wieder ein schlechtes Gewissen (!). Zum Glück erteilt Ossenbrüggen Absolution, er hat die Schuld, weil die Pferde nicht zuverlässig waren. Würde der Großbauer das wirklich zugeben? Er, der zwei Pferde, einen Wagen und ein Fuder Mais verloren hat? Toller Mensch.
Zum Glück hat Hannes "nur ein paar Rippenbrüche" davongetragen. Die ihn kaum einschränken: Er kann kurz darauf melken, graben (!), schwimmen und mit Freunden im Meer toben. Nicht schlecht. Die Rippenbrüche, die ich kenne, sind unendlich schmerzhaft und zwingen zu absoluter Ruhe.

Insgesamt fällt immer wieder auf, wie gut sich die Menschen im Norden ohne Worte verstehen. Sie erspüren, erahnen, fühlen immer, wie es dem Gegenüber geht, was es gerade umtreibt. Erstaunlich ist das.

Ansonsten war es mir der Gefühligkeit rund um Lisa und Mara zuviel. Immer erscheint ihm Mara wieder in seinen Träumen, seinen Gedanken. Er wurde tief verletzt und verlassen. Trotzdem taucht sie immer wieder auf, auch während der unbeschwerten Segeltouren. Ist das realistisch? Jetzt, wo er sich in Lisa verliebt hat? Wo seine Hormone Tango tanzen müssten?
Mir kam es übrigens auch nie so vor, als ob Thies und Lisa ein richtiges Paar waren. Vielleicht habe ich aber auch nicht so darauf geachtet.

Auch die häufige Erwähnung des Glasröhrchens... Die Mutter ist doch erwachsen, der Sohn trägt keine Verantwortung für sie. Warum hat er nicht früher mit ihr gesprochen. Vor des Vaters Tod schienen sie sich doch nahezustehen? Als die Mutter dann auf S. 413 tatsächlich mal das Wort ergreift, fängt sie an mit "Mara war nicht die Richtige..." Das ist sehr unsensibel.:eek:

Am Ende kriegt er seine Lisa. Sie müssen sich gleich verloben, um den Mob zufriedenzustellen, obwohl sie erst 16 Jahre alt und gerade erst ein Paar geworden sind.

Wie habt ihr diesen letzten Abschnitt empfunden? Bin ich die einzige, die hadert?
 
Zuletzt bearbeitet:

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Mara ist nun in Lübeck und erstaunlich schnell erreicht Hannes die Nachricht von ihrer Verlobung. Eine Flucht nach vorn? Sicherlich!

Hannes bemerkt Lisa oder ist es eher umgekehrt? Lisa, die vieles ähnlich sieht, die lebendig und zupackend ist, Lisa mit dem tollen Boot, aber auch Thies‘ Freundin. Die Schwärmerei für Mara geht zwar in Gedanken weiter, aber Hannes löst sich. Auch als er von ihrer Erkrankung nach dem Verlobungsfest erfährt. Er weiß, dass Mara unglücklich werden wird, aber das ist nun eine andere Geschichte.

Wieder Ärger mit den Nazis, Thies findet lauwarme Rechtfertigungen. Die Jugendfreundschaft existiert doch schon länger nicht mehr, zu unterschiedlich ist die Entwicklung. Nun spannt er ihm die Freundin aus, wobei ich mir vorstelle, dass Lisa sich innerlich auch schon von Thies entfernt hat. Thies verlässt den Ort, geht zur See. Damit ist diese Verbindung auch beendet.

Die Mutter hat die Tabletten entsorgt, wird wieder umgänglicher, stellt aber klar, heiraten wird sie nicht mehr. Ein einziges Mal fällt ein Name, als sie von ihrer Schwester Bente spricht. Sie selbst bleibt namenlos, reduziert auf „Mutter“. Auch sie hat Tade verlassen, weil sie mit seinen persönlichen Problemen nicht zurecht kam, entschied sich für Hannes Vater. Tade starb im Krieg. Eine Parallele zu Hannes, auch er entscheidet sich für Lisa, trotz der Seelenverwandtschaft mit Mara, es wäre zwischen ihnen nie zu einer Verbindung gekommen.

Ein versöhnliches Bild: die Gänse rauschen über Hannes und Lisa (ja, wieder die Vögel :)) beide haben ähnliche Gedanken.

Ich habe den Roman mit gemischten Gefühlen beendet. Ich habe ihn nicht ungern gelesen, mochte den Stil, die Landschaft, die Atmosphäre. Ich hatte aber Probleme mit den Protagonisten.

Hannes konnte ich nicht mit dem Alter in Einklang bringen, seine Reife, seine Gedanken – das war kein Schuljunge von 15-16 Jahren. Das passte für mich nicht zusammen.

Die Mutter – unnahbar, schweigsam – sie blieb mir fremd, in ihrer Trauer genau, wie in ihrer Ehe und ihrer Rolle als Mutter.

Der Vater – viel zu plakativ (danke @Wandablue ) gezeichnet.

Mara, offensichtlich psychisch labil, mal himmelhochjauchzend, kapriziös und heiter, dann von Ängsten geplagt. Sie konnte ich mir noch am besten vorstellen, auch den Halt den sie in Hannes suchte und sah.
 

Bibliomarie

Bekanntes Mitglied
10. September 2015
2.092
3.205
49
Die Episode am Anleger, als Hannes mit Pferd und Wagen unterging und eine Nahtoderfahrung machte, das hätte man unglaublich spannend ausbauen können. KLar, es ist nur eine Nebenhandlung. Trotzdem, die Szene ist sehr gut geschildert, so etwas konnte damals passieren: Ein Pferd ist kein Motor.
Hannes hat auch hier wieder ein schlechtes Gewissen (!). Zum Glück erteilt Ossenbrüggen Absolution, er hat die Schuld, weil die Pferde nicht zuverlässig waren. Würde der Großbauer das wirklich zugeben?
Aber aller Sympathie - das glaube ich nicht. Auch an einem Großbauer ist die wirtschaftliche Misere nicht vorbeigegangen. Es ist die Zeit der großen globalen Wirtschaftskrise.
 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.624
21.915
49
Brandenburg
In diesem Leseabschnitt fand ich drei besonders hübsche Sätze:

S. 383: Wer nichts hat, braucht eine Uniform

S. 405: Mal wieder einer dieser Tage, die so taten als ob noch Sommer wäre.

S. 413: Im Sommer den ersten Huf ausgekratzt, im Herbst den zweiten.

So was mag ich.


Sonst so. Der Autor bleibt sich treu, was heißt, er bleibt weiter in der eingeschränkten Perspektive von Hannes. Das hat seine Vor- und seine Nachteile. Die Nachteile überwiegen.

Ich goutiere den Verzicht auf Rückblenden.


In der Einschätzung dessen, was wichtig und was unwichtig ist, was in den Vordergrund gestellt werden sollte und was in den Hintergrund, gehen die Ansichten des Autors und die meinen auseinander. Für meinen Geschmack nehmen Mara und Lisa viel zu viel Raum ein. Dafür hätte ich gerne mehr Reflexionen gehabt.

Über Ideenarmut muss man nicht klagen. Ideen sind da. Doch geht der Profit, den man aus ihnen hätte ziehen können, beinahe gänzlich verloren. Das ist echt schade!

Sowohl die grässliche Schafskrankheit wie auch der Unfall mit den Pferden sind echte Katastrophen. Daraus hätte man mehr machen können. Müssen!

Immerzu gilt das alte Prinzip: Show, don’t tell. Dann wird alles gut.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Ende gut, alles gut.
Der letzte Abschnitt lässt alles recht gut ineinandergreifen. Die Mutter ist wieder fast die Alte. Mara kommt schneller über ihrer Panikattacken hinweg. Hannes tröstet sich mit Lisa, findet in ihr eine neue Seelenverwandte.
Alles sehr positiv! Doch irgendwie habe ich am Ende doch was anderes erwartet. Ich kann nicht mal genau sagen was mir fehlt.
Vielleicht komme ich der Sache näher, wenn ich mir klar mache, worum es im Roman für mich geht. Für mich geht es um den Weg eines Jungen, der von seinem Vater drangsaliert wurde, keine harmonische Bindung zum Vater aufbauen konnte. Er lernt ihm aus dem Weg zu gehen, entwickelt Aggressionen gegen ihn, die sich aber nur in seinem Kopf abspielen. Wäre dies so geblieben, wenn der Vater nicht verstorben wäre? Im weiteren Verlauf wächst Hannes in seine Aufgabe auf den Hof gut herein.
Die Mutter vergleicht Hannes ziemlich zum Schluss mit seinem Vater. Für mich war Hannes in kleinster Weise wie sein Vater. Irgendwie glaube ich, dass ist es was mir fehlt. Eine Stellungnahme von Hannes, zu diesem Thema. Ein Abschluss, innerer Frieden was die Sache angeht, einen Haken dran machen. Keine Ahnung!
Ich hoffe ihr versteht was ich meine. :(
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Ein versöhnliches Bild: die Gänse rauschen über Hannes und Lisa (ja, wieder die Vögel :)) beide haben ähnliche Gedanken.
Das Element mit den Vögeln, die sich durch den ganzen Roman ziehen, hat mir übrigens ganz gut gefallen. Es passt zu Hannes! Vielleicht hat er doch etwas gutes vom Vater übernommen, der konnte auch gut mit Tieren, zumindest früher. Später standen ihm seine Aggressionen dabei im Weg.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.895
12.591
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Jetzt ist es passiert: Mara ist weg. Und nicht nur, dass sie weg ist, sie hat sich auch noch verlobt.
Da denkt man noch einige Kapitel vorher, dass das etwas mit den beiden wird, also mit Hannes und Mara ... und nichts wird aus der gemeinsamen Zukunft. Wie heißt es so schön? Aus den Augen, aus dem Sinn. Und schon entpuppt sich die gute Mara als eine Jugendliche wie jede andere auch. Genauso wie Hannes, der seine Aufmerksamkeit ebenfalls der Nächsten widmet.
So sind sie, die Jugendlichen. Erst die große Liebe, dann ist Schluss mit lustig (und der Liebe) und nach Herzschmerz folgt die nächste Liebe.
So ist das Leben, diese Entwicklung geht für mich daher in Ordnung.

Jetzt ist es also Lisa, womit @Wandablue den richtigen Riecher hatte :). Ein bisschen Spannung kommt noch in dem letzten LA auf, da Lisa und Hannes mit der Rache der Nazis rechnen müssen. Denn schließlich haben sie Thies, den unverzichtbaren Mitstreiter, vergrault. Wer's glaubt.... Ich glaube, dass die Nazis einfach ständig auf der Suche nach Gelegenheiten sind, Stunk zu machen... Thies hin oder her.

Mit dem Wissen, dass es zu Hannes' Geschichte eine Fortsetzung geben wird, liest sich das Ende gefälliger. Ansonsten wäre ich enttäuscht gewesen, dass viele Fragen ungeklärt bleiben. Ich erwarte nicht, dass Lisa mit ihrem Hannes in die untergehende Sonne reitet. Aber ein paar Hinweise, was aus den Charakteren dieses Buches wird, wären schön gewesen. Stattdessen bleiben alle weiteren Lebenswege und Entwicklungen offen. Ich sehe gerade keine einzige Figur, bei der klar ist, was aus ihr wird. Nun gut, muss ich halt auf den nächsten Teil warten.
 

Renie

Moderator
Teammitglied
19. Mai 2014
5.895
12.591
49
Essen
renies-lesetagebuch.blogspot.de
Seine Gedanken dürfen sich um die Liebe drehen, er darf über diesen Kummer seine Arbeit vernachlässigen, doch ist mir das als Leserin in der zweiten Lebenshälfte (ich bin Optimist;)) etwas wenig für die über 200 Seiten verbleibenden Text.
Du sprichst mir aus der Seele.
Mir kam es übrigens auch nie so vor, als ob Thies und Lisa ein richtiges Paar waren. Vielleicht habe ich aber auch nicht so darauf geachtet.
Damit habe ich mich auch schwer getan. Aber vielleicht entsteht der Eindruck auch, dass wir alles aus der Perspektive von Hannes wahrnehmen. Und da man zu dieser Zeit nicht besonders freizügig mit Liebesbekundungen in der Öffentlichkeit war, haben wir die Nähe zwischen Thies und Lisa nicht wahrgenommen.
Auch die häufige Erwähnung des Glasröhrchens...
Ich habe mich zwischendurch immer gefragt, ob sich Hannes da nicht etwas eingeredet hat. Es hätten doch einfach Tabletten sein können, die seine Mutter irgendwann mal bekommen hat.. Sie muss diese doch nicht zwangsweise wegschmeißen, wenn sie sie nicht genommen hat. (Da fällt mir ein, ich müsste unseren Medikamentenschrank mal ausmisten. Mit dem Zeug, das sich über die Jahre angesammelt hat, könnte ich einen Massenselbstmord ausrichten.:confused:)
Am Ende zeigt sich aber doch, dass die Mutter zumindest mit dem Gedanken gespielt hat, sich umzubringen.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
4.344
10.637
49
49
Mit dem Wissen, dass es zu Hannes' Geschichte eine Fortsetzung geben wird, liest sich das Ende gefälliger. Ansonsten wäre ich enttäuscht gewesen, dass viele Fragen ungeklärt bleiben. Ich erwarte nicht, dass Lisa mit ihrem Hannes in die untergehende Sonne reitet. Aber ein paar Hinweise, was aus den Charakteren dieses Buches wird, wären schön gewesen. Stattdessen bleiben alle weiteren Lebenswege und Entwicklungen offen. Ich sehe gerade keine einzige Figur, bei der klar ist, was aus ihr wird. Nun gut, muss ich halt auf den nächsten Teil warten.
Ups, das wusste ich gar nicht. Das habe ich irgendwie übersehen:p Dann gehe ich mit dem Ende auch nicht so hart ins Gericht. Mir fehlte etwas, aber durch eine Fortsetzung werde ich sicher auf meine Kosten kommen. Ich möchte durchaus erfahren wie Hannes sein weiteres Leben meistern wird.
 
Zuletzt bearbeitet:

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.450
49.904
49
Ups, das wusste ich gar nicht. Das habe ich irgendwie übersehen:p
Irgendwo hat Florian erwähnt, dass der zweite Roman mit denselben Figuren bereits fertig und in den späten 1940er Jahren angesiedelt ist. Interessante Zeit auf alle Fälle.

Unabhängig davon, ob es einen zweiten Teil gibt, war mir die zweite Buchhälft zu sehr mit redundanten Gefühligkeiten bestückt. Das hätten 80-100 Seiten weniger sein dürfen.
Nun bin ich ein langsamer Genussleser, es mag auch daran liegen, dass mir Längen immer so lang vorkommen.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
6.527
24.561
49
66
Immer wieder, extrem redundant:
Ab der Mitte hat sich alles ständig wiederholt, das habe ich auch so empfunden.
Seine Gedanken dürfen sich um die Liebe drehen, er darf über diesen Kummer seine Arbeit vernachlässigen, doch ist mir das als Leserin in der zweiten Lebenshälfte (ich bin Optimist;)) etwas wenig für die über 200 Seiten verbleibenden Text.
Ich bin auch zu alt für reine Liebesgeschichten.
Meine Unzufriedenheit hängt sicher auch mit meinen Erwartungen zusammen. Ich habe gehofft, dass die politischen Umstände eine größere Rolle spielen. Ich habe einen Gesellschaftsroman erwartet und einen Coming-of-Age-Roman bekommen.
Für mich wäre Thies aber die interessantere Figur gewesen.
Zum Glück hat Hannes "nur ein paar Rippenbrüche" davongetragen. Die ihn kaum einschränken: Er kann kurz darauf melken, graben (!), schwimmen und mit Freunden im Meer toben. Nicht schlecht. Die Rippenbrüche, die ich kenne, sind unendlich schmerzhaft und zwingen zu absoluter Ruhe.
Hannes geht in Richtung Superman. Er kümmert sich beinahe allein um den Hof ( die Mutter schält Kartoffeln und schaut zum Fenster hinaus ), er hilft anderen bei allen möglichen Arbeiten, trotzdem hat er Zeit zum Kaffee trinken bei von Heesen, für Gespräche mit dem Lehrer, für Ausflüge und und und
Ich habe den Roman mit gemischten Gefühlen beendet. Ich habe ihn nicht ungern gelesen, mochte den Stil, die Landschaft, die Atmosphäre. Ich hatte aber Probleme mit den Protagonisten.
Du bringst es auf den Punkt. Mir geht es genauso. Ich war anfangs begeistert von der Geschichte, von der Art des Erzählens, fand dort auch noch für mich plausible Begründungen für das Verhalten der Protagonisten, doch letzteres hat stark nachgelassen. Mich haben die Hauptfiguren zum Ende nur noch genervt. Der Mutter hätte ich am liebsten zugerufen, reiß Dich zusammen, kümmer Dich um Deinen Sohn und den Hof und hör auf, Deinen Mann zu verklären.
Es gab kaum jemand, der nicht psychisch labil war .
drei besonders hübsche Sätze:
Es gab noch mehr und es zeigt, dass der Autor schreiben kann.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.450
49.904
49
Ich habe gehofft, dass die politischen Umstände eine größere Rolle spielen. Ich habe einen Gesellschaftsroman erwartet und einen Coming-of-Age-Roman bekommen.
Ich gehe meist ohne Erwartungen an eine Lektüre und lese auch den Klappentext erst zum Schluss noch einmal. Hätte ich es vorher getan, hätte mir der Fokus auf dem Heranwachsenden klar sein müssen. Trotzdem: Ich habe auch schon einige Jugendromane gelesen (ich sehe die Kategorie "Jugendroman" keinesfalls als Degradierung an), die mich auch mit Gefühligkeiten mehr zu fesseln wussten. Nein, die zweite Hälfte konnte mit der ersten nicht Schritt halten.
 

FlorianK

Mitglied
12. Februar 2021
55
194
17
57
Immer erscheint ihm Mara wieder in seinen Träumen, seinen Gedanken. Er wurde tief verletzt und verlassen. Trotzdem taucht sie immer wieder auf, auch während der unbeschwerten Segeltouren. Ist das realistisch? Jetzt, wo er sich in Lisa verliebt hat? Wo seine Hormone Tango tanzen müssten?
Als ich gestern die Beiträge in den hinteren Leseabschnitten entdeckt habe, da hab ich natürlich erst mal geschluckt und dann versucht zu verstehen, was hinter den Problemen steht, die zum Beispiel du nennst. Ich glaube, es geht bei allem um die Glaubwürdigkeit der Figuren, also darum, ob man sich vorstellen kann, dass sie so handeln.
Nach meiner Erfahrung können Menschen extrem gegensätzlich sein, zwei Gegensätze fast gleichzeitig fühlen. Eine verlorene erste Liebe, glaube ich, kann noch genauso schmerzhaft sein, wenn man sich neu verliebt. Als jemand gestorben war, der mir wichtig war, bin ich tanzen gegangen und war davor und danach am Boden, und sogar beim Tanzen, das Spaß gemacht hat und schön war, hatte ich den Verlust im Hinterkopf, nein, im ganzen Körper. Die größten Gegensätze gleichzeitig.
Hannes' Mutter liebt den Vater die ganze Zeit, obwohl er Hannes nicht achtet. Der Vater liebt die Mutter, obwohl er ihr die Missachtung des Sohnes antut. (Ich habe gehofft, ich hätte das fühlbar gemacht.) Deshalb kann sie nach seinem Tod am Boden sein und glauben, dass sie nicht wieder aufstehen kann, obwohl sie vielleicht auch froh ist, dass der Konflikt Sohn-Vater vorbei ist. Und Hannes kann, finde ich, durchaus Stück für Stück mehr spüren, dass der Vater auch andere Seiten hatte, liebevolle, verletzliche, lebensfrohe, mitreißende. Eigentlich wusste er es schon vorher, dass es diese Seiten gab. Er fällt in ein Loch, als der Vater tot ist, weil das Ziel seines Hasses weg ist, und erforscht die anderen Seiten des Vaters, zum Teil, weil er die Perspektive der Mutter einnehmen muss, zum Teil aber auch einfach nur so, weil der Hass nachlässt und Raum für was anderes macht. Ich glaube, jemand wie Hannes kann sogar fast gleichzeitig an Demütigungen durch den Vater und an die Verletzlichkeit des Vater oder an seine Liebe zur Mutter denken.
 

Literaturhexle

Moderator
Teammitglied
2. April 2017
19.450
49.904
49
Eine verlorene erste Liebe, glaube ich, kann noch genauso schmerzhaft sein, wenn man sich neu verliebt.
Das mag schon sein. Deshalb wird ja allgemein empfohlen, erst einmal Zeit vergehen zu lassen, damit die zweite Liebe eine Chance erhält und nicht immer im Schatten der ersten steht.
Ich denke, dass war es nicht allein. Ich habe Hannes´Gedanken einfach ein wiederkehrend empfunden, als Leserin kam da nichts Neues...
Klar, Hannes ist ein nachdenklicher Typ, sehr verantwortungsvoll. Er hängt in seinem schlechten Gewissen fest, kann es nicht überwinden, stellt sich immer selbst die Schuldfrage... Er ist, wie er ist und so ist er als Figur auch stimmig.
Wenn ein guter Freund/ein Angehöriger solche Probleme hat, hört man sie sich auch 5 mal an und versucht zu helfen. Hier im Buch kam es mir aber wie ein Auf-der-Stelle-treten vor, weil im Kern nichts Neues passierte oder hinzukam. Wenn ihn diese Gedanken dermaßen quälten, warum spricht er dann nicht mit seiner Mutter? Über den Vater, über die Ambivalenz seiner Gefühle? Warum spricht die Mutter als die Ältere die Themen nicht an?

Als jemand gestorben war, der mir wichtig war, bin ich tanzen gegangen und war davor und danach am Boden, und sogar beim Tanzen
Das kann ich supergut nachvollziehen, das ist völlig stimmig und in Ordnung.
Ich finde auch, dass Hannes Stimmung gut eingefangen ist, dieses Zwiscchen-den-Stühlen-stehen und Gewissensbisse haben. Doch war es mir als Leserin einfach in der Länge und Ausführlichkeit nicht interessant genug.
Deshalb kann sie nach seinem Tod am Boden sein und glauben, dass sie nicht wieder aufstehen kann, obwohl sie vielleicht auch froh ist, dass der Konflikt Sohn-Vater vorbei ist. Un
Auch das ist durchaus nachvollziehbar gemacht. Vielleicht komme ich mit dem Schweigen nicht zurecht. Ich bin ein kommunikativer Mensch und mir hilft es, über Probleme zu reden. Ich könnte es nicht ertragen, einen lieben Menschen (Sohn oder Mutter) so leiden zu sehen. Ich hätte die Tabletten angesprochen, über den Tod des Vaters gesprochen und so weiter. Hier ist das Schweigen ein dramaturgisches Element. Es macht die Lage spannender, man weiß ja nicht, was passiert.
Hannes verklärt zudem seinen Vater. Die schlechten Seiten treten völlig in den Hintergrund. Das empfand ich als unglaubwürdig. Doch alles ist denkbar. Es sind deine Figuren;)
Außerdem wird man 1928 eher weniger über Gefühle gesprochen haben als heute. Das Tagesgeschäft hat alles überlagert.
 
  • Like
Reaktionen: kingofmusic