5. Leseabschnitt: Kapitel 20-26 (S. 301 bis S. 389)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Wenn ich ein Buch als besonders intensiv empfinde, ist es manchmal so, dass ich davon träume. So war es zuletzt bei Damon Galguts "Das Versprechen" und nun ist es auch "Sturmhöhe" gelungen.

Ich finde, der Roman hat eine so unglaublich starke Sogwirkung und diese lässt auch überhaupt nicht nach. Ein wenig hatte ich nach Cathys Tod nämlich die Befürchtung, doch auch die Liebe und die Intrigen der neuen Generation verlieren keinen Deut an Emotionen.

Linton hat mich in diesem Abschnitt besonders berührt. Auch er ist eine so wunderbar ambivalente Figur, die von der Komik bis zur Tragik die gesamte Emotionsklaviatur bespielt. Der Umgang mit ihm in den Heights hat mich zunächst wahnsinnig traurig gemacht. Dieses Herabsetzen durch seinen Vater und die anderen Menschen dort, nur weil er nicht den Männlichkeitsidealen entspricht. Alles daran ist so lieb- und herzlos. Doch gleichzeitig entwickelt er sich - natürlich auch durch die falsche Erziehung - selbst zu einem Spötter insbesondere gegenüber Hareton. Und auch seine Reaktion gegenüber der aufgeregten Cathy ist nicht besonders gentlemanlike. In seiner ganzen Nörgeligkeit entpuppt er sich sogar als ziemlich unausstehlich.

Diese Szene des Wiedersehens zwischen Linton und Cathy ab S. 348 fand ich gleichzeitig aber auch wahnsinnig komisch. Linton ist so übertrieben leidend und schlecht gelaunt, dass ich wirklich sehr lachen musste. Auch über Nellys knallhartes Urteil auf S. 358: "Den misslaunigsten Kränkling, der je seiner Mannbarkeit entgegensiechte. [...] Kein großer Verlust für seine Familie, wenn er abzieht!" Knochentrocken, aber wirklich komisch.

Ingesamt entpuppt sich Nelly auch in diesem Abschnitt wieder als Strippenzieherin in alle Richtungen. Nichts geht ohne sie, sie begeht Verrat in alle Richtungen und hilft den Figuren auf der anderen Seite auch wieder. Nicht ganz passend fand ich deshalb, dass sie sich zu Beginn ihrer Krankheit so von Cathy zum Narren halten lässt und nicht sofort ahnt, dass diese ihre Besuche auf den Heights längst wieder aufgenommen hat.

Das Ende des Abschnitts fand ich hingegen erschütternd, denn Linton präsentiert sich in einer unglaublich schlechten Verfassung. Nicht nur körperlich, sondern auch mental. Wie sehr muss er unter Heathcliff gelitten haben, um so voller Angst zu sein.

Hervorheben möchte ich noch die in meinen Augen äußerst gelungene Herbststimmung ab S. 338. Das macht Emily Brontë so hervorragend, dass ich als bekennender Herbstfreund am liebsten wieder dort gewesen wäre. An diesem Ort, aber auch in dieser Zeit. So plastisch und eindrücklich sind die Schilderungen.

Nicht ganz verstanden habe ich die Diskussionen um das Erbrecht an den Grundstücken und Häusern. Eine Frau wie Cathy hatte offenbar nicht das Recht, ein Grundstück zu erben, sonst würde Edgar nicht so sehr auf einen Mann wie Linton für sie hoffen. Auch Heathcliffs Statements dazu habe ich einfach mal so hingenommen, weil mir das Hintergrundwissen fehlt, sie zu hinterfragen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Nicht ganz verstanden habe ich die Diskussionen um das Erbrecht an den Grundstücken und Häusern. Eine Frau wie Cathy hatte offenbar nicht das Recht, ein Grundstück zu erben, sonst würde Edgar nicht so sehr auf einen Mann wie Linton für sie hoffen. Auch Heathcliffs Statements dazu habe ich einfach mal so hingenommen, weil mir das Hintergrundwissen fehlt, sie zu hinterfragen.
Ich habe bei Wikipedia den Artikel kurz quergelesen ( genauer möchte ich ihn mir nach meiner Lektüre anschauen). Da steht was zum damals geltenden Erbrecht:

Das Geschehen im zweiten Teil des Romans wird verständlicher, wenn man den rechtsgeschichtlichen Hintergrund hinzuzieht, der Heathcliffs Wirken ermöglicht. Im 19. Jahrhundert herrschte in Großbritannien ein ausschließlich männliches Erb- und Eigentumsrecht, welches nur in Ausnahmefällen durch besondere Vertrags- oder Testamentsregelungen ausgesetzt werden konnte. Im Todesfall ging sämtliches Eigentum grundsätzlich an den nächsten männlichen Verwandten über, in der Regel an den ältesten Sohn. War dieser noch minderjährig, konnte die Mutter bis zur Volljährigkeit das Besitzrecht bekommen. Hatte ein Erblasser nur Töchter, ging das Erbe nicht an die Töchter, sondern an einen Neffen oder sogar an einen weiter entfernten männlichen Erben. Häufig hinterließ der Verstorbene deshalb im Testament bindende Verfügungen, sodass die Annahme des Erbes mit jährlichen Rentenzahlungen an die Töchter und die Ehefrau verbunden war.

Falls eine Frau in Ausnahmefällen über Eigentum verfügte, ging dieses in der Regel bei Heirat an den Ehemann über.

Dementsprechend wird im Roman dargestellt, wie sich Heathcliff durch Heirat (erst er selbst mit Isabella, dann sein Sohn mit Catherine) in die Verwandtschaft und damit Erbfolge der Lintons einbringt
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich vermute, das ist der Hauptgrund, warum er überhaupt Linton in seinen Klauen haben will. Wuthering Heights hat er Hindley im Spiel abgeknöpft, und Thrushcross Grange will er auch. Nach Lintons (und Edgars) Ableben würde ihm alles gehören. Vor diesem Hintergrund wird nicht recht klar, warum er überhaupt die Heirat zwischen Linton und Cathy will. Will er sie nur an sich binden, weil sie ihn an Cathy erinnert?

Heute habe ich übrigens mal im Klassikerforum nachgestöbert; vor Jahren gab es dort eine Leserunde mit dem Roman (ich war damals noch nicht dabei). Dort gab es anfangs Vermutungen, dass Heathcliff ein uneheliches Kind von Earnshaw senior gewesen sein könnte. Das würde bedeuten, dass er mit Hindley und Cathy auch blutsverwandt war. Ich weiß nicht, ob es auch eine "offizielle" Interpretation in diese Richtung gibt. Es würde vielleicht die spezielle Anziehung zwischen ihm und Cathy ein wenig erklären, denn obwohl sie so leidenschaftlich ist, sehe ich zwischen den beiden keinen irgendwie sexuellen "Funken" - zumindest nicht von Cathys Seite aus.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Auch er ist eine so wunderbar ambivalente Figur
Das sind eigentlich alle Figuren hier. Mal hat man Mitleid mit ihnen, dann möchte man sie nur schütteln oder ist entsetzt.
Linton ist ein richtiger Jammerlappen in diesen Szenen. Mir unbegreiflich, was Cathy II an ihm finden kann.
Wobei mich auch entsetzt, wie früh die Leute in diesem Buch sterben. Manche sind von Anfang an kaum lebensfähig, immer schwach und kränkelnd. Andere, wie Cathy I , die immer so stark erschien, stirbt nach der Geburt ihrer Tochter, war aber vorher schon krank.
Catherine stirbt mit 19 Jahren
Hindley mit 27 Jahren
Edgar wird 39 Jahre alt,
Isabella stirbt mit 32 Jahren
Linton wird nur 17 Jahre alt und
Heathcliff stirbt mit 38 Jahren.
Das Klima hier scheint sehr ungesund zu sein.
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Allerdings scheint das tatsächliche Klima dieser Gegend nicht sehr gesund gewesen zu sein. Starben doch zwei der drei Bronte- Schwestern an Lungenentzündung und Tuberkulose.
Das feuchtkalte Klima ist zum Beispiel auch in "Jane Eyre" ein Dauerthema. Ich kann mir vorstellen, dass das bei so alten, Wind und Wetter ausgesetzten Häusern oft ein Problem war. Man lüftete ungern im Winter, weil die Wärme im Haus bleiben sollte, aber wenn der Schornstein nicht richtig zog, verqualmten die Zimmer. Dazu kam die Feuchtigkeit in den Wänden und in den Kleidern.
Und kein Penicillin ... Da kam der Arzt, sagte "heute nacht wird die Krisis eintreten" und die Familie saß die ganze Nacht am Bett, und wenn der oder die Kranke die Nacht überlebte, war das Schlimmste überstanden. Das ist eine Situation, die immer und immer wieder in Büchern dieser Zeit auftaucht, auch bei Jane Austen zum Beispiel. Und die Menschen lagen dann unglaublich lange im Bett, bis sie wieder auf die Beine kamen.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Linton ist eigentlich ein armer Tropf, auch wenn er mit seinem Verhalten natürlich aneckt, aber kann man es ihm verübeln? Er war immer kränklich und wurde daher von seiner Mutter Isabella sicher verhätschelt. In Heathcliffs Haushalt sein zu müssen ist für den Jungen eine echte Strafe. Vor allem wenn man bedenkt, dass sein Vater ihn nur als Mittel zum Zweck zu sich geholt hat und nicht seiner selbst Willen.
Cathy wirkt stellenweise sehr naiv, oder geblendet, ansonsten kann ich mir nicht erklären, warum sie Linton so viel durchgehen lässt, sich aufopfernd allem hingibt was er in seinen Launen verlangt. Dabei übersieht sie, dass es noch jemanden gibt, der sie mag, aber Hareton hätte sowieso keine Chance, dafür würde Heathcliff schon sorgen.

Ich lese den Roman nach wie vor sehr gerne und freue mich immer wieder zwischen den anderen Leseverpflichtungen wieder hierher zurück zu kommen
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Das sind eigentlich alle Figuren hier. Mal hat man Mitleid mit ihnen, dann möchte man sie nur schütteln oder ist entsetzt.
Linton ist ein richtiger Jammerlappen in diesen Szenen. Mir unbegreiflich, was Cathy II an ihm finden kann.
Wobei mich auch entsetzt, wie früh die Leute in diesem Buch sterben. Manche sind von Anfang an kaum lebensfähig, immer schwach und kränkelnd. Andere, wie Cathy I , die immer so stark erschien, stirbt nach der Geburt ihrer Tochter, war aber vorher schon krank.
Catherine stirbt mit 19 Jahren
Hindley mit 27 Jahren
Edgar wird 39 Jahre alt,
Isabella stirbt mit 32 Jahren
Linton wird nur 17 Jahre alt und
Heathcliff stirbt mit 38 Jahren.
Das Klima hier scheint sehr ungesund zu sein.
Das Klima und scheinbar auch die mangelnde Bewegung. Joseph und Nelly scheinen wesentlich robuster veranlagt zu sein, als die gnädigen Herrschaften;)
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Wenn ich ein Buch als besonders intensiv empfinde, ist es manchmal so, dass ich davon träume.

Echt? Wie muss ich mir das vorstellen? Bist du dann ein Teil der Geschichte? So was ist mir noch nie passiert, soweit ich mich erinnern kann…
Hervorheben möchte ich noch die in meinen Augen äußerst gelungene Herbststimmung ab S. 338.

Nicht nur das! Ich finde den Roman insgesamt sehr stark, wenn es um Atmosphäre und Beschreibungen geht.

Das sind eigentlich alle Figuren hier. Mal hat man Mitleid mit ihnen, dann möchte man sie nur schütteln oder ist entsetzt.

Ganz am Anfang habe ich das nicht so sehr empfunden. Jetzt definitiv schon.

Das feuchtkalte Klima ist zum Beispiel auch in "Jane Eyre" ein Dauerthema. Ich kann mir vorstellen, dass das bei so alten, Wind und Wetter ausgesetzten Häusern oft ein Problem war. Man lüftete ungern im Winter, weil die Wärme im Haus bleiben sollte, aber wenn der Schornstein nicht richtig zog, verqualmten die Zimmer. Dazu kam die Feuchtigkeit in den Wänden und in den Kleidern.

Ich finde das Wetter auch heutzutage noch ungemütlich auf der Insel. Oft regnerisch und windig. Wenn man dann noch in einer schlecht geheizten und zugigen Bude hocken muss, ist es kein Wunder, wenn man ständig krank ist. Ich würde nie im Leben dorthin auswandern wollen. :grinning
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich finde das Wetter auch heutzutage noch ungemütlich auf der Insel. Oft regnerisch und windig. Wenn man dann noch in einer schlecht geheizten und zugigen Bude hocken muss, ist es kein Wunder, wenn man ständig krank ist. Ich würde nie im Leben dorthin auswandern wollen. :grinning
Wir haben mal in Irland in einem Cottage gewohnt, das insoweit eine Herausforderung war.
Es war ganz reizend und stimmungsvoll eingerichtet, ich schlief zum Beispiel in einem Alkovenbett mit Vorhängen. Aber abends froren wir wie die Schneider, Heizung gab es nicht und zum Feuermachen nur Torfbrocken - damit zu heizen will gelernt sein, wir saßen im Qualm. :eek:
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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doch auch die Liebe und die Intrigen der neuen Generation verlieren keinen Deut an Emotionen.
Tja, der Apfel fällt nicht weit vom Birnbaum :cool:.
die von der Komik bis zur Tragik die gesamte Emotionsklaviatur bespielt.
Wenn er nicht so jung gestorben wäre, hätte er bestimmt Karriere als Schau- bzw. Theaterspieler machen können - das Talent hatte er definitiv :rofl.
nicht sofort ahnt
Oder nicht ahnen wollte - who knows? :cool:
Hervorheben möchte ich noch die in meinen Augen äußerst gelungene Herbststimmung ab S. 338. Das macht Emily Brontë so hervorragend, dass ich als bekennender Herbstfreund am liebsten wieder dort gewesen wäre. An diesem Ort, aber auch in dieser Zeit. So plastisch und eindrücklich sind die Schilderungen.
Ja, stimmungsmäßig ist es eines der stärksten und intensivsten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen haben.
Dort gab es anfangs Vermutungen, dass Heathcliff ein uneheliches Kind von Earnshaw senior gewesen sein könnte. Das würde bedeuten, dass er mit Hindley und Cathy auch blutsverwandt war.
Wir werden es wohl nie erfahren...
Nicht nur das! Ich finde den Roman insgesamt sehr stark, wenn es um Atmosphäre und Beschreibungen geht.
Jup - siehe oben :cool:.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Wie muss ich mir das vorstellen? Bist du dann ein Teil der Geschichte? So was ist mir noch nie passiert, soweit ich mich erinnern kann…
Nein, Teil der Geschichte bin ich nicht, also höchstens beobachtend. Es tauchen einfach die Figuren aus dem Roman auf und interagieren miteinander auf recht unspektakuläre Weise. Ich habe das aber auch äußerst selten und in diesem Jahr zum Beispiel nur bei "Sturmhöhe" und "Das Versprechen".
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wenn ich ein Buch als besonders intensiv empfinde, ist es manchmal so, dass ich davon träume. So war es zuletzt bei Damon Galguts "Das Versprechen" und nun ist es auch "Sturmhöhe" gelungen
Mir ist das nur einmal, Bei Der Schatten des Windes von Zafon passiert. Ein sehr eigentümlicher Traum ein ein komisches Gefühl beim Aufwachen
Wenn er nicht so jung gestorben wäre, hätte er bestimmt Karriere als Schau- bzw. Theaterspieler machen können - das Talent hatte er definitiv :rofl.

oder - in heutiger Zeit - Fußballer :D

Das sind eigentlich alle Figuren hier. Mal hat man Mitleid mit ihnen, dann möchte man sie nur schütteln oder ist entsetzt
und alles sind so inbrünstig in ihrem Tun, beim Lieben und Hassen und Aufbegehren

Dabei gibt es keine moralische Bewertung ihrer Figuren durch die Autorin

Nicht nur das! Ich finde den Roman insgesamt sehr stark, wenn es um Atmosphäre und Beschreibungen geht.
Großartig, oder?
 
G

Gelöschtes Mitglied 7863

Gast
Ich lese euch im übrigen gerade "Wuthering Heights" hinterher, dabei ist mir aufgefallen, dass die Beschreibung von Heathcliff der von Mr Rochester in Jane Eyre ähnelt. Offenbar ein Typ Mann, den die Bronte-Schwestern attraktiv fanden :)
 
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