5. Leseabschnitt: In der dritten Person bis Ende (Seite 173 bis 234)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Nachdem Klement die ganze Zeit bisher immer darunter gelitten hat, nicht als jemand aus der ersten Reihe angesehen zu werden, versucht er nun alles, um eine Argumentation zu entwickeln, die ihn zu einem kleinen Rädchen macht. Das kennen wir doch nur zu gut oder unserer Geschichts"bewältigung", oder?
dass man ein bloßes Rad nicht für den Kurs anklagen konnte, den das Auto eingeschlagen hatte.
Aber immerhin: er wird erwischt. Die Tarnung war dann doch nicht so perfekt wie angestrebt! Und so gelangt er in das Territorium, das nun von den Juden bewohnt werden kann, was er sich selbst zu Gute hält. das ist schon eine gedankliche Wendung, auf die ich ehrlich gesagt nicht gekommen wäre
Ihm, Adolf Eichmann, hatten sie zu verdanken, dass die Engländer sich ihrer erbarmt hatten und ihnen das Territorium überließen, nach dem sie sich seit Jahrhunderten gesehnt hatten. Jedenfalls konnten sie nicht bestreiten, dass er genauso viel wie Herzl (oder mehr) für ihre Staatsgründung getan hatte. Und er konnte nicht bestreiten, dass es daher ganz und gar keine Überraschung war, als sie ihm irgendwann verkündeten, genau dorthin würden sie ihn mitnehmen, nach Israel.
Als erwarte er dort einen Einzug im Triumphzug!

Interessant finde ich dann das Nachwort des Autors über seine Motivation zum Schreiben dieses Romans.
Er will ihn "zur Fiktion verurteilen" (S. 219) Da habe ich große Fragezeichen. Macht die Fiktion ihn nicht nur größer, denn die Realität löscht er dadurch ja nicht aus. Also habe ich große Zweifel ob der Wirkungsgeschichte dieses Romans. Haben wir, die eh schon Überzeugten, etwas dazugelernt? Oder war es eine reine Bekräftigung unseres Erschauerns. Und wenn ja, ist das dann genug und es wert diesen Roman geschrieben zu haben? Lasst mich darüber noch etwas nachdenken.
 

Xirxe

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19. Februar 2017
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Das kennen wir doch nur zu gut oder unserer Geschichts"bewältigung", oder?
Wohl wahr!
das ist schon eine gedankliche Wendung, auf die ich ehrlich gesagt nicht gekommen wäre
Das ging mir genau so. Ich habe nur den Kopf geschüttelt über so viel, ja wie soll man das nennen? Frechheit, Unverfrorenheit, Abgebrühtheit? Aber was das Sichselbstwasvormachen angeht, ist Herr Eichmann ja offensichtlich ein Meister.
Das Schlimmste ist, dass Viel von dem Geschriebenen vermutlich nicht von so weit hergeholt ist. Es gibt ja noch diese Protokolle und auch Schriftstücke von Eichmann und bei all dem, was der Autor dazu gelesen hat, vermute ich sehr, dass die Sprache und die Gedanken schon sehr nahe an ihm dran sind. Was das Ganze noch entsetzlicher macht.
Haben wir, die eh schon Überzeugten, etwas dazugelernt?
Die Generation der in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren vermutlich nicht, dazu hatten wir noch genügend Augenzeugenberichte und ähnliches. Aber die Nachfolgenden, für die das Thema viel weiter weg ist, haben dieses Grauen glaube ich, nicht mehr in diesem Ausmaß vor Augen wie wir. Die Zeit lehrt Vergessen, was an sich sehr gut ist. In diesem Fall aber nicht wünschenswert, weshalb das Buch es auf jeden Wert ist, geschrieben worden zu sein und gelesen zu werden, finde ich.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Ich fand gerade den letzten Abschnitt wieder sehr stark.
Eichmann ist unschlagbar darin, sich die Welt so zurechtzubiegen, dass sie passt für ihn. Seine Vergleiche sind so was von abgebrüht:
„ dass man ein bloßes Rad nicht für den Kurs anklagen konnte, den das Auto eingeschlagen hatte.“
“ sofern man das Pech hatte, für die Mannschaft gespielt zu haben, die am Ende verloren hatte,..“
Wie wahr: „ … ganz gemäß der Prämisse, dass hundert Tote grauenvoll sind, hunderttausend aber einfach nur Statistik.“
Deshalb ist jede einzelne Geschichte zu diesem Thema wichtig, auch diese hier.
Ich weiß zwar schon sehr viel zu diesem Thema, trotzdem gab es manches, das mir nicht so bewusst war . Deshalb hat für mich auch dieses Buch genug Relevanz.
Die Fakten zu kennen, ist das eine, aber hier schauen wir ja sehr genau in das Hirn eines Täters und das ist, auch für jeden, der über genug Wissen verfügt, unglaublich erschreckend und abstoßend. Da wird sehr präzise das menschenverachtende Gedankengut der Nazis geschildert.
Seine Überlegungen, wie fatal es ist, nicht alle Juden getötet zu haben, hat mich an ein Erlebnis aus meiner frühen Jugend erinnert. Mit vierzehn arbeitete ich bei einem Ferienjob mit einigen älteren Frauen aus unserem Dorf zusammen. Es war Anfang der 1970er Jahre. Bei einem Gespräch kam der Ausspruch:
Der einzige Fehler, den Hitler gemacht hat, war, dass er nicht alle Juden umgebracht hat.“ Ich war damals so schockiert, dass ich nicht widersprechen konnte.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich war zutiefst berührt, als ich erfahren habe, das die junge Frau, die den Tritt von Mengele bekommen hat, die Großmutter des Autors ist. Wenn ich diese Tatsache bedenke, muss es für Magnus schon sehr schmerzhaft gewesen sein, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen, er ist definitiv näher dran als wir, und wir haben schon mitgelitten, wie muss es da für ihn sein?
Makaber ist, dass Eichmann durch seine Selbstsicherheit und Unvorsichtigkeit aufgespürt wurde. Wäre er nicht sesshaft geworden, wäre er wahrscheinlich nie gefunden worden, wie viele andere der Verbrecher auch.
Das Buch hat mich mitgenommen und ich war oft wütend auf diesen Mann, aber ich bin froh es gelesen zu haben.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Der einzige Fehler, den Hitler gemacht hat, war, dass er nicht alle Juden umgebracht hat.“ Ich war damals so schockiert, dass ich nicht wid
Unvorstellbar, und ich denke das es sie auch heute noch gibt, Menschen die so denken. Und solange es sie gibt, sind diese Bücher so wertvoll, sie erinnern uns an das schreckliche, so bleiben diese Menschen hoffentlich für immer in der Unterzahl.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Dass Eichmann gefasst wurde, ist hinlänglich bekannt. Insofern ist der letzte Abschnitt wenig überraschend. Dass Eichmann keine Reue zeigt und seinen Anteil schmälern will, war zu erwarten.

Was mir bis dato aber nie so bewusst war, ist, dass Argentinien solche Verbrecher nicht nur geduldet hat, sondern sie auch nicht ausliefern wollte, wenn sie enttarnt waren. Sonst hätte man sich bei den Geheimdienstlern die ganze List sparen können. Selbst die Überführung musste geheim bleiben. Das ist ebenfalls ein Skandal.
 

RuLeka

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Ich war zutiefst berührt, als ich erfahren habe, das die junge Frau, die den Tritt von Mengele bekommen hat, die Großmutter des Autors ist.
Das hat mich auch betroffen gemacht.
Für mich war das letzte Kapitel sehr wichtig, in dem der Autor seine Beweggründe für dieses Buch erklärt. Nicht nur seine jüdischen Wurzeln waren ausschlaggebend, sondern zum einen sein Vater, der Eichmann wirklich gehasst hat , dann das Bewusstsein, dass ganz in ihrer Nähe dieser Massenmörder gelebt hat. Die ganze Atmosphäre ist vergiftet.
Der Glaskasten, in dem Eichmann während der Verhandlung saß, damit niemand die gleiche Luft einatmen musste wie er. Das wirft nochmals einen anderen Blickwinkel auf das bekannte Bild.
Magnus will mit diesem Buch ein anderes Porträt dieses Mannes ent -werfen. Nicht das Monster, das der Staatsanwalt in ihm sah, nicht den „Idioten“ von Hannah Arendt, den spießigen Befehlsempfänger, sondern er liefert ein vielschichtiges Bild.
 

Literaturhexle

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Die Zeit lehrt Vergessen, was an sich sehr gut ist. In diesem Fall aber nicht wünschenswert, weshalb das Buch es auf jeden Wert ist, geschrieben worden zu sein und gelesen zu werden, finde ich.
Das ist ein wichtiger Hinweis. Ich würde denken, dass zu meiner Schulzeit in den 70er und 80er die Aufarbeitung auf dem Höhepunkt war. In folgenden Dekaden ließ es wieder nach. Man muss erinnern. Ob es die richtige Form ist- da bin ich unsicher.
Ich war zutiefst berührt, als ich erfahren habe, das die junge Frau, die den Tritt von Mengele bekommen hat, die Großmutter des Autors ist.
Absolut! Da war ich auch erst einmal vom Donner gerührt, zumal Mengele diese Episode absolut gefühlskalt erzählt hatte, ohne sich der Wirkung bewusst zu sein.
Selbst die Überführung musste geheim bleiben. Das ist ebenfalls ein Skandal.
Ja, das ist es wirklich!
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen. Eichmann bleibt seiner Linie treu, nur ein simpler Befehlsempfänger gewesen zu sein. Auch hier sieht man wieder, wie zermürbend Einzelhaft sein kann (vgl. Schachnovelle).

Die Motivation des Autors, dieses Buch zu schreiben, hat mich überrascht. Sie erklärt aber auch. Offenbar hat Magnus sehr sorgfältig recherchiert, so dass sich ein recht plausibles Bild von AE ergibt.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Offenbar hat Magnus sehr sorgfältig recherchiert, so dass sich ein recht plausibles Bild von AE ergibt.

Ja, einerseits hat er sorgfältig recherchiert. Andererseits hat er die Orte in Argentinien erst NACH dem Schreiben besucht. Das erschließt sich mir trotz seiner Erklärungen einfach nicht. Ich könnte es verstehen, wenn er sie gar nicht sehen wollte, weil es ihm die Heimat verdirbt (wie er schreibt). Aber warum dann nach dem Schreiben doch die Aufenthaltsorte Eichmanns besuchen? Und gehört es nicht zu einer kompletten Recherche, sich vor Ort ein Bild zu machen?
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ein sehr schnelles Ende, aber noch mal eins mit ekelhaftem Blick inside AEs krankem Hirn. Was für ein Mistkerl. "Ich arme Wurst, ich bin doch nur Befehlsausführer gewesen."
Man kann glaube ich trefflich drüber streiten, ob die "Verurteilung zur Fiktion" eines solchen Verbrechers sinnvoll ist oder nicht. Aber ich habe bei der Liste an Quellen etc. keinen Grund zu glauben, dass nur ein Gedanke von AE in diesem Buch fiktiv ist.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Hm, Klement wird zu Eichmann und schon rattert das Hirn, um diese neue Situation einzuordnen, Vorwürfen zu parieren und Abwägungen zu treffen.
Klements Gedanken sind auf Tonband festgehalten und fanden unter "sicheren" Bedingungen statt, Eichmann aber taktiert, dreht und wendet seine Einstellung... ich denke, da war er nicht der Einzige, aber schon eine besondere Nummer.

Das Schlusswort, die Beweggründe für diesen Roman, haben dem Roman noch einmal eine ganz eigene Note verpasst: ein Racheroman, eine Fiktionierung Eichmanns...
Wir durften die ganze Zeit Eichmann dabei beobachten, wie er sein "Gewissen" reinhielt und seine Taten, kraft seiner Gedankenverdrehungen, rechtfertigte. Nun aber bekommen wir zum Schluss die andere Seite zu spüren und wie sie es schafft, über das Grauen hinwegzukommen. In diesem Buch steckt persönliche Vergangenheitsbewältigung, eine Bringschuld (für Magnus Vater) und Mahnung für nachfolgende Generationen.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Wenn man sich so lange verstecken muss wie Eichmann, dann kann es schon mal passieren, das man Fehler macht. Das scheint wohl hier der Fall zu sein, das man ihm auf die Schliche gekommen ist. Ob sie von Seiten der Kinder ausgegangen sind oder ob es doch der Hauskauf gewesen ist weiß man im nachhinein nicht. Mich wundert nur wie schnell sich Eichmann hier ergeben hat. Dachte er wirklich, das er freigesprochen wird?

Das die Großmutter des Autors eine Überlebende war und sie damals den Tritt von mengele bekommen hat fand ich sehr aufschlussreich. Jetzt ist mir auch irgenwie klar warum zusätzlich so ein großes Interesse an Mengele da war. Schade nur, das den niemand erwischt hat, er konnte sich wohl noch rechtzeitig absetzen. Hätte Eichmann auf seine Bauchgefühl gehört, wäre er nicht in die Falle gelaufen.

Trotzdem er so viel grausames angeordnet hat sieht er sich bis zum Schluß als Unschuldigen. Und trotzdem habe ich nie den Eindruck das er seine Taten bereut hat. Er sieht sich immer nur als jemanden der Befehle befolgt hat. Aber er hätte ja nicht zu SS gemusst, das hat er ja freiwillig getan.
Ich finde seine Strafe nur gerecht für ihn.