5. Leseabschnitt: Anagnorisis (S. 275 bis S. 317)

Literaturhexle

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2. April 2017
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In diesem Abschnitt wird konsequent das Erkennen des Vaters aus dem letzten Abschnitt fortgeführt.
Daniel lässt viele Momente Revue passieren, er befragt Weggefährten seines Vaters nach ihren Eindrücken/Erfahrungen und gelangt zu vielen neuen Einsichten.

Das ist hochspannend zu lesen. Mir hat es sogar Einsichten zu meinem eigenen Vater beschert: warum neigt man dazu, dessen Erzählungen über eigene vergangene Beweggründe und Entscheidungen für bare Münze zu nehmen? Weil man zu deren Zeit noch nicht auf der Welt war? Weil man es nicht nachprüfen kann? Zumindest habe ich Verständnis für Daniel, der zunächst nur das sehen will, was in sein Schema passt. Also zumindest, was den Vater betrifft. Bei seinen Seminaren sollte er schon versuchen, offener für die Argumentation seiner Studenten zu werden. Aber ich denke, das hat er gelernt.
 

MRO1975

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11. August 2018
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Ich bin noch ganz gefangen, vom Ende dieses Abschnitts. Dem Autor ist es wunderbar gelungen, zu zeigen, dass die Wahrnehmung eines anderen Menschen und bestimmter Ereignisse höchst subjektiv ist. Dan‘s Studenten hatten eine völlig anderen Eindruck von Jay und seinem Beitrag zum Seminar als Dan selbst. Trishs Email war für Dan wohl ein heftiger Augenöffner.

Gefreut habe ich mich, dass wir so nebenbei erfahren haben, dass Jay wieder angefangen hat, Latein zu lernen. :)
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
querleserin.blogspot.com
Habe meine Eindrücke versehentlich schon im letzten Abschnitt gepostet:oops:. Kopiere sie als Erinnerung wieder hierhin:

Im letzten Teil dieses Abschnittes geht Daniel auf Spurensuche, sein Vater ist gestorben und er redet mit verschiedenen Leuten, die seinem Vater nahe gestanden haben. Und plötzlich verändert sich das Bild, das ich von ihm hatte wieder. In ihren Augen erscheint er liebenswert, klug, fast weise, aber auch bestimmend. Bezeichnend ist die Szene, in der Daniel mit seiner Mutter über Jay redet - auch da wird deutlich, wie sehr sich die beiden geliebt haben müssen. Auch sie hatten ihre Geheimnisse zusammen - wie Penelope und Odysseus.
Auch die Kommentare der Studenten zeigen, wie sehr sie die Anwesenheit des alten Herrn geschätzt haben:
"Er war ein unglaublicher Mensch und eine Bereicherung für das Seminar. Mit ihm zu reden, war ein Vergnügen. Ich werde die Odyssee nie lesen können, ohne an ihn zu denken." (317)

Das hat mich sehr berührt. Im Laufe der Handlung nimmt das Erzählen einen größeren Raum ein, obwohl immer wieder auf die Odyssee eingangen wird, rückt sie für mich stärker in den Hintergrund.
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Beeindruckend ist ein vollkommen zutreffendes Wort, welches meine Betrachtungen oder Sichtweisen zu diesem Leseabschnitt beschreibt. Was fand ich hier beeindruckend? Ich finde die Erkenntnisse die Daniel hier für sich findet extrem beeindruckend. Er lernt seinen Vater mit den Augen der Anderen zu sehen. Und dies ist in meinen Augen recht viel! Er begreift, dass er in einer Art Konkurrenz zu seinem Vater gelebt hat und ihn vielleicht auch oft missverstanden hat, sei es nun aus einer Erwartungshaltung heraus, die er bei seinem Vater sieht und die er auch selbst an sein Handeln hat oder aus dem Missverstehen der Person/des Charakters seines Vaters. Er erkennt das Andere seinen Vater ganz anders wahrgenommen haben oder wahrnehmen. Das ist etwas was sicher nicht jedem vergönnt ist und sicher auch durch ihre Reise und das Seminar mit ermöglicht wurde. Auch durch die Reserviertheit seines Vaters ist ein Verstehen zwischen Vater und Sohn erschwert worden. Gut ist dass dies von Beiden erkannt wird, vom Beiden vielleicht etwas zu spät. Aber besser spät als nie.
 
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G

Gelöschtes Mitglied 2403

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Beeindruckt hat mich auch dieses Beschreiben der Beziehungen eines Paares. Dieses Gemeinsame, dieses Miteinander, hier wieder gut gezeichnet im Vergleich, einerseits Odysseus und Penelope, andererseits die Betrachtung der Eltern von Daniel. Dieses Wachsen des Gemeinsamen über die lange Zeit einer funktionierenden Gemeinschaft/Ehe. Dieses Erkennen einer durchs älter werden optisch neuen Person mit bekannten Eigenschaften. Eigenschaften, die diese Person in den Augen des Anderen liebenswert machen. Zumindest beim Idealbild der Gemeinschaft/Ehe. Wunderschön formulierte Gedanken die zum Sinnieren einladen!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Ich bin noch ganz gefangen, vom Ende dieses Abschnitts. Dem Autor ist es wunderbar gelungen, zu zeigen, dass die Wahrnehmung eines anderen Menschen und bestimmter Ereignisse höchst subjektiv ist. Dan‘s Studenten hatten eine völlig anderen Eindruck von Jay und seinem Beitrag zum Seminar als Dan selbst. Trishs Email war für Dan wohl ein heftiger Augenöffner.

Gefreut habe ich mich, dass wir so nebenbei erfahren haben, dass Jay wieder angefangen hat, Latein zu lernen. :)
Dieses subjektive Wahrnehmen sollte uns immer bewusst sein, eine gewisse Offenheit für die Wahrnehmungen anderer Menschen könnte uns helfen die Menschen um uns herum/die Dinge um uns herum realer wahrzunehmen, besser zu leben. Dies wird hier in diesem Buch wunderbar und sehr sehr ehrlich dargelegt. Das ist ebenso eine Stärke des Buches. Die Ehrlichkeit/Authentizität des Autors bezüglich seinen eigenen Gefühlen. Hut ab!
 
G

Gelöschtes Mitglied 2403

Gast
Habe meine Eindrücke versehentlich schon im letzten Abschnitt gepostet:oops:. Kopiere sie als Erinnerung wieder hierhin:

Im letzten Teil dieses Abschnittes geht Daniel auf Spurensuche, sein Vater ist gestorben und er redet mit verschiedenen Leuten, die seinem Vater nahe gestanden haben. Und plötzlich verändert sich das Bild, das ich von ihm hatte wieder. In ihren Augen erscheint er liebenswert, klug, fast weise, aber auch bestimmend. Bezeichnend ist die Szene, in der Daniel mit seiner Mutter über Jay redet - auch da wird deutlich, wie sehr sich die beiden geliebt haben müssen. Auch sie hatten ihre Geheimnisse zusammen - wie Penelope und Odysseus.
Auch die Kommentare der Studenten zeigen, wie sehr sie die Anwesenheit des alten Herrn geschätzt haben:
"Er war ein unglaublicher Mensch und eine Bereicherung für das Seminar. Mit ihm zu reden, war ein Vergnügen. Ich werde die Odyssee nie lesen können, ohne an ihn zu denken." (317)

Das hat mich sehr berührt. Im Laufe der Handlung nimmt das Erzählen einen größeren Raum ein, obwohl immer wieder auf die Odyssee eingangen wird, rückt sie für mich stärker in den Hintergrund.
Dieses Buch berührt mich auch sehr und vor allem, es gefällt mir auch sehr!!! :rolleyes::rolleyes::rolleyes:
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Du hast deine Gedanken zum Buch wunderbar ausformuliert @renee und ich stimme dir in allem gerne zu! Manchmal ist man verblendet. Man sollte dann den Blick öffnen und neue Chancen geben.
Es steckt unheimlich viel Weisheit in den alten Zeilen der Odyssee. Man muss sie nur lesen können. Dabei hat uns Mendelsohn unterstützt und die Augen geöffnet.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
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Erkennen, Wiedererkennen, Erkenntnis, das steckt alles in diesem Abschnitt und es hat mich berührt und beeindruckt.
Ganz besonders wie Dan seinen Vater durch die Augen seiner Studenten und früheren Weggefährten sieht und dadurch auch manches revidieren muss.

Dieses Seminar hat ihn sicher auch als Lehrer weitergebracht, und es war einzigartig und unwiederholbar.

Und ähnlich wie @Literaturhexle sind mir immer wieder Gedanken und Erinnerungen zu meinem verstorbenen Vater durch den Kopf gegangen.
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Ein Vater kommt an und ein Vater stirbt. Daniel Mendelsohn findet ganz großartig die Verbindung zum Epos und der grundeigenen Geschichte.
Mich hat sehr berührt, wie Jay über seine Frau gesprochen hat. es erinnerte mich an einige Momente, mit meinem Vater, der schon in den Klauen von Morbus Alzheimer, plötzlich über meine Mutter zu sprechen anfing.
 

parden

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13. April 2014
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Auch mich konnte dieser Abschnitt berühren, vor allem natürlich das andere Bild des Vaters von Dan, das sich allmähliche heraus zu schälen beginnt. Da wird wieder deutlich, dass wir einen anderen Menschen nie wirklich kennen, egal wie gut wir ihn zu kennen glauben. Schön, dass Dan sich noch einmal auf die Spurensuche begeben hat. Mir geht immer noch durch den Kopf, dass der Vater bei Dans Outing betont hat, er wolle mit seinem Sohn sprechen, weil er etwas davon verstehe. War er womöglich eigentlich auch schwul, konnte das aufgrund von gesellschaftlich viel engeren Maßstäben aber nicht leben? Dann hätte er in mehrfacher Hinsicht nicht das Leben gelebt, das er vielleicht gerne gelebt hätte. Die Dissertation, die er nicht beendet hat, womöglich eine Liebe, die er nicht leben konnte. Aber vielleicht verspekuliere ich mich hier auch.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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In diesem Abschnitt wird konsequent das Erkennen des Vaters aus dem letzten Abschnitt fortgeführt.
Daniel lässt viele Momente Revue passieren, er befragt Weggefährten seines Vaters nach ihren Eindrücken/Erfahrungen und gelangt zu vielen neuen Einsichten.
Das fand ich sehr eindrucksvoll beschrieben, wie Daniel es schafft, seine Meinung über Jay zu revidieren, die er jahrelang vor sich hergetragen hat. Und es hat mich, wie schon so oft in diesem Buch, veranlasst, meine eigene vorgefasste und bestimmt gefestigte Meinung über andere zu überdenken.
Besonders genial ist für mich hier der letzte Teil, als es darum geht, dass Daniel abweichende Meinungen min Seminar als Problem angesehen hat. Als er sich selbst als den kyklop betrachtet. Dazu neige ich manchmal auch, allerdings unterrichte ich Technik, da geht es zum Glück für meine Schüler nicht so sehr um Meinungen. :cool:
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Ich bin noch ganz gefangen, vom Ende dieses Abschnitts. Dem Autor ist es wunderbar gelungen, zu zeigen, dass die Wahrnehmung eines anderen Menschen und bestimmter Ereignisse höchst subjektiv ist. Dan‘s Studenten hatten eine völlig anderen Eindruck von Jay und seinem Beitrag zum Seminar als Dan selbst. Trishs Email war für Dan wohl ein heftiger Augenöffner.

Gefreut habe ich mich, dass wir so nebenbei erfahren haben, dass Jay wieder angefangen hat, Latein zu lernen. :)
genau, du hast es auf den Punkt gebracht, dass Wahrnehmung immer subjektiv ist. Das vergesse ich auch manchmal...
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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insgesamt gefällt mir das Buch immer besser, auch wenn ich es aus Zeitmangel langsam lesen muss.
Es steckt neben den für mich wirklich aufschlussreichen Erklärungen zum Epis so viel Lebensweisheit, Güte und Großzügigkeit in Daniels Erzählung über seinem Vater, seine Ehrlichkeit und Selbsterkenntnis dabei beeindrucken mich sehr. Es ist einfach schön zu lesen, wie jemand liebevoll auf eine Person blicken kann, die er jahrelang als anstrengend, streng und missmutig empfunden hat.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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