Aber es ist der einzig realistische Ausgang: Juli war abgebrannt, innerlich total labil und ohne finanzielle Mittel. Sprich: Sie war am Boden. Sie hätte nach jedem Strohhalm gegriffen.Dass tatsächlich der Vater Juli aus der Körperverletzungsgeschichte rausboxte,
Dieser Wandel wird sehr eindrücklich beschrieben. Sie muss eine enorme Willenskraft haben, ihr überdurchschnittlicher Intellekt könnte eine Hilfe sein. Trotzdem frage ich mich, ob es realistisch ist.Juli ist in ihrem Bestreben ein neues, heiles „normales“ Leben zu gewinnen regelrecht verschwunden.
Das geht uns wahrscheinlich allen so. Man spürt immer wieder Charakteristika ihres Vaters: Thilo hat Freude, sie vor anderen vorzuführen, sie zu demütigen. Seine Gedanken zeigen diese Perversität schnell: "Hatte er sie poliert, würde sie glänzen wie ein Schmuckstück, das er im ersten Moment in ihr gesehen hatte." Das perfekte Paar: Einer, der verändern will, und eine, die genau das möchte: sich verändern.Je mehr ich über deren Beziehung las, umso mehr schauderte es mich.
Das ist genau das Muster, das Juli bei ihren Eltern über Jahre gesehen hat. Unwillkürich passt sie sich an. Man könnte kotzen.Gegraust hat es mich hier: "Er dominierte sie, verbog sie, wie es ihm passte, es gefiel ihr und sie bewunderte seine Selbstsicherheit." 296
Hier sind zwei Menschen zusammen gekommen, die beide enorme Minderwertigkeitskomplexe haben. Thilo leidet an seiner einfachen ostdeutschen Herkunft. Er hat sich als Aufsteiger stilisiert, sogar seinen Dialekt abtrainiert. Er hat Angst aufzufliegen, deshalb trägt er besonders dick auf, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Seine arme Vaterlose Kindheit ist für ihn das Schlimmste. Dagegen ist Julis Herkunft (Thilo hat ja sogar Komplexe, die Anwaltstochter zu daten!) samt der ganzen familiären Beziehungen Gold. Dieses Gold blendet Thilo so sehr, dass er gar nichts anderes sehen kann. In dieser tollen Familie kann es keinen Dreck gegeben haben. Juli muss eine Dramaqueen sein...prallen an Thilo ab und werden auf den kleinen Klaps reduziert, der noch nie geschadet habe. Da
Das bewundere ist auch. Sie erzählt glaubwürdig, ohne Pathos, ohne Sentimentalität. Sie weidet sich nicht an Gefühlsausbrüchen, sondern schildert diese in ihren starken Bildern, die Nähe und Distanz gleichzeitig produzieren. Einmalig!Wieder malt die Autorin starke Bilder.
Der Brief war wichtig. Allerdings kann ich ihn vom Tonfall her gar nicht mit Bruno überein bringen. Er klingt gar nicht wie der alte Bruder. Soll das die Therapie allein bewirkt haben?Brunos Brief bringt Wichtiges auf den Punkt und kommt für Juli zur rechten Zeit.
Juli ist so erschöpft, so am Boden, dass ich es durchaus für realistisch halte. Sie kann nicht mehr. Ihr letzter Strohhalm scheint, lernen normal zu sein. Sie liest sogar einen Ratgeber, trainiert ihre sozialen Fähigkeiten, kommt aber nicht weiter, weil die neu gelernten Kommunikationsregeln nicht authentisch sind - es bleibt aufgesetzt. Beim Bild des weggesperrten kleinen Mädchens musste ich sofort an diese beiden Bücher denken:Trotzdem frage ich mich, ob es realistisch ist.
Das hast du sehr treffend ausgeführt.Hier sind zwei Menschen zusammen gekommen, die beide enorme Minderwertigkeitskomplexe haben. Thilo leidet an seiner einfachen ostdeutschen Herkunft. Er hat sich als Aufsteiger stilisiert, sogar seinen Dialekt abtrainiert. Er hat Angst aufzufliegen, deshalb trägt er besonders dick auf, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Seine arme Vaterlose Kindheit ist für ihn das Schlimmste. Dagegen ist Julis Herkunft (Thilo hat ja sogar Komplexe, die Anwaltstochter zu daten!) samt der ganzen familiären Beziehungen Gold. Dieses Gold blendet Thilo so sehr, dass er gar nichts anderes sehen kann. In dieser tollen Familie kann es keinen Dreck gegeben haben. Juli muss eine Dramaqueen sein...
Juli hat auch Minderwertigkeitskomplexe, fühlt sich wertlos. Leider passen diese zwei Seelen so gar nicht zusammen.
Eine gute Therapie kann viele Prozesse anstoßen. Darüber hinaus wissen wir nicht, was Bruno alles in seinem Leben verändert hat seit Juli den Kontakt abgebrochen hat. Dass Entwicklungen sich auch in einem neuen Tonfall zeigen, halte ich für plausibel.Allerdings kann ich ihn vom Tonfall her gar nicht mit Bruno überein bringen. Er klingt gar nicht wie der alte Bruder. Soll das die Therapie allein bewirkt haben?
Genau!Sie will bewusst in der Schweiz ihre Kindheit hinter sich lassen, mit allem, was dazu gehört.
Haha, ich weiß, was du meinst. Aber hier schafft die Autorin die Gratwanderung perfekt!Dass Thilo am Ende zum Versager mutiert, würde ich in 9 anderen von 10 Büchern schwer verurteilen - zu plakativ, sterotyp...
Hier wird es so organisch eingebaut, dass es mich nicht stört.
Das war sehr schräg! Ich bin mir sicher, dass es das gibt!Fasziniert hat mich auch die Balkonszene mit den Falbala Frauen. Ob es so eine affektierte, auf Äußerlichkeiten beruhende Welt wirklich gibt?
Genau, das ist der Punkt.Ihre Herkunftsfamilie würde beim Aufdecken der Schweinereien unglaublich tief fallen. Sie hat etwas zu verlieren. Darüber hinaus hat Juli genau deswegen auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wer rechnet schon mit familiärer Gewalt hinter glänzenden Fassaden?
Ich finde dieses Pulverfass, das oft kurz vor dem Überlaufen steht, das Juli aber auch einfangen kann mit größter Kraftanstrengung, sprachlich unheimlich gekonnt gezeichnet. Mein wird richtig unruhig, weil man denkt: Gleich eskaliert die Situation...Das ist ein Pulverfass. Sie wirkt so verloren, ohne Energie und das obwohl sie weniger Drogen nimmt und regelmäßig Sport treibt
Zu Funktionieren hat sie gelernt - sie hält durch, zieht alles professionell durch. Nie gelernt hat sie, auf sich acht zu geben. Die regelmäßigen Zusammenbrüche sind folgerichtig.Erstaunlich auch, wie Juli bei der Präsentation funktioniert, absolut professionell.
Möglich - zumindest kann sie sich hervorragend in die Gewaltsituationen und die Folgen für die Psyche einfügen.Das Ganze wirkt so echt, dass es mir schwer fällt, an reine Fiktion zu glauben.
Interessant - danke für die Info.Allerdings sind die biografischen Stationen (Speckgürtel Stuttgart, Studium in Berlin, Beruf u.a. in Zürich) augenfällig
Symptomatisch empfand ich auch die Verlobung: total auf Show!!!! *grusel* (Die Beobachtung mache ich aber öfters: je mehr bei Verlobung und - noch extremer - bei Hochzeiten auf den äußeren Schein, auf den Glamour geschaut wird....... desto kürzer ist die Ehe! )Mit Thilo konnte ich von Anfang an wenig anfangen. Er passt aber sehr gut in Julis Projekt „normal“ sein zu wollen und das Handwerkszeug zu erlernen, soziale Kontakte zu pflegen. Je mehr ich über deren Beziehung las, umso mehr schauderte es mich. Eine tiefe Zuneigung wie ich sie bei Sanyu und Juli spürte, fehlt in der neuen Beziehung.
Regelrecht schlecht wurde mir bei der Szene, wo Kurt Thilo beim ersten Spaziergang erzählt, er wäre gegen Gewalt in jeder Form! *würg*Die sehr regelmäßigen Besuche bei den Eltern (weil Thilo Familie so wichtig ist) müssen für Juli nur unter größter Anstrengung zu ertragen gewesen sein. Sie schafft es hervorragend, die Fassade zu wahren. Andeutungen, die den Vater als gewalttätig darstellen, prallen an Thilo ab und werden auf den kleinen Klaps reduziert, der noch nie geschadet habe.
Das waren ja für Juli vertraute Strukturen! Und am Anfang zeigte Thilo das ja gar nicht so! (Wir, die Leserinnen lasen/hörten da schon genauer hin! ) Erst in der Krisensituation, der Arbeitslosigkeit, kam sein wahrer Charakter zum Vorschein. (Logisch, in Krisenzeiten hat keiner die Kraft, sich auch noch von der besten Seite zu zeigen, da geht's rein ums 'Überleben')Man spürt immer wieder Charakteristika ihres Vaters: Thilo hat Freude, sie vor anderen vorzuführen, sie zu demütigen. Seine Gedanken zeigen diese Perversität schnell: "Hatte er sie poliert, würde sie glänzen wie ein Schmuckstück, das er im ersten Moment in ihr gesehen hatte."
Naja: der Charakter war vorher auch schon da. Was sollte das, den Nachbarn bei der ersten Begegnung von Julis homoerotischer Erfahrung zu erzählen? Er wusste, dass sie das verletzen würde. Auch der Gedanke mit dem Edelstein kam weit vorher.Erst in der Krisensituation, der Arbeitslosigkeit, kam sein wahrer Charakter zum Vorschein
Ja, der war schon vorher da, er konnte den aber gut überdecken! Und manches konnten auch nur wir lesen!Naja: der Charakter war vorher auch schon da.
Meinst, das wusste er? Ich habe da meine Zweifel - war doch lustig, ha, ha! (Bei manchen 'emotionalen Dampfhammern' habe ich da meine Zweifel, ob sie überhaupt mitkriegen, w i e ihr Verhalten, ihr Gesagtes auf andere wirkt!)Was sollte das, den Nachbarn bei der ersten Begegnung von Julis homoerotischer Erfahrung zu erzählen? Er wusste, dass sie das verletzen würde.
Davon war ich auch total begeistert! Hut ab!Gerade diese komplexe Figurenzeichnung ist der Autorin hoch anzurechnen. Sie zeichnet auch Thilo als eigenständigen Charakter, gibt ihm eine Geschichte und Facetten, die auch sein negatives Verhalten z.T. verständlich machen.
Das waren auch meine Gedanken! (Und wenn sie mal an sich dachte, dann hatte sie ein schlechtes Gewissen!)Nie gelernt hat sie, auf sich acht zu geben. Die regelmäßigen Zusammenbrüche sind folgerichtig.
Ich auch! Die Reaktion von Anikó muss doch Balsam für ihre Seele gewesen sein - nach den negativen Erfahrungen mit Ben. (Danach getraute sie sich ja nicht mehr, irgend jemanden davon zu erzählen.)Umso mehr war ich erleichtert, dass sich Juli Anikó anvertraut und merkt: Sie läuft nicht weg, sie findet mich nicht furchtbar, sie denkt nicht schlecht von mir, weil ich das erlebt und erlitten habe.
Es mag ja Menschen geben, die einen öffentlichen Heiratsantrag zu schätzen wissen. Bei mir würde das einen Fluchtinstinkt auslösen . Für Juli war das auch nichts - bitter, wenn da das Feingefühl fehlt.Symptomatisch empfand ich auch die Verlobung: total auf Show!!!! *grusel*
Das erzählt Kurt regelmäßig bei unterschiedlichen Gelegenheiten. In einem früheren Abschnitt gab es auch bereits eine Szene, in der er seinem Gegenüber (habe vergessen, wer das war) erklärte, wie sehr er Gewalt ablehne. Dadurch konstruiert er maßgeblich und sehr geschickt sein Bild in der Öffentlichkeit. Niemand glaubt mehr, dass dieser Mann tatsächlich gewalttätig sein könnte.Regelrecht schlecht wurde mir bei der Szene, wo Kurt Thilo beim ersten Spaziergang erzählt, er wäre gegen Gewalt in jeder Form! *würg*
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!Gerade diese komplexe Figurenzeichnung ist der Autorin hoch anzurechnen. Sie zeichnet auch Thilo als eigenständigen Charakter, gibt ihm eine Geschichte und Facetten, die auch sein negatives Verhalten z.T. verständlich machen. Es wäre viel einfacher gewesen, "die Geschichte vom bösen Buben" zu erzählen. Das ist es, was den Roman auszeichnet.
*Giggel* hätte es bei mir auch!Es mag ja Menschen geben, die einen öffentlichen Heiratsantrag zu schätzen wissen. Bei mir würde das einen Fluchtinstinkt auslösen .
Vielleicht bei Ben? (Dem hatte ja Juli versucht zu erzählen, was bei ihr im Elternhaus abging.)Das erzählt Kurt regelmäßig bei unterschiedlichen Gelegenheiten. In einem früheren Abschnitt gab es auch bereits eine Szene, in der er seinem Gegenüber (habe vergessen, wer das war) erklärte, wie sehr er Gewalt ablehne.
Diese Aussage hat mich zu Tränen gerührt Genau so ist es auch bei meiner Mutter!Ein Teil von mir glaubt noch immer, dass ich schlecht bin. Dass ich jeden Schlag in meinem Leben verdient habe. 366/367