5. Leseabschnitt: 2016 - Seite 267 bis 367 (Ende)

Irisblatt

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15. April 2022
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Es sind zwei Jahre vergangen und Juli(a) ist kaum wiederzuerkennen. Dass tatsächlich der Vater Juli aus der Körperverletzungsgeschichte rausboxte, überrascht mich, bringt Juli erneut in eine ungute Abhängigkeit.

Dieser letzte Abschnitt war, bis zu dem Zeitpunkt als Brunos Brief ankam, von einer großen Melancholie durchzogen. Juli ist in ihrem Bestreben ein neues, heiles „normales“ Leben zu gewinnen regelrecht verschwunden. Sehr treffend wird ihr Zustand auf S. 309 auf den Punkt gebracht: „Mit der Zeit gelang es ihr, das barfüßige kleine Monster in ihrer Brust zu fangen, zu knebeln und mit einem Sack über dem Kopf in den Keller zu werfen. Nur nachts hörte sie es manchmal noch schreien.“
Mit Thilo konnte ich von Anfang an wenig anfangen. Er passt aber sehr gut in Julis Projekt „normal“ sein zu wollen und das Handwerkszeug zu erlernen, soziale Kontakte zu pflegen. Je mehr ich über deren Beziehung las, umso mehr schauderte es mich. Eine tiefe Zuneigung wie ich sie bei Sanyu und Juli spürte, fehlt in der neuen Beziehung. Für beide ist diese Partnerschaft ein Projekt - Juli klammert sich an die Hoffnung, glücklich sein zu können, wenn sie ihre Kindheit hinter sich lässt und das tut, was „erfolgreiche“ und „glückliche“ Menschen in ihrem Alter so machen (heiraten, Familie gründen, sich um die Eltern kümmern, nicht mehr zocken, beruflich erfolgreich sein, ein Haus kaufen, Freunde treffen usw.). Thilo möchte sich eine Frau nach seinen Wünschen formen, mit der er gesellschaftliche Anerkennung bekommt und auch eine Familie gründen kann (es trifft ihn, mit der Familiengründung in seinem Bekanntenkreis hinterher zu hinken.) Widerlich fand ich seinen Kommentar auf S. 294: „Hatte er sie poliert, würde sie glänzen.“ Juli verfällt in ein altes Muster, das sie in ihrem Elternhaus gelernt hat: „Vor allem wollte sie ihm gefallen und dafür liebte er sie“ (S. 312). Die arme Juli kennt es nicht um ihrer selbst Willen geliebt zu werden und glaubt auch gar nicht, dass das möglich sein könnte - Liebe ist an Leistung gekoppelt, zu viel Leistung aber auch gefährlich, weil Bestrafung droht.

Die sehr regelmäßigen Besuche bei den Eltern (weil Thilo Familie so wichtig ist) müssen für Juli nur unter größter Anstrengung zu ertragen gewesen sein. Sie schafft es hervorragend, die Fassade zu wahren. Andeutungen, die den Vater als gewalttätig darstellen, prallen an Thilo ab und werden auf den kleinen Klaps reduziert, der noch nie geschadet habe. Dass Thilo Julis Kindheit regelrecht neidisch betrachtet, muss für Juli ein Schlag in die Magengrube gewesen sein.
Letztendlich ist klar, dass Frieden für Juli so nicht erreichbar ist.

Wieder malt die Autorin starke Bilder. Großartig finde ich auch dieses: „… vertraute Hölle. Diese Nächte, in denen sie allein auf dem Geisterschiff trieb, zerlöcherte Segel, schwarzes Meer, nie und nirgends ein Hafen.“

Brunos Brief bringt Wichtiges auf den Punkt und kommt für Juli zur rechten Zeit. Es ist ein Irrsinn, dass sich Opfer schuldig fühlen, sich schämen für etwas, das ihnen angetan wurde. Verkehrte Welt! Umso mehr war ich erleichtert, dass sich Juli Anikó anvertraut und merkt: Sie läuft nicht weg, sie findet mich nicht furchtbar, sie denkt nicht schlecht von mir, weil ich das erlebt und erlitten habe.

Für Juli wird es noch ein weiter Weg sein. Das Ende hat mir gut getan - es steckt so viel Hoffnung darin, dass sie es schaffen kann, einen Weg für sich zu finden. Eine Person außerhalb der Familie weiß nun bescheid - sie ist nicht mehr alleine, ein Hafen ist in Sicht und ihre jetzige Therapeutin scheint auch fähiger zu sein als die Kollegin aus der Schweiz.
 

Literaturhexle

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Dass tatsächlich der Vater Juli aus der Körperverletzungsgeschichte rausboxte,
Aber es ist der einzig realistische Ausgang: Juli war abgebrannt, innerlich total labil und ohne finanzielle Mittel. Sprich: Sie war am Boden. Sie hätte nach jedem Strohhalm gegriffen.

Juli ist in ihrem Bestreben ein neues, heiles „normales“ Leben zu gewinnen regelrecht verschwunden.
Dieser Wandel wird sehr eindrücklich beschrieben. Sie muss eine enorme Willenskraft haben, ihr überdurchschnittlicher Intellekt könnte eine Hilfe sein. Trotzdem frage ich mich, ob es realistisch ist.

Je mehr ich über deren Beziehung las, umso mehr schauderte es mich.
Das geht uns wahrscheinlich allen so. Man spürt immer wieder Charakteristika ihres Vaters: Thilo hat Freude, sie vor anderen vorzuführen, sie zu demütigen. Seine Gedanken zeigen diese Perversität schnell: "Hatte er sie poliert, würde sie glänzen wie ein Schmuckstück, das er im ersten Moment in ihr gesehen hatte." Das perfekte Paar: Einer, der verändern will, und eine, die genau das möchte: sich verändern.
Gegraust hat es mich hier: "Er dominierte sie, verbog sie, wie es ihm passte, es gefiel ihr und sie bewunderte seine Selbstsicherheit." 296
Das ist genau das Muster, das Juli bei ihren Eltern über Jahre gesehen hat. Unwillkürich passt sie sich an. Man könnte kotzen.

prallen an Thilo ab und werden auf den kleinen Klaps reduziert, der noch nie geschadet habe. Da
Hier sind zwei Menschen zusammen gekommen, die beide enorme Minderwertigkeitskomplexe haben. Thilo leidet an seiner einfachen ostdeutschen Herkunft. Er hat sich als Aufsteiger stilisiert, sogar seinen Dialekt abtrainiert. Er hat Angst aufzufliegen, deshalb trägt er besonders dick auf, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Seine arme Vaterlose Kindheit ist für ihn das Schlimmste. Dagegen ist Julis Herkunft (Thilo hat ja sogar Komplexe, die Anwaltstochter zu daten!) samt der ganzen familiären Beziehungen Gold. Dieses Gold blendet Thilo so sehr, dass er gar nichts anderes sehen kann. In dieser tollen Familie kann es keinen Dreck gegeben haben. Juli muss eine Dramaqueen sein...
Juli hat auch Minderwertigkeitskomplexe, fühlt sich wertlos. Leider passen diese zwei Seelen so gar nicht zusammen.

Wieder malt die Autorin starke Bilder.
Das bewundere ist auch. Sie erzählt glaubwürdig, ohne Pathos, ohne Sentimentalität. Sie weidet sich nicht an Gefühlsausbrüchen, sondern schildert diese in ihren starken Bildern, die Nähe und Distanz gleichzeitig produzieren. Einmalig!

Brunos Brief bringt Wichtiges auf den Punkt und kommt für Juli zur rechten Zeit.
Der Brief war wichtig. Allerdings kann ich ihn vom Tonfall her gar nicht mit Bruno überein bringen. Er klingt gar nicht wie der alte Bruder. Soll das die Therapie allein bewirkt haben?
 

Literaturhexle

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Julia sieht Thilo als Heilsbringer, als Erwachsenen, in dessen Gegenwart sie heilen kann. Sie will bewusst in der Schweiz ihre Kindheit hinter sich lassen, mit allem, was dazu gehört. Doch so einfach klappt das nicht. Bruno als Störfaktor wird aus ihrem Leben eliminiert. Nur so kann sie funktionieren, sie hat keine Kraft für Störfeuer.

Dass Thilo am Ende zum Versager mutiert, würde ich in 9 anderen von 10 Büchern schwer verurteilen - zu plakativ, sterotyp...
Hier wird es so organisch eingebaut, dass es mich nicht stört. Es gehört irgendwie dazu, dass auch Thilos Seifenblase platzt, dass er aus seiner Scheinexistenz heraus komplementiert, von seinem hohen Ross geschossen wird. Da brechen seine Minderwertigkeitsgefühle unkontrolliert hervor und er schlägt zu...

Die Autorin wechselt geschickt immer wieder die Perspektiven der beiden. Dadurch erlangt man Verständnis für beide Parteien. Thilo missachtet im Grunde "die verwöhnten Frauen". Er wollte sich mit einer schmücken, um dazu zu gehören. Auch eine Ambivalenz.

Fasziniert hat mich auch die Balkonszene mit den Falbala Frauen. Ob es so eine affektierte, auf Äußerlichkeiten beruhende Welt wirklich gibt?

Im Epilog wird deutlich, was wir das ganze Buch über gewusst haben: Juli hat das Gefühl, ihre Familie zu verraten, indem sie über die erlittene Gewalt spricht. Sie spürt Scham und schlechtes Gewissen. Es wird ein langer Weg werden bis zur Genesung. Ihr Bruder scheint es geschafft zu haben. Vielleicht wird er zum guten Vorbild. Zu wünschen wäre es!
 

Literaturhexle

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Ich glaube auch, dass das Setting "Gewalt in gutem, wohl situiertem Hause" wichtig ist, um das nachhaltige Schweigen Julis noch glaubwürdiger zu machen. Sie weiß genau, dass viel auf dem Spiel steht. Ihre Herkunftsfamilie würde beim Aufdecken der Schweinereien unglaublich tief fallen. Sie hat etwas zu verlieren. Darüber hinaus hat Juli genau deswegen auch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wer rechnet schon mit familiärer Gewalt hinter glänzenden Fassaden?
Hier passt wirklich eins zum anderen. Man könnte endlos diskutieren, die Autorin hat viele Fäden miteinander verwoben und zu einem sehr glaubwürdigen Plot verbunden. Chapeau!
 

Irisblatt

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Trotzdem frage ich mich, ob es realistisch ist.
Juli ist so erschöpft, so am Boden, dass ich es durchaus für realistisch halte. Sie kann nicht mehr. Ihr letzter Strohhalm scheint, lernen normal zu sein. Sie liest sogar einen Ratgeber, trainiert ihre sozialen Fähigkeiten, kommt aber nicht weiter, weil die neu gelernten Kommunikationsregeln nicht authentisch sind - es bleibt aufgesetzt. Beim Bild des weggesperrten kleinen Mädchens musste ich sofort an diese beiden Bücher denken:

Die Gewalterfahrung wird immer Teil von ihr sein - in dem sie ihr verletztes inneres Kind wegsperrt, heile Welt mit den Eltern spielt, fügt sie sich selbst Gewalt zu. Das ist ein Pulverfass. Sie wirkt so verloren, ohne Energie und das obwohl sie weniger Drogen nimmt und regelmäßig Sport treibt.
Könnt ihr mit diesen ungeordneten Gedanken etwas anfangen?

Hier sind zwei Menschen zusammen gekommen, die beide enorme Minderwertigkeitskomplexe haben. Thilo leidet an seiner einfachen ostdeutschen Herkunft. Er hat sich als Aufsteiger stilisiert, sogar seinen Dialekt abtrainiert. Er hat Angst aufzufliegen, deshalb trägt er besonders dick auf, um jeden Verdacht zu zerstreuen. Seine arme Vaterlose Kindheit ist für ihn das Schlimmste. Dagegen ist Julis Herkunft (Thilo hat ja sogar Komplexe, die Anwaltstochter zu daten!) samt der ganzen familiären Beziehungen Gold. Dieses Gold blendet Thilo so sehr, dass er gar nichts anderes sehen kann. In dieser tollen Familie kann es keinen Dreck gegeben haben. Juli muss eine Dramaqueen sein...
Juli hat auch Minderwertigkeitskomplexe, fühlt sich wertlos. Leider passen diese zwei Seelen so gar nicht zusammen.
Das hast du sehr treffend ausgeführt.
Allerdings kann ich ihn vom Tonfall her gar nicht mit Bruno überein bringen. Er klingt gar nicht wie der alte Bruder. Soll das die Therapie allein bewirkt haben?
Eine gute Therapie kann viele Prozesse anstoßen. Darüber hinaus wissen wir nicht, was Bruno alles in seinem Leben verändert hat seit Juli den Kontakt abgebrochen hat. Dass Entwicklungen sich auch in einem neuen Tonfall zeigen, halte ich für plausibel.
 

Irisblatt

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Sie will bewusst in der Schweiz ihre Kindheit hinter sich lassen, mit allem, was dazu gehört.
Genau!
Dass Thilo am Ende zum Versager mutiert, würde ich in 9 anderen von 10 Büchern schwer verurteilen - zu plakativ, sterotyp...
Hier wird es so organisch eingebaut, dass es mich nicht stört.
Haha, ich weiß, was du meinst. Aber hier schafft die Autorin die Gratwanderung perfekt!
Fasziniert hat mich auch die Balkonszene mit den Falbala Frauen. Ob es so eine affektierte, auf Äußerlichkeiten beruhende Welt wirklich gibt?
Das war sehr schräg! Ich bin mir sicher, dass es das gibt!
 

Literaturhexle

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Das ist ein Pulverfass. Sie wirkt so verloren, ohne Energie und das obwohl sie weniger Drogen nimmt und regelmäßig Sport treibt
Ich finde dieses Pulverfass, das oft kurz vor dem Überlaufen steht, das Juli aber auch einfangen kann mit größter Kraftanstrengung, sprachlich unheimlich gekonnt gezeichnet. Mein wird richtig unruhig, weil man denkt: Gleich eskaliert die Situation...
Erstaunlich auch, wie Juli bei der Präsentation funktioniert, absolut professionell. Allerdings sackt sie anschließend zusammen.

Ich habe mir einige Male das Bild der Autorin angeschaut und überlegt, ob sie selbst derlei Erfahrungen mit Gewalt machen musste. Das Ganze wirkt so echt, dass es mir schwer fällt, an reine Fiktion zu glauben. Aber selbstverständlich kann es reine Schreibkunst und intensive Recherchearbeit sein. Im Grunde auch egal. Gelungen ist es auf alle Fälle!
Allerdings sind die biografischen Stationen (Speckgürtel Stuttgart, Studium in Berlin, Beruf u.a. in Zürich) augenfällig;)
 
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Irisblatt

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15. April 2022
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Erstaunlich auch, wie Juli bei der Präsentation funktioniert, absolut professionell.
Zu Funktionieren hat sie gelernt - sie hält durch, zieht alles professionell durch. Nie gelernt hat sie, auf sich acht zu geben. Die regelmäßigen Zusammenbrüche sind folgerichtig.
Das Ganze wirkt so echt, dass es mir schwer fällt, an reine Fiktion zu glauben.
Möglich - zumindest kann sie sich hervorragend in die Gewaltsituationen und die Folgen für die Psyche einfügen.
Allerdings sind die biografischen Stationen (Speckgürtel Stuttgart, Studium in Berlin, Beruf u.a. in Zürich) augenfällig;)
Interessant - danke für die Info.
 
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otegami

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17. Dezember 2021
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Mit Thilo konnte ich von Anfang an wenig anfangen. Er passt aber sehr gut in Julis Projekt „normal“ sein zu wollen und das Handwerkszeug zu erlernen, soziale Kontakte zu pflegen. Je mehr ich über deren Beziehung las, umso mehr schauderte es mich. Eine tiefe Zuneigung wie ich sie bei Sanyu und Juli spürte, fehlt in der neuen Beziehung.
Symptomatisch empfand ich auch die Verlobung: total auf Show!!!! *grusel* (Die Beobachtung mache ich aber öfters: je mehr bei Verlobung und - noch extremer - bei Hochzeiten auf den äußeren Schein, auf den Glamour geschaut wird....... desto kürzer ist die Ehe! :cool: )
Die sehr regelmäßigen Besuche bei den Eltern (weil Thilo Familie so wichtig ist) müssen für Juli nur unter größter Anstrengung zu ertragen gewesen sein. Sie schafft es hervorragend, die Fassade zu wahren. Andeutungen, die den Vater als gewalttätig darstellen, prallen an Thilo ab und werden auf den kleinen Klaps reduziert, der noch nie geschadet habe.
Regelrecht schlecht wurde mir bei der Szene, wo Kurt Thilo beim ersten Spaziergang erzählt, er wäre gegen Gewalt in jeder Form! *würg* :p
Man spürt immer wieder Charakteristika ihres Vaters: Thilo hat Freude, sie vor anderen vorzuführen, sie zu demütigen. Seine Gedanken zeigen diese Perversität schnell: "Hatte er sie poliert, würde sie glänzen wie ein Schmuckstück, das er im ersten Moment in ihr gesehen hatte."
Das waren ja für Juli vertraute Strukturen! Und am Anfang zeigte Thilo das ja gar nicht so! (Wir, die Leserinnen lasen/hörten da schon genauer hin! ;)) Erst in der Krisensituation, der Arbeitslosigkeit, kam sein wahrer Charakter zum Vorschein. (Logisch, in Krisenzeiten hat keiner die Kraft, sich auch noch von der besten Seite zu zeigen, da geht's rein ums 'Überleben')
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Was ich auch hochinteressant fand und sich auch mit meinen Beobachtungen deckt: dass Kurt, der Vater, in der Familie 'nicht gut behandelt' wird (und Thilo sogar mit ihm Mitleid hat).
Männer, die in jüngeren Jahren das Ekel rauskehren und alles nach ihrer Pfeife tanzen muss, ihre Frauen demütigen........... haben im Alter keine 'schöne' Zeit mehr! Das rächt sich nämlich! Irgendwann lässt ihre Gesundheit, ihr Geist, nach und da sind sie auf andere (sprich Frau / Familie) angewiesen. Und die nutzen das dann 'schamlos' aus! (Und zu Recht!)
Ich habe Pflegefälle (in unmittelbarer Nachbarschaft meiner Eltern) erlebt................ es war für beide die Hölle auf Erden! (Puh, wir hörten da ja jedes Wort! :p )

Neulich habe ich beim Einkaufen eine Szene erlebt: ca. 10 Jahre jünger war das Ehepaar, mitten im Supermarkt bei den Backzutaten hörte ich schon von weitem ein lautes Gemecker und Geschimpfe. Als ich dann in diese Regalflucht einbog, sah ich, wie die Frau auf dem Boden rumkrabbelt und etliche Tüten aufhebt und er daneben steht und zetert und laut schimpft: "So dusslig kannst auch nur Du sein, von hinten die Tüten nehmen! Jeder normale Mensch nimmt gleich die von vorn!" Und so weiter und so fort! Sie hob nicht mal die Augen und schämte sich zu Tode!

(Ich bin in seinen Augen 100%ig auch nicht normal, weil ich auch oft bei den weiter hinten stehenden Produkten schaue, wann bei denen das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist und ich auch öfters auf die zugreife! :helo Aber als Mann, der offensichtlich nicht oder nicht oft einkaufen geht, weiß er das nicht!)

Ich dachte so für mich: "Freund, Du darfst Dich drauf freuen, wenn DU alt und auf Hilfe angewiesen bist!!!! :smilehorn Laut sagte ich, mit Blick auf ihn: "So ein Gemecker, das ist ja ekelhaft!"
 

Literaturhexle

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Erst in der Krisensituation, der Arbeitslosigkeit, kam sein wahrer Charakter zum Vorschein
Naja: der Charakter war vorher auch schon da. Was sollte das, den Nachbarn bei der ersten Begegnung von Julis homoerotischer Erfahrung zu erzählen? Er wusste, dass sie das verletzen würde. Auch der Gedanke mit dem Edelstein kam weit vorher.
Durch seine Frustration ist er aus dem Ruder gelaufen, war aggressiver. Aber sein Charakter war schon immer auf Berechnung aus. Aufgrund seiner Vita und seiner Komplexe ist das in Teilen nachvollziehbar. Er wollte seine Vergangenheit hinter sich lassen und zum Aufsteiger werden. Das berufliche Scheitern war für ihn persönlich der GAU. Gerade diese komplexe Figurenzeichnung ist der Autorin hoch anzurechnen. Sie zeichnet auch Thilo als eigenständigen Charakter, gibt ihm eine Geschichte und Facetten, die auch sein negatives Verhalten z.T. verständlich machen. Es wäre viel einfacher gewesen, "die Geschichte vom bösen Buben" zu erzählen. Das ist es, was den Roman auszeichnet.
 

otegami

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Naja: der Charakter war vorher auch schon da.
Ja, der war schon vorher da, er konnte den aber gut überdecken! Und manches konnten auch nur wir lesen!
Was sollte das, den Nachbarn bei der ersten Begegnung von Julis homoerotischer Erfahrung zu erzählen? Er wusste, dass sie das verletzen würde.
Meinst, das wusste er? Ich habe da meine Zweifel - war doch lustig, ha, ha! (Bei manchen 'emotionalen Dampfhammern' habe ich da meine Zweifel, ob sie überhaupt mitkriegen, w i e ihr Verhalten, ihr Gesagtes auf andere wirkt!)
*Flüster* für mich wäre der Typ nie in Frage gekommen!
Gerade diese komplexe Figurenzeichnung ist der Autorin hoch anzurechnen. Sie zeichnet auch Thilo als eigenständigen Charakter, gibt ihm eine Geschichte und Facetten, die auch sein negatives Verhalten z.T. verständlich machen.
Davon war ich auch total begeistert! Hut ab!
 

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Umso mehr war ich erleichtert, dass sich Juli Anikó anvertraut und merkt: Sie läuft nicht weg, sie findet mich nicht furchtbar, sie denkt nicht schlecht von mir, weil ich das erlebt und erlitten habe.
Ich auch! ;) Die Reaktion von Anikó muss doch Balsam für ihre Seele gewesen sein - nach den negativen Erfahrungen mit Ben. (Danach getraute sie sich ja nicht mehr, irgend jemanden davon zu erzählen.)
 

Irisblatt

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Symptomatisch empfand ich auch die Verlobung: total auf Show!!!! *grusel*
Es mag ja Menschen geben, die einen öffentlichen Heiratsantrag zu schätzen wissen. Bei mir würde das einen Fluchtinstinkt auslösen :apenosee. Für Juli war das auch nichts - bitter, wenn da das Feingefühl fehlt.
Regelrecht schlecht wurde mir bei der Szene, wo Kurt Thilo beim ersten Spaziergang erzählt, er wäre gegen Gewalt in jeder Form! *würg* :p
Das erzählt Kurt regelmäßig bei unterschiedlichen Gelegenheiten. In einem früheren Abschnitt gab es auch bereits eine Szene, in der er seinem Gegenüber (habe vergessen, wer das war) erklärte, wie sehr er Gewalt ablehne. Dadurch konstruiert er maßgeblich und sehr geschickt sein Bild in der Öffentlichkeit. Niemand glaubt mehr, dass dieser Mann tatsächlich gewalttätig sein könnte.
Gerade diese komplexe Figurenzeichnung ist der Autorin hoch anzurechnen. Sie zeichnet auch Thilo als eigenständigen Charakter, gibt ihm eine Geschichte und Facetten, die auch sein negatives Verhalten z.T. verständlich machen. Es wäre viel einfacher gewesen, "die Geschichte vom bösen Buben" zu erzählen. Das ist es, was den Roman auszeichnet.
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen!
 

otegami

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Es mag ja Menschen geben, die einen öffentlichen Heiratsantrag zu schätzen wissen. Bei mir würde das einen Fluchtinstinkt auslösen :apenosee.
*Giggel* hätte es bei mir auch! :thumbsup
Das erzählt Kurt regelmäßig bei unterschiedlichen Gelegenheiten. In einem früheren Abschnitt gab es auch bereits eine Szene, in der er seinem Gegenüber (habe vergessen, wer das war) erklärte, wie sehr er Gewalt ablehne.
Vielleicht bei Ben? (Dem hatte ja Juli versucht zu erzählen, was bei ihr im Elternhaus abging.)
 
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Naibenak

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2. August 2021
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Ein Teil von mir glaubt noch immer, dass ich schlecht bin. Dass ich jeden Schlag in meinem Leben verdient habe. 366/367
Diese Aussage hat mich zu Tränen gerührt :sad Genau so ist es auch bei meiner Mutter!

Der gesamte letzte Abschnitt hat mich unendlich traurig gemacht. Weil diese ganze Maskerade so offensichtlich nicht gut sein kann. Toll, dass Bruno eine Therapie begonnen hat in der Zwischenzeit und entsprechend einen wirklich guten Brief schreiben konnte! Ich bin so froh, dass auch Juli nun diesen Schritt geht!!! Hatte echt Angst, sie tut sich nun was an... Himmel, so ein intensives Buch. Bin noch ganz aufgeregt...