Eher zweiteres, denn "mächtig" im Sinne der Macht von damals war sie ja nicht. Aber sie war scheinbar sehr intelligent und das ist oft noch gefährlicher als reine Macht (z.B. des Standes wegen) zu haben. Intelligente Frauen waren und sind und werden auch immer am gefährlichsten für Männer sein.Der Angst des Mannes vor einer mächtigen Frau? Oder der Angst des Mannes vor einer Frau, die seiner heroischen Taten nicht bedarf, die nicht zu ihm aufschaut, die autark ist, die schlau ist?
Na zumindest hat sie eine bessere Chance als Venner und Bevel, einfach weil sie Mildred "direkt" zuhört, sprich sie schaut in ihre Aufzeichnungen, versucht sich ein Bild zu machen. Aber auch das ist wieder eine Wahrnehmung, die durch bestimmt eVorannahmen gefiltert werden wird. Wirklich etwas über Mildred erfahren, wie sich selbst Mildred wahrgenommen hat, werden wir überhaupt erst durch ihre eigenen Aufzeichnungen. (Und darauf bin ich ebenso massiv gespannt!)Aber erfasst denn eine Ida Partenza den Charakter von Mildred Bevel?
Ja, dieser Satz sticht hervor. Aber mir ist die Bedeutung dahinter nicht vollkommen klar. Wenn diese Art der Perspektive verdeutlichen soll, dass Ida die Motive hinter Jacks Handeln begreift, passt dann das weitere Agieren von Ida dazu? In meinen Augen nicht vollkommen.Ist euch auch aufgefallen, dass es auf S. 325 diesen einen Satz gibt, der nicht in der Ich-Perspektive von Ida geschrieben ist? 2. Abs. "Es war das erste Mal überhaupt, dass Jack sie offen um Hilfe bat und auch noch ihre Fähigkeiten anerkannte." Mal provokant gefragt: Ist das ein Übersetzungsfehler? Mir erschließt sich nicht, warum das gerade aus der personalen Perspektive beschrieben ist. Erhellt mich!
Und wenn man hier an Harold Vanner denkt?Und zuletzt noch die "Treue": S.332 Andrew erzählt Ida (eigentlich) von den Bekannten des Ehepaars, aber es steckt mal wieder - wie so häufig bei Diaz - viel mehr drin: "Je mehr ein anderer am eigenen Alltag teilhat, desto mehr fühlt er sich berechtigt, Geschichten über einen zu verbreiten. Das hat mich immer erstaunt. Man würde doch meinen, Nähe befördere Treue." Wenn man von seiner Wahrheitstreue bezogen auf Mildred auf die Nähe zu ihr schließen würde, wäre diese (und war sie wahrscheinlich auch) sehr, sehr gering.
Genau, sowohl Vanner, wie auch Bevel verändern Mildred nach ihren Wünschen. Ida hilft Andrew dabei und wird von Andrew genauso auf ihren Platz verwiesen. Streichen sie dieses und jenes und ändern sie dieses und jenes. Ida hat ein Gefühl dazu. Aber letztendlich weiß nur Mildred selbst, wer und was sie war. Und das zeigt dann das letzte Buch.Toll auch, wie auf S. 308 und 309 genau zweimal vorkommt, dass Mildred auf ihren "Platz verwiesen" wurde. Sowohl von Venner als auch von Andrew Bevel. Die Frau wird von Männern auf ihren Platz verwiesen und Ida hat sich einspannen lassen, dabei zu helfen.
Ein wirklich wunderbares Buch von einem richtig interessanten Autor. Ich verstehe dich absolut. Ich konnte nicht mehr aufhören mit der Lektüre. Dieses Buch hat mich vollkommen gepackt. Ich muss unbedingt bald "In der Ferne" lesen.Wie Diaz das alles zusammensetzt ist wirklich meisterhaft. Ich lese atemlos die Seiten und alles spitzt sich auf diesen letzten Text von Mildred zu.
Stimmt. Eine wunderbare Sicht und perfekt in dem Wort Erhaschen getroffen. Mir hat diese Art auf jemanden zu schauen auch sehr gefallen und diese Erklärung dazu. Sehr treffend. Denn dies, was man von Anderen wahrnimmt, ist immer nur ein gewisser Teil dieser Person, niemals sieht man Alles vom Anderen. Und in manchen Situationen lernt man auch sich selbst vollkommen neu kennen. Ja.S. 306: "Und eben weil sich das Bild von ihr, das sich aus diesem Sammelbuch ergibt, so drastisch von den Portraits unterscheidet, die jene beiden Männer zeichnen, habe ich das Gefühl, zum ersten Mal einen Blick auf die wahre Mildred Bevel zu erhaschen." Was ich gut finde: Ida sagt nicht, dass sie jetzt ein "richtiges/korrektes" Bild von ihr hat. Sie "erhascht" eins. Anders kann es nie gehen, wenn wir versuchen jemand anderen als und selbst zu erkennen und verstehen. (Selbst bei uns selbst ist das nicht immer einfach!)
Warum eigentlich? Was ist so gefährlich an einer ebenbürtigen oder überlegenen Frau? Dass sie nicht alles einfach hinnimmt, dass sie Dinge in Frage stellt, dass sie sich vom Mann abwendet?Aber sie war scheinbar sehr intelligent und das ist oft noch gefährlicher als reine Macht (z.B. des Standes wegen) zu haben. Intelligente Frauen waren und sind und werden auch immer am gefährlichsten für Männer sein.
Ida lebt ja nicht im luftleeren Raum. Sie ist ganz stark geprägt durch ihren Vater, betrachtet vieles durch dessen Brille.Irgendwie bin ich mit den Geschehnissen um die Figur des Vaters herum noch nicht ganz klar mit mir. Welche Funktion hatte seine Figur für das gesamte Buch?
Da fabulieren mehrere Menschen am Leben einer Frau herum, aber keiner macht sich mal die Mühe sie selbst zu "befragen". Es wird einfach herablassend über ihr Leben nachträglich entschieden und jeder baut sich sein gewünschtes Bild von der Frau zusammen. (
Mach das. In der Ferne ist nicht komponiert wie Treue. Es wird chronologisch erzählt, es gibt nichts zu rätseln. Ich erinnere mich auch nicht an messerscharf formulierte Sätze wie hier, die mich einfach nur begeistert haben. In der Ferne ist ein sehr melancholisch, zumeist ruhiges Buch, das mich sehr tief berühren konnte - ein Roman mit einer ungewöhnlichen, tragischen Geschichte - ein fantastisches Buch. Treue ist intellektuell mit Protagonist:innen, deren Geschichte ich mit großem Interesse, aber meist mit einer inneren Distanz gefolgt bin während ich In der Ferne mit einem großen Mitgefühl und Bedauern für den "Helden" gelesen habe. Beide Bücher brechen mit Klischees, haben einen ungewöhnlichen Blick auf die Welt. Diaz könnte zu einem neuen Lieblingsschriftsteller werden.Ich muss unbedingt bald "In der Ferne" lesen.
warum? Gilt das Gegenteil auch?Intelligente Frauen waren und sind und werden auch immer am gefährlichsten für Männer sein.
Die Tagebücher, also die vielen, von denen einen der Autor glauben lässt, dass sie existierten, sind doch verloren gegangen, bzw. wahrscheinlich von Bevel vernichtet worden.Da fabulieren mehrere Menschen am Leben einer Frau herum, aber keiner macht sich mal die Mühe sie selbst zu "befragen". Es wird einfach herablassend über ihr Leben nachträglich entschieden und jeder baut sich sein gewünschtes Bild von der Frau zusammen.
Das funktioniert literarisch, also hier in diesem Roman - aber ich glaube nicht, dass es in der Realität auch so ist. Andrew wüßte doch genau, was er mit seiner Frau zusammen gemacht hat und was nicht. Ich glaube nicht, dass ein gesunder Mensch sich selbst so betrügen könnte. Vor allem dann nicht, wenn er ein analytischer Mensch ist.Plötzlich wird die von Ida erfundene Geschichte über das Kriminacherzählen im Kopf von Andrew zu einer wahren, tatsächlich stattgefundenen Geschichte.
Oh toll, danke Gaia. Das war die einzige Passage, die ich nicht begriffen hatte!Er stellt laut Überlegungen an und sagt immer wieder "Streichen Sie das." Und sie stellt im Hintergrund ihre eigenen Überlegungen und denkt immer wieder "Streichen wir das."
Stimmt, danke für den Hinweis.Wie er aus Aberglaube das Geschenk von ihr nicht annehmen kann und letztlich, um den Aberglauben zu umgehen, doch wieder auf den von ihm so verhassten Kapitalismus zurückfällt, indem er ihr für einen Cent das Messer "abkauft".
Das hat mir auch sehr gut gefallen. Die einzigen persönlichen, erhaltenen Tagebuchaufzeichnungen sind wohl nur noch da, weil sie in einem "Wirtschaftsbuch" versteckt waren. Bevel konnte nicht alle Spuren tilgen - es gibt noch etwas von der echten Mildred auf dieser Welt, nicht nur fiktionale Erzählungen von ihr.Was mir noch aufgefallen ist: Wie der historische Blick auf die weiblichen Protagonisten verloren geht. (Wie wir aus der Realität ja häufig wissen). Das fassen die Sätze von Ida zum Archiv gut zusammen. Sie ist die erste, die nach über 50 Jahren nach Mildreds Tod deren Nachlass überhaupt durchsieht. S. 303: "Ansonsten hat sich wohl niemand mit diesen Dokumenten befasst. Niemand hat sich die Mühe gemacht."
Daumen hoch!Was ich gut finde: Ida sagt nicht, dass sie jetzt ein "richtiges/korrektes" Bild von ihr hat. Sie "erhascht" eins.
Diese Szene hat mich ebenso irritiert wie Ida.Und zum Thema Wahrheit: Plötzlich wird die von Ida erfundene Geschichte über das Kriminacherzählen im Kopf von Andrew zu einer wahren, tatsächlich stattgefundenen Geschichte.
Das ist mir gar nicht aufgefallen. Danke, dass du das schreibst.stellt laut Überlegungen an und sagt immer wieder "Streichen Sie das." Und sie stellt im Hintergrund ihre eigenen Überlegungen und denkt immer wieder "Streichen wir das.
NeinIst euch auch aufgefallen, dass es auf S. 325 diesen einen Satz gibt, der nicht in der Ich-Perspektive von Ida geschrieben ist?
Haha, dazu fällt mir nichts ein.Erhellt mich!
Ich kenne einen Menschen, bei dem das genauso ist. Es ist erstaunlich unheimlich - vor allem weil klar ist, dass die Person tatsächlich an ihre erfundene Vergangenheit glaubt. Für mich hat das schon krankhafte Züge - ich glaube, solche Mechanismen funktionieren unabhängig davon, ob man ein analytischer Mensch ist. Bevel ist in meinen Augen aber auch gestört - er biegt ständig die Vergangenheit zurecht - logisch, dass er irgendwann nicht mehr unterscheiden kann - und er will es auch gar nicht - er will seine schöne Welt, in der er gut dasteht.Das funktioniert literarisch, also hier in diesem Roman - aber ich glaube nicht, dass es in der Realität auch so ist. Andrew wüßte doch genau, was er mit seiner Frau zusammen gemacht hat und was nicht. Ich glaube nicht, dass ein gesunder Mensch sich selbst so betrügen könnte. Vor allem dann nicht, wenn er ein analytischer Mensch ist.
Den Gedanken hatte ich an der Stelle auch. Habe ihn dann wieder verworfen.Und im Roman, selbst dort, habe ich eher den Eindruck, er prüft Ida, ob sie aufmuckt.
Wahrscheinlich hast du recht, Iris, es ist nur so wahnsinnig weit weg - so ein Verhalten. Ja, krankhaft, das meinte ich. Ein gesunder Verstand merkt das. Aber Andrew vllt nicht, aus den von dir genannten Gründen.Ich kenne einen Menschen, bei dem das genauso ist. Es ist erstaunlich unheimlich - vor allem weil klar ist, dass die Person tatsächlich an ihre erfundene Vergangenheit glaubt. Für mich hat das schon krankhafte Züge - ich glaube, solche Mechanismen funktionieren unabhängig davon, ob man ein analytischer Mensch ist. Bevel ist in meinen Augen aber auch gestört - er biegt ständig die Vergangenheit zurecht - logisch, dass er irgendwann nicht mehr unterscheiden kann - und er will es auch gar nicht - er will seine schöne Welt, in der er gut dasteht.
Den Gedanken hatte ich an der Stelle auch. Habe ihn dann wieder verworfen.
Das ist natürlich schon blöd und nicht wünschenswert. Aber nach so vielen Jahren (die Dokumente waren ja erst kürzlich der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden) kann ich das nachvollziehen. Wer kannte Mildred denn noch persönlich? Sie verstarb früh. Die Bibliothekare gaben zudem als Begründung die schwer lesbare Schrift an. Klingt nachvollziehbar, zumal Ida ja auch lange nichts gefunden hat, was sie der Person Mildred näher bringen könnte.Es wird einfach herablassend über ihr Leben nachträglich entschieden und jeder baut sich sein gewünschtes Bild von der Frau zusammen.
Ach, das ist aber schon entsetzlich plakativ! Für vergangene Zeiten lasse ich das gelten. Aber die Gleichberechtigung schreitet voran. Mittlerweile wissen kluge Männer auch intelligente Frauen zu schätzen.Intelligente Frauen waren und sind und werden auch immer am gefährlichsten für Männer sein.
Dieser Roman ist wirklich außergewöhnlich gut durchkomponiert worden. Ich liebe so etwas auch. Was darüber hinaus für Diaz spricht: Er ist ein Geschichtenerzähler. Er hat nicht nur ein (oft sein) Thema, sondern strickt sich etwas zurecht. Bis jetzt entnimmt er seinen Stoff der amerikanischen Geschichte, übt auch Kritik. Aber eben nicht mit der Brechstange, sondern geschmeidig und fließend in die Geschichte eingewebt. Grandios!Beide Bücher brechen mit Klischees, haben einen ungewöhnlichen Blick auf die Welt. Diaz könnte zu einem neuen Lieblingsschriftsteller werden.
Ich kann es mir bei Kindheitsepisoden vorstellen, die man so oft von Dritten erzählt bekommt, dass man sie selbst glaubt. Aber wie Irisblatt schreibt, sind die Menschen da auch unterschiedlich. Andrew wirkt in dieser Szene fast verträumt, das zweite Glas hat ihn ja eher lockerer werden lassen. Ich glaube daher nicht, dass er die Geschichte absichtlich geklaut hat.Das funktioniert literarisch, also hier in diesem Roman - aber ich glaube nicht, dass es in der Realität auch so ist.
Empfindest du das so?Aber den größten Treuebruch beschert ihr Bevel.
Ida schämt sich ihrer Mittäterschaft. Dennoch hat sie erst durch die Arbeit mit der Bevel-Biografie ihr Talent zum Schreiben gefunden - alles ist für irgendetwas gut.Aber mit Vanner ist es anders. Was er über meine Frau und mich geschrieben hat, ist anders. Und seine Reichweite ist eine andere. Aber ich wäre ihnen dankbar, wenn Sie darauf verzichten könnten, seinen Namen zu nennen.333
Eine Liebe, die so fest von Mitleid durchzogen war, dass ich die beiden von jenem Tag an nicht mehr auseinander halten konnte. 363