5. Fazit zu "Kim Jiyoung, geboren 1982"

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ein interessantes Buch und mal etwas ganz anderes, als ich bis jetzt aus Korea gewohnt bin. Der Einstieg war spannend, die psychische Symptomatik, in die Jiyoung reinrutscht, lässt zunächst keine Rückschlüsse zu und ergibt sich erst aus ihrer chronologischen Biografie.

Es wird an zahlreichen Beispielen verdeutlicht, wie sehr Frauen in Südkorea in den letzten Jahrzehnten benachteiligt werden. Ehrgeiz und eine gute Ausbildung sind keine Gewähr für beruflichen Erfolg. Junge Frauen stoßen immer und überall an ihre Grenzen, die gesellschaftliche Erwartungshaltung presst sie in traditionelle Rollen. Aus Jiyoungs Sicht fühlt sich das wie ein Hamster- oder Mühlrad an.

Mir hat das Buch sehr gut gefallen und mir nach Kamtschatka wieder Frauenschicksale in Korea aufgezeigt. Lesen bildet, durch Lesen kommt man auch zu Corona-Zeiten rum in der Welt!

Ob ich zu 4 oder 5 Sternen komme, muss ich noch ein wenig überlegen. Der Abschluss mit dem Psychiater war für mich nicht ganz befriedigend. Ich hätte lieber konkret gewusst, ob Jiyoung geheilt werden kann. Doch ist das offene Ende gewollt. Nur so kann eine Diskussion - gerade in Kora - angestoßen werden!
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Dass etwas in Bewegung kommt, dafür ist das Buch gut. Dass mit ihm eine Handhabe da ist, über viele Probleme zu sprechen. Die Frauen waren ja fast immer mundtot. Konnten ihren Standpunkt und ihre Sicht kaum vermitteln. Jede denkt, sie ist alleine. Jetzt ist Material da, allgemein bekanntes, jetzt kann man mit den Männern reden.Jetzt ist die Zeit, öfters mal nein zu sagen und Hilfe einzufordern.

Ja, insoweit hat mir das Buch gefallen.

Das Ende ist für mich nicht mehr stimmig. Obwohl ich den Kunstgriff mit dem Psychologen gut finde und ich nicht wissen muss, wie es mit Jiyoung weitergeht. Obwohl ... wenn der P. ihr geholfen hätte, mutiger für sich selbst einzustehen und ihre Meinung frei in die Runde sagt, sich nicht ständig zu fragen, was andere davon halten ...

wobei mir auch die Szene mit dem Kaffee vor Augen steht. Was wäre gewesen, wenn sie den Männern ihre Situation verdeutlicht hätte und nicht ihrem Mann. Wenn sie sie zur Rede gestellt hätte, anstatt sich zu schämen? Ja, das hätte mir gefallen.

Das letzte Drittel ist auf alle Fälle literarisch problematisch.
 
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milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Mir hat das Buch inhaltlich alles in allem gut gefallen. Der Schreibstil ist leider sprachlich kein Genuss, auch wenn er sich am Ende erschließt. Die Idee, den Psychiater erzählen zu lassen, fand ich gut. Allerdings verstehe ich nicht, warum wir ihr Verhalten am Ende dann nicht erklärt bekommen und die psychische Krankheit so kurz abgehakt wird. Stattdessen kommt dann noch die Übertreibung des Ganzen mit dem Hinweis auf die Assistentin. Aus dem Schluss hätte man mehr machen können.

https://whatchareadin.de/community/...1982-roman-von-nam-joo-cho.24853/#post-102358
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Es wird an zahlreichen Beispielen verdeutlicht, wie sehr Frauen in Südkorea in den letzten Jahrzehnten benachteiligt werden.
An zahlreichen Beispielen, aber hauptsächlich an der Protagonistin, die alle Last der Welt trägt, etwas übertrieben ausgedrückt, so dass sie als Figur ihre Authentizität etwas verliert.

Der Abschluss mit dem Psychiater war für mich nicht ganz befriedigend.
Erzähltechnisch gut gelöst, es erklärt den nüchternen Stil. Aber auch ich hätte gerne mehr über ihre Krankheit gewusst, über Jiyoung selbst, weniger über den Psychologen.
Schreibstil ist leider sprachlich kein Genuss, auch wenn er sich am Ende erschließt.
Mir auch viel zu nüchtern ;).

Nichtsdestotrotz ein wichtiger Roman. Über die Rezension werde ich auch noch etwas brüten, aber 4 Sterne stehen schon fest.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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zahlreichen Beispielen, aber hauptsächlich an der Protagonistin, die alle Last der Welt trägt, etwas übertrieben ausgedrückt, so dass sie als Figur ihre Authentizität etwas verliert.
Irgendwie wird sie gebrochen am Ende. Sie ist Hausfrau und unzufriedene Mutter eines Schreikindes. Sie tut alles, was von ihr erwartet wird und kann höchstens mit der Stimme anderer Widerspruch leisten.
So ganz rund ist das Ende nicht. Alles übrige gefiel mir wie schon gesagt gut:)
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich habe meine Rezi fertig, bin allerdings noch am Überlegen, ob ich 4 oder 5 Sterne geben soll. Wie es schon mal bei meiner allerersten Leserunde hier hieß (über das Buch von Ellen Sandberg): Man darf um des Lesewohlgefühls willen nichts verlangen, was der Absicht der Autorin widersprechen würde. Ich denke gerade an "Ediths Tagebuch" von Patricia Highsmith, ein Buch, das ich sehr liebe - auch Edith wird über der Fülle der widersprüchlichen Anforderungen verrückt; die Verrücktheit scheint der einzige Ausweg zu sein. Aber Edith ist als Einzelschicksal gestaltet, während die Autorin unseres Buches hier sich für eine Allerweltsfrau mit einem Allerweltsnamen entschieden hat. Alles, was ich gegen das Buch einwenden könnte, ist im Hinblick auf den beabsichtigten Effekt bewusst so entschieden. Das Buch erfüllt seinen Zweck mehr als ausgezeichnet. Eigentlich müsste man fünf Sterne geben, obwohl es kein Buch ist, das ich mit Vergnügen gelesen hätte - sollte ich ja auch nicht.
 

Wandablue

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Mir hat das Buch gut gefallen. Ich finde, es ist ein wichtiges Buch. Der letzte Teil hat mich literarisch nicht überzeugt, aber "Kim Jiyoung, geboren 1982" ist in erster Linie ein politisches Buch.
Dann finde ich den Kunstgriff, das Ganze als psychiatrischen Bericht darzustellen, für ein politisches Buch ziemlich raffiniert.
Cho Nam-Joo hätte auch ein Sachbuch schreiben können, wegen des Sachbuchcharakters mancher Teile, aber wer hätte das gelesen?

Mein Resümee ist jedenfalls ein positives:

https://whatchareadin.de/community/...ung-geboren-1982-roman-von-nam-joo-cho.24870/
 

Wandablue

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Ich habe meine Rezi fertig, bin allerdings noch am Überlegen, ob ich 4 oder 5 Sterne geben soll. Wie es schon mal bei meiner allerersten Leserunde hier hieß (über das Buch von Ellen Sandberg): Man darf um des Lesewohlgefühls willen nichts verlangen, was der Absicht der Autorin widersprechen würde. Ich denke gerade an "Ediths Tagebuch" von Patricia Highsmith, ein Buch, das ich sehr liebe - auch Edith wird über der Fülle der widersprüchlichen Anforderungen verrückt; die Verrücktheit scheint der einzige Ausweg zu sein. Aber Edith ist als Einzelschicksal gestaltet, während die Autorin unseres Buches hier sich für eine Allerweltsfrau mit einem Allerweltsnamen entschieden hat. Alles, was ich gegen das Buch einwenden könnte, ist im Hinblick auf den beabsichtigten Effekt bewusst so entschieden. Das Buch erfüllt seinen Zweck mehr als ausgezeichnet. Eigentlich müsste man fünf Sterne geben, obwohl es kein Buch ist, das ich mit Vergnügen gelesen hätte - sollte ich ja auch nicht.

Hm. Nicht ganz. Die Frauen in Korea werden frustriert und krank. Kann gar nicht anders sein. Sie müssen natürlich nicht gleich "verrückt" werden. Aber krank ist krank.
 
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Reaktionen: Emswashed

Wandablue

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18. September 2019
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@Emswashed: "Es hat was gemacht mit mir". Ganz klar. Mit mir auch. Und ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das dies fertiggebracht hat, wenn man von den aggressiven feministischen Romanen "Identitti" "Why we matter" absehen, deren Wirkung ich eher negativ einschätze.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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@Emswashed: "Es hat was gemacht mit mir". Ganz klar. Mit mir auch. Und ich habe schon lange kein Buch mehr gelesen, das dies fertiggebracht hat, wenn man von den aggressiven feministischen Romanen "Identitti" "Why we matter" absehen, deren Wirkung ich eher negativ einschätze.

Hihi, die Wirkung bei mir würde mein Mann auch eher als "negativ" bezeichnen. Wir Frauen müssen uns angwöhnen, unsere Wut klar und deutlich zum Ausdruck zu bringen.
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Ich habe mir für das Fazit etwas Zeit gelassen, um eine richtige Einschätzung zu dem Buch hinzukriegen.
Was bei mir geblieben ist: ich habe die Geschichte der Jiyoung sehr gern und mit sehr viel Interesse gelesen.
Die Verbindung von fiktionaler Geschichte und soziologisch-statistischen Daten hat mich sehr irritiert.

Um das beides zusammen zu bringen und einzuordnen, brauchte ich einfach etwas Zeit.

Jetzt kann ich sagen: Wir lesen hier über ein Frauenschicksal, das seinen Lesern (die natürlich viel eher in Südkorea sitzen als irgendwo anders in der Welt) nichts, aber auch gar nichts Neues präsentieren konnte. Jetzt könnte man sagen: Oh wie schrecklich! Oh wie langweilig! Aber das Gegenteil ist tatsächlich der Fall!
Die (südkoreanische (und nicht nur die)) Gesellschaft weiß alles über die Diskriminierung der Frauen und die Verschwendung von so großem Potential, es wurde den Menschen in Artikeln und wissenschaftlichen Studien mehr als einmal gut ausgearbeitet präsentiert. Hat es etwas bewegt? Wenn ja, dann nur sehr wenig. Und dann kommt Cho Nam-Joo und schreibt dasselbe, nur anders und in einem anderen Format, nämlich als fiktionale Literatur mit einer Hauptheldin, der all das langweilige Zeug passiert, das die Wissenschaft und die Sachliteratur schon herausgearbeitet hat, und plötzlich erreicht dieses Thema doch noch die Gesellschaft! Ein Sieg der Literatur! Das ist es doch, warum wir hier so gerne Bücher lesen, oder? Weil sie etwas / uns zu verändern weiß. Weil sie uns zu bewegen vermag und weil sie gesellschaftlich relevant ist. Ich habe dazu eines der wichtigsten Beispiele vor kurzen mit Euch gelesen (1984) und nun zeigt auch so ein kleiner Frauenroman, dass er Wirkung hat! Klasse!
 

Renie

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19. Mai 2014
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renies-lesetagebuch.blogspot.de
Ich tue mich immer schwer mit "Empörungsbüchern", also Bücher bei denen man sich an einem Thema hochschaukelt und man nicht mehr weiß, wohin man mit seiner Empörung soll. Ich lese solche Bücher eher "lösungsorientiert" und versuche aus all den negativen Gedanken, etwas Positives für mich mitzunehmen. Daher habe ich mich in dieser Leserunde bei den Diskussionen über die Ungerechtigkeiten von Frauen zurückgehalten.
Für mich standen also die positiven Momente in diesem Buch im Vordergrund, bspw. die Versuche der Schülerinnen, sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Oder die Mutter von Jiyoung, die scheinbar die Rolle der zurückhaltenden Ehefrau und Schwiegertochter spielt, aber in Wirklichkeit ihr eigenes Ding macht und Mittel hat, sich gegenüber ihres Göttergatten durchzusetzen. Aber auch die Entwicklung von Jiyoung zu einer selbstbewussten Frau, die erkennt, wie die Männerdominanz in der Gesellschaft funktioniert, dass dies aber nicht richtig ist und dass Änderungen hermüssen.
Umso ärgerlicher war für mich das Ende des Romans, indem sich Jiyoung als Opferlamm präsentiert. Man könnte ketzerisch behaupten, dass die Botschaft des Romans dadurch in die falsche Richtung gelenkt wird und am Ende lautet: Frauen werden benachteiligt, das ist nun mal so. Wehren ist zwecklos. Wer dies nicht akzeptieren will, wird am Ende auf der Strecke bleiben..
Das ist gar nicht gut und doch sicher nicht die Intention der Autorin gewesen. Daher ist das Ende für mich fast schon ein böser Schnitzer der Autorin.

Aber insgesamt habe ich diesen Roman gern gelesen. Der Blick auf Südkoreas moderne Gesellschaft, die immer noch von alten Familienrollen geprägt ist (s. den Status und Einfluss einer Schwiegermutter aus Sicht einer Schwiegertochter oder das Thema "Stammhalter"), ist hochinteressant. Genauso wie die Fakten, Statistiken etc., die die Autorin in den Roman einflicht.
Sprachlich ist der Roman unauffällig, was aber in Ordnung geht. Denn der Inhalt steht im Vordergrund.