Rezension (5/5*) zu Happy Hour in der Hölle von Tad Williams

Sebastian

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18. April 2014
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Ostharingen, Niedersachsen, Germany
Regelmäßige Leser des Blogs werden im letzten Jahr über meine Besprechung zum ersten Teil von Tad Williams’ “Bobby Dollar”-Reihe gestoßen sein. Meine Fazit war seinerzeit “Urban Fantasy at its finest” mit einer 10 Punkte-Wertung. Dementsprechend groß war auf der einen Seite natürlich die Freude auf Band 2, auf der anderen aber natürlich auch die Erwartungshaltung. Und das kann sich bekanntlich mitunter als eine ziemlich fiese Falle für den Leser erweisen.

“Happy Hour in der Hölle” setzt den ersten Band der Reihe direkt fort. Man sollte also in jedem Fall “Die dunklen Gassen des Himmels” vorher gelesen haben, da sich nur so die Zusammenhänge komplett erklären. Williams fügt zwar durch Zwischenkapitel immer wieder Rückblicke auf die vergangenen Geschehnisse ein, die jedoch recht oberflächlich sind, den Metaplot also allenfalls im Anschnitt erklären. Es reicht wahrscheinlich, um sich in das Buch hineinzufinden, allerdings werden sich nicht alle Querverbindungen so erklären. Davon abgesehen fährt der Autor aber wieder die gleiche Linie wie bekannt. Es beginnt sich vom Start weg ein gesunder Spannungsbogen aufzubauen, der sich auf einem konstant hohen Niveau bewegt und dabei immer wieder gut eingesetzte Spitzen hat, die das Adrenalin nicht nur bei Hauptakteur Bobby noch ein bisschen weiter nach oben treiben. Besonders das Finale ist Spannung und Action pur, auch wenn man natürlich im Großen und Ganzen mit einem Ausgang in dieser Form gerechnet hat. Das stört aber nicht weiter, denn Williams knüpft von Beginn an noch kleine Fäden neben der Haupthandlung, die erst zum Schluss hin wieder aufgelöst werden.

Der Titel des Buches ist übrigens wörtlich zu nehmen. War der Vorgänger noch ein ausgemachter Urban Fantasy-Roman, ist “Happy Hour in der Hölle” nur noch bedingt diesem Genre zuzuordnen. Gefühlt 95 % der Handlung finden tatsächlich in Luzifers Herrschaftsgebiet statt – und dieses hat es in sich. Die Atmosphäre, die der Autor erschafft, ist hier ähnlich dicht wie in dem großartigen (und teilweise sogar recht ähnlich gearteten) Roman “Tagebuch aus der Hölle” von Jeffrey Thomas. Die Schilderungen sind sehr bildlich, man meint als Leser tatsächlich ein genaues (und dabei sehr oft auch ziemlich grausames) Bild vor Augen zu haben. Das hat allerdings auch zur Folge, dass das Buch eben über den größten Storyteil viel mehr Richtung Horror einzuordnen ist. “Urban” ist hier eigentlich kaum noch etwas.

Figurentechnisch ist eigentlich alles beim Alten geblieben. Kenner des ersten Buches werden hier mit alten Bekannten zusammengeführt, die aber in der Zwischenzeit alle eine mehr oder weniger deutliche Entwicklung mitgemacht haben. Besonders natürlich Anwaltsengel Doloriel, der durch die Geschehnisse in “Die dunklen Gassen des Himmels” hier noch einmal deutlich düsterer und abgebrühter daher kommt. Zudem wird er auch im Lauf der Geschichte immer mehr von den aktuellen Ereignissen geprägt, was sehr deutlich und vor allem auch absolut nachvollziehbar herausgearbeitet ist. Die meisten anderen Charaktere führen in “Happy Hour in der Hölle” allerdings mehr oder weniger ein Schattendasein. Ja, natürlich gibt es noch weitere wichtige Handlungsträger, die auch ebenso gut gezeichnet sind, wie man es von Williams kennt. Der Fokus liegt aber so deutlich auf Bobbys selbstauferlegter Aufgabe, dass sich das Buch letztlich zu einer One Man-Show entwickelt, die zudem ein paar tolle Nebendarsteller hat.

Zu Williams’ Stil muss ich nun eigentlich nicht mehr viel sagen. Wie schon der Vorgänger ist auch dieser Roman sehr zugänglich geschrieben. Der Humor, welcher im ersten Teil noch etwas deutlicher war, ist hier handlungsbedingt etwas zurückgefahren worden. Natürlich ist Bobby Dollar nachwievor ein zynischer Bastard mit einer viel zu großen Klappe – die er allerdings in der Hölle nun einmal nicht ganz so weit aufreißen kann. Alles andere wäre auch unpassend gewesen, von daher kann man das nicht als Kritikpunkt anführen.

Fazit:

“Happy Hour in der Hölle” ist eine sehr gelungene, rasante Fortsetzung zu “Die dunklen Gassen des Himmels”. Im Vergleich zu diesem findet man sich hier aber nicht mehr in einer ausgemachten Urban Fantasy-Story wieder, sondern sollte sich auf eine deutlich horrorlastigere, atmosphärisch tolle Höllenvision einstellen, in der die bekannten Trademarks des ersten Teils zwar noch enthalten sind, dabei aber durch einige neue angereichert werden. Abgerundet wird diese schicke Mischung wieder durch den tollen Hauptcharakter, der durch die konstante persönliche Weiterentwicklung noch einmal eine gehörige Portion Glaubwürdigkeit gewinnt. Runde Sache!

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