Rezension (5/5*) zu Das Mädchen, das Geschichten fängt: Roman von Victoria Schwab

M

Mikka Liest

Gast

Handlung:
Schon als kleines Mädchen wurde Mac von ihrem Großvater zur Wächterin ausgebildet, um einmal sein Erbe anzutreten - und das musste sie nach seinem Tod dann auch tun, als sie erst 12 Jahre alt war. Als jüngste Wächterin aller Zeiten ist es seither ihre Aufgabe, entlaufene Chroniken in den unheimlichen Gängen der Narrows einzufangen und zurück ins Archiv zu bringen. Die Narrows sind eine Art Zwischenwelt zwischen Tod und Leben, und Chroniken sind das, was von einem Menschen nach seinem Tod übrigbleibt: eine Art Geist, bestehend aus all den Erinnerungen, die den Verstorbenen ausgemacht haben. Im Normalfall schläft eine Chronik bis ans Ende aller Zeit, aber manchmal erwachen sie: meist kleine Kinder und Jugendliche, die mit dem Leben noch nicht abgeschlossen hatten. Gefährlich sind nur ältere Chroniken, die sich oft mit Gewalt ans Leben klammern...

Niemand darf wissen, dass Mac, inzwischen 16 Jahre alt, eine Wächterin ist - nicht ihre Eltern, nicht ihre Freunde. Ihr Amt ist eine Bürde für sie, und doch das, was sie liebt und für was sie lebt. Besonders seit dem Tod ihres kleinen Bruders Ben, der nun als leblose Chronik im Archiv liegt... Doch da trifft sie den gleichaltrigen Wächter Wes, mit seinen gruftigen Klamotten, seinen gefärbten Haaren und dem Eyeliner, den er immer trägt, und endlich hat sie jemanden, der sie versteht. Sie kann seine Hilfe auch schnell brauchen, als mehr und mehr Chroniken aufwachen und es scheint, als wäre das Archiv selbst von einer Verschwörung bedroht.

Meine Meinung:
Manchmal gerät man an ein Buch, bei dem man sich denkt: "Wow, sowas habe ich ja noch nie gelesen!" Und wenn es dann noch gut geschrieben ist, hat man einen echten Schatz entdeckt. Für mich ist "Das Mädchen, das Geschichten fängt" so ein Schatz, denn die Ideen sind neu und originell, die Protagonistin ist tapfer und doch verletzlich, und das Buch behandelt ernste Themen wie Verlust und Trauer und ist dennoch unterhaltsam.

Das Cover ist sehr hübsch und ansprechend, aber ich hätte dahinter nie, niemals eine Urban-Fantasy-Geschichte vermutet - und was für eine! Ich liebe die Welt, die die Autorin hier erschaffen hat, diese ganz eigene Art des Lebens nach dem Tode, die einerseits tröstlich ist und andererseits bedrückend und traurig... Ein wenig hat es mich von der Atmosphäre her an "Graveminder" von Melissa Marr erinnert - auch ein großartiges Buch, aber dieses hier hat mir sogar noch besser gefallen!

Mac ist eine wunderbare Protagonistin. Sie ist tough und mutig, kann kämpfen und eine Menge einstecken, ist routiniert darin, Verletzungen vor ihren Eltern zu verstecken... Und dennoch erzählt sie uns ihre Geschichte in zauberhaft-poetischen Worten, die die eigentümliche Welt des Buches in all ihrer düsteren Pracht auferstehen lassen. Sie hat durchaus ihre Schwächen. Sie macht Fehler, die man nur zu gut verstehen und verzeihen kann, denn sie ist ja nicht nur eine Wächterin - sie ist ein verwirrtes, verletztes junges Mädchen, das gerade seinen geliebten Bruder verloren hat. Vor allem ist sie aber ein Charakter, der einem vom ersten Satz an als komplexes, glaubhaftes, liebenswertes Wesen entgegentritt.

Macs Eltern bleiben eher im Hintergrund, da Macs Leben so sehr von ihren Pflichten bestimmt wird. Bens Tod hat sie beide fast zerstört. Seither versucht die Mutter, durch ein absurdes Projekt nach dem anderen, immer in Bewegung zu bleiben, nie Zeit zum Nachdenken zu haben. Mac sagt einmal über ihre Eltern: "Während Mom eine ganze Stadt mit Strom versorgen könnte, ist Dads Licht fast erloschen."

Wes ist ebenfalls ein sehr liebenswerter Charakter - mit überraschendem Tiefgang! Auf den ersten Blick würden ihn die meisten wohl als rebellischen Teenager abtun, aber er hat manchmal erstaunliche Einsichten in Leben und Tod, Schuld und Vergebung... Er ist loyal, er ist mutig, und er bringt ein bisschen Humor in die Geschichte, denn er gibt es nie auf, Mac mit seinen übertriebenen Flirtversuchen zum Lachen zu bringen. (Ob sich zwischen den beiden etwas entwickelt, das müsst ihr schon selbst lesen!)

Dann gibt es da noch Roland, den Bibliothekar, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, über Mac zu wachen. Wenn Mac Buffy wäre, dann wäre Roland Giles (wenn euch das noch was sagt)! Er ist nicht immer nett, aber er meint es immer gut und ist immer für Mac da - auch dann, wenn sie wirklich Mist gebaut hat. Durch ihr großes Geheimnis steht zwischen Mac und ihren Eltern seit vielen Jahren eine unsichtbare Schranke, und so ist Roland die Vaterfigur, die sie so dringend braucht. Ich fand die Beziehung zwischen den beiden sehr anrührend.

Für mich war wie Welt des Buches an sich schon ab der ersten Seite sehr spannend - und die Spannung steigert sich im Buch immer mehr, je klarer wird, dass die Dinge aus irgendeinem Grund außer Kontrolle geraten sind. Bald geht es nicht mehr nur darum, ob Mac ihr Geheimnis bewahren kann - sondern darum, ob sie überleben kann...

Den Schreibstil fand ich fantastisch. Macs melancholische und doch magische Worte haben mich direkt angesprochen und berührt, und ich habe noch nie ein Buch gelesen, das sich im Grunde um Tod und Trauer dreht, und dabei durchweg unterhaltsame, pure Fantasy ist. Die Autorin schreibt die actionreichen Szenen dabei genauso gut wie die leisen, nachdenklichen!

Fazit:
Wer gerne Urban Fantasy liest, sollte es definitiv mal mit diesem Buch versuchen! Die Autorin erzählt hier eine magische Geschichte zwischen Leben und Tod - einerseits voller Spannung und Action, andererseits mit viel Gespür für die Nuancen von Trauer und Verlust. Und die junge Mac, die schon über die Toten wacht, seit sie 12 Jahre alt ist, hat sich mit ihren poetischen Worten von der ersten Seite an in mein Herz geschlichen.

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H

HoldenCaulfield

Gast
Das Buch habe ich schon seit Wochen auf meinem Wunschzettel, es hört sich aber auch wirklich genau nach meinem Beuteschema an. Ich bin gespannt wie es mir gefallen wird.
 
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