Rezension (5/5*) zu Das Lied von Eis und Feuer 01: Die Herren von Winterfell von George R.R. Martin

M

Mikka Liest

Gast

Wie originell kann Fantasy heute noch sein? Seit Tolkien haben unzählige Autoren unzählige Bücher dieses Genres veröffentlicht, und gewisse Themen und übernatürliche Kreaturen haben sich unzählige Male wiederholt. Dennoch schafft es George RR Martin scheinbar mühelos, eine Geschichte zu erzählen, die kein bisschen abgedroschen ist und voller einzigartiger Ideen steckt. Die Welt, in der das Ganze spielt, ist so perfekt durchdacht und so lebendig beschrieben, dass man fast den Eindruck hat, diese Welt müsse es wirklich geben, oder zumindest irgendwann einmal gegeben haben.

Die Geschichte entwickelt schnell einen unwiderstehlichen Sog, der einen geradezu zwingt, die Seiten umzublättern. Politische Intrigen, familiäre Tragödien... Es bleibt spannend bis zur letzten Seite, und das auf vielfältige Art. Dabei ist es jedoch immer eine intelligente geschriebene Art von Spannnung, die vom Leser Mitdenken erfordert! Das Buch ist nichts, was man mal eben so nebenher konsumieren kann, aber gerade das macht es in meinen Augen so lohnend.

Die Welt ist unglaublich komplex, und es gibt eine Menge, was der Leser sich erst einmal aneignen muss: die verschiedenen Adelshäuser, das politische System, die Geschichte des Landes... Dass das funktioniert, ohne dass man sich langweilt, liegt vor allem an den lebendigen, dreidimensionalen Charakteren. Davon gibt es schwindelerregend viele, und normalerweise schreckt mich eine solche Fülle an Namen, die ich mir merken muss, eher ab. Ich habe ein grauenvolles Namensgedächtnis, und wenn ich immer hin- und herblättern muss, um herauszufinden "Wer war das nochmal?", dann reisst mich das aus meinem Lesefluss.

Hier war das aber überhaupt gar kein Problem für mich! Ich entwickelte schnell ein Gefühl für die wichtigsten Protagonisten, denn die sind alle unverwechselbar geschrieben und haben einen hohen Wiedererkennungswert. Nur wenige sind liebenswert, denn der Autor hat scheinbar ein echtes Faible für menschliche Abgründe, aber alle sind interessant und unterhaltsam.

Der Schreibstil ist beeindruckend, bildgewaltig und voller sprachlicher Wucht. Auf jeder Seite finden sich Passagen, die es verdient hätten, hier zitiert zu werden! Wobei ich direkt dazusagen muss, dass die Sprache direkt noch einmal so umwerfend ist, wenn man das Buch auf englisch liest. Außerdem finde ich die Übersetzung gelegentlich ein bisschen fragwürdig, vor allem die Eindeutschung der Namen... Andererseits wäre es vielleicht schade, wenn Lesern, die des Englischen nicht mächtig sind, die Bildhaftigkeit der Namen entgehen würde.

Eine kitschige Liebesgeschichte sucht man in diesem Buch vergebens. Die Ehen werden arrangiert, und es ist eher ein fast schon unerhörter Glücksfall, wenn sich dann doch Gefühle zwischen den Ehepartnern entwickeln. Manchmal endet die Liebe in "Ein Lied von Eis und Feuer" auch im Tod und dem darauffolgenden endlosen Zyklus der Rache.

Sehr ungewohnt für den modernen Leser ist sicher auch, wie jung die Kinder sind, die hier einander versprochen oder sogar verheiratet werden. So wird zum Beispiel die 13-jährige Danaerys mit einem Mann verheiratet, den sie nicht kennt und dessen Sprache sie nicht einmal spricht, und der Autor schreckt auch nicht davor zurück, Sexszenen zu schreiben, die eher den Beigeschmack von Vergewaltigung haben. Das klingt entsetzlich, macht aber im Kontext der Geschichte Sinn, denn die Welt von "Ein Lied von Eis und Feuer" erinnert an eine Zeit unserer Geschichte, wo junge Mädchen tatsächlich in diesem Alter verheiratet wurden und dabei wenig Mitsprachrecht hatten.

Fazit:
Ein Buch, das meiner Meinung nach völlig zu Recht Kultstatus erreicht hat! Die Welt ist komplex und perfekt durchdacht, die Geschichte intelligent und spannend, die Charaktere lebendig und dreidimensional... Aber es war besonders der bildgewaltige Schreibstil, der mich begeistert hat.

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