Rezension (5/5*) "Sag, es tut dir leid" von Michael Robotham

Dani

Neues Mitglied
24. Februar 2015
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Krefeld, Germany
www.blog-und-stift.de
Psychothriller haben des Öfteren die Eigenschaft, ins Parapsychologische oder Esoterische abzugleiten oder mit schlechter Recherche zu erschrecken. Bei dem australischen Autor Michael Robotham ist das anders. Wo bei seinen Büchern Psychothriller draufsteht, ist auch Psychothriller drin – und zwar mit handfester, fachlich korrekter Recherche, die auch in seinem aktuellen Roman „Sag, es tut dir leid“ mit einer spannenden Handlung verwoben wird.

Als Piper Hadley und ihre Freundin Tash McBain spurlos aus dem kleinen Ort Bingham bei Oxford verschwinden, erschüttert es das ganze Land. Trotz aller Bemühungen können sie nie gefunden werden. Isoliert von der Außenwelt werden sie von ihrem Entführer gefangen gehalten, bis Tash nach drei Jahren die Flucht gelingt. Kurz darauf entdeckt man ein brutal ermordetes Ehepaar in seinem Haus in Oxford. Der Psychologe Joe O’Loughlin, der einen Verdächtigen befragen soll, vermutet, dass dieses Verbrechen mit der Entführung der beiden Mädchen in Zusammenhang steht. Währenddessen hofft Piper verzweifelt auf Rettung durch ihre Freundin. Doch mit jeder Stunde, die sie ausbleibt, wächst ihre Angst. Denn der Mann, der sie in seiner Gewalt hat, ist in seinem Wahn zu allem fähig.

Wer jetzt an eine Geschichte vom Format einer Natascha Kampusch denkt, liegt nur teilweise richtig. Es beginnt zwar mit einer Art Tagebucheintrag des verbliebenen Entführungsopfers Piper und das Mädchen kommt auch im weiteren Verlauf immer wieder auf diese Weise zu Wort. Richtig ist auch, dass diese Passagen gelegentlich an der Grenze des Erträglichen kratzen, allerdings erzeugen gerade sie auch eine beinahe unerträgliche Spannung, die es schwer macht, das Buch aus der Hand zu legen.
Tatsächlich ist „Sag, es tut dir leid“ jedoch eine Geschichte, die sich vor allem auch mit den Abgründen der Menschen im näheren Umfeld der verschwundenen Mädchen befasst – mit familiären Problemen, geplatzten Träumen und der Kluft zwischen Schein und Sein. Der Autor äußert sich hierüber seine Beweggründe, die hinter dem Roman stehen.

Unversehens rutscht Joe O‘Loughlin in die Ermittlungen, als ein Ehepaar ermordet in seinem Haus aufgefunden wird. Nicht ganz freiwillig unterstützt er die Polizei bei ihren Ermittlungen und entdeckt, dass Tash zum Zeitpunkt der Ermordung des Ehepaars ebenfalls im Haus war. Mit seiner langjährigen psychologischen Erfahrung versucht er, die Wahrheit um das Ehepaar, Tash und dem Verdächtigen Augie Shaw herauszufinden. Über allem schwebt dabei die Frage: Wo ist Piper?

Inzwischen gibt es eine ganze Reihe Romane um Joe O‘Loughlin und Ermittler Vincent Ruiz. Beide Charaktere überzeugen auch diesmal durch eine detaillierte Charakterzeichnung, eine sehr lebensnahe Gestaltung und einen sympathischen Sarkasmus, der für einige Lacher sorgt.
Auf der einen Seite ist da Psychologe Joe, aus dessen Ich-Perspektive die Geschichte erzählt wird. Trotz seines jungen Alters leidet er bereits an Parkinson und personifiziert seine Erkrankung als Mr. Parkinson. Auf der anderen Seite ist da Detective Inspector Vincent Ruiz, inzwischen im Ruhestand; ein abgeklärter älterer Herr, der immer wieder für kernige Bemerkungen zu haben ist:

[zitat]„Ich dachte, ihr beiden zerwühlt munter die Laken“, sage ich.
„Über den Sex beschwere ich mich auch gar nicht, aber sie will, dass ich Gefühle habe.“
„Gefühle?“
„Ich habe ihr erklärt, ich habe genau drei.“
„Drei?“
„Ich bin hungrig, geil und müde – in der Reihenfolge.“ [/zitat]

Die Erzählung in der Ich-Perspektive und im Präsens ist ein Merkmal von Michael Robotham, an das man sich schnell gewöhnt. Sein Stil zieht den Leser mühelos durch die Geschichte, ist an den richtigen Stellen detailliert, wird aber nie langweilig. Sowohl Charaktere als auch Handlung sind stark und glaubwürdig gestaltet, das Buch überzeugt auf allen Ebenen. Im Vergleich etwa zu seinem Vorgängerroman „Dein Wille geschehe“ tritt die psychologische Expertise zwar etwas in den Hintergrund, aber das fällt dem gefesselten Leser kaum auf.
Die falschen Fährten sind geschickt gelegt, die letzten hundert Seiten liest man in einem Rutsch. Einzig das Ende ist, wie so oft bei Thrillern, recht knapp gehalten.
Ein echter, hochwillkommener Pageturner für verregnete Herbstabende!
 

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