Welch ein Buch! Ich klappe es wieder einmal mit dem festen Vorsatz zu, viel häufiger Klassiker zu lesen....
Aber der guten Ordnung halber: Wieder die Zusammenfassung:
Archer hat den Ehebruch geplant. Er belügt seine Frau, um zu Ellen nach Washington zu fahren. Aber es kommt ganz anders.
Während des gesamten Abschnitts beschäftigt sich die gute Gesellschaft mit dem Fall Beaufort. Er darf als Beispiel gewertet werden, was passiert, wenn man die Sitten des Anstands verlässt: Man wird geschnitten, den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Das gilt für den Bankrotteur, aber auch für seine unschuldige Ehefrau. Interessant wie dieses Thema immer mit Archers Liebesqual (quasi als drohendes Szenario für May) kontrastiert wird.
Die alte übergewichtige Granny wird krank und schart die Familie um sich. Auch Ellen wird am Krankenbett erwünscht. Manson Mingott ist eine wunderbare Figur: So behäbig sie auch ist, scheint sie vieles innerhalb ihrer Lieben mitzubekommen und das Herz am rechten Fleck zu haben. (Dennoch weist sie der unglücklichen Regina Beaufort die Tür, um allerdings später Ellen mit ihrer Kutsche dorthin fahren zu lassen. Gewitzt
)
Durch die plötzliche Krankheit wird auch Ellen zur Oma gerufen und Archer bläst seine Reise ab. Bereits hier hatte ich immer das Gefühl, dass May viel mehr über die Passion ihres Gatten weiß, als sie zugibt. Zu genau wird ihre Mimik und Blässe beschrieben, zu genau fragt sie nach, als es um die Dienstreise geht...
Archer holt Ellen vom Zug ab. Allein in der Kutsche bestätigen sie sich erneut ihre Liebe. Archer träumt von einem Leben mit ihr, in einem anderen Land, er ist bereit durchzubrennen. Ellen bleibt realistisch, bremst die Euphorie: "Wir sind uns nur nahe, wenn wir uns voneinander fernhalten.(...) Im anderen Fall sind wir nur Leute, die versuchen, hinter dem Rücken der Menschen, die ihnen vertrauen, glücklich zu sein." (291)
Archer verlässt die Kutsche vorzeitig. Am Abend zu Hause sinnt er erneut über die Monotonie seiner Ehe nach. Hat sogar den Gedanken, dass May sterben müsse, um ihn frei zu geben!
Granny ruft auch Archer allein ans Krankenbett. Sie hat Ellen gebeten, zukünftig bei ihr zu wohnen und möchte Archer als Verbündeten gegen den Rest der Familie haben... Weiß sie etwas?
Abends passt er Ellen ab und sie verabreden sich im Museum. Das dortige Treffen läuft ähnlich ab wie das oben erwähnte in der Kutsche. Schließlich verabreden sie sich zu einem einmaligen Ehebruch, der Ellen allerdings dazu zwingen wird, zu ihrem Mann zurückzugehen. Was eine dramatische Szene!
Zu diesem Ehebruch wird es nie kommen, weil just an diesem Tag May auf Ellen bei Granny stößt und sie allerlei Vertraulichkeiten austauschen. Was genau, erfahren wir erst am Ende des Buches, allerdings habe ich schon etwas von der Schwangerschaft geahnt. Ganz "selbstlos" ändert May ihre Strategie, versöhnt sich mit Ellen und setzt sich fortan für sie ein.
Davon weiß Archer am Ende dieses ereignisreichen Tages aber nichts. Nach der Oper einen Tag später will er sich seiner Frau, die symbolträchtig ihr Hochzeitskleid trug und zerriss (nicht die Ehe, aber ihre Unschuld ist m.E. zerborsten), erklären. Dazu lässt sie es nicht kommen! Statt dessen gibt sie ihm einen Brief, in dem Ellen erklärt, dass sie das Land verlassen wird.
Ellen beschließt also, nicht bei Granny zu bleiben, sondern nach Paris zu gehen, mit dem Einverständnis der Familie. Nur Archer ist todunglücklich.
Das nächste Kapitel macht erneut einen Zeitsprung zum Abschiedsessen. Gewundert habe ich mich über die Rückgabe des Schlüssels, das wird aber ja in Fußnote 149 geklärt
. Sehr anschaulich beschrieben sind die Gefühlte Archers während der ganzen Veranstaltung. Es ist ihm nicht einmal vergönnt, ein paar Worte an der Kutsche mit Ellen zu sprechen. Sie verabschieden sich wie Fremde.
Seine Sehnsucht nach Freiheit wird mit der Mitteilung über Mays Schwangerschaft ein jähes Ende bereitet! Das Pflichtgefühl und die Loyalität siegen! May ist längst nicht so unwissend, wie er denkt.
Markant fand ich die glühenden Reden von Lawrence Lefferts, der sich am Schicksal der Beauforts suhlt und selber auch ein notorischer Fremdgänger ist. Was ein Heuchler!!!
Mit Kapitel 34 machen wir einen Sprung von 26 Jahren. Welch ein toller Einfall, das Buch so enden zu lassen: erstklassig!!!
Die Zeiten haben sich geändert. Der Leser nimmt erneut an Archers Gedanken teil, erfährt wie sich die Familie weiter entwickelt hat, dass May seit 2 Jahren tot ist, dass die Zeiten und die Gesellschaft enormen Veränderungen unterlag. Wunderbar!
Sein ältester Sohn Dallas lädt Archer ein, mit ihm nach Europa zu reisen. Anschließend wird er eine Beauford-Tochter heiraten (!). Daran stört sich heute aber keiner mehr.
Archer sagt zu. Sie kommen auch nach Paris. Dallas hat seiner Verlobten versprochen, dort Ellen zu besuchen. Erneut wird Archer von ambivalenten Gefühlen überwältigt...
Letztlich entschließt er sich, nicht mit in die Wohnung zu gehen, sondern ins Hotel. Es gibt kein Wiedersehen der Liebenden. Das war zwar rührend, aber nicht kitschig. Schön gelöst. Im Nachwort wird erwähnt, dass Wharton drei mögliche Entwürfe für das Ende hatte. Ich finde, sie hat sich für das Beste entschieden.
Außerden kommt raus, dass May tatsächlich um Archers Leidenschaft für Ellen wusste. Sie hat eben nur mit ihren stillen Waffen gekämpft, aber alles erreicht, was sie wollte. Wie schön, dass sie das ihrem Ältesten vor dem Tod noch mitteilen konnte.