4. Leseabschnitt: Viertes Stück (Seite 183 bis 228)

Barbara62

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19. März 2020
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Da hast du mit Sicherheit Recht, aber es ist schon seltsam, dass er das Wenige, zu dem er in seiner Not kommt, sofort wegschenken oder "verleihen" muss. Das halte ich für unrealistisch und es scheint mehr dem Plot geschuldet zu sein. Wenn das Elend so bohrend ist, ist man sich eigentlich selbst der Nächste.
Es sei denn, man stellt den Wunsch nach dem Schein über die körperlichen Bedürfnisse. Für ihn scheint zu gelten, dass, solange ihm nur niemand sein Elend anmerkt, er es besser ertragen kann. Ob das realistisch ist, sei dahingestellt. Aber für mich ist es die Erklärung seines Verhaltens.
 

Literaturhexle

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Aber für mich ist es die Erklärung seines Verhaltens.
Da gehe ich mit.
Aber ich halte es für unrealistisch. Der Körper ist so ausgelegt, dass er seine Grundbedürfnisse obenauf stellt.
Die Sache mit der Ehre hat für mich etwas Künstliches, dem Plot Geschuldetes.
Für mich ist sein Verhalten völlig abstrus. Aber was gibt es vielleicht nicht alles???
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Die Welt ist halt nicht immer logisch. Je tiefer man sinkt, desto stärker wird vielleicht auch der Wunsch, irgendwie doch von Bedeutung zu sein. Ich kann es mir gut vorstellen, aber wer weiß...
So ähnlich könnte das auch auf eine oder mehrere Figuren in
Buchinformationen und Rezensionen zu Die Elenden von Victor Hugo
Kaufen >
zutreffen. Ich bin immer noch schwer begeistert. :cool:
 

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So ähnlich könnte das auch auf eine oder mehrere Figuren in
Buchinformationen und Rezensionen zu Die Elenden von Victor Hugo
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zutreffen. Ich bin immer noch schwer begeistert. :cool:
Das ist auch noch so ein Buch, das ich vor mir habe. Es fällt mir mitunter schwer, mich zu solchen Lektüren zu motivieren...
 

kingofmusic

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Das ist auch noch so ein Buch, das ich vor mir habe. Es fällt mir mitunter schwer, mich zu solchen Lektüren zu motivieren...
Es lässt sich leichter lesen als gedacht und strotzt nur so vor Kritik an den damals herrschenden Zuständen. Gleichzeitig ist es aber auch passagenweise ironisch und witzig.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Der letzte Abschnitt hat mir am besten gefallen, dennoch kann ich mich nicht restlos mit ihm anfreunden.
Der nagende Hunger, der ist nachvollziehbar, die geschilderten Symptome ebenso. Alles andere erschließt sich mir nicht gänzlich. Der Protagonist zeigt oft Mitgefühl für andere, er gibt einen der Kuchen an den kleinen Jungen der mit Papier gebastelt hat, setzt sich für den Greis ein, doch bei sich selbst setzt er nicht an. Es hätte einige Möglichkeiten gegeben, doch er ist zu stolz, schenkt lieber Geld weg um als betucht dazustehen, auch wenn einem zerlumpten Wrack das wohl niemand abkaufen wird.
Komik? Für mich war da leider nicht viel dabei. Aber das ist nicht weiter schlimm, ich hätte mir eher gewünscht wirklich nachvollziehen zu können warum der Protagonist so ist, bzw. warum es so gekommen ist. Seine Obsession der Frau gegenüber sehe ich dem Hungerwahn geschuldet, alle anderen Verhaltensweisen könnten aber auch mit seinen Erfahrungen im vorherigen Leben zusammen hängen.
Ein Buch, das mich einfach nicht gepackt hat. Schade, wenn man bedenkt wie es bei anderen ankommt
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Die Dame geht mit dem Herzog aus. Vielleicht hat sie dadurch Geld bekommen. Vielleicht hat sie sich sogar prostituiert, um ihm zu helfen? Sie sagte ja bei seinem Besuch, dass sie auch sehr arm sei.
Ich habe mich auch gewundert woher sie das Geld hat, doch an diese Möglichkeit habe ich nicht gedacht. Aber abwegig ist es nicht. Nur schade, dass dieser Geldsegen ihm im Grunde nicht viel gebracht hat. Sicher hat sie sich nicht vorgestellt, dass er wutentbrannt das Geld direkt weggibt. Obwohl der Wirtin diese Summe wahrscheinlich für Kost und Logis zustand
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Das Ende ist hoffnungsvoller, als ich es letztlich erwartet habe. Zwar wissen wir nicht, wie es dem Ich-Erzähler auf dem Schiff und in der neuen Heimat ergehen wird, aber immerhin wagt er mal einen komplett neuen Schritt als ständig herumzutigern.
Ich habe am Ende gedacht, dass es schade ist, dass er diesen Schritt nicht eher unternommen hat, als noch etwas mehr Kraft und Leben in ihm steckte. Vielleicht wäre dies dann ein Ausweg aus seiner Lage geworden. So scheint es ein Himmelfahrtskommando zu werden…….
 

Literaturhexle

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Ich habe am Ende gedacht, dass es schade ist, dass er diesen Schritt nicht eher unternommen hat,
Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er sich so auf die Schreiberei stützt. Er hätte doch auch nach einer beliebigen anderen Arbeit schauen können. Wobei die Zeiten wahrscheinlich nicht allzu rosig waren. Aber ich kann mich doch nicht dauerhaft an "brotlosen" Künsten festhalten. Das wäre dann allerdings ein völlig anderer Plot geworden.
Auf alle Fälle wird ihm die Schreiberei in einem anderen Land noch weniger nützlich sein. Für mich eher eine wenig erfolgversprechende Kurzschlusshandlung - jedoch ein gut gelungenes offenes Ende.
 

Sassenach123

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Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er sich so auf die Schreiberei stützt. Er hätte doch auch nach einer beliebigen anderen Arbeit schauen können. Wobei die Zeiten wahrscheinlich nicht allzu rosig waren. Aber ich kann mich doch nicht dauerhaft an "brotlosen" Künsten festhalten. Das wäre dann allerdings ein völlig anderer Plot geworden.
Auf alle Fälle wird ihm die Schreiberei in einem anderen Land noch weniger nützlich sein. Für mich eher eine wenig erfolgversprechende Kurzschlusshandlung - jedoch ein gut gelungenes offenes Ende.
Stimmt schon, ich glaube diese ganzen Unwägbarkeiten und nicht nachvollziehbaren Handlungen haben mir die Lektüre auch madig gemacht.
Das Ende ist dabei fast noch das gelungenste, damit zumindest hat mich der Autor überrascht, ich dachte auch, wie wahrscheinlich die meisten, dass er am Ende tot in der Gosse gefunden wird.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Wir erfahren in diesem Roman weder etwas über die Vergangenheit des Ich-Erzählers noch über die Lebensumstände in Kristiania zu dieser Zeit (Ende des 19. Jahrhunderts?). Beides hätte mich sehr interessiert, war aber offenbar nicht das Konzept Hamsuns.

Das finde ich auch total schade. Vielleicht hätte ich dann einen bessere Zugang zum Erzähler gehabt oder hätte zumindest mehr Verständnis entwickeln können

Ich fand das Nachwort ehrlich gesagt (für mich) auch nicht erhellend, sondern am ehesten noch sehr gewollt intellektuell-geschraubt, stellenweise ebenso unverständlich (auf eine andere Weise) wie den Roman davor.

Ja, sehr gewollt, diese gestelzten Formulierungen. Ich hatte außerdem den Eindruck, dass das Nachwort aus verschiedenen Sekundärquellen zusammenkopiert wurde, die Autorin selbst keinen roten Faden gefunden hat und den Text selbst nicht richtig zu deuten wusste. Vielleicht irre ich mich. Das Nachwort ist für mich aber wenig aussagekräftig und insgesamt enttäuschend.

Komik? Für mich war da leider nicht viel dabei. Aber das ist nicht weiter schlimm, ich hätte mir eher gewünscht wirklich nachvollziehen zu können warum der Protagonist so ist, bzw. warum es so gekommen ist.

Dito!

Ich habe mich auch gewundert woher sie das Geld hat, doch an diese Möglichkeit habe ich nicht gedacht. Aber abwegig ist es nicht. Nur schade, dass dieser Geldsegen ihm im Grunde nicht viel gebracht hat. Sicher hat sie sich nicht vorgestellt, dass er wutentbrannt das Geld direkt weggibt. Obwohl der Wirtin diese Summe wahrscheinlich für Kost und Logis zustand

Wissen wir eigentlich sicher, ob das Geld von ihr ist? Es gibt Leute, die ihm was schulden. Vielleicht ist es jemand, der seine Schulden bei ihm begleicht? So oder so: Schon ein großer Zufall, dass der Bote mit dem Geld auftaucht, als er gerade rausgeschmissen wird. :cool:

Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er sich so auf die Schreiberei stützt. Er hätte doch auch nach einer beliebigen anderen Arbeit schauen können. Wobei die Zeiten wahrscheinlich nicht allzu rosig waren. Aber ich kann mich doch nicht dauerhaft an "brotlosen" Künsten festhalten. Das wäre dann allerdings ein völlig anderer Plot geworden.

DAS habe ich mich auch ständig gefragt. Er hätte doch auch neben einem Brotjob schreiben können. Zumal er ja eh kein festes Ziel vor Augen hat. Mal schreibt er irgendwelche Texte für die Zeitung, die ihm spontan einfallen, mal dieses Drama und mal jenes Stück. Ständig verwirft er Ideen…
Und: Wenn es denn um jeden Preis das Schreiben sein muss, wieso erkundigt er sich nicht vorher bei den Redakteuren, was beste Chancen hat, gedruckt zu werden? Ja, ja, ich weiß die Antwort selbst: Stolz und Überheblichkeit.
 

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Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, warum er sich so auf die Schreiberei stützt. Er hätte doch auch nach einer beliebigen anderen Arbeit schauen können. Wobei die Zeiten wahrscheinlich nicht allzu rosig waren. Aber ich kann mich doch nicht dauerhaft an "brotlosen" Künsten festhalten. Das wäre dann allerdings ein völlig anderer Plot geworden.
Genau - ich finde aber gerade dieses Gedankenexperiment so spannend! Der Prota ist halt wie er ist, und ob man das sympathisch findet oder nicht, ich finde ihn so, wie er ist, für mich sehr schlüssig inszeniert. Er bleibt sich selbst treu und - man könnte es auch so sehen - dass er trotz allem, nicht so weit sinkt, dass er sein Agieren danach ausrichtet, was bei Anderen mehr Achtung oder Verständnis finden würde.
 

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Und: Wenn es denn um jeden Preis das Schreiben sein muss, wieso erkundigt er sich nicht vorher bei den Redakteuren, was beste Chancen hat, gedruckt zu werden? Ja, ja, ich weiß die Antwort selbst: Stolz und Überheblichkeit.
Oder eben einfach: Selbstschutz und Würde.
Ich glaube, ich sehe dies sehr anders als die meisten hier... :think
 
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Christian1977

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Er hätte doch auch nach einer beliebigen anderen Arbeit schauen können.
Ich habe das Buch gerade nicht vorliegen, aber einmal bewirbt er sich doch auf eine andere Stelle und bekommt sie nicht, weil er das falsche Jahr in das Bewerbungsschreiben setzt? Das fand ich übrigens auch schön blöd-witzig.
 

milkysilvermoon

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Oder eben einfach: Selbstschutz und Würde.
Ich glaube, ich sehe dies sehr anders als die meisten hier... :think

Die Konsequenz davon ist aber doch, dass er hungert, friert, obdachlos wird und heruntergekommen aussieht. Sein Leiden lässt sich nicht verbergen. Das ist dann das Gegenteil von würdevoll. Entweder er denkt nichts zu Ende oder sein Verhalten ist per se nicht in sich schlüssig.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Der Protagonist zeigt oft Mitgefühl für andere, er gibt einen der Kuchen an den kleinen Jungen der mit Papier gebastelt hat, setzt sich für den Greis ein, doch bei sich selbst setzt er nicht an.
Ich erinnere mich nicht jemals von einem derart ambivalenten Protagonisten gelesen zu haben. Er kann ein echter Widerling sein - die Kuchenfrau tat mir nur leid.
Und: Wenn es denn um jeden Preis das Schreiben sein muss, wieso erkundigt er sich nicht vorher bei den Redakteuren, was beste Chancen hat, gedruckt zu werden?
Er hat ja sogar den Tipp erhalten volksnäher, einfacher im Stil zu schreiben und populärer in der Themenwahl zu sein.
 

Irisblatt

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Mir fehlt nur noch das Nachwort. Ich fand Hunger extrem kurzweilig, schräg, unberechenbar. Der Protagonist wird mir definitiv mit seinen Stimmungsschwankungen, seiner Überheblichkeit, aber auch seinem Leid, seiner Hartnäckigkeit, seinen irrwitzigen Einfällen, seinen zweifelhaften ethischen Maßstäben, seinem gestörten Verhältnis zu anderen Menschen, seinem Talent Situationen misszuverstehen und sich selbst im Weg zu stehen, aber auch seinem wahnsinnigen Gedankenkarussell im Gedächtnis bleiben. Das Ende ist positiver als erwartet, obgleich ich wenig Hoffnung habe, dass er es dort schaffen wird. Immerhin hat er einen Schlafplatz und Essen.