4.Leseabschnitt: Unsere... und Halbes Gesicht (Kapitel 33 - 40)

Querleserin

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Endlich setzt sie sich zu Wehr! Angekündigt hat es sich dadurch, dass sich die Erwachsene Elaine zurückerinnert, wie eine Exfreundin Jons sie mit Spaghetti beworfen hat. Aber bei Elaine ist keine „draufgängerische“ Rebellion, sie beschließt, den anderen keine Macht mehr über sie zu geben, indem sie sie ignoriert. [zitat]Es war immer ein Spiel, und ich habe mich zum Narren halten lassen. Ich bin dumm gewesen. Mein Zorn richtet sich genauso gegen mich selbst wie gegen sie.[/zitat]
Vorangegangen ist die Szene in der Schlucht, in der Elaine im Eis eingebrochen ist und fast erfroren wäre. Sie hat dort unten eine Erscheinung, da sie glaubt, die Mutter Gottes spräche zu ihr, alles würde gut.
Auch das ist ein Akt der Rebellion, denn Graces Familie gehört den Anglikanern an, die weder Heilige noch Maria verehren. Nachdem Elaine ein Gespräch von Mrs. Smeath mit ihrer Schwester belauscht hat, wendet sie sich von ihnen ab.
[zitat]Das ist Gottes Strafe,....Das geschieht ihr ganz recht. [/zitat]
[zitat]Ich stehe auf der obersten Treppenstufe, von Hass erstarrt.[/zitat]

Das ist der Grund, warum sie Graces Mutter so hasst, sie wusste von den Grausamkeiten und hat diese gerechtfertigt. Welch verquerer Glaube:confused:.
Elaine verdrängt jedoch als Kind diese schreckliche Zeit, schiebt die Erinnerungen beiseite. [zitat]Ein Stück Zeit fehlt.[/zitat]
Das geht soweit, dass sie sich erneut mit Cordelia anfreundet, es ist die Zeit, von der ganz am Anfang des Romans die Rede ist. Cordelia ist sitzen geblieben, so dass beide die gleiche Highschool Klasse besuchen. Gemeinsam „hängen“ sie ab;), und Cordelia lässt Dinge mitgehen, daher auch die Assoziation in der Umkleidekabine! Elaine spielt mit, doch sie verhält sich nicht authentisch, beneidet ihre Mutter, die sich gegen die Konventionen stellt. Wir erfahren auch etwas über die Vergangenheit von Elaines Vater, der eigentlich als Pilot in den Krieg wollte. Am Ende des Kapitels erklärt uns Stephen die Relativitätstheorie :eek: Ich werde es nie verstehen:confused:;):D
 

Literaturhexle

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Das ist der Grund, warum sie Graces Mutter so hasst, sie wusste von den Grausamkeiten und hat diese gerechtfertigt. Welch verquerer Glaube:confused:.
Ja, das hat mich auch sehr empört! Nach Heiligkeit kommt SCHEINheiligkeit... Menschen, die ideologisch verblendet sind, wollen gewisse Dinge nicht sehen.

Im Nachgang hatte die Szene am Bach ihr Gutes: Elaine ist aufgewacht und hat sich mit Bravour von den Zicken entfernt. Insofern war dieser Abschnitt gelöst zu lesen. Einen Schrecken bekam ich nur, als Cordelia sich wieder angepirscht hat....:eek:
Bis jetzt verläuft alles friedlich, aber dem Mädel ist nicht zu trauen. Aus meiner Sicht ist Elaine nur ein Lückenbüßer, bis sich etwas Besseres findet. Zumal sich Elaine nicht ansatzweise so reif fühlt wie Cordelia.

Zu Beginn des Kapitels 38 sind wir im Jahr 1952, der König ist gestorben. Eure Einschätzung der Zeit war also völlig korrekt.
Das Kapitel "Halbes Gesicht" nimmt Bezug auf zwei ungleiche Schwestern in einer Geschichte. Die eine ist hübsch, die andere durch ein Brandmal verunstaltet. Fühlt sich Elaine so im Verhältnis zu Cordelia?

Elaine fährt über den Sommer wieder mit der Familie weg. Sie schreibt sich Briefe mit Cordelia und langweilt sich (typisch Teenager!). Im Moment scheint die Freundin nur einen begrenzten Einfluss zu haben. Ich befürchte aber, dass sich das wieder ändern wird:confused:..
 

sursulapitschi

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Ja, das hat mich auch sehr empört! Nach Heiligkeit kommt SCHEINheiligkeit... Menschen, die ideologisch verblendet sind, wollen gewisse Dinge nicht sehen.
Und fühlen sich erhaben und rechtschaffen, wenn sie auf andere herabsehen können.
 
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sursulapitschi

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Cordelia hat auch ihre Probleme. Und auch eine Familie, deren Ansprüchen sie nicht gerecht werden kann.
Wie man "Minderwertige" ausgrenzt hat sie von Mama gelernt. Das nehmen wir zur Kenntnis, aber deswegen tut sie uns nicht Leid. Ich wünsche ihr alles Schlechte. Es kann nicht gut sein, dass Elaine sich wieder mit ihr anfreundet. Inzwischen rechne ich mit eigentlich allem. Es ist noch reichlich viel Buch übrig für Gemeinheiten.
 

Literaturhexle

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Cordelia hat auch ihre Probleme. Und auch eine Familie, deren Ansprüchen sie nicht gerecht werden kann.
Wie man "Minderwertige" ausgrenzt hat sie von Mama gelernt.
Gut, dass du auf Cordelias Probleme hinweist! Sie ist mir etwas aus dem Blick geraten, weil ich so mit Elaine mitleide. Diese Beobachtung ist für den Fortgang des Romans noch von Bedeutung!
 

Querleserin

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Gut, dass du auf Cordelias Probleme hinweist! Sie ist mir etwas aus dem Blick geraten, weil ich so mit Elaine mitleide. Diese Beobachtung ist für den Fortgang des Romans noch von Bedeutung!
Das solltet ihr auch nicht aus dem Blick verlieren ;)
 

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Kurz und zusammenfassend kann ich über diesen Leseabschnitt sagen: Elaine wird innerlich stärker und es wird äußerlich ruhiger.
Aber ich habe das Gefühl, dass es sich um eine Ruhe vor dem Sturm handelt.

Elaine erkennt, dass Mrs. Smeath, die Mutter von Grace, von dem perfiden Spiel der Mädchen Kenntnis hat, es duldet und gutheißt. Wut und Hass überkommen Elaine und ich staune über ihre sadistischen Gedanken (S. 222). Ein Vulkan tobt in ihrem Inneren. Wird er ausbrechen?

Sie wendet sich rebellisch und trotzig vom kürzlich kennengelernten anglikanischem Glauben und von Gott ab, weil beides in die Welt von Mrs. Smeath gehört und wendet sich stattdessen der Jungfrau Maria zu, die bei den Anglikanern keine Rolle spielt, um bei ihr Hilfe zu finden.

Erstmals kommt in Elaine der Gedanke auf, sich Cordelias Befehl zu widersetzen und nicht in die Schlucht zu gehen, um ihre Mütze zu holen (S. 232). Aber letztlich siegt dann doch die Angst vor Cordelia. Ihre wachsende innere Stärke reicht noch nicht aus, ihre Kraft zu Rebellion und ihre Widerstandsfähigkeit sind noch zu schwach. Sie steigt in die Schlucht und bricht auf dem Eis ein. Lebensgefahr!

Dieses Ereignis scheint den Wendepunkt darstellen, denn Elaine scheint nun wirklich zu wachsen. Erneut will Cordelia sie drangsalieren, ihr drohen und sie bestrafen aber Elaine schafft es, nach außen „unaufgeregt, ruhig, vernünftig“ zu reagieren. „Ich bin immer noch ein Feigling, immer noch furchtsam; daran hat sich nichts geändert. Aber ich drehe mich um und lasse sie stehen… Ich merke, dass ich nicht zu tun brauche, was sie mir sagt, und, schlimmer und besser noch, dass ich nie nötig gehabt hätte, zu tun, was sie sagt. Ich kann tun, was mir gefällt.“ (S. 238).

Es ist so wohltuend und ich empfinde Erleichterung und eine Art Glücksgefühl, darüber dass sie sich endlich zur Wehr setzt!
„Grace und Cordelia und Carol bewegen sich am Rand meines Lebens, verführerisch, stichelnd, und werden von Tag zu Tag blasser und blasser, immer unwirklicher. Ich höre sie kaum noch, weil ich kaum noch hinhöre.“ (S. 240)

Das klingt so wunderbar. Fast zu schön, um wahr zu sein. Denn, wenn jetzt alles wirklich gut wäre, dann gäbe es nicht noch den halben Roman zu lesen. Was kommt da noch?

Eine Zeitlang kehrt Ruhe ein. Aber dann folgt die (mich erschütternde) Nachricht: Cordelia wird auf die selbe Highschool gehen wie Elaine!
Das erste Jahr plätschert dahin. Mit Cordelia scheint es ganz gut zu gehen. Sie ist nicht gerade das Mädchen, das ich meiner Tochter zur Freundin wünschen würde, weil sie nicht authentisch, oberflächlich und durchtrieben ist. Sie klaut, lügt, lästert und manipuliert. Aber ihre Attacken scheinen gerade nicht in Richtung Elaine zu gehen.
Das alles, also Cordelias Persönlichkeit und Verhalten, wird seine Gründe haben. Gründe, die in ihrer eigenen Biografie und in ihrer eigenen Familie zu suchen und zu finden sind. Vielleicht erfahren wir darüber noch mehr. Interessieren würde es mich zumindest sehr.
 

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Elaine verdrängt jedoch als Kind diese schreckliche Zeit, schiebt die Erinnerungen beiseite. Ein Stück Zeit fehlt.
Das geht soweit, dass sie sich erneut mit Cordelia anfreundet
... ich finde, dass Atwood diese psychologische Tatsache des Verdrängens und Verleugnens äußerst schmerzhafter Erlebnisse in der Kindheit wunderbar beschreibt und in Worte fasst. Verdrängen und Verleugnen als Notwendigkeit, um psychisch überleben und weiter machen zu können.
 

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Cordelia lässt Dinge mitgehen, daher auch die Assoziation in der Umkleidekabine!
...hey, voll cool, dass Dir das eingefallen ist! Ist es nicht super, zu erkennen, wie sich Kreise schließen? Ich hätte nicht mehr dran gedacht. Umso schöner, dass Du das bemerkt hast.
 

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beneidet ihre Mutter, die sich gegen die Konventionen stellt.
... nicht nur. Elaine ist da ambivalent. Ich denke, es ist Bewunderung und Neid (nicht Missgunst) einerseits und Scham und Peinlichkeitsgefühl andererseits. Sie hat ja auch Angst, aufgrund der Andersartigkeit ihrer Mutter selbst negativ bewertet und vllt sogar ausgegrenzt zu werden. (S. 263)
 

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Elaine verdrängt jedoch als Kind diese schreckliche Zeit, schiebt die Erinnerungen beiseite. Ein Stück Zeit fehlt.
Das ist faszinierend. Die junge Elaine hat einen Großteil der Grausamkeiten verdrängt und erinnert sich an Teile der Geschehnisse nicht mehr. Die erwachsene Elaine erzählt uns in der Rückschau alle Details. Wann ist die Erinnerung wieder gekommen?
 

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Das geht soweit, dass sie sich erneut mit Cordelia anfreundet, es ist die Zeit, von der ganz am Anfang des Romans die Rede ist. Cordelia ist sitzen geblieben, so dass beide die gleiche Highschool Klasse besuchen.
Ich war entsetzt als ich das gelesen habe. Ich hatte befürchtet, jetzt geht alles von vorn los. Aber die beiden sind einen seltsamen Pakt eingegangen. Sie „hängen zusammen ab“ und machen sich über andere lustig und Cordelia scheint jetzt diejenige zu sein, die bei Elaine Anschluss sucht und vor ihrer Zurückweisung Angst hat.
 

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Das Kapitel "Halbes Gesicht" nimmt Bezug auf zwei ungleiche Schwestern in einer Geschichte. Die eine ist hübsch, die andere durch ein Brandmal verunstaltet. Fühlt sich Elaine so im Verhältnis zu Cordelia?
Diese Kapitel sollte uns definitiv etwas sagen. Ich habe das so interpretiert, dass Cordelia diejenige mit dem Makel ist. Sie ist eigentlich hohl und lebt nur dadurch, dass sie Macht über das Leben anderer ausübt (quasi deren Körper übernimmt, um den hübschen Mann zu küssen). Wenn Cordelia niemanden mehr hat, über den sie sich erheben - den sie okkupieren - kann, wird sie zusammenbrechen/sich in Luft auflösen.
 

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Das ist faszinierend. Die junge Elaine hat einen Großteil der Grausamkeiten verdrängt und erinnert sich an Teile der Geschehnisse nicht mehr. Die erwachsene Elaine erzählt uns in der Rückschau alle Details. Wann ist die Erinnerung wieder gekommen?
...das ist nicht selten so: Verdrängung und Verleugnung, um psychisch zu überleben, später dann das sich Erinnern... häufig gewünscht ausgelöst durch Therapie, nicht selten unerwünscht ausgelöst durch Trigger/Anlässe/Auslöser. Wir wissen es im Fall von Elaine noch nicht, aber ich meine, gelesen zu haben, dass Jon Elaine mal in ein Krankenhaus gebracht hat. Eine Psychiatrie? Vielleicht hat sie eine Therapie gemacht oder macht sie immer noch. Immerhin gibt es ernst zu nehmende Hinweise auf depressive Einbrüche...
 

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... nicht nur. Elaine ist da ambivalent. Ich denke, es ist Bewunderung und Neid (nicht Missgunst) einerseits und Scham und Peinlichkeitsgefühl andererseits. Sie hat ja auch Angst, aufgrund der Andersartigkeit ihrer Mutter selbst negativ bewertet und vllt sogar ausgegrenzt zu werden. (S. 263)
Da hast du Recht, manchmal scheint sie sich auch für ihre Eltern zu schämen.
 

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Das ist faszinierend. Die junge Elaine hat einen Großteil der Grausamkeiten verdrängt und erinnert sich an Teile der Geschehnisse nicht mehr. Die erwachsene Elaine erzählt uns in der Rückschau alle Details. Wann ist die Erinnerung wieder gekommen?
Ich habe den Eindruck, dass das keine Rückblicke im engeren Sinne sind, sondern sie schlüpft wieder in die kindliche Elaine, allerdings kommen die Erinnerungen wieder, aber ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten...