4. Leseabschnitt: Texte im Anhang (Seite 169 bis 222)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Gewiss werden uns die angefügten Texte sowie das Nachwort weitere Erkenntnisse über Werk und Autor geben. Hier ist Platz für eure Gedanken dazu.
 

pengulina

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22. November 2022
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Mit dem Anhang konnte ich nicht sonderlich viel anfangen, außer mit den Texten von Jean Cocteau. Dieser vergleicht Radiguet mit Alain-Fournier und findet ihn um Klassen besser; ich habe "Der große Meaulnes" vor Jahrzehnten gelesen und denke nicht, dass es ein so viel schlechterer Roman ist. Auch dort heißt, wie ich nachgelesen habe, der Protagonist François, vielleicht ist es auch nur eine Verwechslung, denn im Roman wird der Name nie genannt. Ich weiß es nicht.

Schade fand ich, dass Radiguets Gedichte nur in Übersetzung abgedruckt wurden, da hätte man doch problemlos das französische Original dazustellen können.

Wie sagt Cocteau, von Radiguet begeistert, so schön: "Die chinesisch anmutende Weisheit, die er mit kindlicher Anmut mischte (...)" (S. 175) So ganz unrecht hat er damit nicht. Radiguet war frühreif (Cocteau: "Ich hatte sofort erkannt, dass Radiguet uns nur geliehen war, dass wir ihn würden zurückgeben müssen." - S. 181), lebenshungrig, intensiv.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Ich fand diesen Teil, insbesondere die Informationen zu Radiguet, sehr hilfreich.

Insbesondere das Nachwort hat mir nochmal ein besseres Verständnis des Werkes gebracht. Um die Leistung Radiguets würdigen zu können, bedarf es auch hier zwingend die Berücksichtigung der damaligen Zeit und ihrer Umstände. Die verbotene Liebelei von Francois bekommt dadurch dass hier ein Soldat, der fürs Vaterland kämpft, verunglimpft wird noch mal eine ganz andere Dimension. Das war mir zuvor nicht hinreichend bewusst. Auch kann ich nun besser nachvollziehen, dass Marthe mit ihrem Verhalten wohl ihrer Zeit deutlich voraus war und sie daher zur Vorreiterin einer Selbstbemächtigungsbewegung macht. Das kann man sicher so sehen.

Am wenigsten anfagnen konnte ich mit den Gedichten. Das liegt aber wohl daran, dass ich selten Lyrik lese und mich schwer finde, dazu einen Zugang zu finden.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Mir ergeht es ähnlich wie @Lesehorizont. Während mir die Gedichte wenig sagen, versöhnten mich aber seine Briefe an Eugénie Cocteau ein wenig. Sie brachten mir den Menschen Radiguet etwas näher und hatten etwas beruhigend Normales, was ich so im Roman vermisst habe.

Klar wird allerdings, dass der Protagonist im Roman etwas stark Avataristisches (das Wort gibt es nicht, meine ich aber so :apenosee ) hat. Auch wenn Raymond diese Liebschaft nur ausgedacht hat, so entsprach sie vielleicht einem juvenilen Wunschtraum, verbunden mit er Intelligenz und dem Exzentrischen, die zweifellos im Künstlerkollektiv zu ungeahnten Höhen gebracht wurde (zumal wenn die Zensur der Alltagssorgen fehlte).

Allerdings sehe ich nur im Weiterspinnen eines zu früh beendeten Genielebens die Berechtigung, diesen Roman zu loben, denn mir persönlich stecken noch viel zu viel jugendliche Hormone und freie Gedankenspiele darin. Wer weiß, zu welchen wahrhaften Lesegenüssen es Radiguet gebracht hätte, wenn er denn sein Leben mit allen Höhen und Tiefen und Einsichten hätte weiterleben können.
 
Zuletzt bearbeitet:

Eulenhaus

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13. Juni 2022
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Aus dem Nachwort von Schmidt-Henkel, Hoffmann und Campe Verlag 2007:
Als der Roman 1920 erschien, war er mit einer Bauchbinde versehen: „Das Debüt eines eines Romanciers von 17 Jahren.“ Der Skandal - treulose Ehefrau, betrogener Frontsoldat, uneheliches Kind - war nicht unerwünscht. Das Buch verkaufte sich sehr gut, wurde weltweit übersetzt und mehrfach verfilmt. Den Autor zeichnet eine Mischung aus Können und Jugendfrische aus. Mit erstaunlicher psychologischer Kenntnis stellt er die Hauptfigur mit ihren inneren Widersprüchen dar, seine rauschhafte Verliebtheit, Zerrissenheit, Leichtigkeit, aber auch Gefühllosigkeit und seine Verunsicherungen. In seiner frechen, teilweise altklugen Art skizziert er die Tabubrüche, die Charaktere der Nebenfiguren bleiben allerdings eher im Dunkeln. Schmidt-Henkel meint: „Das Werk bleibt zeitlos und frisch.“
Anmerkungen zur Person Radiguets: Jean Cocteau, dem mehrere Quellen ein erotisches Verhältnis zum Autor nachsagen, war sein wichtigster Förderer, und er ermöglichte ihm ungestörtes Schreiben. In seiner Pariser Zeit war Radiguet zwar noch ein Junge, aber durch seine ältliche Kleidung wollte er einen reiferen Eindruck machen. Er starb mit 20 Jahren an Typhus.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Nun sind die Anhänge ja eine ziemliche gegenseitige Lobhudelei von Cocteau und Radiguet. Was soll's. Mir hat es gefallen, dass man einen Einblick in den Menschen Radiguet und sein Umfeld erhält. Gerade in den Texten Cocteaus, aber teilweise auch in den Briefen Radiguets und natürlich im Nachwort, dem man die Freude Schmidt-Henkels anmerkt, den Roman neu übersetzt zu haben.

Mit den Gedichten konnte ich auch nicht so viel anfangen. Ich denke auch, dass ein zweisprachiger Abdruck ihnen ganz gut getan hätte.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Während mir die Gedichte wenig sagen, versöhnten mich aber seine Briefe an Eugénie Cocteau ein wenig. Sie brachten mir den Menschen Radiguet etwas näher und hatten etwas beruhigend Normales, was ich so im Roman vermisst habe.
Da stimme ich voll und ganz zu. Die Briefe an Eugénie haben mich auch am meisten interessiert.
Allerdings sehe ich nur im Weiterspinnen eines zu früh beendeten Genielebens die Berechtigung, diesen Roman zu loben, denn mir persönlich stecken noch viel zu viel jugendliche Hormone und freie Gedankenspiele darin.
Auch das sehe ich so. Hier sind doch ein paar Vorschusslorbeeren am Werk. Ich bin auch selten geneigt, ein Werk nur aufgrund des jugendlichen oder hohen Alters eines Autors zu feiern oder zu würdigen. Das Werk sollte an sich überzeugen, nicht weil es "für einen 17jährigen" großartig ist oder "für eine Frau" ein radikaler Blick usw...
Nun sind die Anhänge ja eine ziemliche gegenseitige Lobhudelei von Cocteau und Radiguet.
Absolut. Und da spielt auch sehr viel persönliche Zuneigung und Sympathie eine Rolle.

Zusammenfassend haben mich die Briefe von Cocteau und Radiguet (abgesehen von denen an Eugénie) nicht begeistern können. Wie oft wurde hier im Grunde immer wieder ein ähnlicher Wortlaut/ähnlicher Inhalt transportiert? Erhellend war in dem Zusammenhang nur, dass sie sich gegenseitig sehr toll fanden.

Den Gedichten fehlt eine Einordnung in einen Kontext, der das Verständnis etwas erleichtert.

Das Nachwort fand ich hingegen ausgezeichnet (bis auf die nicht sehr weitsichtige "Analyse" der Dienstmädchen-Szene). Hier wird wirklich etwas Ergänzendes und Sinnvolles zu Kontext und Text geliefert, das dem Roman weitere Nuancen schenkt. Auch wenn ich die Aussagen nicht alle teile, bin ich sehr angetan, weil es sich auf den Text konzentriert (nicht wie bei "Charlotte Löwensköld" zuletzt....;)). Die Einlassungen zum "Wappen von Frankreich" hätte ich allerdings sehr gern bereits als Fußnote im Roman gehabt. Das kam ein bisschen spät...
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich bin ehrlich, ich habe mich durch dieses Werk eher gekämpft, als dass ich es genossen hätte. In meinem Fall bedaure ich ein wenig, dass ich das Nachwort nicht am Anfang gelesen habe. Es macht natürlich Sinn es hintenan zu stellen, einiges an Handlung wäre ansonsten ja schon vorweg genommen worden, doch ich hätte das Buch vielleicht mit anderen Augen gelesen, wenn mir einige Erkenntnisse durch das Nachwort schon vorgelegen hätten.
Dieser Klassiker ist und bleibt für mich dennoch sperrig, auch wenn ich nun weiß, dass der Autor seiner Zeit voraus und durchaus heikles auf den Punkt gebracht wurde.
 

Sassenach123

Bekanntes Mitglied
27. Dezember 2015
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Auch das sehe ich so. Hier sind doch ein paar Vorschusslorbeeren am Werk. Ich bin auch selten geneigt, ein Werk nur aufgrund des jugendlichen oder hohen Alters eines Autors zu feiern oder zu würdigen. Das Werk sollte an sich überzeugen, nicht weil es "für einen 17jährigen" großartig ist oder "für eine Frau" ein radikaler Blick usw...
Bei Klassikern tue ich mich immer sehr schwer mit der Rezension, man hat das Gefühl, dass es ja einen guten Grund geben muss, warum gerade dieses Werk halt den Titel Klassiker inne hat. Eigentlich Blödsinn, man muss ja nicht jeden Klassiker mögen und für gut befinden, aber wie gesagt, ich bin da immer im Zwiespalt :cool: