4. Leseabschnitt: Seiten 131 bis 179

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Das ist natürlich schrecklich, so etwas zu sagen. Doch ich glaube, viele Frauen der Kriegsgeneration sind aufgrund ihrer Erlebnisse so verhärtet worden, das ist für uns garnicht mehr vorstellbar. Und es gab nicht wenige, die am Kriegsende ihre Kinder mitgenommen haben in ihren Suizid . Darüber hat z.B. die Autorin Verena Kessler in ihrem Roman „ Die Gespenster von Demimin“ geschrieben.
Das ist tatsächlich etwas, das man aus dem Blick verliert, doch die Erlebnisse prägen einen Menschen ganz bestimmt.
 
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Mikka Liest

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Aber sie wechselt die Bezugsgrößen ständig und ich habe keine Lust, mir immer auszuklamüseren, wer jetzt genau gemeint ist. Bedeutet, nach einiger Zeit ist es mir wurscht. Sollte man nicht tun, so was.

Dieser Text ist kompliziert, aber manchmal sind Verwandtschaftsverhältnisse kompliziert.

Ich hatte das Gefühl, sie wollte uns damit vielleicht zeigen, wie wenig Halt dieses Familiengefüge ihr gab, wie wenig verwurzelt sie darin war. Sie nimmt ihre Identität ganz heraus aus diesem Konstrukt, in dem sie sich selber den Namen nimmt und sich nur auf ihre Rolle als Tochter reduziert.

Das war harter Tobak der Tochter zu sagen, dass es besser gewesen sei, sie wäre nach der Flucht gestorben. Ich weiß nicht, ob ich das vergeben könnte

Ich halte für mich fest, es gibt Sätze, die sagt man nicht zueinander. Und wenn man sie doch sagt, sollte man sich um Vergebung bemühen. Dann ist alles gut.

Hmm, ich weiß nicht... Ich glaube, nach manchen Sätzen ist zu viel verbrannte Erde, und der hier ist quasi Buschbrand in Australien im Hochsommer.

Und ja doch, für mich sind diese Geschichten belanglos, solange ich keinen Rahmen habe, wohin ich sie einordnen kann. Warum sollte ich mich ausgerechnet für diese Frau interessieren, nur weil sie schreiben kann?

Mit diesem Argument kannst Du viele Bücher abtun.

Da stimme ich RuLeka zu. Wie viele Bücher lesen wir, bei denen wir keinen persönlichen Bezug zur Hauptfigur / Erzählerin haben und kein Wissen über ihren Hintergrund?

Trotzdem endet diese Geschichte versöhnlich, mit dem Schatz an Erinnerungen, die jeder in sich trägt. Doch dabei belässt es die Autorin nicht, sie bricht ihn ironisch wieder, das ist doch große Kunst.

Da stimme ich dir zu! Das ist für mich alles sehr gekonnt, mit perfekten Gefühl für Stimmung und Takt – und sie schlägt rechtzeitig Haken, bevor sich Kitsch breitmachen kann

Die Tatsache, dass zwischen Frau Schubert und ihrer Oma eine enorme Ähnlichkeit bestand, scheint ihre Mutter komplett fertig gemacht zu haben.

Ist das der Grund, warum Helga das Klavierspielen aufgeben musste in einer der ersten Geschichten? Weil sie selbst spielte?

Helga begleitet ihre Oma mütterlicherseits beim Sterben, während deren eigene Tochter zur Arbeit geht. Hoppla!

Der Großvater hat die Mutter ja geschlagen, richtig? Aber die scheint nicht ihm zu grollen, sondern der Großmutter. Sie lädt die Schuld quasi an der falschen Adresse ab. Und jetzt sieht die Tochter, also Helga, so aus wie die Großmutter und benimmt sich auch so. Und schon wieder wird die Schuld weitergereicht an die falsche Person. Zumindest wirkt es auf mich so, als wäre die Ursache dieser vergifteten Dynamik die Misshandlung durch den Großvater, was die Weichen umgestellt hat. Ziemlich verkorkst.


Befremdend empfand ich die Anekdote um das sinnlose Geld ausgeben, für 1000 DM mit dem Taxi fahren und auf halber Strecke mit dem Fahrer Essen gehen. Heidewitzka, wo gibt es denn sowas? Bei dieser Stelle habe ich das erstemal überlegt, ob die Autorin uns einen Bären aufbinden möchte. Aber vielleicht entzieht sich so etwas einfach meinem Verständnis vom Umgang mit Geld. Die entstandene Schuldensituation hätte vermieden werden können, aber das ist für solche Menschen leichter gesagt als getan.

Oh, leider finde ich das gar nicht so unglaubwürdig... Eine ehemalige Freundin steckte immer bis zum Hals in Schulden, da war in der zweiten Woche des Monats oft kein Geld mehr für Lebensmittel. Sie hat immer wieder Kredite aufgenommen, und das Geld dann immer wieder für totalen Blödsinn ausgegeben, statt damit die notwendigen Dinge zu kaufen. Einmal hat sie es tatsächlich geschafft, durch die Hilfe von Verwandten und Freunden und einem Schuldnerberater quasi schuldenfrei zu werden, da wurde viel mit Gläubigern verhandelt, so dass ihr viele Schulden zumindest teilweise erlassen wurden. Man muss dazu sagen, sie hatte einen Job, der eigentlich gar nicht soooo schlecht bezahlt war. Und eine Woche oder so, nachdem sie auf Null war, hat sie wieder einen Kredit aufgenommen, um damit in Urlaub zu fahren und sich ein 600-Euro-Handy zu kaufen. 1.000 DM für eine Taxifahrt, sowas hätte ich ihr zugetraut.

Aber herrlich wie sie sich mit 80 noch immer als jung ansieht. Und das ist sie sicherlich auch, solange sie noch körperlich und geistig fit ist. Das sie dabei sogar einen Arzt vor den Kopf stößt fand ich klasse.

Da musste ich lachen, denn das hätte auch mein Vater sein können. Der ist 89 Jahre alt, aber wenn ihm ein Arzt mit so etwas kommen würde, würde er ähnlich reagieren. Meine Stiefmutter hat manchmal die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen, wenn er mit über 80 noch langfristige Geldanlagen tätigte... "Ja, bist du denn unsterblich, oder wie?!"

Und ich habe (ganz plötzlich) das Gefühl, dass der Mutter-Tochter-Konflikt zwar abgeschwächt, aber dennoch weitergegeben wurde.

Oh ja, das halte ich auch für wahrscheinlich...
 
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Und eine Woche oder so, nachdem sie auf Null war, hat sie wieder einen Kredit aufgenommen, um damit in Urlaub zu fahren und sich ein 600-Euro-Handy zu kaufen. 1.000 DM für eine Taxifahrt, sowas hätte ich ihr zugetraut.
Das kommt aus der Kindheit: Das sind Menschen, die nicht gelernt haben, eine Zeitlang zu verzichten, um NACHHER sich die entspr Wünsche ohne Nachteile zu erfüllen. Sie können einfach nicht warten.
 

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Da stimme ich RuLeka zu. Wie viele Bücher lesen wir, bei denen wir keinen persönlichen Bezug zur Hauptfigur / Erzählerin haben und kein Wissen über ihren Hintergrund?
Das stimmt. Aber hier ist es anders, da die Autorin selbst einen persönlichen Bezug herstellt - einen dann aber auf dem Trockenen sitzen lässt.
 

Mikka Liest

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Das kommt aus der Kindheit: Das sind Menschen, die nicht gelernt haben, eine Zeitlang zu verzichten, um NACHHER sich die entspr Wünsche ohne Nachteile zu erfüllen. Sie können einfach nicht warten.

Sie kam eigentlich aus einer Familie, die das Geld nun wirklich nicht dicke hatte... Aber da ist es dann wahrscheinlich umgeschlagen in ein "Ich will das jetzt aber auch mal alles haben!!"
 

parden

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Ich bin davon ausgegangen, dass die Urenkelin die Tochter ihres Sohnes ist. Vielleicht habe ich da was überlesen? Gibt es überhaupt eine Tochter?
Die Urenkelin ist die Tochter ihres Sohnes - und nach der Scheidung von Millies Eltern hatte die Schwiegertochter keinen Kontakt mehr zur Familie der Autorin, so habe ich das verstanden.
 
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parden

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Der Großvater hat die Mutter ja geschlagen, richtig? Aber die scheint nicht ihm zu grollen, sondern der Großmutter. Sie lädt die Schuld quasi an der falschen Adresse ab. Und jetzt sieht die Tochter, also Helga, so aus wie die Großmutter und benimmt sich auch so. Und schon wieder wird die Schuld weitergereicht an die falsche Person. Zumindest wirkt es auf mich so, als wäre die Ursache dieser vergifteten Dynamik die Misshandlung durch den Großvater, was die Weichen umgestellt hat. Ziemlich verkorkst.
Der Großvater mütterlicherseits hat die Mutter geschlagen, sie hat ihrer Mutter deswegen gegrollt, weil sie sie nicht beschützt hat. Die Autorin sieht allerdings der Großmutter väterlicherseits ähnlich, mit der sich die Mutter Helgas nie verstanden hat... Das hat mit dem schlagenden Großvater nichts zu tun.
 

parden

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Mir gefällt das Buch ausnehmend gut, auch wenn ich wie @Renie die Geschichten nicht rasch hintereinander weg lesen kann. Gerade 'Eine Wahlverwandtschaft' hat mich mitgenommen, wird hier doch die Familiengeschichte der Autorin im Zeitraffer erzählt, wodurch Zusammenhänge deutlich werden, aber auch eine große Traurigkeit, mit der sich die Autorin mittlerweile aber wohl arrangiert hat. Narben, die ein Leben lang reichen. Die distanzierte Schilderung durch das Vermeiden des Pronomens 'ich' ist dabei für mich vollkommen nachvollziehbar - und sie fordert den_die Leser_in. Auch die Betrachtungen in 'Alt sein' haben mich sehr angesprochen, in der LR wurden daraus ja schon einige ansprechende Sätze zitiert. Für mich ist hier nichts 'banal', auch wenn nicht alle Geschichten dieselbe Tiefe bieten mögen...
 

RuLeka

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Die Urelnkelin ist die Tochter ihres Sohnes - und nach der Scheidung von Millies Eltern hatte die Schwiegertochter keinen Kontakt mehr zur Familie der Autorin, so habe ich das verstanden.
Genau. In allen Gesprächen mit der Autorin war immer nur die Rede von ihrem Sohn. Es gibt keine Tochter.
 
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