4. Leseabschnitt: Seite 255 bis Ende

ulrikerabe

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Auf Seite 307 schreibt Alfredo, dass Marcela an einer "retrograden Amnesie" leide. D
Das ist bestimmt ein unbeabsichtigter Fehler, der mir zum Glück nicht aufgefallen ist, weil ich mir den Namen dieser besonderen Amnesie-Form nicht gemerkt hatte.
Mir ist das gelich aufgefallen. Kurz habe ich darüber nachgedacht, ob Alfredo sich einfach irrt. Aber ich halte es doch eher für einen unangenehmen Redaktionsfehler
Übrigens fand ich Marcelas Problematik in der Geschichte am stärksten. Das hat mich sehr berührt.
Nicht unbedingt am stärksten, weil Anas Schicksal sehr schwer wiegt. Aber in der Darstellung der Stimmen, gebe ich dir recht, das finde ich bei Marcela am besten gelungen
 

ulrikerabe

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14. August 2017
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Von Sarah Schweblin, die ebenfalls in der Nachschrift auftaucht, wollte ich eigentlich mal etwas lesen - vor einiger Zeit gab es im TV eine gruselige Serie nach einem ihrer Bücher, in der es um einen Umweltskandal ging.
ich hab seit Urzeiten dieses Buch am Stapel liegen

Buchinformationen und Rezensionen zu Sieben leere Häuser: Erzählungen von Samanta Schweblin
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parden

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13. April 2014
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Carmens Abschnitt war wirklich stellenweise unerträglich - die Personifizierung der Unmenschlichkeit mit dem Banner des reinen Christentums. Gottes Wille geschehe. Genau. Es bleibt bis zum Ende plakativ und schwarz-weiß, was ich hier aber nicht als störend empfand. Alfredo hat sich nur bis zu einem bestimmten Grad der Wahrheit vorgewagt, was gut dargestellt wurde. Er mag Carmen nicht, aber den logischen Gedanken weiterzuspinnen, geschweige denn aufzuschreiben, das hat er sich dann doch nicht getraut.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Wie kann man die eigene Schwester zersägen? Das war so grauenvoll, auch zum Lesen. Ja, Ana war schon tot, aber trotzdem...
Das war die einzige Szene in der Julian mir sympathisch war, er konnte dies nicht. Das macht seine Taten natürlich in keiner Weise besser
Dieser „Mord“ ohne wirkliche Täter-Ermittlung und Bestrafung scheint mir nur in der Zeit nach der Militärdiktatur möglich gewesen zu sein.
Das wurde ja erklärt, Mord war es ja nur indirekt, der Entschluss zur Abtreibung kam von Ana selbst. Trotzdem makaber, dass für die restlichen Vergehen wie das verstümmeln nichts an Bestrafung kam, eine grausame Gesetzteslücke
Hat er im Laufe der Jahre Carmens Version übernommen?
Wahrscheinlich das, und er scheint schon immer jemanden gebraucht zu haben, der für ihn alles regelt. In Carmen hat er so jemanden gefunden. Auch wenn ich bei Carmen nicht von Liebe sprechen möchte, denn ob sie Julian geliebt hat, kann ich nicht einmal sagen, muss er sich, als Carmen ihm Beistand, denn sie alleine hätte sich herausreden können, die Schuld ihm alleine geben können, bestätigt gesehen haben, dass sie die Frau seines Lebens ist.
Ja, hat ein paar Jahre gedauert. Danach war es Gottes Wille, dass sie sich einen Krankenhauskeim nach dem Kaiserschnitt einfing, die Gebärmutter musste entfernt werden, sonst wäre sie gestorben.
Das habe ich ihr gegönnt, auch wenn ich nicht an Vorsehung glaube, konnte ich das hier im Buch tatsächlich als göttliche Fügung werten
Ana wollte aber selbst dieses Kind nicht. Sie war realistisch genug, zu sehen, dass das ihr in ihrem Alter und in der Umgebung nur geschadet hätte.
Das, und auch Julian wird ihr dies indirekt eingeredet haben, zu dem Zeitpunkt stand für ihn viel auf dem Spiel, Ana hat ihn wahrscheinlich wirklich geliebt, auch wenn sie erst vielleicht nur ihrer Schwester eins auswischen wollte, sie hat ihn nämlich immer gedeckt, niemand, nicht mal die beste Freundin, kannte seinen Namen.
Bis auf Marcela ist keine Figur in diesem Roman ohne Fehl und Tadel und ausgerechnet sie ist psychisch krank. Durch ihre Erkrankung muss sie sich jeden Tag neu finden, hat daher keine Chance menschliche Eigenschaften auszuprägen. Sie bleibt auf dem Niveau der unschuldigen 17-Jährigen, die sie damals war, ihr Charakter entwickelt sich nicht weiter.
Was haltet ihr eigentlich davon, dass Alfredo Marcela geliebt hat? Das er ihr dankbar war, kann ich nachvollziehen, doch Liebe?!
 

Sassenach123

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Wie ihr schon geschrieben habt, es gibt keine neuen Erkenntnisse, es ist so wie bereits vermutet. Ein wenig enttäuscht bin ich darüber zwar, allerdings war es die ganze Zeit darauf ausgelegt wie mir scheint, es war nur der Rahmen um die Botschaft zu überbringen, und das sehr anschaulich und extrem überspannt. Das Konzept hätte sicher genauso gut funktioniert, ohne die Zerstückelung, die auch für mich sehr grenzwertig war.
Der einzige Moment als Carmen geweint hat, war, als die Polizei mitteilte was geschehen war. Diese Tränen waren wohl Tränen der Erleichterung, weder sie noch Julian wollten tagelang warten bis alles öffentlich ist, denn ab da war es absehbar, dass sich alles wieder normalisiert für die beiden.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich hoffe (einfach für meinen eigenen Seelenfrieden), dass es eine Vater-Liebe war, also nichts Körperliches.
Es klingt für mich schön und angenehm, keiner greift über oder nimmt Rechte für sich in Anspruch. Ich würde von einer platonischen Liebe sprechen. Marcela weiß im Grunde (wenn sie es nicht gleich wieder vergisst), dass Alfredo bald sterben wird und alt ist. Alfredo kennt die Schwächen seiner Freundin und wiederholt deshalb seine Empfindungen immer wieder. Körperliches sehe ich da auch nicht. Für mich wäre das Thema "Liebe" zwischen den beiden auch entbehrlich gewesen. Stören tut es mich aber auch nicht.
 

Barbara62

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Ich empfinde das Buch nicht nur als Plädoyer für eine liberale Abtreibungspolitik, das ist mir zu eng. Sicher, Ana hätte eine fachmännisch durchgeführte Abtreibung höchstwahrscheinlich überlebt. Aber bei einer anderen moralischen Ausrichtung der Gesellschaft wäre eine Abtreibung vielleicht gar nicht nötig gewesen: Aufklärung, Zugang zu Verhütung, Akzeptanz einer jungen, unverheirateten Mutter. Das sind für mich die wichtigsten Ansätze, denn eine Abtreibung soll in meinen Augen immer nur eine Notlösung für Ausnahmefälle sein.
 

Literaturhexle

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Aber bei einer anderen moralischen Ausrichtung der Gesellschaft
Da hast du unbedingt Recht! Julian und Carmen stehen ja nicht nur für die Kirche, sondern für die ganze scheinheilige Gesellschaft. Die "Sünde" begehen immer nur die Frauen - als ob die Männer mit ungewollten Schwangerschaften NICHTS zu tun hätten. Das ist so verlogen, dass man kreischen könnte!
 

Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Ich empfinde das Buch nicht nur als Plädoyer für eine liberale Abtreibungspolitik, das ist mir zu eng. Sicher, Ana hätte eine fachmännisch durchgeführte Abtreibung höchstwahrscheinlich überlebt. Aber bei einer anderen moralischen Ausrichtung der Gesellschaft wäre eine Abtreibung vielleicht gar nicht nötig gewesen: Aufklärung, Zugang zu Verhütung, Akzeptanz einer jungen, unverheirateten Mutter. Das sind für mich die wichtigsten Ansätze, denn eine Abtreibung soll in meinen Augen immer nur eine Notlösung für Ausnahmefälle sein.
Ana "darf" das Kind nicht nur nicht bekommen, sie will es auch nicht (S. 130). Ich vermute, sie hätte auch unter anderen Umständen abgetrieben. Ich fand, dass sie (nach Marcelas Erinnerung) erstaunlich abgeklärt wirkt. Obwohl sie immer wieder auf Juliáns Beistand hofft, macht sie sich keine Illusionen, dass sie ernsthaft auf ihn bauen könnte. Aber vernünftige Aufklärung im Vorfeld, einschließlich Zugang zu Verhütungsmitteln, hätten wahrscheinlich das ganze Unheil verhindert.