4. Leseabschnitt: Seite 241 bis 313 (Ende)

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Auch ich habe den Roman nun beendet und hatte ein paar Gänsehautmomente und Passagen, in denen ich den Kopf geschüttelt habe. Ein beachtliches Spektrum also. Hier in der Leserunde ging ja ziemlich die Post ab, die Beiträge waren interessant zu lesen, der Austausch hier sehr lebendig. Zu dem hier bereits Geschriebenen wollten mir keine weiteren Ergänzungen einfallen. Der Roman samt Entstehungsgeschichte haben mich jedoch sehr beeindruckt. Einfach geschrieben, aber lebendig und authentisch.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Auf der Flucht habe ich mitgefiebert und die Daumen gedrückt, war froh als die Vodáks in Deutschland angekommen sind. Und fand es ungeheuer schade und traurig, dass sie nie ankommen konnten. Aber auch verständlich.
Das ging mir beim Lesen ebenso. Die Flucht ließ mich mitfiebern, die Ankunft in Deutschland war alles andere als glücklich. Ich versuche nicht zu urteilen über Pavels Entscheidungen, der Schwiegermutter weder etwas von der Flucht noch von ihrer schweren Krankheit zu erzählen. Aus heutiger Sicht eigentlich undenkbar, damals war vieles anders, insbesondere im Hinblick auf die Diktatur, die nach dem Prager Frühling überall so richtig aufdrehte. Pavels Stellung, wenn nicht gar seine Freiheit oder sein Leben und auch die Freiheit seiner Familie war gefährdet, das darf man nie vergessen, wenn man wertet. Andererseits ist es durchaus despotisch von ihm, die alte Frau im Unklaren zu lassen.

Für mich ist es ein trauriges und äußerst realistisches Ende.
Kein Mitglied der Familie ist dort angekommen, auch Pavli nicht, denn sie hat letztlich ihre Wurzeln verloren.
 
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KrimiElse

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26. Januar 2019
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Seine Frau darf nicht arbeiten: "Auch in einem Land, dessen Freiheit er stets bewunderte, gibt es Grenzen".
Das ist etwas, was sich viele Frauen aus dem Ostblock nicht vorstellen konnten. Denn Arbeit bedeutete eigenes Geld, Unabhängigkeit, Anerkennung und vor allem Gleichberechtigung. Auch wenn es letztlich darauf hinauslief, dass Frauen arbeiteten und zusätzlich den Haushalt schmissen (denn die Haushalt- und Erziehungsteilung war im Osten nicht normal), sehe ich das als großes Plus für Frauen. Verständlich dass das für Vera einen Identitätsverlust bedeutete.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Überhaupt empfinde ich den Roman als sehr zeitlos. Das Empfinden Pavels in der Zeit der Unterdrückung, die Flucht selbst, die Schwierigkeiten beim Ankommen und bei der Eingewöhnung im neuen Land, dies alles hat allgemeingültigen Charakter. Wenn man dann erst Jahre in der neuen Heimat lebt, verliert man den Anschluss an die alte. Das schildern viele Migranten: Dass sie nirgends zu Hause sind, dass sie ihre Wurzeln verloren haben.
Das hast du schön geschrieben.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Das ist neben der individuellen Geschichte und der Lektion über den Prager Frühling das, was ich aus diesem Buch mitnehme. Flucht ist nie eine leichte Entscheidung und das Leben danach auch nicht einfach. Das sollten sich alle bewusst werden, die leichtfertig über Flüchtlinge schimpfen, die sich angeblich ins gemachte Nest setzen.
Das Buch sollte Pflichtlektüre an Schulen werden. Ich lege es auf jeden Fall den Teilnehmern meines Lesekreises ans Herz. Und es würde sich dort auch als Diskussionsthema eignen.
Das Buch stand ja schon länger auf meiner imaginären Leseliste und ich bin froh, dass wir es hier gemeinsam gelesen haben. Die Teilnahme der Autorin war natürlich noch ein zusätzliches Bonbon.
Ich habe das Buch und das zugehörige Sachbuch vergangenes Wochenende gekauft und verschenkt. An meinen Vater. Er hat mit dem Sachbuch am selben Tag begonnen und hat mir abends noch geschrieben, wie toll er das findet.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Ja, das ist schon gelaufen - mit erstaunlichem Erfolg. Bei der ersten Lesung war es an einem Gymnasium. Die Lehrer hatten die gesamte Oberstufe (EF, Q1, Q2 - so nennen die sich in NRW) in die Aula verfrachtet. Zu Beginn war ich skeptisch, denn die Schülerinnen und Schülern wirkten erst desinteressiert und pubertär rebellisch. Nachmittagsunterricht mit einer Lesung - uncool!!!
Nach wenigen Minuten aber konnte man eine Stecknadel fallen hören. Ich hatte den Beamer genutzt mit einigen Fotos die Texte untermalt. Ich habe quasi ein Kopfkino bei den Jugendlichen in Gang gesetzt, sie in die Person des Pavel versetzt. Sie haben ausnahmslos mitgefiebert und waren sehr empfänglich für die Themen Freiheit, Flucht usw.
Tolle Diskussion im Anschluss. Ich war sehr überrascht und hatte da große Freude dran.
Ähnlich war es auch an zwei weiteren Schulen. In einer Lesung saß eine junge Syrerin, die total geflasht war und ihr Leben auch aufschreiben will. Sie kam später sogar mit ihrer Mutter zu einer meiner "richten" Lesungen in einer Buchhandlung. Toll!

Es waren auch zwei weiteren Lesungen in Schulen geplant, aber Corona kam und durchkreuzte die Pläne.
Interesse scheint also zu bestehen und ich folge gerne solchen Einladungen. Aber aktuell scheint mir, dass die Schulen mit Corona genug zu tun haben und Lesungen da kein Thema sind.

Grundsätzlich - da spreche ich jetzt für den Bekanntenkreis meiner jugendlichen Kinder - sind die Rückmeldungen von jungen Lesern sehr positiv.
Ich denke, es ist leicht geschrieben, daher kommen Jugendliche damit klar.

Was mich total geflasht hat: In der Abirede letztes Jahr hat ein Abiturient auf dem Gymnasium, wo ich einst mein Abi machte, sogar aus dem Roman zitiert. Die Szene mit dem Lehrer, der prägt....
Das hat mich sehr berührt und auch stolz gemacht. Aber man sollte fairerweise bedenken, dass dieses Gymnasium natürlich nicht neutral ist, sondern mit mir als ehemalige Schülerin u.a. auf der Homepage warb und der Roman da auf ein ganz anderes Interesse stieß.
Heimspiel ;-))))))))
Ich werde das Buch noch meiner großen Nichte in Berlin schenken, ich denke, die wird begeistert sein. Und ihr von der äußerst erfolgreichen Lesung erzählen. Wer weiß, was daraus wird.
 

KrimiElse

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Ich ärgere mich gerade über Pavel. Er hat seiner Schwiegermutter verheimlicht, dass sie unheilbar an Krebs leidet. Er hat ihr verheimlicht, dass sie nie wieder zurückkehren wird.
Das ist der erste Impuls, natürlich. Aber es bestand wegen seiner Konspiration mit den Verfassern der 2000 Worte große Gefahr für alle Familienmitglieder. Ich kenne Menschen aus meinem Umfeld, die im Osten aus weit geringeren Gründen jahrelang weggesperrt wurden, auch Familienangehörige.
 

KrimiElse

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Ich muss an der Stelle ein Lob an Sandra Bröckel aussprechen. Es ist toll, dass sie Pavel so facettenreich gezeichnet hat. Er ist eine vielschichtige Persönlichkeit mit vielen Seiten. So wie jeder Mensch. Und sie hat es ganz toll hingekriegt, dem Leser das zu zeigen. Und nicht nur zu nüchtern aufzuzeigen. Sie schafft es auch, die entsprechenden Gefühle und Reaktionen auf diese Seiten beim Leser auszulösen.
Ja, das ist wirklich ganz großartig gelungen.
 
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KrimiElse

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26. Januar 2019
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Es ist - glaube ich - ein Unterschied, mit welchem Ziel ein Roman geschrieben wird. Ich hatte NICHT das Ziel, einen erfolgreichen Roman zu schreiben, sondern das Ziel der therapeutischen Aufarbeitung. Das Buch/der Roman war quasi eine Art von Nebenprodukt (ein sehr schönes!), das dabei entstand....
Genau deshalb ist das Buch so gut. Ein Roman, der mit Hoffnung auf Erfolg geschrieben wird, würde anders ausgefallen sein. Danke, dass du genau das nicht gemacht hast, es wäre nicht mein Fall gewesen.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Wer bin ich denn, dass ich über einen anderen urteilen könnte?? Ich bin doch dessen Lebensweg nicht gegangen... ;-)))))
Wow, und auch dafür danke. Genau das fällt vielen Menschen sehr schwer, und manche kommen nicht auf die Idee, dass genau das die Basis für Akzeptanz anderer Menschen ist.
 

KrimiElse

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26. Januar 2019
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Kleine Rückmeldung noch von mir zum Verhalten der DDR beim Prager Frühling. Mein Papa hat mir vorgestern in Erfurt erzählt, dass DDR-Soldaten die Grenze überschritten, aber kurz hinter der Grenze blieben. Es gab keine DDR-Panzer in Prag. Er hat sogar seinen tschechischen Freund Vladja angerufen, der das bestätigte, dass keine DDR-Panzer in Prag gewesen sind. Mein Vater war zum Jahrestag des Prager Frühlings (ich weiß nicht ob 2008 oder 2018) zur Ausstellung zum Prager Frühling auf dem Wenzelsplatz. Er meinte, aus den senkrechten Balken auf den Panzern wurden Hakenkreuze gemalt, das zeigten auch die Fotos und Vladja hat das ebenso bestätigt.
Was den Zutritt zu Kasernen/Panzern anging, die 1968 in der DDR stationiert waren, so sagte er, dass es zwar denkbar, aber sehr kompliziert und höchstens ganz vereinzelt und heimlich möglich gewesen wäre, Kontakt zu den Soldaten aufzunehmen und sie zu bitten nicht zu schießen (Wir lebten damals alle in Plauen, unweit der Tschechischen Grenze). Es gab keine Information, die Soldaten waren völlig abgeschottet (Einschließlich totaler Urlaubssprerre) und wussten selbst überhaupt nicht, wohin sie geschickt wurden. Das weiß er von einem Freund, der 1968 bei der NVA gewesen ist.
Es war am Samstag ein richtiges Gänsehautfeeling für mich, das Buch und die Geschichten meines Vaters, und dann noch das Telefonat mit Vladja.
Meine Mama frage ich noch zu ihrer Prager Freundin Jana, die am 21.8.1968 bei ihr war, und schreibe das hier, da gab es noch keine Gelegenheit.