4. Leseabschnitt: Seite 224 bis 307 (Ende)

claudi-1963

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29. November 2015
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Ich habe das Ende als vergleichsweise stark empfungen. Endlich bekommen wir konkrete Eindrücke und werden nicht mit endlosen Montologen abgefertigt, die Stichworte enthalten von Ereignissen, die mir unbekannt sind.
Das sehe ich aber nicht als das Ende an, den das ist ja die Zusammenfassung der Übersetzerin. Für mich ist das Ende, das Ende der Geschichte und das kann ich nicht als stark empfinden. Den es lässt mich wieder mit zu vielen Fragen zurück.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Für mich ist das Ende, das Ende der Geschichte und das kann ich nicht als stark empfinden.
Natürlich meine auch ich das Ende der Geschichte und nicht die Anmerkungen der Übersetzerin.
Das Ende hat mir tatsächlich gefallen, weil es wieder im Hier und Jetzt spielt. Außerdem gefällt mir der Blick auf den Straßenmusikanten, diese Zweideutigkeit, die sich daraus ergibt.
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Natürlich meine auch ich das Ende der Geschichte und nicht die Anmerkungen der Übersetzerin.
Das Ende hat mir tatsächlich gefallen, weil es wieder im Hier und Jetzt spielt. Außerdem gefällt mir der Blick auf den Straßenmusikanten, diese Zweideutigkeit, die sich daraus ergibt.
Ahh ok ich hatte das anders verstanden. Mir gefällt halt nicht, das man so nicht mal weiß ob es nun Zisk ist der da spielt oder nicht und was mit der Dolmetscherin geschehen ist. Wenn das für dich Zweideutigkeit ist, dann ist es das nicht was mit gefällt. :)
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Ein sehr starker Aufruf für die individuelle Verantwortung für das politische/gesellschaftliche Geschehen und gegen "Willenlosigkeit und Passivität"!

Da fand ich den Roman sehr ausdrucksstark, ein deutlicher Appell, den man sicher auch auf das eigene Leben anwenden kann. Auch wenn wir hier nicht in so einem System leben wie dem im Buch geschilderten, sollte man meines Erachtens trotzdem seine politische Verantwortung nicht vergessen – das fängt beim Wählen-Gehen an.

Und so führt eine Diktatur zwangsläufig dazu, die Zukunftsfähigkeit des Landes langfristig zu untergraben. Das ist eine starke Aussage, die das Buch für mich allerdings überzeugender und besser konstruiert hätte aufzeigen können. Ich bleibe wohl ein wenig enttäuscht und unüberzeugt zurück.

Oh, das habe ich tatsächlich ganz anders empfunden, ich fand diese Aussage sehr deutlich und überzeugend!

Man sieht ja, wie die jungen Menschen in diesem Land entweder stumpf die Augen vor allem verschließen, wie Zisks Ex-Freundin, verzweifeln und aufgeben wie Stass oder das Land verlassen, wie Zisk es vorhatte. Keiner der jungen Charaktere führt hier wirklich ein erfülltes, glückliches Leben, und keiner davon hat eine Zukunft, die über das reine Schuften und Katzbuckeln vor dem Regime hinausgeht. Und wenn die junge Generation keine Zukunftsaussichten hat, wer dann?

Unklar bleibt, ob die Wahlergebnisse gefälscht sind (meine Theorie) oder ob viele so resigniert oder eingeschüchtert sind, dass sie den Präsidenten weiterhin wählen.

Ich gehe davon aus, dass die Wahlergebnisse gefälscht sind, und dass sie das jedes Jahr seit der ersten Wahl waren. Es wird ja eigentlich nicht mal geleugnet.

Stass war ja eigentlich die ganze Zeit offen gegen das Regime, brachte seinen Unmut deutlich vor und musste am Ende erkennen, dass er seinen eigenen Werten nicht mehr gerecht wurde, als er seinen Adoptivsohn weggab. Was bleibt da noch?

Der Selbstmord von Stass hat mich überrascht. Allerdings wird gerade auf den letzten Seiten auch deutlich, dass er nicht mehr viel im Leben hat und sich auch Vorwürfe wegen des Adoptivsohnes macht.

Die Geschichte mit dem Adoptivsohn hat mich schockiert. Dass Stass da von sich selbst mehr als enttäuscht war, ist verständlich.

Das sich Stass am Ende umbringt, überrascht mich und ist wirklich sehr traurig. Ob es wohl deshalb war, weil er wusste das Zisk nach Deutschland gehen möchte? Oder hat er sich zu viele Vorwürfe wegen seiner Ehe und der Adoption gemacht?

Ich denke, seine Schuldgefühle wegen seines Adoptivsohns waren das Ausschlaggebende, aber auch sonst hatte er, wie Milky sagt, nicht mehr viel, was ihn aufrechterhielt. Vermutlich wäre es über kurz oder lang auch ohne den Adoptivsohn so geendet, weil ihm kein anderer Weg mehr blieb.

Und das Ende, tja, es bleibt eben offen, ob Zisk das Attentat auch noch erleiden muss (was schon recht unwahrscheinlich wäre) oder diesmal der Katastrophe entkommt. Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll.

Falls Zisk bei diesem Attentat umkam, würde sich da ja quasi der Kreis schließen. Dann wären die Jahre zwischen den beiden Attentaten nur geborgte Zeit gewesen – gerade genug, um zu erkennen, wie krank das System wirklich ist. Ich finde eigentlich ganz gut, dass es offenbleibt, so kann man sich verschiedene Möglichkeiten vorstellen, wie die Geschichte endet.

Vom Literarischen her aber hat mich das Buch nicht überzeugt ( sprachlich, Aufbau, Figurenzeichnung).

Ich habe mich erst etwas schwergetan mit dem Plakativen, mit der übersteigerten Charakterzeichnung, aber im Endeffekt hat es mir sogar gefallen, denn es zeigt sehr gut, wie absurd dieses System ist.

Trotz meiner Vorbehalte ist für mich „ Der ehemalige Sohn“ ein wichtiges Buch. Die Kritik an den Zuständen in Belarus ist mehr als berechtigt und wenn ein junger Mensch in diesem Land keine Zukunft für sich sieht, ist das verständlich. „ Ein Koma reicht mir.“

Absolut. Ich kann jungen Menschen, die das Land verlassen, keinen Vorwurf machen. Vor allem, wenn sie selber erlebt haben, dass Proteste nichts bringen, sondern nur gewaltsam niedergeschlagen werden.

Gefallen hat mir auch, dass Filipenko aus seiner Hauptfigur keinen Helden macht, sondern einen Menschen, der bei Gefahr Angst hat und flüchtet. Diktaturen sind eh kein Länder für Helden, sie machen höchstens Märtyrer aus ihnen. Beispiele führt er einige an.

Ja, das hat mir auch gut gefallen! Aber Zisk selber hadert natürlich mit sich, was ich gut verstehen konnte. Gerade als junger Mensch will man doch in so einer Situation mutig sein und helfen, das ungerechte System zu sprengen, da muss man sich dann erstmal selber verzeihen, wenn man das nicht kann.

Ich denke, ich habe die politische Message verstanden. Die Demonstration, die Repressalien, die ungeklärten/vertuschten Todesfälle, die Verzweiflung von Stass und Zisk.... All das hat mich erreicht und ich finde auch das offene Ende mit dem Straßenmusikanten, bei dem man sich durch das "ich" nicht ganz sicher sein kann, dass es sich um Franzisk handelt gelungen.

Ich hatte hier eher das Gefühl, dass es sich um Filipenko selbst handelt, der hier durch das "Ich" spricht

Ich hatte auch den Eindruck, dass "Ich" sei der Autor. Ich habe es so verstanden, als habe es diesen Straßenmusikanten wirklich gegeben, und er sei dann später zum Vorbild für Zisk geworden.

Mit zunehmendem Abstand gewinnt das Buch immer mehr. Es ist einerseits die realistische Zustandsbeschreibung eines Landes und seiner Bewohner, gleichzeitig lese ich es als Parabel.

Absolut, so wirkt es auf mich auch.

Die überzogenen Charaktere sind gewollt, ebenso wie das Surreale. Aber gerade das hat mir den Zugang zum Buch verstellt. Schade!

Das sowieso, doch mir waren die Figuren fast ein bisschen zu überspitzt dargestellt. Manchmal ist weniger mehr.

Die Figuren sind wirklich sehr, sehr übertrieben, gerade dadurch gewinnt der Roman für mich aber den Charakter eines satirischen Schelmenstücks. Manchmal fand ich es auch ein wenig zu viel des Guten, aber im Großen und Ganzen war es für mich schlüssig.

Ich denke Zisk sieht im Grunde nach den 10 Jahren, das was ein Außenstehender sehen würde, wenn er mehr Einblick in das Land bekommen würde. Von daher ist es sehr gut umgesetzt mit dem Komapatienten.

Ganz genau. Und Zisk muss im Grunde erkennen, dass er aus dem Koma erwacht ist, nur um in einer anderen Art von Koma zu landen.
 

parden

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13. April 2014
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Eine Parabel - das schrieb ich ja bereits nach dem 2. Abschnitt. Und der Eindruck blieb jetzt bis zum Schluss, weshalb die eher plakative Zeichnung der Charaktere irgendwie auch passend ist. Was für ein düsteres Bild, welch eine Hoffnungslosigkeit, die ein ganzes Land durchzieht. Das eine Koma gegen das nächste getauscht, und die Aussicht auf ein Erwachen gibt es nicht. Der Selbstmord von Stass hat mich doch überrascht, aber im Grunde - was gibt es für Auswege? Das Ende offen - und eigentlich auch nicht wichtig. Denn egal was zum Schluss passiert: Zisk kommt bei dem Anschlag um oder er geht tatsächlich nach Deutschland - es sind die einzigen Möglichkeiten, der bedrückenden Situation im Land zu entkommen, nämlich Tod oder Flucht. Bonjour Tristesse...