4. Leseabschnitt: Seite 224 bis 307 (Ende)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Franzisk muss sich in seiner neuen/alten Umgebung zurechtfinden. Seine Familie hat sich komplett verändert. Seine Wohnsituation hat sich komplett verändert. Sein Freundesreis hat sich komplett verändert. Aber in Stass findet er zunächst mal wieder einen Kumpel als Begleiter. Die Protestaktionen gegen die Wahl des Präsidenten machen sie beide mit. Dazu hat Franzisk eine ganz klare Meinung und sieht seine Verpflichtung dazu. Er sagt zu seiner Mutter / zur Generation seiner Eltern im allgemeineren Rahmen:
[zitat]Wir können nichts dafür, dass wir uns auf den Platz stellen müssen, das ist Eure Schuld! Fünfzehn Jahre lang habt ihr nichts gemacht! Du hast nichts dafür unternommen, dass ich heute zu Hause bleiben könnte! [/zitat]
Ein sehr starker Aufruf für die individuelle Verantwortung für das politische/gesellschaftliche Geschehen und gegen "Willenlosigkeit und Passivität"!
Die Proteste haben allerdings keinen Erfolg und auf der Suche nach Auswegen und Perspektiven wählt Stass den bestimmt destruktivsten des Suizids, Franzisk sieht einen Ausweg in seiner alten Beziehung nach Deutschland - die Ausreise, ein Weg, den so viele gute Leute des Landes gewählt haben und wählen.
Aber Lebenshunger und ein diktatorisches Regime, das mit Zwang und wenig Freiheiten agiert, sind eben zwei Dinge, die sich ausschließen. Und so führt eine Diktatur zwangsläufig dazu, die Zukunftsfähigkeit des Landes langfristig zu untergraben. Das ist eine starke Aussage, die das Buch für mich allerdings überzeugender und besser konstruiert hätte aufzeigen können. Ich bleibe wohl ein wenig enttäuscht und unüberzeugt zurück.
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Ich habe vorhin den letzten Abschnitt beendet und muss nun das Gelesene erst mal sacken lassen.

Mir hat es gut gefallen, dass sich Zisk an dem Protest beteiligt. Wie erwartet, wird diese Art Demonstration aber brutal niedergeschlagen. Unklar bleibt, ob die Wahlergebnisse gefälscht sind (meine Theorie) oder ob viele so resigniert oder eingeschüchtert sind, dass sie den Präsidenten weiterhin wählen. Zudem erfährt man, dass auch immer noch Leute seine Politik verteidigen.

Der Selbstmord von Stass hat mich überrascht. Allerdings wird gerade auf den letzten Seiten auch deutlich, dass er nicht mehr viel im Leben hat und sich auch Vorwürfe wegen des Adoptivsohnes macht.

Und das Ende, tja, es bleibt eben offen, ob Zisk das Attentat auch noch erleiden muss (was schon recht unwahrscheinlich wäre) oder diesmal der Katastrophe entkommt. Ich weiß noch nicht, wie ich das finden soll.

Hat jemand eine Ahnung, wer die Dolmetscherin ist? Muss man sie kennen? Ich weiß, dass sie schon mal im Roman bei dem deutschen Sextouristen auftaucht, aber ist klar, ob sich die beiden wirklich kannten? Soll das die aus dem Krankenhaus sein?

Ich mache mir dann noch Gedanken, wie ich den Roman in Gänze finde.
 

RuLeka

Bekanntes Mitglied
30. Januar 2018
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Hat jemand eine Ahnung, wer die Dolmetscherin ist? Muss man sie kennen? Ich weiß, dass sie schon mal im Roman bei dem deutschen Sextouristen auftaucht, aber ist klar, ob sich die beiden wirklich kannten? Soll das die aus dem Krankenhaus sein?
Im Krankenhaus war eine Dolmetscherin notwendig, als die deutsche Familie zu Besuch war. Das würde heißen, dass Zisk in seinem Koma alles mitbekommen hat, was um ihn herum geredet wurde.
Ich bleibe wohl ein wenig enttäuscht und unüberzeugt zurück.
Geht mir genauso. Ich bewundere den Mut, mit dem der Autor hier die wesentlichen Probleme seines Landes anspricht. Dass das Buch in Belarus nur unter der Hand erhältlich ist, überrascht mich nicht. Vom Literarischen her aber hat mich das Buch nicht überzeugt ( sprachlich, Aufbau, Figurenzeichnung).
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Trotz meiner Vorbehalte ist für mich „ Der ehemalige Sohn“ ein wichtiges Buch. Die Kritik an den Zuständen in Belarus ist mehr als berechtigt und wenn ein junger Mensch in diesem Land keine Zukunft für sich sieht, ist das verständlich. „ Ein Koma reicht mir.“
Gefallen hat mir auch, dass Filipenko aus seiner Hauptfigur keinen Helden macht, sondern einen Menschen, der bei Gefahr Angst hat und flüchtet. Diktaturen sind eh kein Länder für Helden, sie machen höchstens Märtyrer aus ihnen. Beispiele führt er einige an.
Kritik am Westen gibt es auch. Sanktionen schädigen zwar das Land, doch westliche Sextouristen bringen mehr Geld herein als irgendwelche Firmen. Und „ Für die Europäer sind wir Menschen zweiter Klasse aus einem Dritte- Welt- Land. Alle sagen immer nur, man müsse helfen,..., aber sobald es um das Thema Visum geht - ziehen sie zwischen uns eine riesige Panzerglasscheibe hoch.“
Wer ist eigentlich dieses „ Ich“ am Ende? Der Autor, der Franziska beim Cellospiel zugehört hat?
 

milkysilvermoon

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13. Oktober 2017
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Das würde heißen, dass Zisk in seinem Koma alles mitbekommen hat, was um ihn herum geredet wurde.

Aber würde das dann nicht bedeuten, dass er auch von Stass und Nastja zum Beispiel wusste? Alles kann er nicht mitbekommen haben. Zudem wäre er nicht überrascht, dass zehn Jahre vergangen sind usw. Deshalb meine Verwirrung...
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Bitte schreibt euer Fazit über das Buch als Ganzes doch bitte in den nächsten Abschnitt;)
Das ist der Link, den die Verlage gerne lesen, dort muss KEIN Link zur Rezension stehen. Danke!
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Bitte schreibt euer Fazit über das Buch als Ganzes doch bitte in den nächsten Abschnitt;)
Das ist der Link, den die Verlage gerne lesen, dort muss KEIN Link zur Rezension stehen. Danke!
Bin noch nicht ganz am Ende mit meinem Fazit. Das waren erstmal Überlegungen zum letzten LA. Eventuell werde ich mich dort wiederholen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Das darfst du gerne. Ich wollte nur drauf hinweisen, weil sich in letzter Zeit die ausschließliche Verlinkung zur Rezi eingebürgert hat;)
Mir war auch nicht bewusst , dass die Verlage v.a. hier nachlesen . Dann sollte das Fazit etwas ausführlicher begründet sein . Danke für den Hinweis.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Mir war auch nicht bewusst , dass die Verlage v.a. hier nachlesen . Dann sollte das Fazit etwas ausführlicher begründet sein . Danke für den Hinweis.
Richtig ausformuliert wird ja in der Rezension. Hier darf man durchaus spontan sein (das ist ja manchmal aussagekräftiger als das Wohldurchdachte;)).
 
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ThomasWien

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19. März 2021
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Wien
Der letzte LA hat mich ein wenig enttäuscht zurückgelassen. Irgendwie war die Kraft aus dem Buch raus. Mal sehen wie mein Fazit und meine Rezi ausfällt.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Alles, was ihr oben geschrieben habt, ist richtig. Ich habe das Ende als vergleichsweise stark empfungen. Endlich bekommen wir konkrete Eindrücke und werden nicht mit endlosen Montologen abgefertigt, die Stichworte enthalten von Ereignissen, die mir unbekannt sind.
Zuvor habe ich die Skurrilität kritisiert. Was es eher trifft, ist das Surreale - diese Vokabel taucht im Buch selbst sogar auf.

Ich denke, ich habe die politische Message verstanden. Die Demonstration, die Repressalien, die ungeklärten/vertuschten Todesfälle, die Verzweiflung von Stass und Zisk.... All das hat mich erreicht und ich finde auch das offene Ende mit dem Straßenmusikanten, bei dem man sich durch das "ich" nicht ganz sicher sein kann, dass es sich um Franzisk handelt gelungen.

Aber was war davor? Das Ende rettet für mich nicht das ganze Buch.
 
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Xirxe

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19. Februar 2017
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Was für ein Ende! Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Angst und Hoffnungslosigkeit den Menschen so die Kraft raubt, dass sie nur noch resignieren. Stass war ja eigentlich die ganze Zeit offen gegen das Regime, brachte seinen Unmut deutlich vor und musste am Ende erkennen, dass er seinen eigenen Werten nicht mehr gerecht wurde, als er seinen Adoptivsohn weggab. Was bleibt da noch?
Und Zisk erkennt wohl, dass sein Weg ähnlich verlaufen und er irgendwann auch zu den Menschen mit den grauen Gesichtern gehören wird, die niemals lachen.
Im Nachhinein betrachtet ist die Idee mit dem Koma wirklich gut umgesetzt. Die Menschen in Belarus sind in dieses zunehmend lähmende System hineingewachsen, ganz langsam über 10 Jahre und es hat ihnen immer mehr die Energien geraubt, während Zisk mit seiner ganzen Energie von damals plötzlich mittendrin stand. Und während Stass 'nur' noch die Kraft hatte sich umzubringen, ist Zisk noch in der Lage auszuwandern.
Das offene Ende finde ich wie @Literaturhexle gut gelungen - ist der Ich-Erzähler ein Unwissender und Zisk der Strassenmusiker?
Eine wirklich gute Geschichte, wenn auch nicht ganz so gut erzählt wie 'Rote Kreuze'. Aber für vier Sterne wird es auf jeden Fall reichen ;)
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Mit zunehmendem Abstand gewinnt das Buch immer mehr. Es ist einerseits die realistische Zustandsbeschreibung eines Landes und seiner Bewohner, gleichzeitig lese ich es als Parabel. Die Figuren sind weniger authentische Personen, sondern stehen stellvertretend für bestimmte Haltungen.
Das Koma von Franzisk steht für die Lähmung eines ganzen Landes. Für die Jugend besteht keine Zukunft in diesem Land. Entweder sie arrangieren sich und werden wie ihre Eltern ( bezeichnend dass die vorige Generation, die der Großmutter, anders gezeichnet wurde ), oder sie verlassen das Land - durch Selbstmord oder Ausreise .
brachte seinen Unmut deutlich vor und musste am Ende erkennen, dass er seinen eigenen Werten nicht mehr gerecht wurde, als er seinen Adoptivsohn weggab. Was bleibt da noch?
Die Geschichte mit dem Adoptivsohn hat mich schockiert. Dass Stass da von sich selbst mehr als enttäuscht war, ist verständlich. Aber auch hier hat der Autor es vermieden, seine Figuren zu Helden zu machen.
@Xirxe hat das Ende sehr gut auf den Punkt gebracht.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Menschen in Belarus sind in dieses zunehmend lähmende System hineingewachsen, ganz langsam über 10 Jahre und es hat ihnen immer mehr die Energien geraubt
Ja, so sehe ich das auch. Lukaschenko ist ja bereits 1994 an die Macht gekommen (das war die einzige Wahl, die er Kritikern zufolge legal gewonnen hat).
Mit zunehmendem Abstand gewinnt das Buch immer mehr
Das kann es aber nur, weil es dich in seiner speziellen Art erreicht hat;)
gleichzeitig lese ich es als Parabel.
Das passt absolut. Die überzogenen Charaktere sind gewollt, ebenso wie das Surreale. Aber gerade das hat mir den Zugang zum Buch verstellt. Schade!
 
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claudi-1963

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29. November 2015
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Wie sich das Land und die Menschen politisch verändert haben, fand ich noch sehr interessant am Ende. Erschreckend für mich war vor allem der Protest, seine Folgen und besonders wie extrem Zisk darauf reagiert hat. Anderseits hatte ich nichts anderes erwartet. Es war doch schon immer so, das die Russen hart durchgreifen, wenn sie merken das die Bevölkerung gegen das Regime protestieren. So konnte ich auch gut nachvollziehen, das Zisk es in diesem Land nicht mehr aushält. Sehr unrealistisch jedoch empfand ich, das er so einfach ein Visum für Deutschland bekam. Wenn ich daran denke wie schwierig es für DDR Bürger war, dann kann ich mir kaum vorstellen, das es in Belarus besser gewesen ist. Selbst heute denke ich das es nicht so einfach sein wird, das junge Menschen ein Visum bekommen. Aber auch hier kreidet der Autor wieder einmal stark das russische, diktatorische System an.

Das sich Stass am Ende umbringt, überrascht mich und ist wirklich sehr traurig. Ob es wohl deshalb war, weil er wusste das Zisk nach Deutschland gehen möchte? Oder hat er sich zu viele Vorwürfe wegen seiner Ehe und der Adoption gemacht?

Und auch das erneute U-Bahn Unglück fand ich ein wenig übertrieben und hätte es für mich nicht gebraucht. Nun stehe ich am Ende wieder mit Fragen da, wie schon in einigen Büchern in letzter Zeit.
Was ist wohl aus der Dolmetscherin geworden, die er begleitet hat? Und ist der Musiker wirklich Zisk, der da am Ende spielt?
 

claudi-1963

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29. November 2015
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Aber würde das dann nicht bedeuten, dass er auch von Stass und Nastja zum Beispiel wusste? Alles kann er nicht mitbekommen haben. Zudem wäre er nicht überrascht, dass zehn Jahre vergangen sind usw. Deshalb meine Verwirrung...
Vielleicht hat er nicht alles mitbekommen oder er wollte es einfach von ihm selbst hören, damit er weiß das es stimmt was er mitbekommen hat?
Die Geschichte mit dem Adoptivsohn hat mich schockiert. Dass Stass da von sich selbst mehr als enttäuscht war, ist verständlich. Aber auch hier hat der Autor es vermieden, seine Figuren zu Helden zu machen.
@Xirxe hat das Ende sehr gut auf den Punkt gebracht.
Das hat mich auch etwas schockiert und trotzdem habe ich es nicht ganz verstanden warum es diese Geschichte noch gebraucht hat?
Die Figuren sind weniger authentische Personen, sondern stehen stellvertretend für bestimmte Haltungen.
Das sowieso, doch mir waren die Figuren fast ein bisschen zu überspitzt dargestellt. Manchmal ist weniger mehr.
 
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claudi-1963

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29. November 2015
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Was für ein Ende! Aber ich kann mir gut vorstellen, dass Angst und Hoffnungslosigkeit den Menschen so die Kraft raubt, dass sie nur noch resignieren. Stass war ja eigentlich die ganze Zeit offen gegen das Regime, brachte seinen Unmut deutlich vor und musste am Ende erkennen, dass er seinen eigenen Werten nicht mehr gerecht wurde, als er seinen Adoptivsohn weggab. Was bleibt da noch?
Und Zisk erkennt wohl, dass sein Weg ähnlich verlaufen und er irgendwann auch zu den Menschen mit den grauen Gesichtern gehören wird, die niemals lachen.
Im Nachhinein betrachtet ist die Idee mit dem Koma wirklich gut umgesetzt. Die Menschen in Belarus sind in dieses zunehmend lähmende System hineingewachsen, ganz langsam über 10 Jahre und es hat ihnen immer mehr die Energien geraubt, während Zisk mit seiner ganzen Energie von damals plötzlich mittendrin stand. Und während Stass 'nur' noch die Kraft hatte sich umzubringen, ist Zisk noch in der Lage auszuwandern.
Das offene Ende finde ich wie @Literaturhexle gut gelungen - ist der Ich-Erzähler ein Unwissender und Zisk der Strassenmusiker?
Eine wirklich gute Geschichte, wenn auch nicht ganz so gut erzählt wie 'Rote Kreuze'. Aber für vier Sterne wird es auf jeden Fall reichen ;)
Ich denke Zisk sieht im Grunde nach den 10 Jahren, das was ein Außenstehender sehen würde, wenn er mehr Einblick in das Land bekommen würde. Von daher ist es sehr gut umgesetzt mit dem Komapatienten. Trotzdem hat das Buch für mich schon ein paar Schwächen und ist für mich nicht in allem nachvollziehbar. Besonders die Sprache hat mir in einigen Szenen gar nicht gefallen.
 
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