So, jetzt habe ich die letzten 40 Seiten nochmal im wachen Zustand genossen
Eine wunderbar erzählte Geschichte mit so vielen Ebenen, so vielen Kleinigkeiten zu entdecken. Auch was
@ulrikerabe sagte, dass Edvard am Ende des Buches die Sichtweise der Mutter vom Anfang verstehen kann - wirklich trefflich zusammengeführt.
In diesem letzten Abschnitt wird der Schwung vom vorletzten überführt. Die Zeichen stehen auf Veränderung:[zitat]Das Leben ändert sich nicht an einem Tag. Aber eines Tages weiß man, dass es sich verändert hat.216[/zitat]
Edvards Rückblick, als er Elsie als 28jähriger von der Bank abholen will und sich dann dermaßen einschüchtern lässt von dem vermeintlich perfekten Kollegen.... Das empfand ich sehr traurig, kann seine Gefühle aber nachvollziehen, hat er doch im Dorf mit der Mutter eine ziemliche Einsiedelei betrieben, die ihm Minderwertigkeitskomplexe gemacht hat.
[zitat]Die Zeit war gegen mich. Ich habe mich nicht gewehrt, nahm alles, wie es kam.227[/zitat]
Das sagt soviel aus über Edward. Insofern kommt der Aufbruch zur rechten Zeit. Auf die Mutter muss er keine Rücksicht mehr nehmen und Elsie - ein Geschenk des Himmels - ist wieder da und frei.
In der Szene mit den Schulabsolventinnen steckt wohl auch ganz viel Alva drin. Sie sieht sich selbst wieder beim Blick auf das langzopfige Mädchen... Diese kleinen, sensiblen Erinnerungssplitter zeigen uns immer wieder eine Facette der beiden Hauptfiguren. Schön!
Auf Seite 239 fragt sich Edward, ob die Mutter ihm bewusst vom Tod des Vaters erzählt hat, um ihm seinen Vater zu retten? Also dass er beim Sohn weiterhin als Held und positiv besetzt existieren kann.
Ich kann mir das kaum vorstellen. Zu egoistisch war die Mutter über all die Jahre. Sie hat ihren Sohn komplett für sich vereinnahmt, ihm keine Liebe, kein eigenes Leben gegönnt. Aus meiner Sicht wollte sie den Vater verbannen, sie wollte keine Konkurrenz, wollte verhindern, dass sich Edvard irgendwann auf die Suche begibt. Tut mir leid, von der Mutter habe ich kein gutes Bild. Sie hat den Sohn mit ihrer Liebe erdrückt und keine Flügel gegeben.
[zitat]Immer hatte Alva daran geglaubt, dass sich Menschen begegnen, die füreinander bestimmt sind. Zufall ist keine Erklärung. 241[/zitat]
Ich glaube, jeder, der den/die Richtige(n) gefunden hat, möchte dieses Zitat inhalieren
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Die geschichtlichen Hintergründe fand ich spannend, sie waren mir weitgehend neu.
Das Ende des Romans lässt offene Stellen und das ist gut so, wie weiter oben schon ausgeführt wurde. Es wäre völlig unpassend gewesen, wenn sich nun alles in große Liebestaumel und geradlinige Lebensentwürfe aufgelöst hätte. Auch, wenn die beiden ein ganzes Stück weit zu sich und ihrem Weg gefunden haben, ist doch noch nicht alles ausgeräumt und gelöst. Es ist ein Anfang da. Mehr aber nicht.
Es war mir wie immer eine große Bereicherung, den Roman mit euch noch einmal gemeinsam zu lesen. "Noch alle Zeit" ist ein Buch, das man wohl in fast jedem Lebensalter lesen kann. Gewiss habe ich es nicht zum letzten Mal getan
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