4. Leseabschnitt: S. 358 bis S. 433 (Kapitel 17 bis 20)

MRO1975

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11. August 2018
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Ich hatte gestern ziemlich viel Zeit zum Lesen... ;)

1904: Während seiner Zeit in Zürich lernt Mathis Meta kennen. Meta tritt im Panoptikum als Kraftfrau auf. Wer sie besiegt, kann 50 Franken gewinnen. Viele Männer versuchen das und verlieren. Meta ist deshalb sehr umstritten und wird auch angefeindet, weil die Herren der Schöpfung es nicht vertragen, von einem Mädchen verhauen zu werden. Seltsam fand ich Mathis Entschluss, sich am Ende mancher Vorstellung, wenn Meta erschöpft scheint, als letzter Herausforderer zu opfern, damit Meta einen leichten Sieg hat. Als er ihr eines Abends folgt, um herauszubekommen, wohin sie nach den Vorstellungen immer verschwindet, wird Meta überfallen und Mathis geht dazwischen. Beide werden böse verprügelt, womit offenbar der Beginn ihrer Freundschaft gesäht wurde.

1935: Mathis und Meta finden Unterschlupf bei Evalyn Byrd. Sie versuchen herauszufinden, wohin die Artisten und Ernsti gebracht worden sind. Sie finden allerdings nichts heraus und sehen sich am Ende gezwungen, Thorak um Hilfe zu bitten. Thorak ermittelt, dass die Koloniebewohner in ein berüchtigtes Arbeitshaus gebracht worden sind. Doch Ernsti ist nicht bei ihnen.

Die wechselnden Zeitebenen enden jetzt fast wie Cliffhänger. Immer wenn es gerade wieder spannend ist, wechselt die Zeit.
 
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MRO1975

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11. August 2018
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In diesem Abschnitt kommt in Mathis der Verdacht auf, dass Ernsti nicht nur Fliegen zerdrückt, sondern auch für den Tod von Cassandra verantwortlich sein könnte. Allerdings traut er sich nicht, das Meta anzuvertrauen. Er fürchtet, dass sie nur ausrasten würde. Dabei wäre das doch Grund genug, Meta die Augen zu öffnen. Wie soll das denn weitergehen? Wenn sie Ernsti finden, können sie doch nicht einfach weiter machen wie bisher!
 

Literaturhexle

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In diesem Abschnitt kommt in Mathis der Verdacht auf, dass Ernsti nicht nur Fliegen zerdrückt, sondern auch für den Tod von Cassandra verantwortlich sein könnte. Allerdings traut er sich nicht, das Meta anzuvertrauen.
Mathis deutet es nur dadurch an, dass Ernstis Liebe zu Schuhen und Schnallen bekannt ist. Schließlich hat er schon einmal ein Mädchen massakriert, um ihre Schnallen zu bekommen... (Das wurde nie bewiesen, aber der Verdacht liegt sehr nahe. Das weiß auch Meta.)
Für den Moment scheint Meta da schon erschrocken zu sein. Doch sie scheint es schnell wieder zu vergessen.

In diesem Abschnitt wird auch deutlich, warum Meta diesen extremen Beschützerinstinkt ihrem Bruder gegenüber hat: Beide haben nicht nur ihre Eltern verloren. Ernsti wurde kurz nach deren Tod zunächst in ein Kinderheim verbracht, anschließend aber in ein Irrenhaus, aus dem Meta ihn befreien musste. Er lebte dort unter elenden Bedingungen, wurde so oft ans Bett gefesselt, dass er sogar das Laufen wieder verlernte. Die Schwester versprach ihm, ihn nie wieder alleine zu lassen. Diese Zusage scheint noch immer stark in Meta zu wirken! Außerdem redet sie sich ein, dass der Aufenthalt in diesem schlimmen Heim die Andersartigkeit Ernstis erst begründet hat.
 
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Literaturhexle

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Im Zürcher Panoptikum werden mit Begeisterung Menschen fremder Stämme, gerne auch farbig, vorgeführt. Die gängigen Vorurteile und Klischees sind aus heutiger Sicht unfassbar! Gesetze schützten zwar die Europäer, wurden aber bewusst auf "die Wilden" nicht angewendet. Sie wurden mehr oder weniger als exotische Tiere angesehen, gehörten einem Mäzenen, der sie von Ort zu Ort schleppte, und waren rechtslos.

Da schließt sich auch die Behandlung der anderen "menschlichen Kuriositäten" an. Beide Seiten der Medaille werden im Buch beleuchtet. Zwerge, Kolosse, Missgebildete - sie alle finden in der Welt des Jahrmarktes oder Panoptikums eine Heimat. Sie stellen dort ihre Schwächen zur Schau, lassen sich bewundern, angaffen und auslachen...
Auf der anderen Seite wären sie jenseits dieser Welt Ausgestoßene oder Bettler gewesen und hätten kein eigenständiges Leben führen können. Insofern erscheint mir der Jahrmarkt als das kleinere Übel, oder?

Spannend auch das Frauenbild der 1930er Jahre: Körperertüchtigung sei für Frauen gefährlich. Sie schade dem weiblichen Körper und den inneren Organen. Das weibliche Becken würde verengt, die Muskeln zu fest und die Fasern zu straff. Das alles treibe den Frauen die Lust und die Fähigkeit zum Kinderkriegen aus (S. 408). :eek:
Das Tragen einer Hose kommt einer Revolution gleich und sagt viel über die Trägerin aus.

Ich finde es toll, wie all diese gesellschaftlichen Fakten in den spannenden Roman hineingepackt werden. Beide Zeitebenen entwickeln Spannung, es gibt keine Längen.
 
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MRO1975

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Ich finde es toll, wie all diese gesellschaftlichen Fakten in den spannenden Roman hineingepackt werden. Beide Zeitebenen entwickeln Spannung, es gibt keine Längen.
Das gefällt mir an dem Roman auch sehr gut. Die Autorin schafft es, moralisch schwierige Problemlagen anschaulich nahezubringen und beide Seiten zu beleuchten und den moralischen Zeigefinger zu ziehen.
 

Literaturhexle

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Das gefällt mir an dem Roman auch sehr gut. Die Autorin schafft es, moralisch schwierige Problemlagen anschaulich nahezubringen und beide Seiten zu beleuchten und den moralischen Zeigefinger zu ziehen.
Das Geschickte ist ja gerade, dass der moralische Zeigefinger ausbleibt. Die Autorin schildert nur die damalige Sachlage. Wahrscheinlich bedient sie sich auch des damals zugänglichen Propagandamaterials, der Werbung und sonstiger Medien...
Sie hat umfassend recherchiert. Alleine die Wiedergabe der damaligen (abstrusen) Ansichten lässt in uns das Messer aufspringen ;)
 
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Mamskit

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6. November 2016
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Ich finde es toll, wie all diese gesellschaftlichen Fakten in den spannenden Roman hineingepackt werden. Beide Zeitebenen entwickeln Spannung, es gibt keine Längen.
So geht es mir auch, das begeistert mich immer wieder an diesem Buch. Dazu ist es stellenweise augenzwinkernd humorvoll ("Schmeling ließ sich auf der Kante einer seiner eigenen Statuen nieder. Sein Bademantel klaffte offen und ließ ein Stück Bauch sehen, den keiner der anderen Schmelings im Raum besaß." S. 389) und dann wieder sehr sensibel geschrieben ("Meta Stimme klang klein in der Dunkelheit. Eine Stimme zum Umarmen." S. 405). Das gefällt mir sehr gut!
Die Diskussion zwischen Evalyn Byrd und Meta bringt das Dilemma der Artisten der damaligen Zeit meines Erachtens auf den Punkt. Als sogenannte Abnormitäten haben sie im "normalen" Leben keine nennenswerte Überlebenschance, es sei denn als Bettler. In der Welt der Jahrmärkte und Panoptiken haben sie ein Auskommen um den Preis, dass sie begafft und ausgelacht werden. Damit verbunden ist aber auch eine kleine, fragwürdige Chance auf etwas Ruhm. Und bis die Nazis kämen, wurden Sie auch noch vèrhältnismäßig gut bezahlt.
 

Mamskit

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Mir gefällt auch sehr, dass die Schilderung der zum Teil doch sehr besonderen Eigenartigkeiten der Artisten nie ins Voyeuristische abgleitet. Ich habe schon so viele Bücher gelesen, in denen Anomalien und Absonderlichkeiten um des Grusel- oder auch Ekeleffektes übertrieben ausgeschlachtet wurden. Das mochte ich noch nie. In diesem Buch wird an jeder Stelle deutlich, dass es sich um völlig normale Menschen handelt, die zufällig an der einen oder anderen Stelle etwas anders sind.
 

Literaturhexle

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Mir gefällt auch sehr, dass die Schilderung der zum Teil doch sehr besonderen Eigenartigkeiten der Artisten nie ins Voyeuristische abgleitet. I
Ein wenig erschreckend habe ich es in einem der vorherigen Leseabschnitte empfunden, als die Tochter einer der dicksten Frauen (Kolosse) zum Essen von Schmalzbroten gezwungen wurde... Was tat man dem Kind da an?!? Sowas geht mir durch und durch, es hatte was von Stopfmast...
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Das Zurschaustellen von "Absonderlichkeiten" im Züricher Panoptikum. Meine Gedanken schweiften da auch gleich zu den "Einsamen Schwestern", denen ja ein ähnliches Schicksal beschwert war.
Mich fesselt die Geschichte weiter in vielen Beziehungen. Auch die sehr ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Meta und Mathis ist mit viel Gefühl und Einfühlung, aber auch mit Witz geschrieben.
Sorry, wenn ich nicht so viel in der Leserunde schreibe. Ich lese einfach! Und lasse so das Jahr ausklingen. Gut, oder?
 
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MRO1975

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Das Geschickte ist ja gerade, dass der moralische Zeigefinger ausbleibt. Die Autorin schildert nur die damalige Sachlage. Wahrscheinlich bedient sie sich auch des damals zugänglichen Propagandamaterials, der Werbung und sonstiger Medien...
Sie hat umfassend recherchiert. Alleine die Wiedergabe der damaligen (abstrusen) Ansichten lässt in uns das Messer aufspringen ;)
Eigentlich hatte ich „ohne“ Zeigefinger schreiben wollen... o_O
 

Momo

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Was ist eigentlich mit den Artisten heute? Was sind das heute für Menschen? Ich habe irgendwo gelesen, dass heutzutage die Zirkusse ohne menschliche Schaulust auskommen. Stimmt das? Ich war noch nie in einem Zirkus. Das wäre schon schön, wenn es gelingen würde, Menschen, die körperlich anders sind, in der Gesellschaft ihren Platz finden. Einen normalen Beruf erlernen, Familie gründen, etc. Verschieden sind wir alle, aber wieviel Differenz verträgt eine Gesellschaft?

Erstaunlich, wie präzise die schweizer Behörden auf die Standarts eines Zirkuss´geachtet haben, damit die Artisten geschützt vor Unfällen sind. Interessant dabei fand ich die Italiener-Regel, die sie für italiensiche Gastarbeiter eingeführt hatten. Italienische Gastarbeiter wurden in Barracken untergebracht und pro Kopf wurde ihnen jeweils gerademal 15 Kubikmeter Luft zugesprochen, und die Dunkelhäutigen bekommen noch weniger, nur zehn. Wie absurd. Einerseits haben die schweizer Behörden versucht, Gutes für die Menschen zu tun, und gleichzeitig waren auch sie rassistisch. Es war ihnen nur nicht bewusst ...
 

Sassenach123

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In diesem Abschnitt kommt in Mathis der Verdacht auf, dass Ernsti nicht nur Fliegen zerdrückt, sondern auch für den Tod von Cassandra verantwortlich sein könnte. Allerdings traut er sich nicht, das Meta anzuvertrauen. Er fürchtet, dass sie nur ausrasten würde. Dabei wäre das doch Grund genug, Meta die Augen zu öffnen. Wie soll das denn weitergehen? Wenn sie Ernsti finden, können sie doch nicht einfach weiter machen wie bisher!
Ernsti ist leider eine tickende Zeitbombe. Selbst wenn er mit Cassandras Tod nichts zu tun haben sollte, wobei der Umstand, dass die Schuhe verschwunden sind schon merkwürdig ist, ist er durch seine Kraft und das fehlende Verständnis unberechenbar. Um ehrlich zu sein wundert mich auch ein wenig, dass Meta damals, als der Vorfall mit dem Kind geschah, nicht selbst überlegt hat, ob Ernsti etwas damit zu tun haben könnte, schließlich war er zeitgleich unterwegs und sie kennt seine unberechenbare Art
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ihr habt vieles bereits angesprochen, da bleibt nicht mehr viel, was ich noch ergänzen könnte.
Persönlich gefiel mir die Sicht von Meta auf die Frauen sehr gut. Sie findet, dass Männer im Haushalt helfen sollten, und zeigt auf, dass Frauen nicht schlechter sind als Männer, ihnen wird nur die Möglichkeit geraubt sich zu beweisen. Recht hat sie! In Mathis hat sie jemanden gefunden, der das akzeptiert, schade, dass er einer der wenigen ist. Wenn ich da an den Vorfall denke, als Meta von den Männern zusammengeschlagen wurde, ist Mathis ein Paradebeispiel, und das, obwohl er in seinem Leben auch nicht immer mit Samthandschuhen angefasst wurde.
Die Suche nach Ernsti war sehr spannend. Wir durften so Evalyn Byrd kennenlernen, eine Person, die bereit war zu helfen, was absolut nicht selbstverständlich war zu der Zeit, fast jeder hatte Angst.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Was ist eigentlich mit den Artisten heute? Was sind das heute für Menschen? Ich habe irgendwo gelesen, dass heutzutage die Zirkusse ohne menschliche Schaulust auskommen. Stimmt das? Ich war noch nie in einem Zirkus. Das wäre schon schön, wenn es gelingen würde, Menschen, die körperlich anders sind, in der Gesellschaft ihren Platz finden. Einen normalen Beruf erlernen, Familie gründen, etc. Verschieden sind wir alle, aber wieviel Differenz verträgt eine Gesellschaft?

Erstaunlich, wie präzise die schweizer Behörden auf die Standarts eines Zirkuss´geachtet haben, damit die Artisten geschützt vor Unfällen sind. Interessant dabei fand ich die Italiener-Regel, die sie für italiensiche Gastarbeiter eingeführt hatten. Italienische Gastarbeiter wurden in Barracken untergebracht und pro Kopf wurde ihnen jeweils gerademal 15 Kubikmeter Luft zugesprochen, und die Dunkelhäutigen bekommen noch weniger, nur zehn. Wie absurd. Einerseits haben die schweizer Behörden versucht, Gutes für die Menschen zu tun, und gleichzeitig waren auch sie rassistisch. Es war ihnen nur nicht bewusst ...
Gute Frage, ich war auch noch nie in einem Zirkus, wie es dort ist, kann ich also nicht beantworten. Allerdings glaube ich nicht, dass die Menschen Ihre Schaulust verloren haben. Wenn man sich allein das Fernsehprogramm ansieht, wo Schicksale ausgeschlachtet werden für Einschaltquoten.......leider wird es das wohl immer geben, es verlagert sich halt nur.
 

Literaturhexle

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Ich habe irgendwo gelesen, dass heutzutage die Zirkusse ohne menschliche Schaulust auskommen.
Eine gute Freundin war jetzt erst im Zirkus und fand ihn sehr kurzweilig. Fast nur Akrobatik, weil hier Wildtiere verboten sind.

Ich würde sagen, das reine Ausstellen irgendwelcher Abnormitäten wäre hierzulande fast strafbar als Verstoß gegen die Diskriminierungsgesetze. Es besteht auch keine Notwendigkeit weil die Menschen sozial versorgt werden.

Ich vermute aber, dass Zirkusleute und Schausteller schon besondere Menschen sind: sie sind nie sesshaft, immer woanders, immer unterwegs. Da könnten schon Parallelen zu finden sein.
 

Momo

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Eine gute Freundin war jetzt erst im Zirkus und fand ihn sehr kurzweilig. Fast nur Akrobatik, weil hier Wildtiere verboten sind.

Ich würde sagen, das reine Ausstellen irgendwelcher Abnormitäten wäre hierzulande fast strafbar als Verstoß gegen die Diskriminierungsgesetze. Es besteht auch keine Notwendigkeit weil die Menschen sozial versorgt werden.

Ich vermute aber, dass Zirkusleute und Schausteller schon besondere Menschen sind: sie sind nie sesshaft, immer woanders, immer unterwegs. Da könnten schon Parallelen zu finden sein.

Das finde ich gut. Ich war noch nie in einem Zirkus.
 
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