So, auch ich habe den Abschnitt durchgelesen. Über mangelnde Handlung kann man sich nicht beklagen, die Autorin führt uns die vielen Figuren immer stärker vor, gibt Einblicke in deren Leben und zeigt auf, wie sie sich zu dem entwickelt haben, was sie sind.
Ja, Janine wurde als junge Frau äußerst brutal vergewaltigt, gleich von mehreren Männern. Vorher hatte sie noch nicht einmal Sex gehabt. Krass. Prompt wird sie schwanger und entschließt sich zur Abtreibung. Um diese durchführen zu können, musste sie den kleinen Bruder ohne Aufsicht lassen und prompt wird der Familienhund totgefahren. Mensch, was eine Verkettung unglücksseliger Ereignisse!
Dass sie heute gegen Abtreibungen auf die Straße geht, ist höchst inkonsequent!
Auch George scheint eine Leiche im Keller zu haben. Jetzt nimmt er zwar das Recht in die eigene bewaffnete Hand - allerdings wird auf Seite 311 angedeutet, dass er selbst ein schlechtes Gewissen hat, das der Grund dafür war, sich der Kirche zuzuwenden mit dem Ziel, quasi dort reingewaschen zu werden. In dieser Kirchengemeinde fand seine Radikalisierung statt. In den USA gibt es ja zahlreiche Kirchengemeinden, die unserem Verständnis nach eher zu den Sekten zu zählen sind.
Was George und Hugh eint, ist ein fragliches Vaterverständnis. Beide haben ihre Töchter als Eigentum betrachtet. Ihre Hinwendung zu anderen Personen (schon im Kindesalter) hat sie mit Eifersucht erfüllt. Bestimmt liegt es mit daran, dass beiden Männern die Partnerin fehlt und die Tochter automatisch eine wichtigere Rolle in Vaters Leben einnimmt - gut ist das aber nicht (vgl. S. 292).
Ich finde es völlig unverständlich, dass Hugh seinen Kollegen nicht Bescheid gibt, dass seine eigene Tochter zu den Geiseln zählt. Befangenheit und persönliche Angst sind gewiss kein guter Ratgeber in einer solchen Stresssituation.
Olive wurde uns bereits als besonnene ältere Lesbierin vorgestellt, als eine sehr sympathische Person. Sie warf sich zwischen den Attentäter und Wren, nahm mit diesem Sprung (das muss man erstmal gut getimed hinbekommen!) die Kugel auf sich und starb den Heldinnentod.
Nun wissen wir, dass sie sowieso unheilbar an Krebs erkrankt war, was den Verlust für den Leser etwas leichter macht.
Die Partnerschaft von Izzy und Parker zeigt die Armutsschere so deutlich auf, dass es schmerzt: Izzy musste verschimmeltes Brot essen, Parker ernährte sich von Kaviar
. Trotzdem scheint Parker sie aufrichtig zu lieben - schön!
Izzy ist eine sympathische, couragierte Figur und man gönnt ihr dieses private Schicksal eines modernen Aschenputtels von Herzen.
Das Thema Abtreibung wird in vielen Facetten immer wieder aufbereitet. Es geht grundsätzlich um die Frage, wann fängt das schützenswerte Leben an und welche Rechte hat die austragende Frau dabei. Die einzelnen Bundesstaaten sind sich deutlich uneins, zu welchen Konditionen und ob überhaupt ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen darf. Es gibt Widersprüche und juristische Feinheiten. Dass Beth hilflos mit Handschellen festgehalten wird - unglaublich!
Joys Schwangerschaft ist bereits relativ weit fortgeschritten. Während Louis des Abbruch vornimmt, wird der Leser nicht geschont. Überhaupt fließt viel Blut, egal, ob Blut aus der Lunge gelassen oder eine Aderpresse angelegt wird, die entstehenden Bilder wirken originalgetreu.
Nach wie vor stören mich die zahlreichen Sprünge, die nur dazu dienen, alle möglichen Sichtweisen auf das Thema Abtreibung und auch auf die Figuren zu beleuchten. Das lenkt mich sehr von der eigentlichen Handlung ab, wodurch der Roman stellenweise langweilig wird. Immer, wenn ich wieder Fuß gefasst habe, kommt wieder so eine wenig zielführende Rückblende...
Soweit meine Gedanken. Nun seid ihr dran