Sämtliche Richtlinien der Amnestie wurden abgedruckt. Bei Nummer 7. bin ich ebenso wie Tatjana zusammengezuckt: Sie gilt als Konterrevolutionärin und muss im Lager bleiben. Man kann sich diese Ungerechtigkeit und Willkür gar nicht vorstellen. Diktatoren herrschen immer mit Hilfe eines Unrechtsregimes.
Tatjana denkt oft an ihre Tochter, an ihren Mann. Erst 1955 wird sie entlassen. Paradox: Da sie nicht weiß, wo sie hingehen kann, kehrt sie ins Lager zurück, übernimmt ihren alten Posten freiwillig gegen Zahlung eines Gehalts. Nebenbei schreibt sie Briefe an die Behörden: Sie sucht verzweifelt nach Mann und Tochter und möchte rehabilitiert werden. Letzteres erreicht sie 1957 mit der Aussage, dass man "in ihrem Fall vielleicht wirklich zu weit gegangen" wäre.
Tatjana nimmt einen Job bei der Post an, um in fremden Briefen lesen zu können. Sie sucht auf diese Weise Menschen, die ihr Schicksal teilen, um an Informationen zu kommen. Sie lernt Leidensgenossin Jadwiga kennen, mit der sie sich anfreundet. Letztlich erfährt sie, dass Assja bereits den Winter 1946 nicht mehr erlebt hat. Wie tragisch! Aber wohl realistisch.
Ihr Mann wurde erschossen. Auch er hatte sich in der Schreibstube verdungen, um russische Dokumente zu kopieren. Das galt in diesem Regime logischerweise als Landesverrat. Tatjana hat also all die Jahre vergebens um das Leben ihrer Lieben gebangt...
Alexanders Stiefvater ist noch immer ein unverbesserlicher Stalinist. Seine Kommentare sind zum Haareraufen. Doch auch das wird authentisch sein. In der SU träumen viele von einem starken Führer, der aufräumt. Im Grunde haben sie den ja auch heute noch, wenn auch wohl unblutiger. Aber so weit ist das heutige Regime auch nicht von einer Diktatur entfernt.
Im "Abspann" taucht Lera auf. Ein bisschen Liebe und Hoffnung wollte der Autor uns offensichtlich darbieten. Die Alzheimer Krankheit schreitet voran. Offensichtlich ist Tatjana nur am Leben geblieben, um den unbekannten Soldaten zu finden, dessen Namen sie einst dupliziert hatte.
Sie führt fortan ein Leben als Künstlerin. Sie hat Ausstellungen, reist viel. In Genf besucht sie das Archiv des Rotes Kreuzes, sie schreibt immer noch zahlreiche Briefe, um den Mann zu finden.
Am 31.12.1999 kommt endlich der erlösende Brief (Cliffhanger vom Anfang!), dass der von ihr gesuchte Soldat noch lebt. Sofort bricht sie mit Jadwiga auf, um ihn aufzusuchen.Sie findet ihn und stellt erleichtert fest, dass ihm nichts passiert ist, dass ihre Fälschung völlig ohne Belang war. Sie ist unglaublich erleichtert und stirbt kurz darauf.
Jetzt hat sich der Autor noch einen Knaller zum Ende hin ausgedacht: Sascha lässt es keine Ruhe, dass der freigelassene Soldat Pawkow immer zusammen mit Aljoscha in Kriegsgefangenschaft war, jener aber mit Orden dekoriert wurde, während Tatjanas Mann erschossen wurde. Deshalb sucht er ihn auf. Er muss feststellen, dass Pawkow noch immer ein Verehrer Stalins ist. Offensichtlich hat er dem Kameraden das vermeintlich bessere Leben in der Schreibstube geneidet und ihn anschließend als Verräter denunziert...
Puh, ist das ein Ende! Die Diskrepanz zwischen Tanjas schlechtem Gewissen und diesem abgebrühten, verblendeten Charakter könnte nicht größer sein. Das muss man erst einmal verdauen.