4. Leseabschnitt: Kapitel XII. bis XVII. (Ende)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich schrieb es im letzten LA: Die Abwärtsspirale nimmt Fahrt auf, für mein Empfinden etwas zu schnell und - ja, auch zu unglaubwürdig. Was soll das hier sein? Eine Gesellschaftssatire?

Unrat verliert erwartungsgemäß seinen Job. Alle Männer, auch und gerade der höchsten Schichten, beneiden ihn um seine schillernde Frau, die durch die Heirat die Treppe hoch gefallen ist. Sie kann sich noch schönere Toiletten leisten, das Geld wird mit vollen Händen ausgegeben...
Irgendwann sind die 30.000 Mark (!) ausgegeben und man muss Schulden machen. Schließlich wird eine Art Spielcasino/Lusttempel in Unrats Villa eröffnet. Alle strömen herbei, fröhnen dem Glücksspiel und bringen sich hintereinander in Schande. Unrat feixt, gibt seiner Frau sogar konkrete Aufträge, wen sie als Nächstes "vernichten" soll...
Dabei wiegt die Freude am Unglück der anderen weit höher als sein eigener Liebeskummer. Erst bei Lohmann, seinem ärgsten Feind, sieht er rot...

Das Ganze ist mir dermaßen böse, dass es sich wie ein Märchen liest. Ich verstehe den tieferen Sinn: Der Lehrer war damals fast gottgleich zu verehren, hatte einen hohen formalen Status, dem Raat aufgrund seines revanchistischen und menschenfeindlichen Verhaltens in sozialer Hinsicht überhaupt nicht entspricht. Entsprechend wird er als "Unrat" und Schlimmeres bezeichnet. Der Professor ist von Anfang an ein Unsympath, der Buchtitel weist zudem die Richtung an, in die es geht: Untergang.

Dieser Untergang speist sich aus dem übertriebenen Schutz- und Fürsorgebedürfnis Unrats. Es ist gerade, als hätte jemand den Schalter bei ihm umgelegt. Zuvor war er ein völlig angepasster, verschobener und Untergebenen gegenüber bösartiger Beamter, dann wird er zum Stalker, zum von Leidenschaft getriebenen, lächerlichen Alten. Das Lachen bleibt mir komplett im Hals hängen, warum, kann ich gar nicht sagen. Es ist wohl zuviel des Guten. Manchen hasserfüllten Absatz habe ich zum Ende hin als Länge empfunden.

Die Künstlerin Fröhlich bleibt sich treu: Sie ist liebes- und vergnügungshungrig, bemüht sich einer gewissen Diskretion, genießt das Unrat´sche Geld und seinen Status. Ihr Kind spielt für sie keine Rolle. Sie äußert zwar mal, etwas für die Kleine zurücklegen zu wollen, damit sie es im Leben mal besser habe, tut es aber nie, immer kommt eine Vergnügung/Geldausgabe dazwischen. Geschickt übrigens, wie sie Unrat das Kind untergejubelt hat.

Jetzt lese ich mal noch das Nachwort.
 
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Die Abwärtsspirale nimmt Fahrt auf, für mein Empfinden etwas zu schnell und - ja, auch zu unglaubwürdig.

Das Tempo zog zum Ende hin mächtig an, wenn man bedenkt, dass er "stundenlang" durch Gassen streifen musste, um überhaupt das Fräulein Fröhlich zu finden.
Andererseits war das schon geschickt, denn der Leser lechzt nach Sensationen, mit denen man dann nicht so lange hinterm Berg halten sollte.
Vielleicht hat Mann aber auch nur die Lust an seiner eigenen Geschichte verloren.;)
 
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RuLeka

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30. Januar 2018
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Im letzten Kapitel wird Heinrich Manns Roman zu einer Gesellschaftssatire. Es geht ihm nicht mehr ausschließlich darum, Professor Rath zu porträtieren und zu demontieren, sondern sein Rundumschlag trifft alle, die ganzen gutsituierten Bürger der Stadt. Der Spottruf „ Hier riecht es nach Unrat“ betrifft alle. Der Protagonist hat es geschafft, alle in den Dreck zu ziehen, wortwörtlich. „ Und diese Entsittlichung einer Stadt, von keinem zu unterbrechen, weil zu viele darin verwickelt waren, geschah durch Unrat und zu seinem Triumph.“
Heinrich Mann greift alle an, den Pastor und damit die Kirche, die jemand ins Verderben rennen lässt und auftaucht, wenn derjenige am Boden liegt. „ Jetzt, da der Mann am Biden lag, war er der Meinung, dass für das Christentum etwas zu machen sei.“
Die Spießer der Stadt klatschen über die Orgien im Hause der Unrats, geben sich empört, gleichzeitig reizt sie das wilde Leben dort.
Die Künstlerin Fröhlich ( bezeichnend, dass Mann sie in Bezug auf Unrat immer so nennt, dabei ist sie eine bessere Kokotte ) versteht Unrat zu nehmen. Ihre Ambitionen im Hinblick auf die griechische Sprache hat sie bald aufgegeben. Aber sie wahrt nach außen hin den Schein, Ehebruch ja, aber heimlich. So wie es die angesehenen Frauen der Bürgerschicht auch tun. Beispiel: die Konsulin Breetpoot.
Unrat trägt seinen Namen mittlerweile als Auszeichnung.
Zum Schluss kommt es zu einem Zusammentreffen mit dem letzten der drei Schüler, nämlich Lohmann. Kieselack ist zerstört, ebenso von Zerbst, aber der wichtigste, der steht noch aus.
Ausgerechnet ihn muss die Fröhlich einladen.
Lohmann ist eine der interessantesten Figuren. Schon am Anfang sticht er heraus , denn er ist nicht an der Fröhlich interessiert. Er schwärmt für die verheiratete Konsulin. Nun ist er zurück, weiterreist und sieht alles mit anderen Augen. Doch am Ende erweist er sich als der Spießer wie alle. „ Lohmanbs Geust, der durch so unglaubwürdige Erlebnisse noch nie erprobt worden war, warf alle Eignenart ab und antwortete auf „ Verbrechen“ ganz bürgerlich mit „ Polizei“.
 

Literaturhexle

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Im letzten Kapitel wird Heinrich Manns Roman zu einer Gesellschaftssatire. Es
Ah, schön, dass du das auch so siehst!

Der Spottruf „ Hier riecht es nach Unrat“ betrifft alle. Der Protagonist hat es geschafft, alle in den Dreck zu ziehen, wortwörtlich.
Aber das ist doch alles nicht realistisch, oder? Satire lebt natürlich von der Übertreibung. Will Mann auf den Dreck hinter den bürgerlichen Fassaden aufmerksam machen? Muss wohl so sein. Dadurch, dass sozialer Status so viel galt, konnte sich der einzelne (der Konsul, der Bürgermeister, der Adlige,...) viele Fehltritte leisten. Das will Mann hier darstellen.
Trotzdem finde ich es längst nicht so gelungen wie im Untertan.

Lohmann ist eine der interessantesten Figuren.
Das sehe ich auch so. Er wird schon am Anfang interessant beschrieben. Ich hatte extra noch einmal zurück geblättert.
 
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